Bei uns Zuhause herrscht Krieg
Bei uns Zuhause herrscht Krieg. Es ist ein grausamer Krieg, ein brutaler Krieg, kein kalter Krieg, sondern eher ein sehr heißer, denn er hat bisher zahlreiche Opfer gefordert. Aber bei uns geht es nicht um so banale Sachen wie zum Beispiel wie man die Spülmaschine richtig einräumt oder was für eine Melodie bei der Klingel eingestellt werden soll. Nein, unser Problem ist viel schlimmer. Die Dritte Welt kann einpacken.
Alles fing damit an, dass mein Stiefvater mir erklärte, dass es vielleicht nicht zwingend notwendig sei,
jeden Tag drei Stunden bei 50 Grad zu duschen. Selbstverständlich war ich empört, gab es nicht ein Menschenrecht auf Duschen? Großzügig wie ich nun mal bin, verzieh ich ihm diesen Fehltritt und duschte weiter wie bisher. Das schien ihm allerdings nicht ganz zu passen und er beschloss, in die Offensive überzugehen. Er fing an, jedes Mal, bevor ich zu duschen pflegte, die Wassertemperatur des Boilers runterzustellen. Das hatte ich aber ziemlich schnell raus, da ich plötzlich beim Duschen extreme Unterkühlungen bekam. Also beschloss ich, jedes Mal vor dem Duschen die Temperatur wieder hochzustellen. Das durfte mein Stiefvater
jedoch natürlich nicht mitkriegen, also musste ich die Temperatur nach dem Duschen wieder runterstellen. Da ich mich selber allerdings ein bisschen kenne, wusste ich dass ich das vergessen würde, also musste ich mich irgendwie daran erinnern. Ich legte meine Socken als Mahnmal auf die Türklinke. Nach ungefähr einem Monat schaffte ich es dann auch, die Temperatur wieder runterzustellen UND meine Socken wiederzufinden. Ich war zufrieden mit mir. Vielleicht konnte er sich allerdings denken, dass ich auf diese geniale Idee gekommen war (Immerhin bin ich hochbegabt!) und er klebte einen Zettel auf den Boiler, auf dem stand, dass die
Wassertemperatur genau so belassen werden sollte. Als ich diesen Zettel sah, brach ich in ein ungefähr fünf Minuten lang anhaltendes Lachen aus. Ich sah ihn mir kein zweites Mal an. Das Leben war schön. Ich hatte ja keine Ahnung, zu was für Grausamkeiten dieser Mann fähig war. Plötzlich klebte der Zettel über dem Drehschalter für die Wassertemperatur. Ich war geschockt, ich war empört, ich war verzweifelt. Nach ungefähr einer halben Stunde Nachdenken begann ich ganz vorsichtig, den Zettel zu entfernen und die Temperatur zu verstellen. Gut, dass ich so schlau bin! Aber… Es hat nicht sollen sein.
Dieser kalte Krieger entfernte doch tatsächlich den Drehschalter! Im Angesicht einer solchen Grausamkeit musste ich erstmal weinen. Ich verfiel in eine schreckliche Depression und aß tagelang nichts, bis mir endlich eine Lösung einfiel. Sie war so einfach wie genial der zweite Drehschalter für die Flammenhöhe. Ich stellte ihn auf die höchste Stufe und beobachtete zufrieden, wie Flammen an der Decke leckten. Das Wasser war jetzt ca. 200 Grad heiß, aber damit konnte ich leben. Sehr gut sogar. Ich hatte meine private Sauna.
Wäre ja auch zu schön gewesen. Dieser gnadenlose Feldherr entfernte jetzt auch
noch den Schalter für die Flammenhöhe. Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass man mit einer kleinen Zange in das Innere des Boilers eindringen konnte und ihn dort in punkto Temperatur manipulieren konnte. Ich ging nur noch mit Zange duschen. Diesmal war ich mir sicher, gewonnen zu haben.
Pustekuchen. Ich ging duschen, dachte mir nichts Böses und DER BOILER WAR WEG! Wie kann ein einzelner Mensch nur so grausam sein? Da jetzt offenbar unfair gekämpft wurde, konnte ich ja auch meine Mafia-Erfahrung (bekommt man in der Schule) auspacken. Jedes Mal vor dem Duschen
schlich ich mich in sein Zimmer und stahl ein paar seiner Kleider, um daraus ein Feuer zu machen, mit dem ich dann mein Wasser wärmte und weil ich grade dabei war Würste briet. Natürlich war das jetzt nicht gerade das Unauffälligste, und so überraschte er mich schon bald mit einer Sprinkleranlage im Bad. Jetzt bekam ich doppelt kaltes Wasser ab. Ich riss die Anlage ab und legte sie ihm zusammen mit einem Pferdekopf ins Bett, aber ich merkte selber, dass das nicht mehr viel mit Duschen zu tun hatte und sich der Krieg auf unser ganzes Zusammenleben auswirkte. Dementsprechend viel auch sein Gegenschlag aus er stellte den
Strom für mein Zimmer aus. Daraufhin verkaufte ich seine Plattensammlung und kaufte mir von dem Geld einen Generator. Allerdings musste ich dann auf dem Boden schlafen, da der gesamte Inhalt meines Zimmers im Garten aufgeschichtet stand und lichterloh brannte. Da an Schlaf jetzt sowieso nicht mehr zu denken war und auch generell das ganze Zusammenleben nur noch daraus bestand, sich überraschen zu lassen, was der Feind sich als nächstes ausdenken würde, orderte ich ein paar Handwerker und ließ sie lautstark sein Zimmer auseinander nehmen. Ich dachte schon, ich hätte ihn erledigt wie sollte er das toppen? aber
dieser Herr weiß zu überraschen. Als ich von der Schule wiederkam, war das gesamte (Denkmalgeschützte!) Haus weg und damit natürlich auch die Dusche. Und damit natürlich auch der Grund unserer kleinen Auseinandersetzung. Das Kriegsbeil wurde begraben und in der Zeitung konnte man am nächsten Tag lesen: „Beide Seiten zeigten sich erfreut über die zeitnahe Lösung dieses kleinen Konflikts.“
