Die Nacht des Jägers
So oder so ähnlich wird morgen die Schlagzeile in den hiesigen Lokalzeitungen lauten, davon bin ich überzeugt. Es war auch wirklich meine Nacht. Ich, der große Jäger habe reichlich Beute gemacht.
80 cm von der Nase bis zum letzten Schwanzhaar, für einen Marder ist das durchaus eine beachtliche Länge. Ich bin schon eine imposante Erscheinung, das kann ich in aller Bescheidenheit behaupten, wenn mich auch selten ein Mensch zu Gesicht bekommt, denn ich meide meist das Tageslicht. Meine Welt ist die Dunkelheit, nur in der Nacht gehe ich gerne meiner Arbeit
nach und natürlich auch dem Vergnügen, man lebt ja nur einmal.
Ich lebe mit meiner Hausfrau in einem wunderschönen Haus mit Garten und bin für die Schädlingsbekämpfung zuständig. Alles tip-top in Ordnung. Kein Wurm, keine Maus, keine Schnecke darf es sich bei uns bequem machen, nur ab und zu flattert eine irre Hummel durch die Küche, doch ich habe noch nicht herausgefunden, wo sie schläft. Sollte ich sie einmal überraschen, kann sie ihr blaues Wunder erleben, da verstehe ich keinen Spaß.
Meine Hausfrau ist ein hübsches junges Ding. Sie sorgt gut für mich, wir verstehen uns
prächtig. Ab und zu verliert sie ganz unabsichtlich ein frisches Hühnerei irgendwo im Garten oder auf der Terrasse, das ich dann zufällig finde… lecker, oder sie vergisst eine Dose Katzenfutter von der feinsten Sorte auf dem Fensterbrett. Dafür beschütze ich sie und ihr Eigentum, so gut ich kann. So war es auch gestern, da konnte, Dank meiner Hilfe, ein lang gesuchter Einbrecher dingfest gemacht werden.
Doch alles der Reihe nach:
Es war ein ganz normaler Tag, so schien es zumindest. Frauchen saß den ganzen Nachmittag beim Computer und bearbeitete ihren Lohnsteuerjahresausgleich, was immer das auch sein mag. Ihrem
Gesichtsausdruck nach zu schließen nichts Gutes, denn sie schien ziemlich wütend zu sein. Kein Wunder, bei diesem unmöglichen Wort. Endlich war sie dem Anschein nach fertig, denn sie schleuderte alles in eine Ecke und ging ins Schlafzimmer. Von meinem Aussichtspunkt unterm Dach konnte ich alles genau beobachten.
Sie setzte sich auf ihr Bett und begann zu telefonieren mit diesem alten verstaubten Telefon. Warum sie sich kein neues modernes Handy zulegt, habe ich mich schon öfters gefragt, doch sie scheint dieses Unikum zu lieben. Sie sah hinreißend aus. Schwarzes Korsett, schwarze Netzstrümpfe, die Beine leicht gespreizt, ein Anblick zum
Verlieben. Sie schien mit ihrem Freund zu sprechen, doch ich wollte sie nicht belauschen. Das Diaphragma war gesetzt, der langweilige weiße Büstenhalter in der Waschmaschine, einem entspannten Abend schien nichts mehr im Weg zu stehen.
Ich hörte ein Auto kommen, doch nein, das war nicht das vertraute Geräusch des alten Opels. Es war also nicht ihr Freund, der sich da eben eingeparkt hatte. Ein toller Flitzer, vielleicht ein BMW oder… egal, jedenfallls war es eine Nobelkarosse. Ich beschloss mir diese Benzinkutsche einmal genauer anzusehen, besonders für den Motorraum interessierte ich mich als Fachmann. Gesagt, getan, ich machte mich ans Werk und dabei
kam mir meine Ausbildung an der Höheren Technischen Lehranstalt sehr zugute. Ich war dort in meiner Jugend einige Jahre in den Katakomben, so nannten sie ihre Werkstätten im Keller, als Hausmarder tätig. Leider hatte ich einmal meine Fingerabdrücke in weichem Kerzenwachs hinterlassen und musste daher eines Nachts fliehen, da ich ja nicht auf der Schülerliste stand. Mit Kabeln kannte ich mich also aus, ja, ich war sogar imstande einen richtigen Kabelsalat zu konstruieren. Mit Bildung kann man viel erreichen, pflegte meine Mutter immer zu sagen. Lautlos machte ich mich mit meinen frisch geschliffenen Schneidezähnen an die Arbeit. Dieses Auto würde uns nie mehr belästigen, da war ich mir sicher.
Den Mann, der ausgestiegen war, kannte ich nämlich. Es war dieser Querulant mit der dicken Knollennase, der jeden Tag bei Einbruch der Dämmerung auf der hohen Brücke wartete und die umliegenden Häuser und ihre Bewohner genau beobachtete. Auf dem Baum gegenüber hatte ich mir für heiße Tage mein Sommerquartier eingerichtet, darum störte mich dieser ungute Zeitgenosse fürchterlich, noch dazu hatte er eines Tages sogar eine Marderfalle dabei. So ein Schurke, doch seinen Plan durchschaute ich natürlich sofort. Seine Gedankengänge erschienen mir immer schon äußerst primitiv, doch gefährlich war er, das fühlte ich instinktiv und ich sollte Recht behalten.
Zielsicher schritt er auf unser Haus zu und kletterte durch ein offenes Fenster direkt in unser Wohnzimmer. Mit eiligen Schritten war er beim Tresor. Den Zahlencode schien er zu kennen. Lange genug hatte er wahrscheinlich von der Brücke aus alles ausspioniert, so ein Gauner. Hastig stopfte er goldene Ketten und Ringe in seine Hosentaschen. Auch einige Geldscheine verschwanden blitzschnell. Nein, das ging zu weit. Ich konnte doch nicht zulassen, dass er mein Frauchen einfach beklaute. Wenn hier einer klaut, so war ich das, dieses Privileg ließ ich mir von niemandem streitig machen.
Also musste ich ihre Aufmerksamkeit auf
diesen unerwarteten Besuch lenken. Nach kurzem Überlegen beschloss ich tatkräftig einzugreifen. Ein kühner Sprung auf die gläserne Vase im Vorzimmer, die sofort mit lautem Krach zu Boden fiel.
Vom Lärm aufgeschreckt sah sie nach und erfasste sofort die Situation. Sie reagierte wie erwartet klug und gefasst. Leise ging sie zurück in ihr Schlafzimmer und griff zum Telefon.
Kurz darauf verließ der Einbrecher mit vollgestopften Taschen eilends das Haus auf dem Weg, auf dem er gekommen war. Hastig sprang er in sein Auto und wollte sich aus dem Staub machen, doch sein Wagen sprang
natürlich nicht an. Wo ein Marder am Werk war, versagt eben die Elektronik. Den Kerl habe ich ausgetrickst.
Gerade als er wieder aussteigen wollte, nahm ihn sofort die von meiner Hausfrau alarmierte Polizei in Empfang. Ein scharfer Polizeihund bewachte jeden seiner Schritte bis zum Streifenwagen. Auf uns Tiere ist eben Verlass.
Die Polizei hat ihn natürlich sofort verhaftet. Es war ein lang gesuchter Einbrecher und sein Platz auf der Brücke wird jetzt längere Zeit leer bleiben. Seinen Traum vom schnellen Geld hat er wohl endgültig begraben müssen. Seine Tage verbringt er
wahrscheinlich in einer Menschenfalle, rundum von Gitterstäben umgeben.
Ja, es war eine aufregende Nacht, die Nacht des Jägers - meine Nacht.