Inhaltsangabe der „Vogelperspektive“
Zerlina ist seit Säuglingsalter an stark spastisch gelähmt und kommt von der Erde der Hexen und Zauberer. Von ihren Eltern auf die Erde geschickt, soll sie herausfinden, was das harmonische,
verständnisvolle Zusammenleben der Menschen beinahe unmöglich macht
Gemeinsam mit ihren sprechenden Haustieren und ihren Freunden kommt die kleine Zappelhexe den Menschen und dem Störenfried ihres gewaltfreien Zusammenlebens schließlich recht nahe.
Vorwort
In diesem Vorwort möchte ich mich bei meinen Lesern recht herzlich dafür entschuldigen, dass die Erstausgabe des Fantasieromans "Die Vogelperspektive", die im Herbst des Jahres 2009 erschien, so schlecht gelungen und ebenso schlecht überarbeitet war. Auch ist es mir außerordentlich unangenehm und peinlich, dass die Erstausgabe so unverschämt teuer war. Aber den Preis von 16,90 Euro hat der Buchverlag bestimmt und festgesetzt, der mein Buch verlegte.
Und dass ich meine Fantasiegeschichte
nun noch einmal von Grund auf neu überarbeitete und korrigierte, verdanke ich ganz allein Frau Katja Hillermann, einer Bekannten von mir
Somit geht mein ganz besonderer und herzlicher Dank also an Katja Hillermann!!!
Zudem möchte ich mich bei meinen Lesern recht herzlich dafür entschuldigen, dass ich von den Menschen, die an einen festen Gott glauben, keine sooooooo gute Meinung habe! Aber die kleine, spastische Hexe Zerlina ist von dem Pflegedienst, bei dem sie gute zwei Jahre lang Kundin und der streng christlich- evangelisch war, nahezu menschenunwürdig
behandelt worden. Insbesondere von ihrem aus Afrika stammenden jungen persönlichen Assistenten. Dieser
junge Mann quälte sie regelrecht und fügte ihr körperlichen Schaden zu. Wie zum Beispiel eine stark schmerzende Schulter, die sie beinahe zwei Jahre lang nur unter großen Schmerzen bewegen konnte. Und auch heute ist es ihr nicht möglich, ihre Schulter komplett schmerzfrei zu bewegen
Diesen jungen, farbigen Mann gab es also real im Leben von Zerlina Somit musste ich mich also sehr, sehr zusammenreißen, mich nicht noch weitaus negativer über meine streng gläubigen Mitmenschen zu äußern!
Auch hierfür möchte ich mich bei meinen Lesern, die an den Schöpfer dieses Planeten glauben, recht herzlich entschuldigen. Aber Zerlina musste unter diesen Menschen wirklich beinahe die reinste Hölle erleben!
Allerdings gab und gibt es viele von den Freunden und Bekannten, die ich in dieser Fantasiegeschichte erwähne, ebenfalls im Leben von Zerlina!
Ich wünsche Euch nun ganz, ganz viel Spaß beim Lesen und vielen, vielen herzlichen Dank für Euer tolles Verständnis!!!
I
Mit wildem Herzklopfen erwachte ich aus meinem Traum und drehte mich von meiner linken Schlafseite aus auf den Rücken Ein wenig aufgeregt und verwirrt tastete ich mit meiner rechten Hand nach Momo, meiner weiß-grau-gestreiften Katze, die sich für gewöhnlich jeden Morgen tiefschlafend eng an mich kuschelte Aber an diesem Morgen war Momo nicht da Leise seufzte ich auf und blickte mich noch vom Schlaf benommen im Zimmer um Sah die Wände, die noch nicht ganz fertig gestrichen waren Nur die eine Wand, von der ich beschlossen hatte, sie in einem
satten, sonnigen Gelb zu streichen, war schon fertig Doch dafür, dass wir erst seit knappen drei Wochen in diesem Haus in den Niederlanden wohnten, hatten wir uns schon sehr wohnlich eingerichtet Nur das Schlafzimmer hatten wir etwas vernachlässigt Außer unserem gut zwei Meter breiten Bett, in dem schon meine Großeltern mütterlicherseits nächtigten, und unserem Kleiderschrank hatten wir noch nichts aufgebaut Und unser Kleiderschrank stand so günstig, dass ich mir morgens im Bett liegend meine Kleidungsstücke aussuchen konnte Das Bett und
der Kleiderschrank waren aus hellem Holz und hatten in der Tat schon einige Jährchen auf dem Buckel Ja, ich liebte Holz Und meine große Liebe für Holz kam vermutlich daher, weil ich in einem reinen Holzhaus aufwuchs Unwillkürlich musste ich grinsen, als ich meine sechs Paar Schuhe überaus ordentlich neben der Schlafzimmertür stehen sah Jonas, mein Mann, mit dem ich seit einer guten Woche verheiratet war, hatte sie vor einigen Tagen dort so hingestellt Er meinte, das ließe unser Schlafzimmer wenigstens etwas gemütlicher und wohnlicher wirken
Weiter wanderten meine verschlafenen Blicke zu den Fotos, die teilweise schon an der fertig gestrichenen, gelben Wand hingen Auf diesen Fotos waren überwiegend die Menschen zu sehen, die mich großzogen und mein Leben lang begleiteten Bis zu meinem vierunddreißigsten Lebensjahr glaubte ich fest, sie seien meine leibliche Familie Nun, aber man konnte schon sagen, dass ich diesen Menschen ähnlich sah Meine Augen hatten um ein Haar genau denselben Braunton, wie die meines Vaters und die von meinen vier Schwestern Und meine Nase
hatte genau dieselbe Kartoffelform, wie die meines Vaters Meine Haare waren ebenfalls dunkel Genau so wie die Haare meiner vier Schwestern und die meines Vaters Nur meine Schwester Stefanie und meine Mutter waren blond und hatten tiefblaue Augen
Meine Schwester Stefanie war nur ein knappes Jahr älter als ich und meine absolute Lieblingsschwester
Jetzt schon etwas munterer blickte ich aus dem Schlafzimmerfenster Es war genial, dass jedes Fenster unseres Hauses bis zum Fußboden hinabreichte Somit war es bei Tageslicht immer schön hell in den
einzelnen Zimmern Leicht blinzelnd blickte ich gen aufgehender Morgensonne, die ins Schlafzimmer schien Und weil unsere Nachbarn einige Meter von uns entfernt wohnten und das Schlafzimmer nach hinten in den Garten hinaus lag, empfand ich es nicht für so eilig, Rollos an das Fenster anzubringen Auch war es in den Niederlanden ohnehin eher unüblich, Gardinen oder Rollos an den Fenstern zu haben Zudem liebte ich es, von meinem Bett aus ungehindert in den Nachthimmel gucken und bei wolkenlosem Himmel den Mond und
die Sterne zu beobachten
Träumerisch blickte ich in unseren Garten hinaus Er war nicht groß Er war eher von der kleineren Sorte Genauso wie unser ebenerdiges Haus Denn in unserem Haus befanden sich vier kleinere, aber gemütliche Zimmer, eine Wohnküche und ein Badezimmer Das größte Zimmer von unseren vier Zimmern hatte mein Mann sich als Behandlungsraum eingerichtet Er arbeitete als Heilpraktiker und ließ seine Patienten im Moment noch zu uns nach Hause kommen Denn da wir erst seit kurzer Zeit in den Niederlanden lebten, war ihm noch
keine rechte Zeit geblieben, sich eine separate und eigene Praxis zu suchen Aber das würde er tun, sobald wir in unserer neuen Heimat erst einmal ein wenig Fuß gefasst hatten.
Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich eine eigene Badewanne in meinem Zuhause Zwar konnte ich i n dieser Badewanne nur baden, wenn Jonas, mein toller Ehemann, zu Hause war, da er mich hineinheben musste Aber zum Glück befand sich neben unserer Badewanne noch eine Dusche, die ich mit meinem Rollstuhl problemlos be- und unterfahren konnte Ja, unser
Badezimmer war sehr geräumig und somit geradezu perfekt für mich im Rollstuhl Doch mein absoluter Lieblingsraum in unserem Haus war unsere Wohnküche Von ihr konnte man durch eine große Glasschiebetür direkt auf die Terrasse und in den Garten gelangen Zwar war die Wohnküche ebenfalls noch nicht vollständig eingerichtet Dafür stand im Wohnbereich vor der großen Glasfront aber schon ein schönes, flauschiges rötlich-
braunes Sofa, in dem man versinken konnte Der Fußboden war aus schönen, warmen Holz Sowie auch in den
üblichen Zimmern Nur vor dem Sofa lag ein beige-rötlicher Teppich Während den Mahlzeiten konnte man von unserem dunklen Holzesstisch aus die Vögel, Hasen und Eichhörnchen im Garten beobachten Und zur Weihnachtszeit würde in diesem Wohnbereich unser Tannenbaum stehen
Ich gähnte und erinnerte mich an meinen abscheulichen Traum zurück, aus dem
ich vor wenigen Minuten aufgewacht war Diesen Traum träu mte ich nun schon fast jede Nacht Auch schien es mir jedes Mal so, als ob ich ihn
die ganzen Stunden hindurchträumte, die ich schlief Und in Sekundenschnelle fiel mir ein, dass ich gestern Abend Jonas doch noch von meinem Leben als invalide Hexe hatte er zählen wollen Doch da ich plötzlich von einer starken Müdigkeit heimgesucht worden war, hatte ich meinem Mann nur ein knappes Viertel meiner Geschichte erzählt
»Guten Morgen, meine kleine Zappelhexe«, wurde i ch auf einmal von einer sehr verschlafenen Stimme liebevoll begrüßt, »hast du gut geschlafen?«
Noch immer ein wenig vom Schlaf benommen und von meinem Traum
aufgewühlt, nickte ich zaghaft und sah Jonas etwas schüchtern an, der sich ausgiebig streckte
»Hast du wieder diesen scheußlichen Traum gehabt, hm?«, erkundigte Jonas sich mitfühlend bei mir und zog mich zärtlich an sich
»Ach, Brummelbär, vielleicht bin ich doch nicht für diese Lebensaufgabe geeignet, die mir meine leibliche Familie zuteilte«, seufzte ich weinerlich
»Denn bis jetzt habe ich auf der Welt der Menschen nicht sehr viel zum Positiven verändern können Und außerdem habe ich dich, statt Andre geheiratet Ich meine, unsere
leiblichen Eltern werden sich doch etwas dabei gedacht haben, warum sie Andre und mich einander versprachen! Und nicht umsonst träume ich in letzter Zeit immer und immer wieder von der geplatzten Hochzeit mit Andre und dem Dritten Weltkrieg auf dem Blauen Planeten Vielleicht schicken meine Eltern und Schwestern mir aus Rache ständig diesen Traum «
»Tja, wenn es dir urplötzlich eingefallen ist, zu deinem eigentlichen Ehemann zu gehören, musst du dich von mir eben wieder scheiden lassen und zu ihm gehen «
Die plötzliche Kälte, die in Jonas Stimme gefahren war und die abweisende Körperhaltung schmerzten mich so sehr, dass mir Tränen in die Augen traten
»Nein, Brummelbär, das meine ich doch gar nicht«, brachte ich mühevoll über meine leicht zitternden Lippen
»Und du weißt genau, dass ich Andre nachher nicht mehr heiraten wollte und wie sehr mich diese Träume aufregen Denn mein ganzes Leben lang habe ich zu verstehen bekommen, dass er der perfekte Ehemann für mich sei Nun, anfangs fand ich dieses total schön
Aber als später immer häufiger über uns als das »perfekte« Ehepaar gesprochen wurde, fing ich allmählich an, eine leichte Abneigung gegenüber Andre zu entwickeln Und das, obwohl er der Mensch war, der in allen Lebenslagen zu mir stand und mir am Vertrautesten war Auch fing ich erst recht an, mich vor ihm zurückzuziehen, als unsere Hochzeit beschlossen zu sein schien Und dabei haben die Menschen überhaupt nicht gewusst, dass wir beide von unseren leiblichen Eltern miteinander versprochen wurden Sie ahnten ja noch nicht einmal, dass wir keine von ihnen sind und von einem
ganz anderen Planeten kommen «
Wie ein gescholtenes Kind versuchte ich, weiter unter Jonas´ war me Bettdecke zu kriechen und mich wieder an ihn zu kuscheln
»Süße, du müsstest doch allmählich bemerkt haben, dass du bereits ein großes Teil zum Frieden und zur besseren Kommunikation zwischen den Menschen beigetragen hast Und ich meine, viel mehr hat deine Familie nicht von dir verlangt, oder?« Das unerwartete leichte Grinsen auf dem Gesicht und die veränderte Haltung meines Ehemannes machten mich unsagbar glücklich
Nein, Jonas war wirklich nicht der
Mann, den ich mir als den Ehemann an meiner Seite vorgestellt hatte Zwar war er ein sympathischer und durchaus hübscher Mensch Er hatte unheimlich viel Wissen Auch war er extrem bescheiden Dennoch stellte ich mir seit längerem die Frage, ob das hier alles mit rechten Dingen zugehe Denn ich wusste nicht, ob Jonas in mir die perfekte Gesprächspartnerin gefunden hatte, die er so dringend brauchte Zwar war ich nicht gerade dumm, aber so wissend, wie er es war, war ich bei weitem nicht Zudem fragte ich mich immer wieder, ob ich ihn richtig glücklich machte Aber bis jetzt
schien er glücklich mit mir zu sein Jedenfalls gab er mir das Gefühl
»Nur vergisst du, dass Michael Ende dieses ›große Teil‹, wie du es nennst, ebenfalls entdeckt und ein wunderschönes Buch darüber geschrieben hat Der Unterschied war,
dass das kleine Mädchen Momo in seinem Fantasieroman bemerkte, dass die Menschen um sie herum plötzlich immer weniger Zeit füreinander hatten und schließlich den "grauen Herren" auf die Schliche kam Denn diese grauen Herren haben den Menschen die Zeit gestohlen, um selber existieren zu können Auch wenn
Momo durch intensives Zuhören hinter das Geheimnis der grauen Herren kam, die das ruhige, harmonische Zusammenleben der Menschen mit ihrem Zeitraub stört en, so ähneln sich unsere beiden Entdeckungen doch ziemlich Denn die Menschen können sich in der Tat nicht gut genug zuhören können Ebenso den Tieren Und den Pflanzen “, gab ich etwas mürrisch von mir und verschränkte die Arme trotzig über meiner Brust
„Nun, aber die meisten deiner Leute sind vollkommen zufrieden und sogar ein bisschen stolz auf dich Was möchtest du denn noch
mehr?«
»Ja, ich bin auch sooo toll!«, gab ich in einem ironischen Ton zurück und klimperte mit meinen Augenlidern
»Ich habe nur eine recht gute Beobachtungsgabe, sowie sie manche Leute haben Das ist alles!«
»Und deine gute Beobachtungsgabe sagt dir wohl auch, dass ich ein Brummelbär bin?!«
»Nun, manchmal bist du ganz schön brummelig Und dieses hast du mir als Masseur auch zur Genüge gezeigt Damals, als du mich aufgrund meiner Rückenschmerzen behandelt hast«, erklärte ich grinsend
»Während der Behandlungsstunden hast du mich manches Mal ganz schön ausgeschimpft Besonders, als ich dir von der Fingeramputation erzählt habe, die ich bei mir durchführen lassen wollte «
»Ja, das war auch eine ziemliche bescheuerte Theorie von dir, dass sich deine starke Spastik verringert, wenn du dir einen oder zwei Finger deiner beiden Hände amputieren lässt Deine vorletzte Physiotherapeutin hatte dir mal erzählt, man könne aller Wahrscheinlichkeit nach das unkontrollierte Bewegungsmuster eines Menschen mit einer Spastik
„unterbrechen“, wenn man ihm ein Gliedmaße abnimmt Na, und das wolltest du ausprobieren Vermutlich ist diese Theorie deiner ehemaligen Physiotherapeutin auch korrekt Doch ausprobiert oder gar bewiesen ist sie nicht “, erklärte mein Mann aufbrausend und schlug mit der linken Hand wild gestikulierend auf die Bettdecke
Ich versuchte, mich ein wenig weiter aufzusetzen Denn ich im Sitzen konnte ich besser zu Atem kommen und somit deutlicher sprechen Als Jonas bemerkte, dass ich
mich aufsetzen wollte, zog er mich hoch, stopfte mir mein Kopfkissen
und meine Bettdecke hinter den Rücken und deckte mich mit seiner eigenen fürsorglich mit zu
Ja, es war erstaunlich, wie gut manche Menschen mich vom Sprachlichen her verstanden Denn aufgrund meiner starken spastischen Lähmung, die seit Geburt meinen ganzen Körper beherrschte, konnte ich mich nur undeutlich mitteilen Ich sprach wie eine volltrunkene Person Und einige Leute taten sich ziemlich schwer, mich genau zu verstehen Zumeist lag dies daran, dass leider nicht wenige von meinen Gesprächspartnern eine gewisse
Scheu verspürten, mich das Gesagte noch einmal oder mehrere Male hintereinander wiederholen zu lassen Überwiegend empfanden sie, sie würden mich mit dem Wiederholen der Sätze überfordern oder gar nerven Allerdings gab es einige Menschen, die mich beinahe von Beginn unserer Bekanntschaft an und auf Anhieb recht klar und deutlich verstehen konnten
Auch Jonas gehörte zu den Menschen, die beinahe jedes einzelne Wort von mir verstanden Jedoch waren wir uns schon recht vertraut Und nicht selten geschah es,
dass ich einen undeutlichen Ton von mir gab und er dennoch auf den Punkt genau wusste, was ich meinte Zudem liebte ich es grenzenlos an ihm, dass er es nie müde wurde, mich kompliziertere Worte solange wiederholen zu lassen, bis er genau verstanden hatte, was ich erzählen wollte
»Trotz alledem hätte man es einmal ausprobieren können, ob ein Mensch mit recht starker Spastik sich gezielter bewegt, wenn man ihm ein oder zwei Gliedmaßen abnimmt Ich meine, die Ärzte operieren sogar an Gehirnen herum, um den Menschen mit
spastischen Lähmungen ein etwas ruhigeres und „lebenswerteres“ Leben zu verschaffen Und das finde ich persönlich total grausig Denn bei diesen Operationen kann weitaus Schlimmeres passieren, als bei einer Fingeramputation Ja gut, wer unter seiner spastischen Lähmung ernsthaft zu leiden hat, sollte sich natürlich am Gehirn operieren lassen! Nichtsdestotrotz sollte man erst einmal versuchen, die Dinge anzunehmen, die das Leben für einen parat hält Und wenn wir einige unserer „körperlichen“ und nicht mit dem Tode endenden Schicksalsschläge so ohne Weiteres
annähmen, würde es automatisch gleichfalls weitaus weniger Tierversuche geben Denn wegen uns Menschen müssen die Tiere manches Mal unendlich leiden Die Tiere, die unsere Vorfahren waren, töteten wir jeden Tag auf Brutalste und Grausamste!
Außerdem hätte ich diese Fingeramputation keineswegs in Betracht gezogen und mich für sie entschieden, wenn ich meine beiden Hände vollständig hätte einsetzen können Aber da ich mit ihnen so gut wie nichts machen kann, wäre es nicht weiter aufgefallen, wenn ich an einer Hand einen oder zwei Finger
weniger gehabt hätte Ja, man hätte es natürlich gesehen Doch das wäre aber auch schon alles gewesen “, gab ich erklärend zurück, nachdem ich gut saß
„Allerdings habe ich mich dann doch für das Einritzen der Muskeln meines rechten Beines entschieden Und seitdem mir die Muskeln operativ ein Stück weit angeritzt worden sind, die in meinem Bein am verspanntesten waren, bin ich körperlich tatsächlich etwas ruhiger «
»Ja, diese Operation war eine etwas Andere, die man im Gegensatz zur Fingeramputation gut nachvollziehen kann Denn bei
ihr werden die spastischen Muskeln des Arms, des Beins oder des Fußes weitestgehend lahmgelegt Nur, bei deiner/dieser OP wäre beinahe nicht alles glattgegangen Und dann wärst du womöglich noch schwerer behindert gewesen, al s du ohnehin schon bist Die Ärzte haben dir aus Versehen ein kleines bisschen zu viel vom Narkosemittel gegeben Und dies hätte dein kleiner, zierlicher Körper beinahe nicht verkraftet Wenn man denn noch bedenkt, warum du diese Operation über dich ergehen lassen hast, sollte man dir eine gehörige Ohrfeige verpassen Denn du
wolltest gar nicht sooo unbedingt deine starke Spastik verringern, die dich im Grunde genommen in keiner Weise stört Denn du hast deine Spastik bereits dein Leben lang und bist an sie gewöhnt, wie an deine braunen Augen Nein, du wolltest nur, dass deine Mitmenschen es leichter mit deiner körperlichen Pflege haben Weißt du, Zerlina, das ist ziemlich bescheuert: Auf der einen Seite regst du dich über die Leute auf, die sich wie Marionetten der Gesellschaft fügen Du erzählst deinen Freunden, sie möchten ihr Leben so leben, wie sie es für richtig halten Du sagst, dass sie darauf
acht geben sollen, dass ihnen niemand ihr Leben aus den Händen nimmt und für sie weiterlebt Aber auf der anderen Seite lässt du dir dein Leben ganz genauso aus den Händen nehmen und es von deinen Mitmenschen weiterleben Und wenn du nur mutig genug gewesen wärst, dir dieses einzugestehen, hättest du dich nicht operier en lassen Auch hättest du mehr auf mich und meine heilenden Hände vertrauen müssen Und du wärst deinen Leuten eine weitaus größere Hilfe, wenn du dich gegen diesen operativen Eingriff entschieden hättest Du weißt, dass die
Menschen sich generell in die Angelegenheiten andrer Menschen einmischen Und dieses machen sie meistens leider nicht, um ihren Mitmenschen zu helfen und ihnen gut zu tun. Sondern sie tun es, weil sie schlichtweg ihre Langeweile vertreiben möchten Auch bei dir haben die Leute, mit denen du näheren Kontakt hattest, ihre Langeweile und ihr „ach so übergroßes Mitleid“ zu deinem Problem mit deiner Behinderung gemacht Dabei hast du nie unter deiner starken Körperbehinderung gelitten und niemals davon geträumt, eine nicht behinderte Frau zu sein Denn du
bist nun einmal so schwer körperbehindert auf die Welt gekommen und kennst dein Leben aus diesem Grunde nicht anders! «
»Ja, ich weiß!«, murmelte ich
»Aber ich habe die Operation gut überstanden Und die ewigen Schmerzen in meinem rechten Fuß sind fast verschwunden Außerdem wusste ich damals doch noch gar nicht, ob meine Beobachtung mit deinen heilenden Händen stimmt und ob
ich dich jemals zum Ehemann bekomme Na, nun ist mein rechtes Bein weitestgehend lahmgelegt und bereitet mir keine
Schwierigkeiten mehr «
»Tja, fragt sich nur, welchen wertvollen Preis du dafür gezahlt hast! «, kam plötzlich eine piepsige Stimme unter dem Bett hervor und im nächsten Moment sprang meine kleine weiß-grau gestreifte Katzendame auf die Matratze
»Momo, da bist du ja!«, rief ich aus und drückte sie freudig an mich
»Ja, wo sollte ich bitteschön denn sonst sein, hm? Meine Tochter und ihr Vater hatten sich mal wieder gewaltig in der Wolle, wo ich kurz schlichten musste Du weißt doch, die beiden sind manches Mal wie Feuer und Wasser! Und ich muss dann
immer zusehen, dass entweder Kimmy nicht verbrennt oder Hannes nicht ertrinkt Schlimm, schlimm, schlimm «
»Och, meine arme, kleine Momo«, schmunzelte ich und drückte ihr einen Kuss auf ihre winzig kleine Nase
»Ja, mach' dich ruhig lustig über mich«, maul te Momo weiter, »wirst schon sehen, was du davon hast!«
"Und wo sind Hannes und Kimmy jetzt?"
"Kimmy liegt beleidigt unter dem Bett und Hannes hat sich verärgert auf die Fensterbank im Wohnzimmer hinter die ganzen Blumentöpfe verzogen und starrt hinaus in den Garten Vielleicht ist er
aber auch schon durch die Katzenkl appe in der Terrassentür in den Garten entschwunden und streift mürrisch durch die umliegenden Wiesen und Felder Zum Glück liegt unser Grundstück und unser Haus recht abseits, sodass es hier kaum viel befahrende Straßen gibt Nur dieser Jäger, der hier durch den nahen Wald streift, macht mir zie mlichen Kummer Hört i hr Kimmy bel eidigt an ihrem kleinen Gummiball knabbern?"
"Ja, das kann man nicht überhören ", erwiderte ich leicht lächelnd
"Übrigens hat Jonas gestern mit dem Jäger gesprochen Er wird also
darauf acht geben, keinen pechschwarzen Kater und keine hellbraun-, schwarz-, weißgetigerte Katze zu erschießen Na, und weil ihr drei es von München her so gewohnt seid, ständig in der Wohnung zu sein, geht ihr nicht allzu häufig nach draußen Du zum Beispiel hast ein bisschen Angst, hinaus in die weite Welt zu gehen und möchtest im Haus bleiben "
"Nun, mich reizt es nicht, den Mäusen und Kaninchen hinterher zu jagen Denn die Mäuse erinnern mich zu dol le an Moritz, deine oder unsere kleine Käfigmaus, die in
München bei uns wohnte ", murmelte
Momo zwischen den Zähnen hindurch
»Och menno, wie lange werde ich brauchen, um Momo richtig verstehen zu können?«, schimpfte Jonas leise vor sich hin
»Und selbst du fällst, wenn du mit ihr sprichst, in eine Art Singsang, den ich nicht gut verstehen kann Manchmal verstehe ich noch nicht einmal das kleinste Wörtchen «
»Tja, Brummelbär, das liegt daran, dass du ein Mensch bist, der vom Planeten Erde stammt Wenn du einer von uns wärst, könntest du Momo ohne Weiteres verstehen «, neckte ich Jonas und blickte in seine hellbraunen Augen
Ja, Jonas war doch ein ganz hübscher Kerl mit seinem etwas herb geschnittenen Gesichtszügen, seinem ständigen Dreitagesbart, seiner überaus männlichen Stimme, seinen braunen Augen und seinem blonden, kurzen Haar, das schon leichte Geheimratsecken anzeigte Und das, obwohl er noch nicht einmal dreißig Jahre alt war Eine irrsinnig schöne, farbliche Zusammenstellung; ziemlich hellblonde Haare und unheimlich warme, braune Augen Anfangs irritierte es mich ein wenig, in Jonas' Augen zu blicken Denn ich hatte ja ebenfalls braune Augen Aber je länger ich mit
Jonas zusammen war, desto weniger irritierte mich seine Augenfarbe
Andre's Augen dagegen waren grün-blau, die zu seinem leicht rötlichen, etwas lockigen und ebenfalls recht kurzgeschnittenen Haar gut passten Auch in der Körpergröße unterschieden mein Ex-Freund und mein jetziger Ehemann sich ziemlich Andre war knapp an die zwei Meter groß, recht breitschultrig, ziemlich muskulös und sportlich gewesen Jonas dagegen war etwas über einen Meter achtzig groß, war für einen Mann recht schmal gebaut und hatte eher weniger Muskelmasse an Armen
und Beinen Dennoch fühlte ich mich bei Jonas um einiges geborgener, sicherer und beschützter Und dies, obwohl er gute dreizehn Jahre jünger als Andre war Doch dass ich mich bei meinem jetzigen Ehemann sicherer und geborgener fühlte, kam daher, weil er ein strengeres Auftreten hatte So vermutete ich es wenigstens Außerdem war Jonas um einiges selbstbewusster und in seinem Wesen viel gefestigter als Andre Dabei war mein Ex-Freund ein herzensguter Mensch, der die Ruhe selbst war und von jedem gleich gemocht wurde, der ihn kennen lernte
Und der auch mir unwahrscheinlich gut getan hatte
»Hm, dabei fällt mir ein, dass du gestern Abend damit begonnen hattest, mir deine ganze Geschichte als invalide Hexe zu erzählen «, riss Jonas mich sanft aus meinen Gedanken
»Ja, entschuldige bitte, dass ich dabei eingeschlafen bin Und auch wenn du den Anfang meiner Lebensgeschichte schon länger kennst, beginne ich am besten noch
einmal ganz von vorne, oder?«
Mit einem bestimmten Nicken zeigte Jonas mir an, dass er damit einverstanden war
II
Nachdem ich von der Toilette zurückkam, im Bett wieder gut saß, Jonas unsere Katzen versorgt und uns einen Früchtetee mit Honig gemacht hatte, nahm ich Momo in den Arm, holte tief Luft und begann mit meiner Geschichte:
»Die Lebewesen des Blauen Planeten schrieben gerade das Jahr neunzehnhundertsiebzig Es war in einer sehr heißen Juninacht, als ich recht unsanft im Garten meiner Eltern aufschlug Sofort fing ich lauthals zu schreien an Der Mann, von dem ich jahrelang glaubte, er sei mein leiblicher Vater, brauchte einige Zeit,
um mich im großen Garten zu finden Schließlich fand er mich unter dem Wohnzimmerfenster Vorsichtig lüftete er das Tuch, in dem ich eingewickelt war, und sah in mein schrumpeliges, kleines Gesicht Ich war ja erst etwa drei Stunden alt Behutsam trug er mich ins Haus und zeigte mich seiner angetrauten Ehefrau, meiner Mutter
»Wo hast du den kleinen Säugling denn her, Wolfram?«, fragte sie unwirsch ihren Mann
Er erzählte ihr, dass er mich schreien gehört und kurze Zeit später dann unter dem Wohnzimmerfenster gefunden habe
»Und was sollen wir mit diesem kleinen Bündel nun anfangen? Wir haben doch schon fünf Töchter«, gab meine Mutter etwas erschrocken von sich und schaute meinen Vater mit ihren blauen Augen an
»Erstmal behalten wir sie diese Nacht hier«, entschied mein Vater, »denn wir können sie ja schlecht wieder zurück in den Garten legen!
Hm, ich vermute mal, dass es ein kleines Mädchen ist Denn wir bekommen ja irgendwie nur Mädchen «, lächelte mein Vater etwas verlegen und strich meiner
Mutter liebevoll eine blonde Strähne aus der Stirn
Jedoch blieb ich nicht nur diese eine Nacht in diesem Hause Denn da die Suche nach meinen leiblichen Eltern erfolglos blieb, entschieden sich diese Leute, die vor
den Toren Münchens wohnten, mich mit ihren fünf leiblichen Töchtern großzuziehen Und trotzdem ich so unerwartet in ihre Familie hineingepurzelt war, nahmen sie mich äußerst liebevoll auf Zwar war meine Mutter in ihrer Art ein wenig barsch und herrisch, aber ich mochte diese kleine, rundliche Frau mit ihren langen,
festen, Locken, ihren großen blauen Augen und ihrer lustigen Stupsnase Mein Vater hingegen war ein unheimlich sanftmütiger, ruhiger Mensch Er war groß und breitschultrig gebaut, hatte eine durchtrainierte Figur und besaß auf seinem Kopf nur
noch wenig Haar, das mit Mitte dreißig bereits ergraute und das einmal von dunkler Farbe gewesen war Vier von meinen fünf Schwestern hatten ebenfalls dunkle Haare, die ihnen beinahe bis zu den Hüften hinabreichten, und waren, genau wie mein Vater, von der Gestalt her hochgewachsen und schlank Nur
meine Lieblingsschwester kam von ihrem Aussehen her nach meiner Mutter Sie hatte ebenfalls dicke, blonde lockige Haare, recht helle blaue, große Augen, eine niedliche Stupsnase und war von ihrer Figur her eher etwas rundlich Doch auch sie hatte dieselbe ruhige, völlig
gelassene Art meines Vaters
Mit Stefanie, die von allen kurz und bündig Steff genannt wurde, tobte ich als Kind mit größter Freude durch unseren recht großen und baumbewachsenen Garten Unser Familienholzhaus stand in der Mitte unseres Gartens Dieses Haus hatte
mein Vater mit tatkräftiger Unterstützung seiner Familie und seinen Freunden eigenhändig gebaut Um unser Grundstück herum lagen nur Wiesen, Felder und Wälder Unsere nächsten Nachbarn wohnten etwa einen halben Kilometer von uns entfernt Nur meine Großmutter väterlicherseits war unsere unmittelbare Nachbarin Als meine Familie unser Haus in dem winzig kleinen Ort in der Nähe von München baute, wollte mein Vater seine Mutter nicht in der Großstadt alleine zurücklassen und bat sie, in das Haus direkt neben unserem Grundstück zu
ziehen, das schon mehrere Jahre lang leer stand
Ja, wir lebten recht ruhig und einsam
Ganz besonders liebte ich es al s kleines Mädchen, mit Steff in unserem Garten verstecken zu spielen und im Sommer und im frühen Herbst das reife Obst von unseren zahlreichen Obstbüschen und Obstbäumen zu naschen Da ich mich aufgrund meiner starken spastischen Lähmung nicht selbständig auf meinen Beinen halten konnte, krabbelte ich munter drauf los Ich versteckte mich zwischen den vielen, sehr eng stehenden Tannen und Büschen Steff
konnte mein Versteck bei unserem Spiel so manches Mal gar nicht so ohne Weiteres aus findig machen und musste richtig suchen
Meiner Schwester Stefanie fühlte ich mich unheimlich nahe und hatte in ihrer Gegenwart ein warmes, sicheres und gut es Gefühl Leider fühlte ich mich bei meinen anderen Schwestern nicht so sehr geborgen und wohl Welches der Grund dafür war, vermochte ich nicht zu sagen Denn alle vier hatten die Art meines Vaters, die ich so
sehr mochte Allerdings waren meine vier ältesten Schwestern auch schon so gut wie erwachsen und von zu
Hause ausgezogen, als ich in ihre Familie purzelte Vielleicht lag es am großen Altersunterschied, dass wir nie so recht warm miteinander wurden
Bereits als kleines Kind bemerkte ich, dass ich einige unschöne Dinge, die in naher Zukunft geschehen würden, ›voraussehen‹ konnte Und j edes Mal, wenn irgendetwas Unschönes geschah, spürte ich es als Allererstes in meinem rechten Bein Ich spürte kurz vor eine m ni cht so schönen Ereignis oder gar einer Katastrophe i n meinem rechten Bein einen Schmerz, der mitunter unerträglich war Aus diesem Grunde nannte ich mein
rechtes Bein bald »mein kleines Zauberbeinchen« Auch wenn ich noch nicht wusste, eine echte Hexe zu sein Zudem wurde ich vor einem unschönen Ereignis unheimlich unruhig und konnte nachts kein Auge zutun Momo hat es vorhin bereits kur z angesprochen Später war i ch sogar so gut, dass i ch die Ereignisse, die sehr bald geschehen würden, direkt benennen konnte Von diesem Zeitpunkt an war ich den Menschen unheimlich Denn ich war des Hellsehens mächtig
Aber seitdem man einige Muskeln meines rechten Fußes ein Stück anritzte, ist mein Empfinden für
herannahende Katastrophen weitestgehend gestört Dies bedeutet, dass ich körperlich nun zwar relativ ruhig und entspannt bin, jedoch kaum noch Gefahren wittern und dementsprechend handeln kann Sowie es mir vor meiner Operation noch möglich war Weil ich jedoch manches Mal schwach und noch immer meine, ein Mensch zu sein, der auf dem Planeten Erde zu Hause ist, denke ich, ich müsste mich in diese Gesellschaft restlos eingl iedern und so aussehen, wie alle anderen Aber zum Glück haben meine leiblichen Eltern es mir verziehen, diese Operation über mich ergehen
lassen zu haben
Nun, als eine echte invalide Hexe müsste ich eigentlich sofort zurückgeholt werden Denn ich kann die Menschen nicht mehr ausreichend schützen Aber die Zauberwesen unseres Planeten haben zum Glück Nachsicht und erlauben mir, hier zu bleiben “, flüsterte ich schuldbewusst und drückte Momo noch etwas stärker an mich
»Tja, selber schuld!«, holte Jonas noch einmal zu einem Tadel aus Doch als er meine funkelnden Augen sah, verstummte er augenblicklich und hörte weiter bereitwillig zu, als ich gleich darauf
wieder zu erzählen begann
»Doch damals, als ich noch nichts von meinem Hexendasein wusste, ängstigte mich meine Gabe des ›Voraussehens‹ beinahe zu Tode«, erzählte ich
»Manchmal war e s mir sogar so, als könne ich hören, was meine Gesprächspartner oder meine Spielgefährten gerade dachten Oftmals waren es nur Fetzen ihrer Gedanken, die ich zu verstehen meinte Am häufigsten glaubte ich aber, Gedankenfetzen von Andre, meine m Freund, mit dem ich schon seit Kinder tagen befreundet bin, hören zu können
Mehrmals fragte ich mich, ob es daran liege, weil
wir eine so enge Bindung miteinander hatten Denn auch er schien des Öfteren genau zu wissen, was oder woran ich gerade dachte Jedoch sollte es einige Zeit dauern, ehe ich es herausfand
Zudem plagten mich Alpt räume, die mich in einigen Nächten meiner Kindheit heimsuchten Ich träumte ständig von riesigen, gruselig aussehenden Gestalten mit sechseckigen Augen Diese Gestalten kamen in den Nächten meiner Alpträume zu mir, rissen mich aus meinem warmen,
kuscheligen Bett und flogen mit mir durchs offene Fenster Wenn sie eine bestimmte Höhe erreicht hatten, ließen sie mich plötzlich fallen Ich fiel fast jedes Mal durch die Wolken Und während die Riesen mit mir durch die manchmal unangenehm kalte Nachtluft flogen, flüsterten sie mir jedes Mal wütend zu, dass sie meine beruhigende Art, die ich ausstrahle, keineswegs mochten und sie für gefährlich hiel ten Si e er zählten mir bei jedem Flug zu den dunklen und nassen Wolken, sie wollten das ganze Weltall für sich alleine haben Es solle keinen anderen bewohnten
Planeten geben, außer ihrem eigenen Aber mit meiner beruhigenden und überzeugenden Art könnte ich es vielleicht schaffen, dass die Menschen und die Tiere harmonischer zusammenlebten und sie es am Ende vermutlich sogar aufgaben, sich gegenseitig auszurotten Die grausigen Gestalten, die mich in ihren Fängen hielten, ängstigten sich anscheinend davor, die Lebewesen der einzelnen belebten Planeten des Weltalls könnten es aufgeben, Kriege gegeneinander zu führen, sich zu töten und stattdessen in Harmonie und im Frieden zusammenleben Denn dies würde bedeuten, dass die Welten längere
Zeit existierten Während meiner Flüge mit den Riesen erfuhr ich, dass die Bewohner der ei nzelnen Planeten sich bemühten, ihre eigene Welt vor dem Untergang zu bewahren Natürlich konnte ich als kleines Mädchen noch nicht so recht begreifen, dass es weitere belebte Planeten im großen Weltall gab und sie alle von diesen grässlichen Geschöpfen bedroht wurden und gegen sie kämpfen mussten Auch wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass und wie man diese großen, Angst einflöß enden Geschöpfe beruhigen und ihnen di e Furcht nehmen konnte, die sie
selber vor den Bewohnern der Nachbarplaneten verspürten Denn ich hatte in diesen Nächten, in denen ich als Vierjährige durch die Lüfte flog, keine Ahnung, dass ausgerechnet ich dazu auserkoren war, den Menschen der bläulich schimmernden Erde das große Miteinander nahe zu bringen, ihnen die Angst voreinander und dem Ungewissen zu nehmen Damals war ich nur ein ganz normales, kleines Menschenkind, das mit seiner Fa milie zusammenlebte und eine ziemlich starke Körperbehinderung hatte
Diese Riesen, die in ziemlich genauen
Abständen zu mir kamen, waren circa drei Meter groß und hatten eine hellgrüne und vollkommen glatte Haut, um die sie von so mancher menschlichen Frau höchst beneidet worden wären, und rochen eigenartig modrig Ihre Augen hatten die Form eines Sechsecks und waren im Verhältnis zu ihrer Kopfgröße, die so groß war wie eine große, dicke Melone, recht klein Ihre Kleidung sah meist zerrissen aus und hing in Stofffetzen von ihnen herab
In meinen Träumen waren diese riesigen Geschöpfe, die jedes Mal von einem anderen Planeten
geflogen zu kommen schienen, trotz ihrer Größe und ihres massigen Körpergewichts doch so geschickt und beweglich, dass es ihnen gelang, sich durch den engen Spalt eines geöffneten Fensters zu zwängen Und weil meine Familie praktisch auf Wiesen und Feldern wohnte, schlief sie im Allgemeinen von Frühling bis zum Herbst hin bei geöffneten Fenstern So auch ich Somit war es für diese Riesen, die in der Tat von einem anderem Planeten des Weltalls stammten, der gelblich leuchtete, und ebenfalls des Zauberns mächtig waren, ein Leichtes, nachts, wenn alles schlief,
an mich heran zu kommen
Doch während meines Falles durch die Wolken und die Luft, tauchte immer wie aus dem Nichts eine Art Engel mit einem freundlichen Gesicht, wunderschönen, braunen Augen und einem Dreitagesbart auf, fing mich mit seinen starken Armen auf und brachte mich behutsam und sicher nach Hause zurück Und wenn ich wieder in meinem warmen, sicheren Bett lag, saß dieser Engel, der mich soeben vor meinem sicheren Tode gerettet hatte, noch eine ganze Weile neben mir und sprach beruhigend auf mich ein Seltsamerweise trocknete mein
Schlafanzug oder mein Nachthemd immer so schnell, dass ich mich nach meinem Flug durch die nassen Wolken und die feuchte Nachtluft nie umziehen lassen musste Denn sobald der Engel mich in mein Bett legte, war ich schon wieder ganz trocken und warm Komisch!, wunderte ich mich über dieses Phänomen Aber wenn ich am Morgen aufwachte, glaubte ich ohnehin fest, meine Reise mit den Riesen durch die Wolken wäre nur ein böser Traum gewesen Trotz allem meinte ich, dass der freundliche Engel, der mich vor diesen Riesen rettete, meinen Schlafanzug oder mein
Nachthemd im Nu wieder getrocknet hätte Denn in den Träumen und Phantasien eines Kindes ist nun ein mal nichts unmöglich
Damals, als kleines Mädchen, fragte ich mich, warum gerade ich diese abscheulichen Träume haben und diese Todesängste ausstehen musste Dennoch wagte ich nie, meiner Familie davon zu erzählen und sie zu fragen, warum es so war Und so behielt ich all meine Fragen für mich und wunderte und ängstigte mich weiter
Zwölf Jahre lang lebte ich bei meiner Familie im Haus mit dem Garten
drumherum, in den ich als drei Stunden altes Mädchen gefallen war Dann beschloss mein Vater, mich in ein Internat in der Nähe von Frankfurt am Main zu geben Er wollte mich angeblich vor meiner psychisch kranken Mutter schützen, die durch ein schreckliches Ereignis an Verfolgungswahn litt Allerdings war mir zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass der wahre Grund ein Anderer sein musste Meine Mutter litt zwar stark an Verfolgungswahn Dies entsprach der Wahrheit Aber dieses Leiden war keinesfalls so schlimm, dass mein Vater uns Kinder, beziehungsw eise Steff
und mich, vor ihr in Sicherheit bringen musste
Seltsamerweise kam Steff einige Tage, nachdem ich ins Internat gezogen war, auf eine weiterführende Schule, die siebzig Kilometer von unserem Zuhause entfernt lag Von dieser Zeit an wohnte sie bei Bekannten meines Vaters und kam ebenfalls nur an den Wochenenden zu unseren Eltern nach Hause Ganz genauso wie ich
Nachdem ich im Internat eingezogen war, hörten meine Alpträume plötzlich auf Überaus glücklich und zufrieden schlief ich die Nächte ohne grausige
Unterbrechungen durch Und mi t der Z eit war mir gl asklar, dass mein Vater von meinen nächtlichen und unfreiwilligen Ausflügen etwas wissen musste Denn er erkundigte sich, nachdem er mich in dieses Internat gegeben hatte, auffallend oft nach meinem Wohlbefinden und meiner Nachtruhe Und es schien ihn sehr zu erleichtern, wenn ich seine immer wiederkehrende Frage jedes Mal mit einem klaren, deutlichen ›Ja‹ und ›Mir geht es gut, Papa‹ beantwortete Woher er von meinen Alpträumen und den Riesen wusste, konnte ich mir nicht erklären
Dafür fiel mir in dieser Einrichtung,
die extra für körperlich behi nderte Schüler errichtet worden war, zum ersten Mal auf, dass ich ›anders‹ sein musste Und dies nicht wegen meiner starken Körperbehinderung, mit der ich geboren worden war und mit der ich in diesem Internat in keiner weise auffiel Denn hier hatte jeder Schüler ein stärkeres, körperliches Handicap Nein, irgendetwas hatte ich an mir, was meine Mitmenschen mächtig störte und ihnen ein wenig Angst machte Gleichzeitig jedoch, und das war das Merkwürdigste, schien es, als ob sich die Meisten meiner Mitmenschen bei mir sicher und verstanden fühlten
Denn jedes Mal, wenn sie in meine Augen schauten, glaubte ich, dass beinahe jede Hemmung von ihnen abfiele und sie mir Sachen erzählen konnten, die sie sonst niemandem anvertrauten Selbst meine Lehrer konnte ich mit mein em Blick hypnotisieren, sodass sie mir bessere Noten gaben und ich einen besseren Schulabschluss schaffte (Wofür ich mich übrigens äußerst schäme!!!!)
Auch meine Schwestern plauderten manchmal munter drauflos Schienen sie sich ansonsten doch vor mir zu fürchten
Acht Jahre lang blieb ich in diesem
Internat nahe Frankfurt und fühlte mich dort unglücklich Ich war viel zu weit von meiner Familie entfernt, an der ich al s kleines Mädchen unwahrscheinlich hing Und selbst wenn ich die entsetzlichen Träume nicht mehr hatte, so wäre ich doch viel lieber zu Hause gewesen Das Internatsgebäude lag in einer Art Park mit vielen hohen, alten Bäumen und sehr viel Grünflächen drumherum, auf denen im Sommer gegrillt und auf Wolldecken kräftig gefaulenzt wurde Sogar ein Gehege mit Kaninchen, Meerschweinchen und Hamstern gab es auf dem Internatsgelände, das und die
wir Schüler pflegen mussten Die Tiere durften wir im Herbst und Winter in unseren Zimmer beherbergen, damit sie nicht erfroren
Im Internatsgebäude selber gab es sechs Etagen, auf denen es jeweils drei Wohngruppen gab In diesen Wohngruppen wohnten bis zu zehn Schüler Ich hasste
es anfangs, mein doch recht kleines Zimmer mit noch einem Mädchen teilen zu müssen Und auch wenn das Zimmer zwanzig Quadratmeter groß war, so war es mit zwei kleinen Schreibtischen, zwei Einbaukleiderschränken und zwei Betten doch reichlich klein und eng
Aufgrund Platzmangels musste mein Rollstuhl jede Nacht auf dem Flur stehen, damit Luisa, meine zu Fuß gehende Zimmerkameradin, nicht über meinen Rollstuhl stolperte, wenn sie nachts im Dunkeln und schlaftrunken zur Toilette tapste
Allerdings musste ich im Nachhinein gestehen, dass es mein absolutes Glück war, das Zimmer mit Luisa, meiner gleichaltrigen Klassenkameradin, teilen zu müssen Denn weil ich nicht mehr alleine im Zimmer schlief, konnten diese Riesen, von denen ich fest glaubte, sie wollten mich aus irgendeinem Grunde töten, nicht so ohne Weiteres an mich herankommen
Und auch wenn unser Zimmer mit einem Balkon ausgestattet war, über den in lauen Sommernächten unsere Mitschüler, die körperlich kaum eingeschränkt waren, uns unbemerkt besuchten, so war es für die Riesen schwierig, zu mir zu gelangen Zumal die Lehrer des Nachts abwechselnd Dienst taten und alle zwei Stunden Kontrollgänge durch die Zimmer machten Auch t räumte ich während meiner gesamten restlichen Schulzeit im Internat nur noch selten von den Riesen
Mein zweites großes Glück war es, dass Luisa gar nicht körperlich behindert war und
sie mich somit nachts vor diesen schrecklichen Ungeheuern ein wenig beschützen konnte Allerdings teilten die Lehrer die Zimmer mit Absicht so ein, dass ein schwerst körperbehinderter mit einem nicht so schweren körperbehinderten Schüler zusammen war Denn somit konnten sich diese beiden Schüler etwas ergänzen und gegenseitig unterstützen Und so vertrieb Luisa die Riesen einige Male Allerdings erfuhr ich erst ein paar Wochen nach dem Ende meiner Schulzeit, dass die Riesen tatsächlich versuchten, mich nachts zwei, drei Mal aus meinem Zimmer im Internat zu rauben Zum
Glück glaubte meine Zimmergenossin jedes Mal, sie habe es nur geträumt, mich aus den Händen der seltsamen Riesen gerettet zu haben Und so stellte sie mir niemals unangenehmen Fragen Nur als wir uns nach unserer Internatszeit schrieben, berichtete sie mir einmal kurz, diese ziemlich schrecklichen Träume von seltsamen Riesen recht realistisch gehabt zu haben
Zwar war Luisa körperlich nicht beeinträchtigt, doch dafür war sie eine Waise und lief aus den Kinderheimen fort, in denen sie immer und immer wieder untergebracht worden war Aus diesem Grunde
wurde sie schließlich zu uns ins Internat aufgenommen Und bei uns fühlte sie sich schließlich so wohl, dass sie nicht mehr weglaufen wollte und ruhiger wurde Warum das so war, ver mochte sie nicht zu sagen Luisa war ein unwahrscheinlich liebes, nettes, einfühlsames und durchaus hübsches Mädchen Sie war bereits mit zwölf Jahren recht groß gewachsen und schlank, machte sehr viel Sport, war im Unterricht fleißig und hatte wache, aufmerksame grau-grüne Augen Auch besaß sie ebenfalls eine sehr, sehr feine Antenne
Und höchstwahrscheinlich war ihre "feine Antenne" der ausschlaggebende
Grund, weshalb wir uns trotz meines anfänglichem Unmuts, mir mit ihr ein Zimmer teilen zu müssen, richtig schnell und gut anfreundeten
Während ich älter wurde, begann ich meine Umwelt bewusster wahrzunehmen Ich fing an, meine Mitmenschen genauer wahrzunehmen Dabei fiel mir immer stärker auf, dass die Menschen nicht herzhaft und ehrlich lachen konnten Anfangs wunderte ich mich sehr darüber, da lachen doch etwas Wunderwunderschönes war Erst recht,
wenn es vom Herzen und von ganz, ganz tief unten heraufkam Später, im Erwachsenenalter, ergriff mich ein Art Trauer und noch etwas später sogar eine Art Bitterkeit Warum nur konnten die Menschen, j edenfalls i n vielen L ändern dieser Erde, nicht herzhaft und ehrlich lachen? Ich konnte es nicht begreifen! Aber auch wenn das Ernsthafte meiner Mitmenschen mit der Zeit auf mich überging, so versuchte ich trotz allem, mir meinen Humor und mein herzhaftes Lachen stets zu bewahren und zu lachen, wann immer es möglich und angebracht war Aber leider verlernte
auch ich nach vielen Jahren fast vollkommen mein fröhliches, ausgelassenes Lachen Und dieses erschreckte und stimmte mich gleichzeitig unendlich traurig
Allerdings fiel nicht nur mir auf, dass es in der Gesellschaft der Menschen recht humorlos zuging, sondern auch Andre Denn mein langjähriger Freund liebte es ebenfalls, sich mitunter kringelig zu lachen Und nachdem wir erfuhren, nicht von dem Planeten Erde zu stammen und mit zahlreichen anderen Hexen und Zauberern Bekanntschaft gemacht hatten, die alle ganz genau dasselbe empfanden,
nannten wir die Menschen meist nur noch "Lebewesen ohne herzhaftes Lachen"
Die Bezeichnung ›Lebewesen ohne herzhaftes Lachen‹, die wir für euch erfanden, ist übrigens nicht böse gemeint! Wir Hexen und Zauberer nennen euch nur deshalb so, weil es hier eben "ein klein wenig" an Humor und Fröhlichkeit mangelt
Wir haben für alle Bewohner jedes belebten Planeten unsere eigenen und besonderen Spitznamen Und das ist nicht böse oder gehässig gemeint!
Des Weiteren fiel mir nicht nur auf, dass meine Mitmenschen keinen rechten Sinn für Humor und
Fröhlichkeit hatten, sondern ich spürte, dass die Meisten ziemlich unglücklich, traurig und einsam wirkten Mir schien es so, als würden die Leute mehr oder weniger nur nebeneinander herleben Somit wünschte ich mir, auf der Erde irgendetwas verändern zu können Kurz dachte ich darüber nach, ein Buch über das Leben zu schreiben Ich wollte meinen Mit menschen vor Augen führen, dass der Mensch ein "Rudeltier" war und es brauchte und liebte, in einer Gemeinschaft zu leben Zudem fiel mir auf, dass selbst eine Familie meist nicht in der Lage war, für ihre Angehörigen zu
sorgen und für sie da zu sein Wenigstens nicht in den wohlhabenden Ländern Immer wieder wurden die Behinderten, Alten, körperlich oder seelisch Schwachen aus den Familien aussortiert, weggegeben und grob an den Rand der Gesellschaft gedrückt Leider war mir bewusst, dass di eses Verhalten, die
nicht ganz »Gesunden« aus der Mitte der Gesellschaft auszusortieren, in der Natur des Menschen lag Auch Tiere taten dies Sie taten dieses, um selber unbeschadet und unbeschwert über- und weiterleben zu können Und
wir Menschen sind ja nichts Anderes, als hochentwickelte Tiere! Allerdings sortierten Tiere ihre schwachen und kranken Artgenossen nicht bewusst aus der Mitte ihrer Gesellschaft aus, sondern nur, weil ihr Instinkt ihnen dazu riet Aber der Mensch konnte bewusst und logisch denken und wusste demnach genau, was er tat Zumindest wussten die meisten Menschen, was sie taten und konnten es steuern Immerhin war ja so Mancher sogar felsenfest überzeugt davon, GOTTES Ebenbild zu sein Er meinte, so rein und klug wie der Schöpfer zu sein Demnach
konnte man es den Menschen durchaus begreiflich machen, dass ihre behinderten, schwachen, kranken und alten Mitmenschen genauso ein Recht auf ein normales und erfülltes Leben hatten wie sie selbst Wenn sie denn schon so dermaßen klug waren Und wir Menschen, die einer Randgruppe angehörten, musst en um unser normales Leben kä mpfen und durften nicht alles so hinnehmen, wie es uns unsere nicht behinderten und starken Mitmenschen gestatteten Vor allen Dingen mussten wir versuchen, auf diesen Planeten mehr
menschliche Wärme zu bringen Das war mir i m fortgeschrittenen Alter bewusst geworden
Allerdings verwarf ich den Gedanken, ein Buch zu schreiben, recht schnell Um etwas Längeres korrekt zu for mulieren, konnte i ch mic h i m Schriftlichen ei nfach nicht gut genug ausdrücken
Dennoch dr ängte es mich in jüngeren J ahren schon stetig danach, i n di eser Welt irgendetwas zu verändern Und zwar etwas Großes Aber es sollten noch Jahre ins Land ziehen, ehe ich von meiner eigentlichen Lebensaufgabe erfuhr, die ich auf der Erde zu erledigen hatte,
und tatsächlich etwas verändern musste
III
Dann kam der Herbst des Jahres zweitausendundeins, der in meinem Leben von Grund auf alles verändern sollte Ich kann mich noch lebhaft zurückerinnern, dass dieser Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegneten, ein schon ziemlich kalter und stürmischer Tag war
Bereits nach dem allerersten Blick, mit dem ich dich damals neugierig musterte, wusste ich, dass du der Mensch warst, den
ich mein Leben lang so verzweifelt gesucht hatte Anfangs brachte mich diese ›Gewissheit‹ durcheinander Denn ich hatte jahrelang einen festen Partner an meiner Seite, mit dem ich mich überaus
glücklich fühlte Dennoch hatte es keinen Sinn, mich gegen die Gefühle für dich zu wehren
In einem sehr leisen und ruhigen Ton stelltest du dich an diesem Herbsttag bei mir vor und erzähltest, du seist der neue Masseur in der Massagepraxis, in der ich schon seit längerer Zeit Patientin war Es war übrigens sehr amüsant, mit
ansehen zu können, wie du das Plastik deines Kugelschreibers beinahe verbogen und zum Schmelzen gebracht hast “, zwinkerte ich meinem Mann breit grinsend zu
»An irgendetwas musste ich mich doch festhalten Ich war aufgeregt, weil alles so neu für mich war Denn ich hatte erst seit knappen drei Tagen bei Katja in der Praxis gearbeitet und noch nie eine so stark körperlich eingeschränkte Person wie dich behandelt In der heutigen Zeit hätte ich direkt mein Handy aus der Hosentasche geholt, um damit wichtige Termine zu checken
Es ist schon komisch, dass ich mich nach Beendigung meines Studiums doch noch entschied, den Beruf des Masseurs zu erlernen Eigentlich wollte ich beruflich etwas vollkommen Anderes machen Nämlich technischer Zeichner Aber plötzlich hat mich die Anatomie des Menschen mächtig interessiert Mich faszinierte es, wie man dem Menschen durch relativ einfache, äußerliche Einflüsse und banal e Handgriffe von seinen Schmerzen befreien konnte, ohne ihm gleich irgendwelche hochdosierten Medikamente zu verabreichen Daraufhin beschloss ich, erstmal mein Studium zu
beenden, eine Zeit lang in meinem Beruf zu arbeiten und dann eine Ausbildung zum Masseur zu machen Denn als technischer Zeichner konnte ich immer noch arbeiten
Beziehungsweise konnte ich mir als technischer Zeichner die Ausbildung zum Masseur finanzieren “, warf Jonas etwas verlegend an seiner Lippe kauend ein
»Dafür habe ich ebenfalls aufgeregt und mühevoll bestätigt, dass ich unter permanent starken Nacken- und Rückenschmerzen leide, sowie Katja es dir erzählte Denn jedes Mal, wenn ich fremden Menschen begegnete, wurde meine
körperliche Anspannung so stark, dass ich sehr große Schwier igkeiten mit dem Sprechen hatte Doch seltsamerweise wich meine Aufregung dieses Mal recht schnell aus meinem Körper, sodass ich dir innerhalb von nur vier Wochen ganze Geschichten erzählen konnte, die du gut verstandest Anfangs wusste ich nicht, woran dies lag Denn die meisten taten sich schwer damit, mich richtig zu verstehen Aber bald verstandest du jeden einzelnen Laut von mir Selbst dann, wenn er noch so undeutlich war!
Häufig habe i ch mich gefragt, ob ich bei dir ruhiger war oder ob du
Menschen, die einer Randgruppe zugeordnet waren, nur anders gegenübertratest Vielleicht fühlte ich mich aus diesem Grunde in deiner Gegenwart so wohl und sicher
»Tja, aus irgendeinem unbekannten Grunde fühlte ich mich vom allerersten Augenblick an von dir angezogen, was du vermutlich gespürt hast«, erklärte Jonas
nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und küsste mich zärtlich auf den Mund
»Und obwohl es zwischen uns ständig irgendwelche Reibereien gab, kamen wir beide mit der Zeit immer besser miteinander zurecht Sag mal,
wie ka m es eigentlich dazu, dass ich doch deine Patientin geblieben bin? Denn normalerweise solltest du mich nur so lange behandeln, bis deine Kollegin aus dem Urlaub zurück war, oder?«, fiel es mir erst jetzt wieder so richtig auf
»Ja, ja, das stimmt wohl Aber weil ich dich als eine sympathische und eine interessante Patientin empfand, wollte ich dich gerne weiter behandeln Ich wollte gerne noch etwas mehr von dir erfahren Denn auf irgendeine Art und Weise hast du mich fasziniert«, erklärte mein Mann mir an diesem Morgen mit leicht roten Wangen
»Außerdem habe ich mich, wenn ich nur in deine Augen schaute, auf die seltsamste Art und Weise sicher, geborgen und verstanden gefühlt
Zugleich bereitete mir dies auch ein ganz klein wenig Unbehagen, muss ich ehr lich gestehen Ja, deine Augen schienen magisch zu sein Doch als Hobbyzauberer wusste oder weiß ich, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die auf irgendeine Art magisch und nicht logisch zu erklären sind, sodass mir deine Augen nicht unbehaglich hätten sein müssen Aber trotz meines Unbehagens für deine Person und deine Augen war mein Wunsch so groß, etwas mehr von dir zu
erfahren, dass ich mein Unbehagen weitestgehend ignorierte und dich als Patientin behielt «
»Tja, und obwohl ich bereits nach knappen fünf Monaten wusste, dass ich dich wahnsinnig mochte, versuchte ich, meine Gefühle Andre zuzuwenden Zumal du in einer festen Liebesbeziehung standest, nicht behindert und zu guter Letzt auch noch gute zehn Jahre jünger als ich warst Das wäre wahrhaftig ein einziger Skandal gewesen, mich in dich zu verlieben «, kam es mir nun plötzlich etwas beschämt über die Lippen
»Aber höchstwahrscheinlich hast du
ebenfalls etwas Magisches an dir, dass du mich so in deinen Bann zogst«, grinste ich meinen Mann breit an
»Denn eigentlich hatte ich geglaubt, bereits während meines zehnten Lebensjahres den Mann, oder besser den Jungen, meines Lebens gefunden zu haben Andre und ich waren von der vierten Klasse an gemeinsam zur Schule gegangen Also als ich noch in München zur Schule ging und bevor ich ins Internat nach Fr ankfurt kam Für uns beide stand bald fest, dass wir zusammengehören und auf ewig zusammenbleiben werden Aus welchem Grund wir voneinander so sehr angezogen wurden, kann ich
nicht sagen Wir wussten nur, dass wir zusammengehören Wir mochten uns so, wie wir waren Auch kam er mit meiner starken Körperbehinderung super klar und schien
sie in keiner Weise störend zu finden Denn er selbst hatte nur ein leichtes Hohlkreuz, das ihn in seinem Tun aber nicht groß behinderte
»Moment mal, Zerlina, aber das war j etzt nicht der Mann, den du hättest heiraten sollen, oder?«, unterbrach mein Mann mich plötzlich
»Doch, doch, Andre war genau der Mann, dem ich seit meiner Geburt versprochen war und mit dem ich mein komplettes Leben verbringen
sollte Und die ersten vierunddreißig Jahre schien es auch so, als ob der Plan unserer Eltern genau aufgehe Denn wir hatten uns getroffen, kamen sehr gut miteinander aus und führten im Erwachsenenalter für relativ lange Zeit eine Liebesbeziehung Er war halt meine erste und große Liebe«, sch wärmte ich ein bisschen, woraufhin Jonas mich etwas komisch von der Seite ansah
»Allerdings war es von unseren leiblichen Eltern wohl nicht geplant, dass Andre und ich zwischendurch sechs Jahre lang getrennt werden Mit ins Internat nach
Frankfurt konnte er nicht , da er sein Abi an unserer Schul e in Münch en machen wollte Manchmal frage ich mich, was wohl geschehen wäre, wenn Andre oder ich schon während meiner Internatszeit jemand Andres kennen gelernt hätten I mmerhin waren wir bis zum Beginn s eines Zivildienstes, den er extra meinetwegen im Internat absolviert hat, getr ennt Und das war en sechs J ahre gewe sen, die wir nur in den Schulferien zusammen sein konnten War es nicht süß von Andre, das s er seinen Zivildienst nur meinetwegen kilometerweit weg von zu Hause
machte?«
»Ja, sicher doch! Aber warum hast du nach dem Internat so eine lange Zeit allein in einer betreuten Wohngruppe und er allein in einer Wohnung gelebt?«
»Hm, das kann ich dir gar nicht so direkt beantworten Denn wir haben, kurz nach dem ich aus dem Schulinternat ausgezogen bin, seltsamerweise nicht so recht über das Zusammenwohnen gesprochen Ich meine, wir haben uns zwar einmal danach erkundigt, ob ich eine Assistentin bekommen könnte, für den Fall, dass wir uns eine gemeinsame Wohnung nehmen Aber sehr viel mehr ist nicht passiert Und dabei
habe ich mich immer so danach gesehnt, Tag für Tag bei Andre zu sein «, gab ich jetzt aufrichtig zu
»Na, ist ja jetzt auch egal! «, sprach ich etwas verlegen und mit l eicht erhitzten Wangen weiter, als ich Jonas' seltsam prüfenden Blick auf mir ruhen spürte
»Andre war auf jeden Fall der Mann gewesen, den sich meine Eltern als den perfekten Ehemann für mich ausgesucht hatten “
„Dafür musste ich damals, als Patientin von dir, aber sehr schnell bemerken, dass du genauso ein Dickschädel bi st wie ich Unzähli ge Mal e gerieten wir währ end den
Massagestunden recht heftig aneinander Und deine Dickschädeligkeit war es denn wohl, die mich so sehr anzog Andre war die Sanft mut in Person, musst du wissen Mit ihm konnte ich mich niemals richtig streiten, da er ständig gleich sanft einlenkte, was mich manchmal zum Wahnsinn trieb Aber mit dir war es mir endlich möglich, ein rechtes Streitgespräch zu führen Und dies genoss ich in vollen Zügen
„Die größte Auseinandersetzung hatten wir ja wegen meiner Fingeramputation “
»Nun, das war auch eine schwachsinnige Theorie, da ss sich dei ne starke Spastik verringert,
wenn einer deiner Finger ab ist Ich erzählte dir von Implantaten in Frauenbrüsten, um dich auf andere vollkommen blödsinnige und überflüssige Operationen aufmerksam zu machen Dabei weiß ich wirklich nicht, ob wir Männer tatsächlich so sehr auf große Brüste stehen, wie ihr Frauen immer glaubt Ja gut, ich meine, es gibt natürlich Männer, die auf große Brüste stehen Das ist Fakt Aber ich glaube, das sind weitaus weniger, als alle annehmen Ich mag zum Beispiel viel, viel lieber Kleinere Ich habe von meiner Ex-Freundin auch nie verlangt, ihre Oberweite künstlich
mehr werden zu lassen!«
In diesem Moment spürte ich wieder einen brennenden Schmerz in meiner Herzgegend Genau wie damals, als Jonas mir davon erzählte, nie von seiner Freundin verlangt zu haben, sich irgendein Zeug in die Brüste spritzen zu lassen
»Verzweifelt und verlegen habe ich damals versucht, meine Eifersucht niederzukämpfen, die so unerwartet in mir aufgestiegen war Aber ich glaube, das ist mir nicht allzu gut gelungen, oder?«, fragte ich meinen Mann jetzt ebenso verlegen, wie ich damals auch war
»Nein, das kann man nicht gerade
behaupten«, kam es trocken und überaus prompt aus Jonas' Mund, »denn, als ich dir für Sekunden in deine sprechenden, br aunen Augen schaute, konnte ich recht deutlich die Eifersucht darin erkennen Ja, ich weiß, es mag sich jetzt ganz danach anhören, als ob ich von meiner Person mächtig überzeugt wäre Aber ich wus ste schon sehr bald, dass du mich magst und auch so 'n bisschen von mir schwärmtest, obwohl du mir mehrmals von Andre erzählt hattest «
Mit einem Lächeln küsste ich Jonas auf die Nasenspitze Denn ich wusste, dass er in Wirklichkeit ein unheimlich
bescheidener und zurückhaltender Mensch war Und auch er durchlebte in seinem Leben ebenfalls viele und durchaus unangenehme Dinge Aber gerade aus diesem Grund war er höchstwahrscheinlich ein so liebenswerter und angenehmer Mensch geworden, der von vielen Menschen gemocht wurde Und zum allerersten Mal in meinem Leben hatte ich das grenzenlos schöne Gefühl, einen Menschen auf die ehrlichste Art und Weise durch und durch zu lieben
Ja, Jonas hatte in mir Gefühle und eine Liebe geweckt, die ich noch niemals in meinem bisherigen Leben
für einen Menschen empfand und die ich keineswegs
erklären oder benennen konnte Ich liebte ihn einfach pur Und seit ich ihn kannte, trug ich das nackte Glück in mir!
›Ich darf diesem Mann niemals mehr begegnen, wenn dies hier nicht in einer Katastrophe enden soll!‹, schrie ich meinem kleinen Mausmann Moritz beinahe ins Gesicht, als ich am Abend nach meinem Eifersüchtsanfall in meinem Zimmer der Wohngruppe für behinderte Menschen hockte In diese Wohngruppe war ich unmittelbar nach meiner Schul-
und Internatszeit gezogen «, erzählte ich meinem Mann nun weiter
›Na, da musst du dich aber ganz gewaltig anstrengen‹, erklärte mein Moritz mir mit Backen voll mit Apfel, ›denn du bist nahe daran, dich in diesen Mann zu verlieben ‹
Plötzlich saß ich stocksteif in meinem Rollstuhl
›Woher weißt du, kleines, zotteliges Pelztier denn, wie es in meinem Herzen aussieht?‹, wollte ich halb verärgert, halb erstaunt wissen
›Du vergisst, dass ich in die Herzen der Menschen hineinschauen kann‹,
entgegnete mein kleiner Mausmann undeutlich ›Besonders in deines!‹
Fast zu Tode erschrocken erkundigte ich mich bei Moritz, ob ich nachts, während ich schlief, schon mal irgendetwas gemurmelt hätte
›Öfter‹, gab dieser erklärend zurück
›So, und nun lass' mich bitte wieder schlafen, ja?“, bat meine kleine Maus mich herzlich
Verwirrt und mit wild klopfendem Herzen schaute ich meinem kleinen, süßen Mausmann nach, wie er in seine m Häuschen verschwand und angestrengt mit seinem winzigen Hinterteil wackelte, als er versuchte, sich in seine Watte zu graben
Innerhalb von zwei Jahren hatte ich fünf kleine Mäuse gehabt Aber erst bei Moritz bemerkte ich, dass ich die Maussprache verstand und beherrschte Zum Glück hatte ich in dieser Wohngruppe für behinderte Menschen ein Zimmer für mich alleine Ich genoss es in vollen Zügen, in meinem Zimmer hoch oben unter dem Dach, von dem ich einen wunderschönen Blick über die halbe Stadt und schräge Wände hatte, das tun zu können, wonach mir gerade zumute war Somit konnte ich mir also auch ein kleines Haustier halten Ich entschied mich für eine kleine, weiße Maus mit großen, dunklen
Knopfaugen Und erst nach Jahren erfuhr ich, dass Moritz, mein damaliges Mausmännchen, und später auch Momo, verstorbene Verwandte von mir waren Sie waren in ihrem nächsten, also in ihrem jetzigen Leben, als Tiere wiedergeboren und von meinen leiblichen Eltern auf den Blauen Planeten geschickt worden, um mir mit
Rat und Tat zur Seite zu stehen und mich zu beschützen Momo war zum Beispiel meine ein Jahr ältere Schwester gewesen, die an ihrem zehnten Lebenstag ver starb Und weil ich ebenfalls ein wirkliches Zauberwesen bin, konnte und kann ich
Moritz und Momos Sprache verstehen
Als ich jedoch zum allerersten Mal die Worte meines Mausmännchens verstand, glaubte ich, verrückt geworden zu sein Denn zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch fest, ein gewöhnli cher Men sch zu sein Pl ötzlich und unerwartet verlangte meine Maus klar und deutlich nach frischem Wasser Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich damals kreidebleich neben dem Mäusekäfig hockte und eine von meinen Pflegerinnen bat, sie möge meiner Maus bitte frisches Wasser in seine Trinkflasche füllen
›Du siehst aus, als ob du gerade ein
Gespenst gesehen hättest‹, sagte die Pflegerin, die mich an diesem Abend zu Bett brachte, besorgt zu mir Ich aber schüttelte nur stumm den Kopf und grinste vollkommen verwirrt
Leider war es mir nicht möglich, jemandem zu erzählen, mit meinem kleinen Mausmännchen sprechen zu können Sofort hätte man mich in die Psychiatrie gesteckt Nur ein einziges Mal versuchte ich, es meiner besten Freundin aus München zu erzählen Als diese mich jedoch mit großen Augen erschrocken ansah, wechselte ich umgehend das Thema
Denn auch wenn ich Kira s chon
beinahe mein Leben lang kannte, so war ich mir dennoch bewusst, dass sie mich für schier verrückt halten würde, wenn ich ihr von meinen Gesprächen mit Moritz erzählte Kira und ich lernten uns im Kindergarten kennen Und wir hatt en manches Mal da s ernsthafte Gefühl, Schwestern zu s ein Auch hielten uns viele Leute für Schwestern Denn wir hatten beide braune Augen und dunkle, lange Haare Jedenfalls trugen wir unsere Haare im Kindesalter und in unserer Jugendzeit lang Auch waren wir beide von der Figur her recht klein und zierlich Selbst von der Art her
waren wir uns sehr ähnlich Wir trugen eine ganze Menge Humor in uns Wir spielten unseren Mitmenschen liebend gerne Streiche und mochten für unser Leben gerne Tiere Ansonsten waren wir aber eher ruhiger Ganz besonders im Schulunterricht hielten wir uns zurück und sagten kaum etwas Leider waren wir nur relativ kurz auf einer Schule, da ich mit zwölf Jahren von meinem Vater ja auf das Internat in Frank furt geschickt wurde Dennoch behieltehhn Kira und ich ständigen Kontakt zueinander
Ich weiß noch, dass die letzten Wochen und Tage des Jahres
zweitausendundeins sehr rasch vergingen Und bald feierten wir das obligatorische Weihnachtsfest und den obligatorischen Jahreswechsel Auch kann ich mich noch gut erinnern, wie ich in der Silvesternacht jenes Jahres in meinem Bett lag, hinaus in die Dunkelheit blickte und an meinen verstorbenen Vater dachte, der vor anderthalb Jahren an Lungenkrebs
gestorben war Denn es waren im soeben zu Ende gegangenen Jahr so viele lustige und schöne Dinge passiert, dass nur ein guter ›Geist‹ sie geschehen lassen haben konnte
›Es kann nur Papa gewesen sein, der all diese wunderschönen Sachen
geschehen lassen hat‹, erklärte ich meinem Mausmännchen
›Ich kann und möchte dazu nichts sagen Wolfram wird bald kommen und es dir erklären‹, erklärte Moritz plötzlich vollkommen unerwartet bestimmt und kletterte auf das Dach seines Häuschens, um mich besser sehen zu können
›Soll das ein blöder Witz sein?‹, erkundigte ich mich etwas aufgebracht
›Ich meine, dass du einen seltsamen Humor hast, weiß ich schon länger, aber dass du so einen Blödsinn von dir gibst, ist mir neu Und wenn du dich schon über mich lustig machen musst, weil ich an solche Dinge im
Leben glaube, mach' es bitte leise, ja?!‹, fauchte ich weiter
›Ich mache mich keineswegs lustig über dich!‹, gab Moritz erklärend zurück ›Ich weiß nur einiges mehr als du ‹
Fassungslos drehte ich mich zu meinem Mausmann um ›Wie meinst du das denn jetzt?‹, erkundigte ich mich etwas atemlos ›Das wirst du noch früh genug erfahren Schlaf jetzt! Gute Nacht!‹
Plötzlich war es still im Zimmer geworden Nur noch vereinzelte Feuerwerksraketen waren hier und da von der Silvesternacht zu hören Ich drehte mich auf meine Schlafseite und schlief ein
Schon seit ich ein kleines Kind war, träumte ich davon, zaubern zu können Ich sehnte mich danach, bestimmte Dinge herbeizaubern oder etwas vertrackte Situationen im Handumdrehen verändern zu können Und je älter ich wurde, desto deutlicher wuchs dieser Wunsch in mir Neidisch und bewundernd hörte ich als kleines Mädchen die Märchen an, die mir meine Lieblingsoma aus München abends immer vorlas In diesen Geschichten vollbrachten Hexen und Zauberer wahre Heldentaten und wandten alles zum Guten
Obwohl diese Kreaturen von den Menschen ständig als böse dargestellt wurden Seit ich klar denken konnte, fragte ich mich, aus welchem Grunde die Menschen Hexen und Zauberer für etwas Schlechtes hielten Auch wunderte es mich, dass trotz allem so viele Menschen davon träumten, zaubern oder hexen zu können Denn angeblich war es doch nichts Gutes und ginge nicht mit rechten Dingen zu Wenn ich als kleines Mädchen abends ni cht einschlafen konnte, malte ich mir aus, was ich alles verändern würde, wenn ich Zauberkräfte
hätte Ich nahm mir als Allererstes vor, meine Mutter
von ihrer psychischen Krankheit, dem Verfolgungswahn, zu befreien und sie wieder ganz gesund zu machen Danach wollte ich zaubern, dass die Menschen dieser Erde besser miteinander zurechtkämen und ein wenig herzlicher, mitfühlender und toleranter würden Natür lich konnte ich diese Situation, wie die Men schen miteinander lebten und umgingen, noch nicht direkt benennen Aber diese Kälte auf dieser Welt machte mich wirklich immer trauriger Niemand kümmerte sich richtig um den Anderen Die bedingungslose Nächstenliebe, von der wir alle so
sehr träumten und die wir uns so herbeisehnten, fehlte vollkommen Jedenfalls in den wohlhabenden Ländern dieser Erde Existierte diese bedingungslose Nächstenliebe nicht oder war sie nur komplett verlorengegangen? Denn in schlechteren Zeiten rückten die Menschen schon zusammen
Doch anstatt aufeinander zuzugehen, versuchten diejenigen, die sich mächtiger und überlegener fühlten, ihre Mitmenschen zu formen und zu ihren Ebenbildern zu machen Viele, viele Jahre machte ich dieses im Internat selber mit durch Ich meine, es ist wichtig, manchmal seine alt
eingefahrene Ansicht und Meinung loszulassen und sich eines Besseren belehren zu lassen Aber leider lassen sich die Menschen meist von einer Ansicht überzeugen, ohne vorher darüber ernsthaft nachgedacht und ihre möglichen Folgen in Betracht gezogen zu haben Und dies konnte man bei den ganzen Kriegen zur Genüge beobachten
In den ärmeren Ländern hingegen war der echte Zusammenhalt unter den Menschen noch vorhanden Dieses sollte mir in späterer Zeit deutlich werden Außerdem fiel mir mit der Zeit immer mehr auf, wie sehr sich
die Menschen fürchteten Die ganze Erde bestand aus blanker Angst Manchmal glaubte ich sogar zu spüren, wie sehr diese blaue Kugel, auf der wir lebten, vor Furcht zitterte Doch wovor die Men schen solch eine große Angst hatten oder wer sie verbreitete, konnte ich mit meinem kindlichen Denken nicht erfassen Ich wusste nur, dass hier etwas sehr Furcht einflößendes umging Und mit diesem „Etwas“ hätte ich mich gerne unterhalten und es gefragt, warum es den Menschen solche Angst macht
Kurz gesagt träumte ich schon als Kind davon, diesen Planeten
ein bisschen ›wärmer‹ und ›verständnisvoller‹ zu zaubern Warum ich dies vorhatte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht Denn ich war noch zu klein und naiv Nichtsdestotrotz wollte ich vor allen Dingen diese Angst und diese Gewalt wegzaubern, die die Menschen so sehr bedrückte und manchmal von Grund auf veränderte Heute wundere ich mich, dass ich die Angst und die Arroganz meiner Mitmenschen schon al s kleines Mädchen so deutlich spürte War meine Beobachtungsgabe damals bereits so weit ausgereift, dass ich die Dinge erfassen konnte, wie sie zu
sein schienen?
Auch fragte ich mich, warum eini ge Menschen glaubten, sie seien mächt ig und unbesiegbar Aber leider konnte mir diese Frage niemand beantworten Und ich
konnte nicht zu jedem einzelnen Menschen dieser Erde hingehen, ihn fragen, besänftigen und ihm seine Angst und seine übergroße Wut nehmen
Jedoch wünschte ich mir als Kind auch schlichtere Sachen herbeizaubern zu können Wie zum Beispiel ein Puppenhaus, neue Spielzeugautos, neue Anziehsachen für meinen Teddy oder mich aus diesem
scheußlichen Internat, in dem ich so unglücklich war
›Es wäre doch toll, wenn man zaubern oder hexen könnte, nicht?!‹, fragte ich manchmal meine beste Freundin aus meinem Heimatort, wenn wir zusammen spielten
„Denn dann könnte man sein Leben so gestalten, wie man es gerne hätte ‹
›Hm, manche Menschen können doch ein ganz klein wenig zaubern Und vielleicht ist das „Zaubern“ ja nur den Menschen beschieden, die über das Leben einen etwas besseren Überblick haben?‹, überlegte meine Freundin, wenn ich meinen Tagträumen
wieder nachhing
›Denn es scheint ja wirklich so zu sein, dass nur Auserwählte etwas Ungewöhnliches können Vielleicht müssen wir noch ein klein bisschen dazulernen, bis wir mit den Zauberkünsten oder Sonstigem belohnt werden ‹
Noch lange Zeit grübelte ich über die schlauen Worte meiner Freundin nach
»Wieso, war oder ist denn deine beste Freundin auch eine von euch?«, riss Jonas mich aus meinen Überlegungen
»Du, ob du's mir glaubst oder nicht, aber bis zum heutigen Tag weiß ich es nicht Sie hat sich mir nie offenbart
Und das, obwohl wir die allerbesten Freundi nnen sind Sie sagte auch nichts, als sie durch einen Zufall mitbekommen hat, dass ich eine echte Hexe bin Komischerweise hat sie äußerst entspannt reagiert, als sie erfuhr, dass ich von einem anderen Planeten komme Aber ehrlich gesagt, sollen wir uns den Erdbewohnern nicht zu erkennen geben«, gab ich kleinlaut und schuldbewusst von mir
»Nun, deinem eigenen Ehemann oder deiner allerbesten Freundin wirst du doch erzählen dürfen, woher du kommst und wer du bist, oder etwa nicht? Denn für den Fall, dass eine
Hexe oder ein Zauberer ein Kind mit einem Erdenbewohner bekommt, würde sich die Ehefrau oder der Ehemann doch zu Tode erschrecken, wenn ihr Kind etwas zustande brächte, was sie sich nicht erkl ären können Sie würden denken, dass mit ihrem Kleinen oder mit ihnen selbst irgendwas nicht stimmt «
» Hm, du vergisst nur, Brummelbär, dass es strengstens verboten ist, sich mit einem
Bewohner des Planeten Erde zusammenzutun, ihn zu heiraten und mit ihm Kinder zu bekommen Von daher kommen wir nor malerweise nicht in di e Verlegenheit, uns
unserem Lebenspartner offenbaren zu müssen Und unseren besten Freundinnen oder unseren besten Freunden, die wir auf dem Blauen Planeten gewinnen, müssen wir ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass wir niemand von ihnen sind Ich meine, ab und an kommt es natürlich vor, dass sich irgendeiner verplappert Aber dann haben wir notfalls die Möglichkeit, unsere Freunde vergessen zu machen Allerdings dürfen wir dieses nur im äußersten Notfall tun Denn es ist nicht gestattet, in den Gehirnen Anderer herum zu zaubern Wir sind keine Hobbyzauberer, sondern
die wahren Geschöpfe, die manchmal Unerklärliches zustande bringen “ lächelte ich verschmitzt und zwickte meinem Mann in seinen mit chinesischen Schriftzeichen tätowierten, rechten Unterarm «
»Ich sehe, ihr habt genauso bekloppte Bestimmungen wie wir hier!«, seufzte mein Mann und streckte sich
„Bist du von deinen Leuten nun verstoßen worden, weil du einen normalen Menschen geheiratet hast? Das war nicht meine Absicht, dass es soweit kommt Ehrlich!«
Erstaunt blickte ich Jonas von der Seite an Während den vergangenen Wochen,
die wir zusammen waren, war er richtig sanftmütig geworden Irgendwie war er gar nicht mehr der Mensch, der mir mit erhobenem Zeigefinger ernsthafte Vorträge hielt
»Trotz der ständigen Auseinandersetzungen damals im Massageraum wuchsen meine Gefühle für dich von Tag zu Tag«, erinnerte ich mich weiter und kuschelte mich noch etwas enger an Jonas heran
»Von Termin zu Termin wünschte ich mir mehr, dir total tollen Menschen nahe sein zu können Und an manchen Tagen war dieses Bedürfnis, mich an dich zu kuscheln, deine Wärme, deine
Zärtlichkeiten und deinen Körper zu spüren, so groß, dass es mir wehtat Außerdem wusste ich, dass du einer der zärtlichsten und liebevollsten Menschen bist! Ich meine, nach den ganzen groben Pflegern, die mich beinahe tagtäglich in der Wohngruppe pflegten, war es nicht verwunderlich, jemanden als besonders sanft zu empfinden, der nicht so sehr an mir zog Dennoch gab mir irgendetwas Gewissheit, dass du ein ziemlich zärtlicher und liebevoller Mann bist Höchstwahrscheinlich lag es an der Art, mit der du mich von meinem
Rollstuhl aus auf die Behandlungsbank hobst und mit der du mich behandelt hast Und nachdem wir uns zu unseren Gefühlen füreinander bekannt haben, konnte ich mich davon überzeugen, dass du tatsächlich einer der liebevoll sten und zärtlichsten Menschen bist !“, lächelte ich meinen Ehemann von der Seite an
„Dennoch war ich mir im Klaren, da ss ich dich niemals etwas von meinen wahren Gefühlen wissen lassen durfte Wenn ich dich als Kumpel behalten wollte, musste ich meine Gefühle für mich allein behalten
Und dies bedeutete auch, dass mir nichts anderes übrig bl ieb, als mi t dei ner Fr eundin ebenfalls i n Kontakt zu t reten Aber komischerweise bekam ich Mirja nur ein einziges Mal zu Gesicht und sprach mit ihr keine zwei Sätze Vor allen Dingen musste ich dringend aus dieser Stadt wegziehen Ich durfte mit dir keinen so engen Kontakt mehr haben Ich musste verschwinden Und dies so schnell wie möglich! Allein schon wegen Andre «
Plötzlich vollkommen erschöpft vom langen Erzählen legte ich meinen Kopf an die Schulter meines Mannes Ich schloss meine Augen und genoss es
in vollen Zügen, ihm ungehindert nahe sein zu dürfen Unwillkürlich dachte ich an Andres und meine gewissermaßen erzwungenen Zuneigung füreinander, die uns gegen Ende unserer Beziehung zu nicht mehr wohligen Berührungen trieb Ich hatte es beinahe vergessen, wie es war, jemanden mit voller Wonne zu umarmen Und dennoch stand seit meiner Geburt fest, dass ich mit sechsunddreißig Jahren mit Andre in den Bund der Ehe eintrete Die Tatsache, dass die Hexen und Zauberer eine recht hohe Lebenserwartung haben, lässt mich schließen, dass dies der Grund dafür war, erst
in einem so fortgeschrittenen Alter zu heiraten Ich kann es mir nur mit der hohen Lebenserwartung der Hexen und Zauberer erklären Ja, meine Lebensgeschichte war schon seltsam und kaum zu glauben Und aus diesem Grunde ermunterte Jonas mich, nachdem er sie bis zum Ende gehört hatte, sie aufzuschreiben und sie als kleines Taschenbuch zu veröffentlichen Und nach einigen Anlaufversuchen und mithilfe etlicher Leute schaffte ich es nach einiger Zeit tatsächlich, dieses Buch hier zu schreiben und zu veröffentlichen
IV
Als ich an diesem Morgen, an dem ich Jonas meine komplette Lebensgeschichte zum allerersten komplett Mal erzählte, an seiner Schulter wieder genug Kraft getankt hatte, erinnerte ich ihn daran, wie ich ihm an einem Maitag vor anderthalb erzählte, dass ich in München eine behindertengerechte Wohnung mit einer täglichen 24-
Stunden-Betreuung gefunden hätte
Da Andre mindestens noch ei n weiteres Jahre lang an der Universität Fr ankfurt studieren
musste, ich aber schnellstmöglich wieder in die Nähe meiner Familie wollte, hatten wir beschlossen, dass ich erstmal allein nach München ziehe Denn weil ich wieder in meine alte Heimat zur ückziehen wollten, hatte ich dort nach einer geeigneten Wohnung für mich gesucht Nach meinem Schulabgang war ich wegen
Andre noch in Frankfurt geblieben Es war zu m Vorteil, dass ich keinen bestimmten Beruf erlernt hatte, sondern in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig war Denn so konnte ich ohne größere Schwierigkeiten meine
Tätigkeit in Frankfurt kündigen und nach München ziehen
›Schön! Und wann gehst du weg?‹, erkundigtest du dich an diesem Maitag kurz angebunden bei mir
Daraufhin antwortete ich dir, dass ich hoffte, bereits im Juli oder August diesen Jahres umziehen zu können
Als ich an diesem Tag im Mai für Sekunden in deine wunderschönen Augen blicken konnte, sah ich so etwas wie Entsetzen oder Trauer darin Erschrocken wandte ich meinen Blick abrupt ab und schaute irritiert zu Boden Denn ich wusste absolut nicht, ob es ein purer
Wunschtraum oder Wirklichkeit war, was ich soeben in deinen Augen gesehen hatte
Mit etwas heiserer Stimme sagtest du, dass es dich für mich freue, nach so langer Zeit wieder in die alte Heimat zurückkehren zu können Aber im nächsten Atemzug erklärtest du mir, dass ich dich zwischen all den Idioten, die hier in Frankfurt herumliefen, doch nicht al lein la ssen könne Und di es al les erklärtest du mir mit einem Gesicht, das sich nicht so recht entscheiden konnte, ob es lachen oder weinen sollte
›Übernächste Woche gucke ich mir diese
behindertengerechte Wohnung erst einmal an und spreche mit dem Pflegedienst, der sich vierundzwanzig Stunden am Tag in diesem Mehrfamilienhaus aufhält, das extra für Menschen mit Behinderung errichtet worden ist Denn dann habe ich so was Ähnliches wie ein Vorstellungsgespräch dort Bin schon richtig gespannt‹, erzählte ich dir ganz schnell und glücklich weiter
Andererseits war mir klar, dass es für mich eine große Umstellung sein würde, nicht mehr mit acht anderen Leuten in einer Wohngruppe zu leben und mit ihnen alles gemeinsam zu machen, wie ich es bisher gewohnt
war Sondern zum allerersten Mal in meinem Leben für mich allein sorgen und allein entscheiden zu müssen Auch war ich seit einigen Monaten das erste Mal wieder so viele Kilometer von Andre entfernt
›Na, und dieser Pflegedienst in diesem Mehrfamilienhaus kümmert sich den ganzen Tag um dich?‹, hast du di ch halb neugi erig, hal b besorgt an diesem Tag bei mir erkundigt
›Denn du bist ja vollständig auf fremde Hilfe angewiesen ‹
›Ja, das stimmt‹, entgegnete ich, ›aber tagsüber werde ich von Assistentinnen betreut, die bei diesem Pflegedienst angestellt sind
Na, und nachts ist im Notfall dieser Pflegedienst mit seinem ausgebildeten Pflegepersonal selbst über eine
Klingelanlage erreichbar
›Ah ja, und von diesen Assistentinnen wirst du demnach den lieben langen Tag verwöhnt?‹, fragtest du leicht grinsend
›Ja‹, antwortete ich und lächelte zurück
Kannst du dich an diesen Tag noch erinnern?«, fragte ich Jonas Und ebenfalls lächelnd nickte er
»Und so fuhr ich an einem Morgen Mitte Mai nach München los und stellte mich am Nachmittag in diesem Mehrfamilienhaus für Menschen mit
Behinderung vor Und gute drei Monate später zog ich dort ein
„Eine Woche, bevor ich nach München zog, ergriff mich eine Art Furcht Abend für Abend lag ich in meine m Bett und wusste nicht so r echt, ob ich mich über den Umzug freuen oder ob ich Angst vor ihm haben sollte Eigentlich hätte ich völlig aus dem Häuschen sein müssen War es doch schon seit meinem achtzehnten Lebensjahr mein größter Wunsch, in eine nor male Wohnung zu ziehen und ein richtiges Zuhause und ein eigenständiges Leben zu haben
›Am ersten Juni ziehe ich nach
München‹, erzählte ich, als ich einen Tag nach dem Bescheid, demnächst in meine alte Heimat zurückkehren zu können, wieder zu dir zur Massage kam An de m kurzen Zurückzucken deiner Hand, die gerade auf meiner schmerzenden Schulter lag, konnte ich erkennen, dass dir diese Nachricht ebenfalls nicht so sehr zu gefallen schien
›Schön‹, brachtest du et was gepresst über die Lippen ›Und wann fängst du an, deine ganzen Klamotten zu packen?‹, fragtest du mich in gespielt heiterem Ton weiter
›Wohl Ende nächster Woche‹,
antwortete ich knapp und spürte, wie es in meinem Magen vor Aufregung kribbelte «
»Ja, das stimmt, für mich kam diese Nachricht überraschend Denn ich mocht e dich als Patientin, aber auch als Menschen und vielleicht sogar schon als Frau«, gab mein Mann nun offen und ehrlich zu
In diesem Augenblick, in dem ich mit meinem Ehemann überglücklich in unserem wunderschönen Doppelbett saß, fragte ich mich immer noch, wie ich die letzten Tage in Frankfurt verbrachte Doch ganz besonders dachte ich an die Geschehnisse in meiner allerletzten Nacht in meinem
WG-Zimmer
Nachdem Jonas uns ein leckeres Frühstück zubereitet hatte, erzählte ich meine Geschichte weiter
»Mein Vater erschien mir nämlich in meiner letzten Nacht in Frankfurt Moritz hatte mehrmals angedeutet, dass mein verstorbener Vater zu mir käme, um mir etwas Wichtiges mitzuteilen «, erzählte ich nach dem wir gegessen hatten weiter
»Plötzlich hockte Wolfram auf meiner Ablagefläche in meinem Wohn- und Schlafzimmer in der Wohngruppe Benommen vom tiefen, aber sehr unruhigen
Schlaf, in den ich ungefähr zwei Stunden zuvor gefallen war, sah ich meinen Vater gegenüber meines Bettes sitzen
›Du bist schon als kleines Kind nicht gerne geweckt worden‹, erinnerte mein Vater sich mit einem Lächeln im Gesicht
Erschrocken fuhr ich hoch und setzte mich im Bett ein wenig auf ›Papa?‹, rief ich verwirrt, jedoch auch sehr erfreut aus ›Was machst du denn hier? Du bist doch seit knapp zwei Jahren tot Ich war persönlich auf deiner Beisetzung ‹
›Ja, mein kleines Töchterchen, das ist wohl wahr!‹, antwortete er mir
›Aber ich wollte dir noch erklären, woher du kommst und warum du hier auf diesem Planeten bist und welche Aufgabe du in deinem jetzigen Leben zu erledigen hast, bevor ich gänzlich von dieser Welt verschwinde ‹
›Papa, was redest du da um Himmels willen für einen Quatsch?‹, erkundigte ich mich mit gerunzelter Stirn bei meinem Vater ›Natürlich weiß ich, woher ich komme Denn so n bisschen habe ich in Biologie und im Sexualkundeunterricht nun doch aufgepasst Im Halbdunkeln meines Zimmers konnte ich bemerken, wie verlegen mein Vater
bei diesem Thema wurde Auch konnte ich mit Erstaunen erkennen, dass er noch so frisch aussah, wie zu seiner Lebzeit Er war immer noch der große, kräftige Mann, der seine leicht angegrauten Haare und einen sehr gepflegten, kurzen Bart trug und fröhlich, glänzende Augen hatte Auch klang seine Stimme noch frisch und deutlich Zudem konnte ich keinen Verwesungsgeruch bei ihm feststellen Hm, komisch, grübelte ich über dieses Phänomen nach
›Über die Fortpflanzung des Menschen, meine Kleine, wollte ich mit dir jetzt nicht sprechen ", riss Papa mich aus meinen Überlegungen
"Sondern i ch bin gekommen, um dir von deinen leiblichen Eltern auszurichten, aus welchem Grunde sie dich damals allein ließen und auf den Planeten Erde schickten Denn du bist vor vierunddreißig Jahren und drei Wochen in unseren Garten gefallen Es war in einer heißen Juninacht des Jahres neunzehnhundertsiebzig Und ich wurde auf dich erst aufmerksam, nachdem du fast das ganze Dorf zusammen geschrien hattest Da ich
mir nicht erklären konnte, woher das plötzliche Babygeschrei kam, ging ich nach draußen und
durchsuchte unseren Garten Nach ungefähr zwei Minuten fand ich dich dann unter einer großen Tanne in weiche Tücher und Decken eingewickelt Ich hob dich hoch und nahm dich mit in unser Haus Und weil es uns nicht möglich war, deine leiblichen Eltern ausfindig zu machen, behielten wir dich in unserer Familie Und da deine Mutter später immer mehr unter ihrer psychischen Krankheit zu leiden begann, hielt ich es für das Beste, dich von ihr wegzubringen und in dieses scheußliche Internat zu schicken, so wie du es immer nanntest Und ich
vermute fast, du hast mir dies niemals verziehen Denn du hast dich in dieser Einrichtung keine einzige Sekunde wohlgefühlt, nicht wahr?‹
›Na ja, ich war ziemlich weit weg von euch, worunter ich unheimlich gelitten habe Aber nachher, als Andre seinen Zivildienst in diesem Internat absolvierte, fühlte ich mich doch heimisch dort«, widersprach ich meinem Vater, der sich inzwischen auf meine Bettkante gesetzt hatte
„Und wegen Andre bin ich auch noch in Frankfurt geblieben, nachdem ich von der Schule abgegangen war Denn ich wusste, dass Andre nur in den
Semesterferien nach München kommen kann und wir nur zu ganz bestimmten Zeiten zusammen sein können
›Ja, und dein Freund kommt ebenfalls vom Planeten der Hexen und Zauberer, ganz genauso wie du E r wird immer an deiner Seite sein und mit dir alles durchstehen “, erklärte mein Vater mir und deckte mich fürsorglich etwas höher zu
Außerdem liebt er dich, sowie du ihn liebst, Z erlina Und er wird dich auf Händen durchs Leben tragen Doch bevor dies geschehen kann, musst du die dir auferlegte Aufgabe erledigen und ein dazugehöriges
Rätsel lösen Und wenn eure Eltern auf dem Planeten der Hexen und Zauberer sehen, dass du den Menschen hier auf Erden mit viel Eifer und Zielstrebigkeit behilflich bist, wird zur Belohnung deine und Andres Hochzeit gehalten Und vielleicht besteht für Andre und dich später sogar die Möglichkeit, zu euren leiblichen Familien zu reisen Aber das weiß ich nicht Denn zu dieser Sache hat mir niemand etwas erzählt Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass eur e Fa milien euch zu sich holen, wenn sie sehen, dass ihr eur e Lebensaufgaben ernst nehmt und
gewissenhaft zu erledigen versucht Denn Andre hat ebenfalls eine bestimmte Aufgabe zugeteilt bekommen ‹
Erschrocken versuchte ich mich noch weiter im Bett aufzusetzen, um meinem Vater besser ins Gesicht blicken zu können
›Papa, möchtest du etwa sagen, dass ich und Andre von einem anderen Planeten kommen und ich gar nicht deine leibliche Tochter bin?‹, fragte ich fassungslos, aufgeregt und gleichzeitig auch ein wenig traurig
›Ja, genau das möchte ich dir sagen Ich erfuhr von deiner Herkunft
schon bald, nachdem du in unserer Familie angekommen warst Eines Nachts suchte mich dein leiblicher Vater auf und erzählte mir die ganze Geschichte Zum Glück bekam von diesem nächtlichen Besuch niemand Anderes etwas mit Und so konntest du ein weitestgehend unbeschwertes Leben in unserer Familie führen ‹
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich meinen Vater an Diese Geschichte war unglaublich Sicherlich träumte ich dies hier alles nur und würde jeden Moment aufwachen Aber nichts dergleichen geschah
Aha, und weil ich ein wirkliches Zauberwesen bin, kann ich so perfekt verstehen, was mein Mausmännchen sagt und mich mit ihm unterhalten, schoss es mir plötzlich durch den Kopf Unwillkürlich huschte ein kleines Lächel n über meine Lippen Als mein Vater und ich einen Augenblick lang schweigend in meinem Zimmer saßen, fragte ich etwas skeptisch und zugleich nervös: ›Und welche Aufgabe ist das, die ich in meinem jetzigen Leben erledigen muss, Papa? Und du meinst wirklich, dass Andre und ich einmal zu unseren leiblichen Familien auf einen komplett anderen
Pl aneten reisen können? Allerdings hört sich das alles so komisch an Das kann doch alles nicht wahr sein «
›Nun, das habe auch ich lange Zeit geglaubt Aber da dein Vater mir mehrmals einen Besuch abstattete und dabei Dinge aus meinem Leben erzählte, die stimmten, sind mir später Zweifel gekommen, ob er und die ganze Geschichte, die er mir erzählte, bloß ein Traum waren Zudem hat dein Vater mich, kurz nachde m ich gestorben war, mit auf seinen Heimatplaneten genommen Den Planeten der Hexen und Zauberer gibt es also tatsächlich
Aber nun zu deiner Frage, meine Kleine Deine Aufgabe ist es, die Menschen dazu zu bewegen, sich ihren Mitmenschen zu nähren, mit ihnen umsichtiger umzugehen und mehr Verständnis, Vertrauen und Mitgefühl für sie aufzubringen Und gleichzeitig sollen sie mehr Respekt vor dem Anderen zeigen und alle Menschen als vollwertig anerkennen Wohl bemerkt jeden Menschen, Zerlina!‹, erklärte Wolfram mir und wiederholte den letzten Satz noch einmal recht deutlich
Langsam spürte ich, wie ich zu schwitzen begann Wie konnte ich die Lebewesen dieser Erde dazu
bewegen, auf einmal vollkommen anders zu denken? Sich auf einen Schlag ihrem Gegenüber anders zu benehmen? Höchstwahrscheinlich war genau dies das Rätsel Auch war ich mir nicht sicher, ob ich Andre zum Ehemann nehmen wollte Ja, er war ohne Zweifel meine ganz große Liebe Aber ob ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen wollte, wusste ich nicht Erst recht nicht, nachdem ich dich kennen gelernt hatte Allerdings hatte ich mir noch nie rechte Gedanken gemacht, ob ich Andre Schwelm einmal heiraten wollte Dennoch war ich mir hundertprozentig dessen
bewusst, dass Andre einen sehr, sehr liebevollen, fürsorglichen Ehemann
abgeben würde Ja, er würde mich tatsächlich auf Händen durchs Leben tragen und vor jedem beschützen Und grenzenlos beschützt zu werden, wünschte ich mir schon von Kind auf Auch drängte es mich, irgendwann einmal zu sehen, woher ich wirklich kam und wer meine l eiblichen Eltern waren Selbst wenn ich es in diese m Moment noch nicht für möglich halten konnte, von einer anderen Erde zu kommen und andere Eltern zu haben, als die, von denen ich vierunddreißig Jahre lang glaubte,
dass sie meine leiblichen Eltern seien
›Dann erledige diese Aufgabe zur Zufriedenheit desjenigen, der dich dafür bestimmt hat‹, riss mein Vater mich au s meinen Überlegungen, ger ade so, als ob er meine Gedanken mitgelesen hätte
›Warte mal, Papa‹, rief ich, als ich bemerkte, dass mein Vater aufstehen wollte, ›weiß Andre schon, dass er kein Mensch des blauen Planeten ist, andere Eltern hat und eine ganz bestimmte Aufgabe erledigen muss?‹
›Ja, man hat auch ihm schon erzählt, dass er von Erde der Hexen und Zauberer kommt und den Menschen nahebringen soll, mit ihrer
Natur umsichtig umzugehen
Aha‹, gab ich kurz von mir und spürte, das s an der ganzen Geschichte irgendetwas nicht stimmte Ich wusste zwar, dass Andre ebenfalls an Hexen und Zauberer glaubte Dennoch bezweifelte i ch ein wenig, dass er es so ohne Weiteres hinnahm, nicht vom blauen Planeten zu kommen Andererseit s hatte er erst vor kurzer Zeit zu mir gemeint, er würde es als wahr hinnehmen, wenn er es irgendwann herausbekäme, kein Mensch dieser Erde zu sein Und je älter er wurde, desto mehr flüchtete er sich in eine Fantasiewelt und liebte es, Fantasiefilme
und Fantasiebücher anzuschauen und zu lesen Er meinte, dass er, wenn er ein richtiger Zauberer wäre, den ganzen Tag irgendetwas herbeizaubern würde, das das Leben noch schöner und angenehmer mache Außerdem malte er sich aus, die »großen Herren« in ihrem Tun zu stoppen und ein gerechteres Leben für jeden Menschen zu organisieren Dennoch war ich nicht überzeugt, dass Andre es glaubte, mit einem Schlag ein waschechter Zauberer zu sein, der nicht vom blauen Planeten kam Und selbst ich, die mein Leben lang das Gefühl hatte, dass Hexen,
Zauberer und einige andere Fabelwesen nicht nur der reinen Fantasie des Menschen entsprungen sein konnten, meinte fest, mich in einem merkwürdigen Traum zu befinden Ob Andre ebenfalls in der Lage ist, sich gedanklich mit Tieren zu unterhalten, fragte ich mich plötzlich
›Und warum erfahre ich dies alles erst mit über dreißig Jahren?‹, fragte ich meinen Vater schnell weiter, als mir klar wurde, keine weitere und genauere Antwort auf meine Frage zu erhalten
›Ich meine, ich habe doch gar nicht mehr so viel Zeit, um
die mir auferlegte Lebensaufgabe zufriedenstellend erledigen zu können Denn vielleicht habe ich nur noch fünfzehn bis zwanzig Jahre zu leben Und in dieser recht kurzen Zeit kann ich
diese Welt unmöglich komplett auf den Kopf stellen‹, stammelte ich nervös weiter
›Nun, du sollst nicht gleich die ganze Welt von Grund auf verändern Sondern du musst es lediglich schaffen, dass die Menschen enger zusammenrücken, umsichtiger und behutsamer miteinander umgehen Mehr wird nicht von dir verlangt Und es ist reine Absicht, dass ihr
Zauberer und Hexen erst im fortgeschrittenen Alter mit eurer wahren Identität und euren Lebensaufgabe vertraut gemacht wer det Denn wenn ihr jünger seid, habt ihr noch viel zu viele Flausen im Kopf und könnt eure Identität und eure Lebensaufgabe nicht richtig einschätzen und ernst neh men Und auch bei dir hat deine Familie länger überlegt und sich gefragt, wann es an der richtigen Zeit ist, um dir die Wahrheit über deine wahre Herkunft und deine Aufgabe hier auf Erden zu erzählen Aber weil du nun in deine allererste eigene Wohnung nach München ziehst und von jetzt an deinen
Tagesablauf selbst gestalten kannst, dachten sie, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, dir von deinem Hexenleben und der dazugehörigen Lebensaufgabe zu erzählen «
»Und wer hat dich beauftragt, mir von meinem Hexendasein zu erzählen?«, fragte ich noch verwirrter, als ich ohnehin war
»Dein leiblicher Vater«, entgegnete Wolfram kurz Denn wie ich dir vorhin bereits erklärt habe, erschien er mir einige Male, nachdem du bei uns in den Garten gefallen warst, des nachts und bat mich, dich wie meine eigene Tochter großzuziehen Vor drei Wochen suchte er mich noch einmal
auf und bat mich, dir nun von deinem Leben als invalide Hexe und deiner dir auferlegten Lebensaufgabe zu erzählen
Selbstverständlich versuchte ich in dieser Nacht noch, Wolfram über meinen leiblichen Vater auszufragen Doch wich er meinen direkten Fragen aus und erzählte mir nur, dass mein Vater und der Rest mei ner l eiblichen Familie mi ch nie al lein gelassen hatten und bei ernsthafter Gefahr immer bei mir waren
»Du wirst deine Lebensaufgabe schon meistern!«, unterbrach Wolfram plötzlich seine Erzählung »Du hast noch ein wenig Zeit und schon so Manches in deinem
bisherigen Leben geschafft Auch wenn du es nicht bewusst bemerkt hast Zudem wandeln noch mehrere Hexen und Zauberer auf dieser Welt, die dieselbe Lebensaufgabe wie du haben Du stehst also nicht allein mit dieser Aufgabe dar Und Andre ja eine ganz ähnliche Lebensaufgabe wie du Au s diesem Grunde haben es eure Eltern so abgesprochen, dass ihr euch hier trefft und zusa mmentut Außerdem, meine Kleine, kannst du ja etwas Bleibendes hinterlassen So etwas wie ein Buch oder Ähnliches Denn die Menschen, die in ihrem Leben irgendeine sehr große Sache vollbracht
haben, hielten dies stets in Büchern, Bauten, Musik oder Gedichten fest, die all die Jahre überdauerten und nie in Vergessenheit gerieten Denn sie sind meistens genial, sodass man sich an diese Ereignisse immer wieder gerne erinnert und sie von Generation zu Generation weitergibt ‹
›Und was macht den Menschen solche Angst und versetzt sie zugleich in wahnsinnige Wut, Papa, dass sie sich zum Beispiel schon allein durch die verschiedenen Religionen ihrer Mitmenschen gestört fühlen und sich gegenseitig umbringen?‹, fiel
mir es wieder ein und plauderte es ein wenig unbedacht aus
Denn wie ich es in meinen letzten Lebensjahren immer deutlicher beobachten konnte, waren die Angst und die maßlose Wut gegenüber anderen Personen, die sich über andere stellten und taten, als wüssten sie wesentlich mehr über das Leben und die Welt, das Allerwichtigste, was man den Menschen austreiben musste Und schon als junger Mensch ahnte ich, dass, wenn man diese beiden Dinge aus den Menschen herausbekäme, man einen ganz großen Teil des Friedens hergestellt hätte Zwar nicht einen
Teil des ewigen Weltfriedens, aber doch des normalen Friedens Ich wusste auch nicht, ob man ein Stückchen des Weltfriedens so mir nichts, dir nichts herstellen konnte Denn die L ebewesen waren einfach zu undurchschaubar und in ihrem Wesen zu ko mpliziert Aber wenn man die Wut und die Angst aus ihnen herausbekommen könnte, wäre man schon einen gewaltigen Schritt weiter Und vielleicht wären dann die Uneinsichtigkeit, das Desinteresse für seine Mitmenschen und die Eisesskälte, die manchmal unter den Menschen herrschte, automatisch beseitigt Denn wenn man sich über seine Angst und
Wut bewusst war, war man vielleicht bereit, die anderen Dinge zu hinterfragen und zu bekämpfen Doch u m dies zu erreichen, durfte man sich selbst nicht so sehr in den Mittelpunkt stellen und das ganze Leben nicht so ernst nehmen und denken, man hätte es am Allerschwersten getroffen Sondern man musste für die Probleme des Anderen offen sein, ihm richtig zuhören und mit ihm mitfühlen Dennoch sollte man kein Mitleid empfinden Denn Mitleid ist meist die falsche, etwas hilflose Form des Mitgefühls und wird von den Anderen im Allgemeinen nicht richtig
verstanden
Vor einiger Zeit fragte mich jemand, warum ich mich als stark körperbehinderter Mensch so sehr dagegen sträube, bemitleidet zu werden Denn im Gegenzug hatte ich solch ein großes Mitleid mit anderen Menschen, die beispielsweise in Afrika wohnten und Hunger und Durst litten Oder ich hatte Mitleid mit Menschen, die unschöne Dinge erfahren mussten Es dauerte lange, ehe ich meinem Gegenüber erklärt hatte, dass ich kein wirkliches Mitleid mit diesen Leuten empfand Sondern dass ich versuchte, mich in ihre Lage hineinzuversetzen und wie sie zu
fühlen Außerdem gab ich mir jede Mühe, meinem Gesprächspartner klarzumachen, dass ich, oder besser gesagt wir behinderten Menschen, kein Mitleid brauchen, weil es uns im Allgemeinen gut ging Wenigstens in den reichen Ländern dieser Welt, da wir jegliche Unterstützung bekamen Allerdings ist dieses eine Ansichtssache! Auch gibt es Behinderungen, die sich erst in späteren Lebensjahren einstellen, nicht sehr gut zu ertragen sind oder gar mit dem Tode endeten Diese Menschen litten natürlich!!!
Nun, kurz gesagt, wir mussten
lernen, uns um den anderen Menschen zu kümmern und aufhören, uns selbst zu bemitleiden Denn das negative Gefühl, das man für sich selbst empfand, war wirklich pures Mitleid Aber wie ich dieses meinen Mitmenschen nahebringen sollte, wusste ich in dieser Nacht nicht!
›Auch das wirst du irgendwann feststellen Da bin ich mir absolut sicher, meine Kleine!‹, versuchte mein Vater mich zu ermutigen Während er mir liebevoll über die Wange strich und mich sanft anlächelte
Dann erhob er sich von meiner Bettkante, küsste mich noch einmal auf den Mund, das sich komisch
kühl anfühlte, und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zum Fenster hinüber und verschwand zwischen den Vorhängen
›Papa?‹, rief ich ihm nach Aber er war schon auf und davon und hörte mich nicht mehr Tränen liefen mir über die Wangen ›Papa!‹, rief ich noch einmal Doch dann breitete sich plötzlich eine wohlige Wärme über mich aus und wiegte mi ch sanft in den Schlaf
V
Nach etwa einer Stunde wachte ich abermals von einem mir fremden Geräusch auf Wieder völlig
schlaftrunken blickte ich zu meiner Ablagefläche Dort saß jetzt meine verstorbene Großmutter Klein und buckelig hockte sie da Ihre schneeweißen Haare, die sie auch schon zu Lebzeiten hatte, standen ihr ungekämmt vom Kopf ab
›Mein Sohn, also dein Vater, vergaß, dir noch etwas zu sagen‹, erklärte die Mutter meines Vaters in einem leisen, heiseren Ton
›Du musst es nicht nur schaffen, dass die Menschen aneinander näher rücken und sie gleichzeitig aber mehr Respekt voreinander zeigen Sondern du musst es auch
schaffen, richtig zaubern zu lernen Denn einer waschechten Hexe ist es möglich, erwünschte Dinge oder Situationen im Handumdrehen herbeizuzaubern Aber das weißt du bestimmt aus den Fantasiegeschichten der Erdenbewohner Jedoch glaube ich nicht, dass du es jemals schaffst, die Zauberei korrekt zu erlernen Du bist ja bei weitem nicht so ehrgeizig, wie alle immer glauben Du hast noch nicht einmal deinen Realschulabschluss vernünftig hinter dich bringen können Von daher sehe ich pechschwarz, dass du deine Lebensaufgabe perfekt
erledigst Und wenn du das Zaubern nicht bis ins letzte Detail beherrschst, ist es dir unmöglich, deine Lebensaufgabe zu meistern Aber ohne die Erledigung deiner Lebensaufgabe wirst du Andre niemals heiraten können Denn du musst den Lebewesen dieses Planeten
die ›Erleuchtung‹ ins Hirn hineinzaubern Oder denkst du vielleicht, sie brauchen dich nur zu erblicken, um zu wissen, dass sie jeden Menschen als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu behandeln haben und ihm mehr Wärme entgegenbringen sollen? So
dumm und blauäugig kannst nicht einmal du sein Deswegen will ich dir eine faire Chance geben Wenn du dich in München ein wenig eingewöhnt hast, werde ich in eini gen Nächten der Woche zu di r ko mmen und versuchen, dir das korrekte Zaubern beizubringen ‹
›Ich habe noch gar nicht gewusst, dass du eine Hexe bist, die zaubern kann‹, erwiderte ich zaghaft, nachdem meine Großmutter mit ihrem »Vortrag« geendet hatte
›Sehr lustig, Zerlina! Die Ironie in deiner Stimme habe ich wohl wahrnehmen können Das
musst du von Wolfram gelernt haben Denn auch er konnte oder kann so sarkastisch sein Aber wer, meine Gute, schätzt du, brachte deine leiblichen Eltern auf die Idee, gerade dich auf die Erde zu schicken, hm? Ich! Denn du schienst mir für diese Aufgabe gerade wie geschnitzt zu sein
„Ich war halt der Meinung, du könntest und solltest dich mit für die behinderten, kranken und alten Menschen auf der Erde einsetzen Denn du bist nun einmal als stark invalide Hexe geboren Somit kannst du dich also gut in die Lage der Menschen hineinversetzen, die einer
Randgruppe angehör en Nur aus diesem Grunde bi st du hierher gekommen Und ich hoffe, du fügst dich diesmal deinem Schicksal und erledigst deine dir auferlegte Aufgabe perfekt!‹, setzte Emma im heiteren Ton nach und warf sich ihr Halstuch gekonnt über die Schulter
›Großmutter, aber wieso schalten sich Lebewesen, die eigentlich gar nichts mit diesem Planeten zu tun haben, in das Leben und Tun dieser Menschen ein?‹, fragte ich naiv und neugierig
›Hm, weil es in unserem weiten Weltall nur wenig belebte und
bewohnte Planeten gibt Aus diesem Grunde sind wir auf jede bewohnte Erde stolz, die wir entdecken Nun, und da die Lebewesen, die bewusst und logisch denken können, den Drang haben, sich selbst und ihre Umgebung zu zerstören, machten wir es uns zur Aufgabe, jeden bewohnten Planeten, den wir entdecken, vor seine m sicheren Untergang zu bewahren Denn je mehr belebte Welten es in unserem Weltall gibt, desto mehr können wir voneinander lernen und uns er doch recht kurzes Dasein durchdachter und umsichtiger l eben Und schon als kleines Mädchen hast du ri chtig be
merkt, da ss es Menschen gibt, die der festen Meinung sind, etwas Besseres zu sein und den Anderen ein Vorbild sein zu müssen Nun, in der Tierwelt nennen wir e s das natürliche Machtverhalten Aber aus welchem Grunde die klar denkenden Lebewesen sich so sehr bekriegen, wissen wir nicht Was wir wissen, ist nur, dass die Planetenbewohner Hilfe von außerhalb benötigen ‹
LogorRhoe Liebe Anna ein umfangreiches Buch, da es mir sehr schwer fällt mehr als 10-12 Seiten zu lesen (Aufmerksamkeitsprobleme hat so einen Modenamen), werde ich es in Häppchen konsumieren müssen. da wäre es sehr schön, wenn dir es möglich ist, einzelne Kapitel in einzelne Büchlein zu packen und entsprechend zu kennzeichnen. denn ich denke dann bekommst du mehr Leser die sich mal an einzelne Kapitel ran wagen. alles liebe. detlef |
Annameyer Hallo lieber Detlef, vielen lieben Dank für dein Kommentar! :-) Die einzelnen Kapitel sind durch Zahlen unterteilt. Das kann man hier bei Mystories.de komischerweise nur sehr, sehr schlecht erkennen. Auch fehlen zahlreiche Punkte und etliche Wörter sind auseinandergerissen, was das Lesen wirklich unheimlich anstrengend werden lässt. Normalerweise kann man die einzelnen Kapitel aber recht gut erkennen. Dir noch ein schönes Restjahr und viele herzliche Grüße, Anna ;) |
Eisblume so liebe Anna, nun habe ich Deine Geschichte zu ende gelesen. Sie hat mir wirklich gefallen, denn die Idee ist gut, leider ist der Schluss zu abrupt er könnte noch etwas länger sein. Und bitte nicht böse sein, lese alles noch einmal genau durch, es sind zwar keine Rechtschreibfehler drin, aber es sind oft die Worte auseinander gerissen. So und dann wäre es wirklich schön, wenn man die Möglichkeit hätte der Menschheit bei zu bringen Frieden zu schaffen. Doch Du scheinst es wie ich zu sehen, Solange die Menschheit nur sich selbst im Kopf hat, und die wenigsten sich für ihre Mitmenschen einsetzen, solange ist dies nicht möglich. Ich denke, wenn nicht irgend etwas passiert, dann geht es in jeder Hinsicht mit unserer Welt zu ende. Du bist nicht gläubig, aber in der Bibel kann man auch lesen, warum alles so ist, Nämlich: " Die ganze Welt (Menschheit) liegt in der Macht dessen der böse ist. Liebe Grüße und alles Liebe Für Dich, von Christa |