Die untergehende Sonne ließ die staubige Ebene in einem rosaroten Licht erglühen. Unzählige Staubpartikel verfärbten das rötliche Sonnenlicht in genau dieses stumpfe Rosa, das mit jeder weiteren aufgewirbelten Staubwolke noch unwirklicher wurde. Aden kannte das Phänomen, welches der Staub der toten Ebene im untergehenden Sonnenlicht bewirkte. Dennoch sah er fasziniert zu, wie seine Klauen die Asche hochwirbelten. Tief gruben sich seine kräftigen Glieder in den Boden. Für Aden war dieser Weg bereits zu einem Ritual geworden. Alle zehn Jahre
durchschritt er die große Ebene. Von ihrem Anfang hinter dem ausgedehnten Wald, bis hinauf zu dem Felsen, auf dem Temander, sein Vater, stand und wohl bis in alle Ewigkeit stehen würde. Als versteinertes Mahnmal der Grausamkeit der Menschen, die ihnen das angetan hatten. Aden war noch zu weit weg, um die imposante Gestalt seines Vaters in allen Einzelheiten sehen zu können. Selbst mit seinen überaus geschärften Sinnen war nicht mehr zu erkennen, als dessen schwarzer Leib mit den mächtigen, weit über die Ebene gespannten Flügeln, die wie schwarzes Glas wirkten. Aden hätte fliegen können. Doch darum
ging es ihm nicht. Er wollte die verbrannte Erde selbst unter seinen Klauen spüren, um das Vergehen der Menschen in sich lebendig zu halten und es niemals zu vergessen. Die verbrannte Erde der Ebene von Aphital, dem heiligsten ihrer Orte, der gleichzeitig auch eine Membran des göttlichen Segens für die gesamte Welt war. Doch das hatten die Menschen nie begriffen. So, wie sie überhaupt niemals etwas begriffen hatten. Tote, graue Asche war alles, was nach ihrem Verrat hier in Aphital übrig geblieben war und – dessen war sich Aden sicher – in einigen Jahrtausenden, über die ganze Welt kommen würde.
Ohne die göttliche Magie, die immer wieder durch die Drachen in einem heiligen Ritual hier in Aphital erneuert worden war, würde auch das Leben vergehen, das durch die Magie der Götter entstanden war. Aber das war etwas, gegen das er und seine Rasse nun nichts mehr tun konnten. Sie konnten sich keine andere heilige Stätte suchen, in der sie die Magie erneut erfrischen konnten. Dafür sorgte die ‚Grenze‘, welche ebenfalls durch den Fluch der Menschen über sie gekommen war. Aden schüttelte unwirsch sein Haupt. Der kalte Wind blies heftig von den hohen Bergklüften herab, die hinter der
Ebene von Aphital wie die Zinnen einer Burg in den Himmel ragten. Der rosa leuchtende Staub tanzte vor Adens rotglühenden Augen. Seine heftigen Schritte hatten noch mehr verbrannte Erde aufgewirbelt, was seine Sicht ein wenig trübte. Doch Aden war inzwischen so nahe gekommen, dass er den versteinerten Leib seines Vaters deutlich sehen konnte. Wie polierter Obsidian glänzte sein Körper im Licht der untergehenden Sonne. Sein Hals war nach oben gereckt und sein mächtiges, gehörntes Haupt richtete sich über die Ebene, als wollte er sie ein letztes Mal segnen. Temander hatte seine Magie gegeben, um die Energien der Götter
durch sich in ihre Welt fließen zu lassen. Zum Segen aller. Auch der Menschen. Der nachtblaue Drache bleckte seine scharfen Zähne. Diese elenden Würmer! Sie hatten das niemals zu schätzen gewusst. Sie waren so dumm. Dumm, ignorant und gewalttätig. Ein unterdrückter, frustrierter Schrei löste sich aus Adens Kehle. Es hatte keinen Sinn. Auch mit all seiner Wut hatte Aden bislang nichts bewirken können. Er schüttelte sein Haupt und setzte an, die letzten hundert Meter bis zu seinem Vater zurückzulegen, doch die Gestalt, die unter der versteinerten Form des schwarzen Drachen stand, ließ ihn
innehalten. Aus der Ferne hatte er gedacht, dass das Wintereis einen Findling bis zu Temander gerollt hatte. Aber nun sah er, was sich vor dem versteinerten Drachen befand. Adens Feuer stob durch seine Nüstern. Ein verhasster Mensch stand unterhalb der versteinerten Form Temanders und berührte sie! Aden stieß eine Feuerlohe aus und wollte mit seinen Klauen ausschreiten, den Eindringling hinfort schleudern von Aphital, hinfort schleudern von Temander, seinem Vater. Doch er kam nicht dazu. Ein Rauschen erklang und vor ihm landete seine Gefährtin. Ihre weißen Schuppen glänzten ebenfalls mit einem leicht rosa
Schein, den die Sonne hier auslöste. „Halte ein!“ Zitternd ertönte ihre Stimme in seinem Kopf. Unwirsch schüttelte Aden sein Haupt. „Geh mir aus dem Weg!“, grollte er. „Der Mensch wird für seine Frevel zahlen!“ „Aden! Nicht!“ Schützend breitete sie ihre Schwingen aus. „Er ist der Prophezeite!“ Ihre Worte hatten die erwünschte Wirkung. Der große Drache hielt inne und blickte sie an. „Wieso glaubst du das?“ „Er hat das Zeichen. Sieh nur genau hin!“ Und Aden sah: die kräftige, dunkle
Gestalt, die hellen Haare und das schwarze Mal auf seinem Rücken, das die Form eines Drachen hatte. Genauso, wie es in der Prophezeiung geweissagt wurde. „Das kann nicht sein!“, sprach er. Aden hatte der Prophezeiung bis jetzt nie Glauben geschenkt. Doch er blieb neben seiner Gefährtin stehen und sah zu, wie der Mann erwartungsvoll auf die steinerne Form Temanders blickte. Aden konnte nicht umhin, verächtlich zu schnauben. Was glaubte dieser Mensch eigentlich? Sein Vater war tot! Von den Feuern der umgekehrten Energien zu gläsernem Stein verschmolzen! Aber als würde ihm sein Vater einen
Streich spielen, oder Adens Behauptungen Lügen strafen wollen, spürte Aden plötzlich wie sich die Magie im Weltengefüge verschob. Alarmiert blickte er zu Temanders mächtigem, versteinertem Schädel, während der Mensch erwartungsvoll seine Arme nach oben streckte. Tatsächlich blitzte in den letzten Sonnenstrahlen etwas an Temanders Auge auf, das sich schließlich löste und in die offenen Hände des unter ihm stehenden Mannes fiel. Aden blieb die Flamme, die sich gerade in seinem Maul gebildet hatte, im Halse stecken. Wie konnte das nur möglich sein? Seit durch den Anschlag der
Menschen die Energien des Rituals umgekehrt und die Grenze erschaffen wurde, war Temander versteinert. Unbeweglich stand er seit Jahrhunderten in dieser Position. Dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der Mensch unter ihm stand, uralte Magie erneut in Bewegung kam, konnte kein Zufall sein. Aden war immer noch voller Zweifel und vor allem voller Zorn, doch er war nun bereit einzuräumen, dass an der Prophezeiung vielleicht tatsächlich mehr daran war, als nur eine imaginäre Hoffnung. Und der nachtblaue Drache war bereit zuzuhören. Er war Temanders Sohn, der neue Anführer der Drachen, der mächtigsten magischen
Geschöpfe, und ihm oblag es, den Willen der Götter in Weisheit zu erfüllen und nicht dem gerechten Zorn in seinem Inneren nachzugeben. Als hätte der Mensch gespürt, dass sich etwas in dem Drachen verändert hatte, drehte er sich um und blickte ihnen ernst entgegen. Dann beugte er sein Knie und neigte seinen Kopf zu Boden. Aden glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der Mensch verneigte sich vor ihnen! Und dann sprach er, laut, da die Menschen der geistigen Kommunikation nicht fähig waren: „Mein Name ist Delemar. Ich bin gekommen um die ‚Grenze‘ zu zerstören und den Fluch von euch nehmen. Dafür wurde ich
geboren und dafür habe ich das hier bekommen!“ Damit hielt er Aden seine offene Handfläche hin, auf der ein schwarzer, tropfenförmiger Stein lag. Wie eine Träne, die nach all den Jahrhunderten aus Temanders Auge herabgefallen war, nur um in der ausgestreckten Hand eines Menschen zu landen. Das war der Zeitpunkt, an dem nun auch Aden sein Haupt neigte. Er würde dem Schicksal, so ungewöhnlich es auch sein mochte, eine Chance einräumen. Selbst, wenn er dafür mit einem Menschen auskommen müsste. „Gebe die Göttin Aruza, dass du Recht behältst“, sagte er, dann machte er den
Weg frei und hieß mit dieser Geste seinen Feind willkommen.
Das Dorf an der Grenze Das monotone Hämmern auf rotglühenden, biegsamen Stahl riss Gela aus ihren schweren Schlaf. Es dauerte einige Zeit, bis sie wieder wusste wo sie war, und die letzten Fragmente desAlptraums von sich weisen konnte. Mühsam stand das junge Mädchen von ihrer Liegestatt auf und ging zur Waschschüssel, die sie mit frischem Wasser aus dem Krug füllte. Während sie ihr erhitztes Gesicht kühlte,
versuchte sie die Eindrücke ihres Traums zu deuten. Doch sie konnte sich nur mehr an dunkle, bedrohliche Gestalten erinnern und an einen Schmerz in ihrem Inneren, der sie bis in ihre Grundfeste erschüttert hatte. Gela seufzte, während sie in den Spiegel blickte und dem Wasser zusah, das über ihr schmales Gesicht perlte und mit einem hellen Laut zurück in die Schüssel tropfte. Die Hammerschläge ihres Vaters Dakan dröhnten weiter durch das Morgengrauen, nur unterbrochen vom Zischen, wenn er den bearbeiteten Stahl abkühlte. Gela ruckte hoch und verbannte die schweren Gedanken. Sie
zog sich ein einfaches grünes Kleid an, das noch ihre Mutter für sie genäht hatte, bevor sie an einer schweren Krankheit verstorben war. Wahrscheinlich liebte sie es gerade deshalb. Kritisch beäugte sich Gela im kleinen Spiegel. Ihr Gesicht war bleich wie immer, was ihre großen, dunklen Augen noch deutlicher zum Vorschein brachte. Sie waren grün, doch das sah man nur aus nächster Nähe. Denn es war ein dunkles, sattes Grün. Eine sehr ungewöhnliche Augenfarbe, für die sie sich ein wenig schämte. Genauso wie für ihren großen Mund und die vollen Lippen. Gela seufzte, schlüpfte mit
bloßen Füßen in die Lederschuhe und schnürte sie locker um ihre Knöchel. Ihre langen, brünetten Haare flocht sie rasch zu einem Zopf, den sie sich über die linke Schulter legte und mit einem Seidenband befestigte. Sie musste sich jetzt wirklich beeilen, denn sie wollte noch das Essen kochen, bevor sie zu Merith aufbrach. In ihrem schlichten grünen Kleid, welches nur mit einem Gürtel um die Taille befestigt war, setzte sie sich vor die Feuerstelle und kochte die Grütze, in die sie noch ein wenig Gemüse hineinschnitt. Als sie warm war wandte sie sich zum geöffneten Fenster. „Das Essen ist fertig!“, rief sie laut und
begann die Teller zu füllen. Das Hämmern hörte auf und Dakan, der Dorfschmied, trat mit einem breiten Lächeln in das Innere des Hauses. „Morgen, mein Kleines!“, rief er. Sein Hemd war verschwitzt und notdürftig wischte er sich seine Hände an seiner fleckigen Arbeitshose ab. Die Lederschürze, die er immer zum Schmieden trug, zog er aus und warf sie über einen Stuhl. Hungrig setzte er sich zum Tisch, auf den Gela die vollen Teller stellte und begann geräuschvoll zu essen. Gela wollte sich ebenfalls an den Tisch setzen, doch lautes Getöse vor der Tür kündigte ihren Bruder Hanndal an, der
die frühen Morgenstunden zur Jagd nutzte und auf diese Weise ihren Speiseplan bereicherte. Auch jetzt hielt er zwei fette Hasen triumphierend in die Höhe, als er eintrat. Gela nahm sie ihm ab und brachte sie rasch in die Speisekammer. Hanndals lockiger, blonder Schopf musste sich etwas neigen, damit er mit seiner beachtlichen Größe in ihrem Haus stehen konnte. Stolz grinste er über seinen Jagderfolg, streifte seinen Bogen ab und legte die Waffe sorgfältig an ihren Platz. Die Ärmel seines einfachen Hemdes hatte er hochgekrempelt. Seine Muskeln, durch die schwere Schmiedearbeit
gestärkt, traten hervor und bedenklich krachte die Naht seines Hemdes am Rücken, als er Gela auflauerte, die nichtsahnend aus der Speisekammer kam. Mit festem Griff packte er sie an der Taille und hob sie hoch. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, da wurde sie aber schon herumgeschwungen, bis sie schließlich an seine Brust gepresst wurde und er ihr einen Kuss auf die Wange drückte. „Geht es meiner kleinen Schwester auch wirklich gut?“, fragte er besorgt und blickte ihr tief in die Augen. „Keine schweren Gedanken mehr wegen dieses verkommenen Tempels?“ Gela spürte einen Stich im Herzen. Es tat
ihr immer noch weh, dass sie nach fünf Jahren als Novizin aus dem Tempel ausgewiesen worden war. Ihre magischen Fähigkeiten waren nicht ausreichend gewesen, um in den Stand einer Priesterin aufgenommen zu werden, hatte man ihr gesagt. Das war vor zwei Wochen gewesen, kurz nach ihrem zwanzigsten Geburtstag. Sie seufzte tief. „Ich wusste es. Du lässt dich davon immer noch fertig machen!“, grollte Hanndal. „Du hättest erst gar nicht in den Tempel gehen sollen!“ „Ich wollte doch Heilerin werden!“ Gela blinzelte trotzig die Tränen weg. „Es ist nun einmal nur Priesterinnen erlaubt
Heilungen oder Geburtshilfe auszuüben.“ Hanndal schnalzte mit der Zunge. „Dann bist du eben meine persönliche Heilerin. Ich verletze mich doch andauernd! Und Vater ist nicht besser.“ Ein zustimmendes Brummen erklang vom Esstisch, während Hanndal sie mit großen, treuherzigen Augen ansah. „Ja, schon gut.“ Lachend schob Gela seinen Kopf zur Seite, bevor er ihr noch einen Kuss aufdrücken konnte. „Und wann hörst du endlich damit auf noch breiter zu werden, Hann?“, fragte sie und starrte zweifelnd auf die ächzenden Nähte, die mühsam seine gebündelte Kraft im Zaum zu halten versuchten. „Seit ich zurück bin, komme ich nicht
nach, all deine kaputten Hemden zu nähen.“ „Dann, wann ich auch das letzte Frauenherz gebrochen habe!“, scherzte Hanndal und hielt sich theatralisch seine Hand auf die Brust. Schließlich ließ er sie los, nahm sich ebenfalls eine große Portion Grütze und setzte sich zu ihnen. Gela wandte sich lächelnd ihrem Mahl zu. Ihr Bruder hatte sich während ihrer Abwesenheit zum absoluten Frauenschwarm entwickelt. Er konnte jedes Mädchen im Dorf haben und soweit Gela von ihrer Freundin Sina wusste, war das auch schon der Fall. Hanndal machte jedoch keine Anstalten ernsthaft um eine Frau zu werben. Auch
nicht um Sina. Das tat ihr sehr leid, denn ihre Freundin war bis über beide Ohren in Hanndal verliebt. Gela seufzte erneut und beendete ihr Mahl. Gerne wäre sie noch bei ihrem Vater und ihrem Bruder sitzen geblieben und hätte Hanndal ein wenig ins Gewissen geredet, aber sie hatte keine Zeit mehr. Merith, die Heilerin ihres Dorfes, brauchte ihre Hilfe. Sie lebte die Sommermonate über in den Wäldern nahe der Grenze zu Balderon. Gerade diese Wälder waren reich an Heilkräutern und anderem, das Merith für ihre Tränke und Tinkturen brauchte. Solange sie den Sommer in den Wäldern verbrachte, versorgten sie die
Dorfbewohner mit dem Nötigsten. Heute war es an Gela, ihr diesen Dienst zu erweisen. Eigentlich hätte Hanndal sie begleiten sollen, doch er musste ihrem Vater in der Schmiede helfen. Allein würde Dakan die angeforderten Langschwerter sonst nicht rechtzeitig fertigbekommen. Augenzwinkernd hatte Hanndal ihr aber erklärt, dass sein Freund Beran nur zu gern bereit war, für ihn einzuspringen. Gela hatte sich sofort befangen gefühlt. Beran war der jüngste Sohn des Landeigners von Ulahs und bevor er vor sechs Jahren in die Schwertkampfschule nach Bress ging, war sie heimlich in ihn verliebt gewesen. Außerdem war sie, im
Gegensatz zu ihrem Bruder, sehr schüchtern und durch ihre Zeit im Tempel, in dessen Allerheiligstem nur Frauen lebten, unsicher im Umgang mit jungen Männern. Doch da musste sie jetzt durch. „Hann, Pa, ich muss gehen. Esst bitte die Grütze auf. Am Abend werde ich dann einen von den Hasen zubereiten.“ „Mmmhmm“, kam die Antwort von Dakan, der gerade einen großen Bissen Brot kaute und ihr zunickte. „Pass auf dich auf“, grinste Hanndal, „und mach es Beran nicht zu schwer. Er kam extra wegen dir wieder zurück nach Ulahs!“ „Depp!“, schimpfte Gela und verdrehte
die Augen. Dass Hanndal sie immer noch wegen ihrer Schwärmerei von damals aufziehen musste! Grollend nahm sie die vorbereiteten Lebensmittel und ging in den Stall. Sie befestigte gerade die Lebensmittelpacken an dem älteren und gutmütigeren der Pferde, als sie hinter sich ein Räuspern hörte. Überrascht drehte sie sich um, doch es war nur Beran, der lächelnd und mit gewandten Schritten auf sie zukam. Gela musste schlucken. Von dem linkisch wirkenden Burschen von früher, der sie nur getriezt und verspottet hatte, war nichts mehr übrig. Stattdessen baute sich ein stattlicher Mann vor ihr auf, der sein
widerspenstiges, dunkles Haar zu einem kurzen Zopf gebunden trug. Sein kantiges Gesicht mit den stechend hellen Augen kam dabei noch mehr zur Geltung. „Morgen Gela!“, grüßte Beran. Seine hellen Augen blitzten, als er sie von oben bis unten musterte, während sich sein Lächeln vertiefte. Eine einfache Geste, die sein strenges Antlitz unnachahmlich aufweichte. Gela bemerkte, wie sie zu starren begann, was Berans Grinsen noch breiter werden ließ. „Hanndal hat nicht gelogen“, sagte er galant. „Du bist tatsächlich noch schöner geworden!“ „Äh, ja …natürlich…“, stotterte Gela.
Schnell wandte sie sich mit brennenden Wangen ab. Beran sah zwar erwachsener aus, sein Benehmen hatte sich aber keinen Deut geändert. Leicht verärgert, dass sie beinahe wieder auf ihn hereingefallen wäre, hantierte sie weiter mit den Befestigungen am Packpferd. „Ich bin wirklich froh, dass du den Tempel verlassen hast.“, hörte sie Beran sagen. Sie sah schnell auf und bemerkte seinen intensiven Blick, der warm auf ihr ruhte. „Warum?“, entschlüpfte ihr die Frage. „So kann ich mein Versprechen einlösen, dass ich dir gab“, lächelte er. Voller Verwunderung sah Gela ihn an.
„Du meinst, dass du mich mit dir nach Bress nehmen würdest, wenn deine Schwertkampfausbildung beendet ist?“ „Du erinnerst dich noch daran!“ „Aber… aber…das war doch nur ein Scherz damals! Hanndal hat dich aufgestachelt, um mir das zu sagen! Außerdem ging es darum, dass du eine Haushälterin wolltest!“ Verlegen kratze sich Beran am Hinterkopf. „Nein, nicht ganz. Ich habe es tatsächlich ernst gemeint und absolut nicht als Haushälterin! Aber ich war damals wirklich noch sehr dumm und schüchtern obendrein.“ Errötend schlug Gela ihre Augen nieder und beendete ihre Arbeit. Jetzt war sie
wirklich verlegen. „Dann lebst du jetzt also in Bress?“, fragte sie nach, um kein peinliches Schweigen entstehen zu lassen. „Ja.“ Berans kurze Antwort ließ Gela wieder zu ihm blicken. Er schien irgendwie betreten zu sein, wie er so an die Koppel gelehnt dastand. Das verwunderte Gela sehr, aber sie widerstand dem Impuls nachzufragen. Stattdessen schulterte sie umständlich ihre Umhängetasche und schickte sich an, das Pferd aus dem Stall zu führen. Beran stellte sich ihr in den Weg. „Komm, gib mir deine Tasche. Die kann ich dir abnehmen.“ Gela zögerte nicht lange, nahm die
Umhängetasche von ihrer Schulter und reichte sie ihm. „Danke.“ Schüchtern sah sie ihn an, was Beran mit einem sanften Lächeln quittierte. Schnell senkte sie ihren hochroten Kopf und führte das Packpferd aus dem Stall, während Beran mit seinen langen Beinen gemächlich folgte. Der Weg zu Merith führte die beiden mitten durch ihr Dorf Ulahs. Es war nur eines von vielen typischen Dörfern, die das Landschaftsbild Bresserans prägten. Ihr Dorf war nur insofern besonders, als dass es das nördlichste ihres Landes war. Direkt unterhalb von dichten Wäldern, die hinter ihrem Dorf begannen
und in einiger Entfernung in ein gewaltiges Gebirgsmassiv übergingen, lag es da. Nur ein paar Wegstunden entfernt von der Grenze, die gleich hinter Meriths Hütte begann. Diese Grenze schloss das gesamte Land Balderon ein, dessen wahre Größe niemand mehr kannte. Dabei war die Grenze nicht einmal sichtbar. Vielleicht konnte man, wenn man ganz genau hinschaute, eine Art Flirren in der Luft sehen, wie eine Barriere, doch es war nichts, das einen daran hinderte, hindurchzugehen. Nur zurück konnte man nicht mehr. So gesehen war Balderon nichts anderes als ein gigantischer Kerker. Ein Kerker im
unwirtlichsten, kältesten Land der Welt, erschaffen vor Jahrhunderten, um die Menschen vor den Magischen – Trolle, Elfen, Nachtmahre und Drachen, die Mächtigsten unter den Magischen – zu schützen. Die Einzigen, die jetzt noch in Bresseran Magie ausüben konnten, waren die Priesterinnen. Sie waren es auch, welche die Grenze geschaffen hatten. Wenn man die Unbefangenheit sah, mit der die Dorfbewohner ihren Alltag lebten, konnte man kaum glauben, dass Ulahs so nahe an der Grenze zu Balderon lag. Aber die Bewohner Bresserans hatten in all den Jahrhunderten des Friedens wohl auch
die Furcht vor den Magischen verloren. Gela und Beran überquerten den großzügig angelegten Dorfplatz von Ulahs, auf dem sich bereits die Kinder tummelten und einige der betagten Frauen im Schatten der großen Bäume Platz genommen hatten. Freundliche Grüße begleiteten die jungen Leute, aber auch tuschelnde Bemerkungen einiger Mädchen hinter ihrem Rücken. Das waren dieselben, die ihre Schadenfreude bei Gelas Rückkehr nicht hatten verhehlen können. Jetzt kamen noch die neidvollen Bemerkungen hinzu, dass ausgerechnet der gutaussehende Beran die ‚Möchtegernpriesterin‘ begleiten musste. Gela tat, als würde sie die
albernen Gänse nicht bemerken. Während sie den ersten Anstieg hinter dem Dorf in Angriff nahmen, entspannte sich Gela langsam in Berans Gegenwart. Sein lockerer Umgang half ihr, ihre Befangenheit loszuwerden. Außerdem verstand er es mehr als unterhaltsam von seiner Schwertkampfausbildung in Bress zu berichten. „Du warst tatsächlich der einzige Schüler von diesem berühmten ‚Sir Schwendrich‘?“, fragte Gela ungläubig nach. „Und du hast auch bei ihm im Haus wohnen dürfen?“ „Ja. Er hatte sich schon zur Ruhe gesetzt und seine Schwertkampfschule geschlossen. Meine Großmutter und das
Empfehlungsschreiben meines Onkels haben ihn dann wohl doch noch umgestimmt und er begann mich zu unterrichten.“ Er lachte hell auf. „Der alte Zausel hat das seitdem bitter bereut!“ „Wirklich?“ „Naja, spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich ihm sein kostbares Geschirr zerschlug. Es war ein Unfall! Ehrlich! Zur Strafe musste ich dann auch noch Küchendienst verrichten. Aber das tat ich lieber, als die höfischen Pagenpflichten im Königspalast.“ „Du warst sogar im Königspalast?“ Beeindruckt sah Gela ihn an. Beran winkte ab und rückte die
Umhängetaschen zurecht. „Das hört sich nur so toll an, Gela. Es gehörte einfach zu meiner Ausbildung dazu. Was ‚tanzen lernen‘ mit Schwertkampf zu tun hat, weiß ich aber bis heute noch nicht.“ Geringschätzig schnaubte er. „In Wirklichkeit unterliegen dort im Palast alle noch mehr Zwängen als im Haupttempel.“ Gela kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Beran war zwar der Sohn eines Landeigners, eines Adligen, aber das galt in der Hauptstadt Bress nicht viel. Dennoch hatte er während seiner Ausbildung all die Privilegien eines Hochadligen genossen. Seine Großmutter musste einigen Einfluss
haben. „Im Haupttempel warst du also auch?“, fragte sie beinahe schon ehrfürchtig. „Er muss wundervoll anzusehen sein! Ich war noch nie in Bress!“ „Ja, der Haupttempel ist schon gewaltig und ich musste auch Dienste bei den Tempelrittern verrichten.“ Berans Mundwinkel zuckten verächtlich. „Zum Glück bestand Sir Schwendrich nicht allzu sehr darauf.“ „Ist die Ausbildung bei den Tempelrittern denn so schwierig?“, fragte Gela voller Mitgefühl. Laut lachte Beran auf. „Aber nein! Die höhergestellten Tempelritter haben alle ihre Ausbildung bei Sir Schwendrich
genossen! Der Dienst im Haupttempel war nur noch eintöniger als die Tanzstunden im Palast.“ Gela schwirrte der Kopf. „Aber… du wolltest doch unbedingt Soldat werden! Gab es da keine andere Möglichkeit?“ „Natürlich! Ich arbeitete auch schon bei der Königsgarde…“ „Warum bist du dann nach Ulahs zurückgekommen?“ „Hm?“ „Wenn du schon bei der Garde warst, warum bist du dann wieder in unser entlegenes Dorf zurückgekommen? …Oh!“ Gela hielt erschrocken inne. „Haben sie dich vielleicht rausgeworfen? Du hattest schon immer
Schwierigkeiten mit dem Gehorsam!“ Beran lachte. „Na, du hast eine schöne Meinung von mir! Aber nein! Es gab andere Gründe. Dennoch verließ ich Bress nicht im Guten.“ Mit einem Zwinkern nahm er Gela am Arm und führte sie unter die Bäume. Sie waren die ganze Zeit in der prallen Sonne zwischen den Feldern bis zum Wald hochgestiegen. „Was hältst du davon, wenn wir uns kurz beim Igisen erfrischen. Ich kann sein Rauschen schon hören.“ Nur zu gern war Gela bereit auf diesen Vorschlag einzugehen. Lächelnd folgte sie Beran, der auch das alte Packpferd mit sich zog.
Ein Tierpfad führte sie zu einer Wasserstelle, die im wilden Igisen eine kleine Bucht bildete, in der der kalte Fluss ruhig und einladend vor ihnen lag. Durstig beugte sich Gela über das klare Wasser und begann das kühle Nass mit ihren Händen aus dem Fluss zu schöpfen. Beran legte sich gleich mit seinem ganzen Oberkörper hinein und tauchte den Kopf unter. Gela musste lachen als sie sah, wie er dann seinen kurzen Zopf auswand, während das kalte Nass sowieso sein Hemd entlangrann und es eng an seinen Körper drückte. Breit grinsend sah er sie an, während er sich an einen Stein
zurücklehnte. Ein wenig verlegen deutete Gela ihm an, dass sie einem natürlichen Bedürfnis nachgehen müsse und entfernte sich. Flussabwärts fand sie eine geeignete Stelle. Der Schatten unter den Bäumen war angenehm und der laue Wind kühlte sie ebenfalls. Der Anstieg war anstrengend gewesen, aber durch Berans lebhafte Schilderungen war es ihr gar nicht so aufgefallen. Lächelnd ging sie zum Fluss, um ihre Hände im Wasser zu waschen. Diese Stelle war dicht von Pflanzen überwuchert, aber von einem flachen Stein aus konnte sie gut ins kühle Nass greifen. Gerade als sie ihre Hände eintauchen
wollte, schoss ein dunkler Arm aus dem Gebüsch am Ufer hervor und umfasste mit eisernem Griff ihr Handgelenk. Sie erschrak so heftig, dass ihr ein schriller Schrei entkam. Hektisch wehrte sie sich, doch der Griff der blutigen Hand war derart kraftvoll, dass sie sich nicht daraus befreien konnte. Das zerschundene, dunkle Gesicht eines Mannes, aus dem sie zwei blaue Augen durchdringend ansahen, schob sich ebenfalls aus dem Gebüsch hervor. „Nimm ...“, krächzte der Fremde, während ein zweiter Arm zittrig aus dem Gebüsch gehoben wurde. Bevor Gela sich noch fassen konnte, wurde ihr etwas in die umklammerte Hand
gedrückt. Als ihre Finger über diesem Gegenstand geschlossen wurden, brach der Blick des Mannes und er fiel in sich zusammen. Ruckartig stürzte Gela nach hinten und starrte geschockt auf das zerschundene Gesicht, bis sie Berans kräftige Arme um sich spürte, der sie schützend umfasste und von dem Toten wegzog.
Der Mann im Fluss
Schlagartig schien die Hitze des Sommers in eisigen Wind überzugehen. Der Wald, der gerade noch angenehm Schatten gespendet hatte, wirkte plötzlich finster und bedrohlich. Selbst der Fluss, der sie so erfrischt hatte, kam Gela nun unheilbringend vor, wie er sich vom kalten Nordgebirge herunterwand und an ihnen vorbeiströmte.
Entsetzt starrte sie auf den Mann, dessen helle Augen tot ins Leere
gerichtet waren. Eine tiefe Wunde klaffte in seiner linken Gesichtshälfte, durch die man trotz des vielen geronnenen Blutes seine Backenzähne hervorblitzen sah. Ein weiterer Riss begann hinter seinem Ohr und reichte über den gesamten Schädel. Fröstelnd zog Gela ihre Schultern hoch und schlang ihre Arme um sich. „Wie schrecklich! Was ist dem Armen nur passiert? Wie kommt außerdem ein Südländer bis zu uns in den Norden?“ „Keine Ahnung“, zuckte Beran die Schultern und begann den Toten näher zu untersuchen. „Das ist kein reinrassiger Südländer, auch wenn seine Haut dunkel ist. Er muss ein Mischling
sein. Sieh nur seine hellen Haare.“ Neugierig beugte sich Gela vor, während Beran ein Stück des zerrissenen Hemdes am Oberkörper des Toten hochhob. Dabei kam deutlich ein großes, schwarzes Geburtsmal auf seinem Rücken zum Vorschein, das die Form eines Drachen hatte. „Was für ein seltsames Mal“, wunderte sich Gela. „Ja. Das ist aber nicht alles. Sieh nur.“ Beran zeigte auf weitere tiefe Wunden, die er bloßgelegt hatte. „Der Tote ist nicht erst jetzt angespült worden. Auf manchen Verletzungen ist bereits Schorf zu sehen. Der liegt sicher seit ein paar Stunden schon hier im Gebüsch. Wahrscheinlich starb er erst vor kurzem.
Und so wie das alles aussieht, wurde er die Stromschnellen heruntergespült.“ Gela trat einen Schritt zurück und blickte entgeistert auf Beran „Das ist unmöglich. Die Stromschnellen befinden sich hinter der Grenze in Balderon. Wahrscheinlich wurde er von einem wilden Tier angefallen.“ Beran, der bereits wieder aufgestanden war, rieb seine Hände an seiner Hose ab und schüttelte den Kopf. „Nein, das sind keine Bissspuren. Die Wunden wurden durch kantige Felsen verursacht und die gibt es nur im Fluss hinter der Grenze.“ Gela hob abwehrend ihre Hände. „Das glaube ich nicht, Beran. Die Grenze ist
unüberwindbar! Er kann nicht aus Balderon kommen.“ Beran trat zu ihr. „Ich weiß, dass du den Tempel heiligst, aber es ist nicht alles so, wie die Priesterinnen sagen. Glaub mir, ich habe im Haupttempel so einiges mitbekommen. Ich denke, dass sie schon lange nicht mehr alle Macht in den Händen halten.“ Gela schüttelte vehement den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Die Magie der Priesterinnen schützt uns. Nur durch den Tempel können wir ein so friedliches Leben ohne die Magischen führen.“ „Friedlich vielleicht, aber zu welchem
Preis?“ Gela sah Beran bestürzt an. „Wie meinst du das?“ „Gela“, sagte Beran eindringlich. „Du warst lange bei den Priesterinnen im Tempel zu Uhn. Die sind dort noch nicht so korrumpiert wie im Haupttempel.“ Gela schüttelte entsetzt den Kopf, doch Beran fuhr unbeirrbar fort. „Glaub mir, der Tempel hat seine Kraft bereits verloren und die Priesterinnen sind nicht so, wie sie sich gerne allen präsentieren. Niemand darf Fragen stellen oder sie gar offen kritisieren.“ „Natürlich nicht!“, rief Gela. „Sie müssen die Magieressourcen in ganz Bresseran zusammenhalten. Sie können
sich nicht auch noch um Zweifler kümmern!“ „Gehört dazu auch den Novizinnen im Todestempel ihre Energie zu rauben?“ „Wovon redest du nur?“ Gela strich sich aufgebracht eine vorwitzige Haarsträhne zurück. „Als Novizin im Todestempel dienen zu dürfen, ist eine große Ehre, und nur die allerbesten Anwärterinnen werden dafür auserwählt, die Priesterinnen auf ihrem letzten Weg zu begleiten.“ „Lassen wir das!“, winkte Beran ab und wandte sich wieder dem Toten zu. „Hier können wir sowieso nichts mehr tun.“ Er packte den Leichnam und zog ihn in das Gebüsch zurück.
Gela lehnte wie betäubt an einem Baumstamm und sah zu, wie er sich mit dem schweren Mann abmühte und ihn schließlich mit Zweigen abdeckte. Es fröstelte sie. Das was Beran gesagt hatte konnte nicht wahr sein. Die Magie der Priesterinnen war alles, was die Menschen vor den Magischen schützte. Es stimmte, dass nicht alle mit dem Tempel einverstanden waren, doch die Priesterinnen meinten es gut. Das einzige, das ihnen am Herzen lag, war das Wohl der Menschen! Ohne ein weiteres Wort folgte sie Beran, als er das Pferd packte und wieder den Weg zu Merith
einschlug. Gela hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. Ein Stechen in der Hand ließ sie schließlich stehenbleiben. Verwundert blickte sie auf ihre geballte Hand, in der offensichtlich etwas lag. Was immer es auch war, das sie fest umschlossen hielt, es fühlte sich glatt und seltsam warm an. Wenn Gela sich konzentrierte, hatte sie sogar das Gefühl, als würde der Gegenstand pulsieren. Es könnte aber auch ihr eigenes Blut sein, das an der glatten Oberfläche im Rhythmus ihres Herzens schlug. Mit äußerster Überwindung öffnete sie ihre Hand, doch darin lag nur ein schwarzer, schimmernder Stein, der die
Form einer Träne hatte. Er war so schön in seinem dunklen Leuchten, dass Gela wie magisch davon angezogen wurde. Voller Verzückung sah sie auf die steinerne Träne, nur um sie im selben Augenblick wieder zu vergessen. Sanft schloss sie ihre Hand, auf der kurz magische Runen aufleuchteten und schob den tränenförmigen Stein in ihre Rocktasche. Gut gelaunt, als hätte es niemals eine Auseinandersetzung zwischen ihnen gegeben, lief sie Beran hinterher. „Warte auf mich!“, rief sie und Beran drehte sich erstaunt um. Als sie ihn eingeholt hatte, begann sie unbekümmert ein harmloses Gespräch, in das er
erleichtert lächelnd einstieg. Nach einem letzten kurzen Anstieg kamen sie bei Meriths Hütte an. Sie stand auf einer kleinen Lichtung, direkt unter einem großen Baum, der beschirmend seine Äste über dem einfach gedeckten Strohdach ausbreitete. Überall im Balkenwerk der Hütte hingen die verschiedensten Kräuter, die sanft im Luftzug schaukelten. Würzige Düfte entströmten den Gebinden und wenn der Wind stärker durch die trockenen Büschel fuhr, wurde der Geruch geradezu betäubend. Da die Heilerin nicht da war, setzten sich
Gela und Beran auf die Holztreppe des Hauses. Sie teilten sich gerade ihre mitgenommene Mahlzeit, als Merith mit einem Korb voller Kräuter auf die kleine Lichtung trat. Die Heilerin war eine schlanke, hochgewachsene Frau. Ihr genaues Alter war nicht bekannt, aber die ältesten Dorfleute behaupteten, dass sie Merith bereits seit fünfzig Jahren kannten und sie sich in all der Zeit kein bisschen verändert hätte. Schwarze, dichte Haare, in die an manchen Stellen kleine Zöpfchen geflochten waren, umrahmten ein immer noch junges Gesicht. Gerade die pergamentartige Haut, die sich über die Wangen spannte,
zeigte, dass Merith vielleicht doch älter war, als sie aussah. Dass Priesterinnen als Heilerinnen unter dem einfachen Volk wirkten, war äußerst selten. Meistens blieben sie in ihren Tempeln und wenn man krank war, musste man zu einem dieser Heiligtümer pilgern. Umso beliebter waren deshalb die wenigen, die wie Merith außerhalb des Tempels lebten. Mit ihren schweren Schuhen stapfte die Heilerin näher und blickte neugierig auf Gela und Beran. Das einfache Leinenkleid, das sie trug, blähte sich ein wenig im sanften Wind. Eilig sprang Gela auf. Sie mochte die Heilerin und ihr Vorbild war es auch, das sie bewog
in den Tempel zu gehen, um ihr nachzueifern. „Merith! Endlich seid Ihr da! Wir haben am Ufer des Igisen einen Toten gefunden, der fürchterlich zugerichtet war.“ Die Heilerin zuckte zusammen. „Einen Toten?“ Ihre leicht schräggestellten, hellen Augen sahen die beiden durchdringend an. Dann stellte sie den Korb ab und band die Kräuterbüschel, die sie darin gesammelt hatte, an die Balken ihres Hauses. „Verzeiht, dass ihr warten musstet. Ich hatte noch etwas Dringendes an der Grenze zu erledigen, das keinen Aufschub duldete. Doch kommt mit ins Haus, dort können wir
uns besser unterhalten.“ Gela schnappte sich einen der Lebensmittelpacken und folgte der Heilerin. Den prüfenden Blick der Priesterin, der erstaunt an ihrer Rocktasche hängen blieb, übersah sie. In der Hütte war es angenehm kühl. Erleichtert nahm Gela neben Beran an Meriths großem Tisch Platz. Dabei sah sie der Heilerin zu, wie sie Teewasser aufsetzte und drei Becher auf den Tisch stellte. Dann setzte sie sich zu ihnen. „Erzählt. Wie war das mit dem Toten im Igisen?“ „Der Mann lag in einem Gebüsch direkt am Ufer“, begann Beran. „Gela erschrak derart, dass selbst Ihr ihren Schrei
gehört haben müsst“, witzelte er, doch Merith zog nur eine Augenbraue hoch und sah ihn weiter an. Beran räusperte sich. “Na gut… Der Tote sah fürchterlich aus. Völlig zerschunden und blutig. Meiner Meinung nach ist er über die scharfkantigen Felsen im Fluss geschleift worden und an der Uferstelle schließlich liegengeblieben.“ „Über die Stromschnellen im Fluss meinst du? Die in Balderon? Bist du dir ganz sicher?“, fragte die Heilerin. „Andererseits würde das so manches erklären.“ „Was denn? Dass er aus Balderon kam? Meint Ihr das?“, bohrte Beran nach. „Nein, sondern, dass er nicht zu mir
kam.“ Fragend blickte Beran die Heilerin an. „Ihr kanntet ihn?“ „Wenn er ein Geburtsmal am Rücken hatte, das einem Drachen gleicht, dann ja“, sagte Merith schlicht. „Das hatte er.“ Misstrauisch zog Beran die Augenbrauen zusammen. „Sprecht bitte, wer war der Mann und was hatte er in Balderon zu schaffen?“ Gela blickte verwirrt von einem zum anderen. „Worüber redet ihr da? Es kann doch niemand die Grenze überschreiten!“ Stille antwortete ihr. „Das ist unmöglich!“, rief Gela und sah beschwörend auf Merith. „Nein. Ist es nicht.“ Die Heilerin blickte
entschuldigend auf Gela. „Es gibt eine uralte Prophezeiung. Ausgesprochen vom Orakel des Tempels, als die Grenze erschaffen wurde. Sie ist nur uns Priesterinnen bekannt und vielleicht auch noch den Drachen selbst: „Einzig und allein derjenige, der königliches Blut und magische Kraft in sich vereint, wird den Fluch der Grenze brechen können. Doch hütet euch, denn die steinerne Träne wird mit ihm sein. Sie kann die Welt retten oder den Untergang bringen.“ Entsetzt sog Gela die Luft ein. Ihr fiel sofort ihr Alptraum ein und die Angst, die davon zurückgeblieben war. „Also das war es, was Ihr an der Grenze
nachgeprüft habt, nicht wahr?“, fragte Beran. „Ja“, gestand Merith. „Es hat begonnen. Die Grenzbarriere ist noch da, zersetzt sich aber langsam. Noch kann ich nicht sagen, wann sie zur Gänze verschwunden sein wird.“ „Das heißt doch aber, dass die Magischen wieder über uns kommen werden!“, rief Gela. „Ja, und darin liegt auch eine Chance für die Welt! Doch leider hat Delemar bei dem Übertritt den Tod gefunden“, antwortete Merith. „Delemar? Ihr meint den Prophezeiten?“, fragte Beran. „Wer war er eigentlich? Südländer haben mit uns
so gut wie überhaupt nichts zu schaffen.“ „Delemar war kein Südländer“, schüttelte Merith vehement den Kopf. „Zumindest nicht ganz.“ „Wie kann das alles überhaupt möglich sein?“, fragte Gela dazwischen. „Königliches Blut und spirituelle Kraft? Priesterinnen können keine Kinder bekommen, ohne dabei ihre Magie zu verwirken und Novizinnen ist der Kontakt mit Männern verboten, sonst werden sie aus dem Tempel ausgeschlossen.“ Beran zuckte die Schultern. „Na wie schon, Gela. Irgendein Spross aus der königlichen Familie wird schon eine
Priesterin verführt haben. So tugendhaft wie sie tun sind sie alle nicht.“ Merith lachte hellauf. „Die Zeit in Bress scheint dir gutgetan zu haben, Beran. Aus dir ist ein aufgeweckter junger Mann geworden.“ Gela fasste es nicht. „Ja was denn nun? Vielleicht sind die Männer königlichen Blutes zu allem bereit! Aber der Tempel würde niemals so etwas dulden!“ „Und doch ist es so, Gela“, sagte Merith. „Delemar ist der älteste Sohn unseres Königs. Illegitim natürlich. Gezeugt mit einer Priesterin aus dem Süden. Königliches Blut mit spiritueller Kraft. So konnte er als Einziger die Grenze
überwinden.“ „Das…das ist unglaublich!“, würgte Gela hervor. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen, während Merith aufstand, um das Teewasser zu holen. Kaum war sie weg, spürte Gela einen Stich in der Hüfte. Ohne darüber nachzudenken fuhr ihre Hand in ihre Rocktasche, holte den schwarzen Stein, der mittlerweile nur mehr reiskorngroß war, heraus, und steckte ihn in den Mund. Sofort glitt er unter ihre Zunge. Gela spürte ein Zwicken, vergaß es aber gleich wieder und blickte der Priesterin entgegen, die sich erneut dem Tisch näherte. Bevor sie jedoch das heiße Wasser in die Becher einschenken
konnte, hob sie ihren Kopf. „Ah! Sie kommen. Seit die Magieverschiebungen zu spüren waren, halten sie sich bereit. Jetzt hat sie Delemars Grenzübertritt wohl endgültig in Bewegung gebracht.“ Zu den beiden gewandt sprach sie schnell weiter: „Tempelritter werden bald hier sein. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Hört gut zu. Verratet um euretwillen niemandem, dass ihr die Prophezeiung kennt und beschützt das, was Delemar euch gab, mit eurem Leben. Gebt es unter keinen Umständen her! Das ist alles, was ich euch raten kann. Zu unergründlich sind für mich im Moment die Launen der Götter, als dass ich euch mehr sagen
kann.“ Damit stellte sie den Wasserkessel wieder ab, öffnete die Tür und ging den berittenen Soldaten entgegen, während sich Gela und Beran langsam erhoben. „Was sollen wir mit unserem Leben beschützen?“, fragte Gela irritiert und schlang die Arme um sich. „Keine Ahnung“, antwortete Beran ratlos. „Etwas, das dieser Delemar, uns gegeben haben soll. Diese ‚steinerne Träne‘ aus der Prophezeiung vielleicht? Aber er war ja bereits tot, als wir ihn fanden!“ Irgendetwas stimmte nicht an seinen Worten. Doch Gela konnte nicht sagen, was es war. Je mehr sie sich zu erinnern
versuchte, desto dumpfer wurde es in ihrem Kopf und ihre Hände begannen zu zittern. „Ich verstehe das alles nicht. Was sollen wir jetzt nur tun?“ Beran trat zu ihr und berührte sie sanft an der Schulter. „Gar nichts. Wir kannten diesen Delemar nicht und wissen von nichts. Denk daran, was immer sie auch fragen sollten – wir haben ihn nur gefunden!“ Gela merkte wie er zögerte, dann legte er seine Arme um sie und zog sie an sich. Mit einem Seufzen ließ sie es geschehen und lehnte sich an ihn. Seine Wärme umhüllte sie wie ein schützender Mantel und ihr Zittern hörte auf. „Keine Angst, das schaffen wir schon“,
flüsterte Beran mit belegter Stimme, während er ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Peinlich berührt schlug Gela ihre Augen nieder. „Danke“, sagte sie bevor sie sich behutsam von ihm löste. Die Tempelritter standen bereits auf der Lichtung, als sie mit Beran aus dem Haus trat. Sie wirkten ausgesprochen eindrucksvoll in ihren blanken Rüstungen. Einer der Ritter, ein Adeliger, der den Harnisch eines Offiziers mit dem Wappen des Tempels trug, sprang vor ihnen aus dem Sattel. Die braunen Haare waren gepflegt geschnitten und umrahmten ein noch
jugendliches Gesicht, das durch feine Fältchen um blaue Augen das mittlere Alter des Mannes erahnen ließ. Markant an ihm war die weiße Strähne an seinem Scheitel, die er mit einem Ruck seines Kopfes aus der Stirn zurückwarf. Sein Auftreten war galant und durchdrungen von der Wichtigkeit seines Amtes. Geschmeidig trat er näher. „Ausgerechnet dieser eitle Gockel!“, fluchte Beran so leise, dass nur Gela ihn hören konnte. Fragend sah sie ihn an, doch der Offizier war bereits herangetreten. „Seid gegrüßt, ehrwürdige Heilerin. Ecker, ist mein Name, erster Ritter zu Bress.“ Eine Verbeugung schloss sich
seiner Begrüßung an. „Ich soll Euch Grüße der ehrwürdigen Adessa überbringen. Sie ist im Dorf geblieben, während wir ausgeschickt wurden, um nach einem Mann zu suchen, der in der Nacht die Magieerschütterungen an der Grenze ausgelöst hat. Ich nehme an, Ihr wisst darüber Bescheid.“ „Natürlich, Sir Ecker“, betonte Merith. „Leider fanden wir nur mehr seine Leiche. Und wir waren nicht die Ersten. Eindeutige Spuren führten uns bis zu Eurer Hütte.“ Sein scharfes Auge glitt über Gela, die sich plötzlich nackt unter seinem Blick fühlte. Sofort stellte sich Beran vor sie. „Es stimmt, wir haben ihn gefunden. Doch er
war bereits tot“, antwortete er kühl. „Sieh an, Beran, der Bauer.“ Verächtlich zuckten die Mundwinkel des Offiziers. „Hier bist du also untergetaucht. Warum wundert mich das nicht?“ „Du kennst den Tempelritter?“, flüsterte Gela, während Beran grimmig nickte und sie weiterhin mit seinem Körper deckte. „Du kennst ja die Regeln, Beran“, fuhr Ecker fort. „Oder hast du auch die schon vergessen?“ Glucksend lachte er. „Wir werden euch natürlich zum Verhör mitnehmen. Doch vorher…“ Mit einem Wink bedeutete er seinen Männern abzusteigen. „Untersucht ihn gründlich.“
Gela spürte wie Beran seine Muskeln anspannte, als die Ritter auf ihn zukamen. „Beran!“, sagte Merith schlicht und schüttelte den Kopf. „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt.“ Grollend gab er nach und ließ die entwürdigende Untersuchung über sich ergehen. Nicht gerade zimperlich wurden ihm Hemd und Hose ausgezogen. Selbst seine Stiefel, sein Jagdmesser und die Umhängetaschen wurden umgedreht und durchsucht. Kurz erhaschte Gela einen Blick auf seinen kräftigen Oberkörper, bevor sich einer der Ritter vor Beran stellte und seine Taschen durchwühlte.
Als Ecker nach der ergebnislosen Suche auf Gela zukam versteifte sich Beran, doch bevor er reagieren konnte trat Merith vor sie. „Das Mädchen hat nichts bei sich. Ich habe sie bereits überprüft“, sagte sie und berührte Ecker dabei leicht mit ihrem Finger. Irritiert blieb Ecker stehen und schüttelte benommen den Kopf. Dann sah er die Heilerin an. „Die beiden waren in Eurer Hütte, wir müssen auch diese untersuchen.“ „Tut was Ihr nicht lassen könnt, Sir Ecker“, sagte Merith und zuckte die Achseln. „Aber ich warne Euch. Einige meiner Tinkturen sind
hochgiftig.“ Der erste Ritter zu Bress verbeugte sich knapp vor der Heilerin, dann gab er ein Zeichen, worauf ihm alle in Meriths Hütte folgten. Die Heilerin wandte sich an Gela und Beran, der sich gerade sein Hemd zuknöpfte. Durchdringend starrte sie Gela an, besonders ihren Mund. Dann entkam ihr ein Seufzen, das seltsam erleichtert klang. „Macht euer Pferd fertig“, sagte sie. „Und verzagt nicht. Die Götter wissen für gewöhnlich, was sie tun.“ Daraufhin wandte sich auch Merith ihrer Hütte zu, in der sie kurz darauf verschwand. Gela blickte zu Beran hoch. „Beran! Hier
stimmt doch was nicht! Glauben sie tatsächlich, dass wir etwas an uns genommen haben?“ „Es sieht ganz danach aus. Arrogante Schweine!“, fluchte Beran und nahm ihre kalten Finger in seine warme, vom vielen Schwerttraining schwielige Hand. Gela lehnte sich an seine sichere Brust und er schlang erneut seinen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Vertrauensvoll legte sie den Kopf an seine Schulter und ließ sich halten. „Ich wünschte, wir hätten den Toten nicht gefunden“, flüsterte sie. „Ich auch.“ Sie standen noch nicht lange bei ihrem
Pferd, als Ecker wieder aus der Hütte kam und mit seinen schweren Stiefeln zu ihnen schritt. Mit einer herrischen Geste trat der Offizier zwischen sie. „Das ist euer Pferd?“, fragte der Ritter mit einem geringschätzigen Blick auf das betagte Tier. „Der Gaul ist schon uralt, aber genau das richtige für dich“, meinte er abfällig zu Beran. „Wir haben es eilig.“ Dann setzte er seinen Helm auf, fasste Gela und zog sie mit sich. Gela war viel zu perplex, um sich zu wehren. Sie sah nur wie Beran dem Offizier feindselig nachstarrte und unwillkürlich zu seinem Gürtel griff, da wurde sie auch schon von Ecker hochgehoben und auf sein Pferd gesetzt.
Ein selbstgefälliges Lächeln spielte um die Lippen des Offiziers, als er dabei zu Beran sah.
Gela bemerkte das Blickduell zwischen den Männern und zog furchtsam die Schultern hoch. Sie hätte Beran nie einen solch mörderischen Blick zugetraut, den er Ecker in diesem Augenblick zuwarf. Doch der Adelige zog nur die Augenbrauen hoch, während sich sein Lächeln gemein vertiefte. Dann schwang er sich hinter Gela aufs Pferd und ritt mit einem leichten Druck seiner Schenkel an.
Die Macht des Tempels Der Ritt zurück ins Dorf war für Gela eine Qual. Sie saß nicht gerne auf Pferden und die Nähe des unangenehmen Offiziers machte für sie alles noch unerträglicher. Als sich die ersten Häuser von Ulahs zeigten, atmete Gela erleichtert auf. Doch keine Menschenseele war zu sehen. Als sie weiterritten, wusste sie auch warum. Beinahe alle Dorfbewohner hatten sich auf dem Dorfplatz eingefunden.
Unter einem der Bäume stand eine große Kutsche mit den Intarsien des Tempels, eine dunkelrote Rose. Die Priesterin Adessa saß unter einer anderen Baumgruppe, auf die Sir Ecker zuhielt. Eingehüllt in ihre dunkelroten Roben unterhielt sie sich huldvoll lächelnd mit Gelas Vater und mit Sidgar, dem Landeigner von Ulahs. Die Magie flirrte dabei um sie wie ein Schutzkreis. Gundi, die Witwe des Gemüsehändlers stand nur daneben und starrte, wie die restlichen Dorfbewohner, ehrfürchtig auf die hohe Frau. Gela wunderte sich nicht darüber. Priesterinnen sah man nicht allzu oft außerhalb ihrer Tempel.
Eigentlich sah man sie so gut wie nie außerhalb ihrer Tempel. Heilerinnen wie Merith waren die große Ausnahme. Sir Ecker zügelte sein Pferd und blieb in der Nähe der Priesterin stehen. Die übrigen Ritter, die hinter ihnen mitsamt dem in Laken gehüllten Leichnam her ritten, hielten bei der Kutsche an. Gela war erstaunt, dass noch weitere Tempelritter herbei eilten, um den Leichnam in Empfang zu nehmen. Mit ihnen, den Männern um Sir Ecker, und jenen, die mit dem Toten zu ihnen gestoßen waren, mussten es etwa zwanzig Ritter sein, die mit der Priesterin in ihr Dorf gekommen waren. Eine ziemlich große Anzahl, wenn man
bedachte, dass es nur um einen Mann ging, den sie gesucht hatten. „Komm, steig ab, wir sind da!“ Auffordernd hielt ihr Sir Ecker seine Hand hin, um ihr vom Pferd zu helfen. Gela hatte gar nicht bemerkt, dass er bereits abgestiegen war. Mit glühenden Wangen sprang sie vom Pferd, ohne auf seine Hand zu achten. Dabei überschätzte sie die Höhe und wäre gestrauchelt oder gar hingefallen, wenn sie der Offizier nicht im letzten Augenblick noch aufgefangen hätte. Ihre Wangen brannten noch mehr und sie taumelte etwas, bis sie wieder ihr Gleichgewicht fand. „Gela!“, hörte sie die besorgte Stimme
ihres Vaters und sah ihm entgegen, dankbar Eckers selbstgefälligem Lächeln entgehen zu können. Doch die Priesterin hielt Dakan mit einem kleinen Wink ihrer behandschuhten Hand auf. „Verzeiht, Dorfvorsteher, aber Ihr müsst warten. Wir dürfen kein Risiko eingehen.“ „Sehr wohl, Ehrwürdige“, antwortete Dakan und blieb unter dem Baum stehen, während die Priesterin aufstand und ihre Roben glattstrich. Anmutig warf sie ihr blondes Haar in den Nacken und setzte an zu ihnen zu gehen, als lautes Hufgetrappel und empörtes Schnauben zu hören war. Beran kam endlich auf dem alten
Packpferd herangeritten. Er kümmerte sich keinen Deut um die Tempelritter oder die Priesterin, sondern sprang noch im Reiten vom Sattel und lief zu Gela. Erleichtert wandte sie sich ihm zu, doch Ecker packte sie und zog sie zu sich zurück, während drei Tempelritter auf ihn zuliefen. Adessa hatte herrisch ihre behandschuhte Hand erhoben. „Niemand darf sich nähern, solange ich nicht alles untersucht habe!“ „Nein!“, rief Gela, als sie sah wie sich die drei Tempelritter auf Beran stürzten und ihn grob festhielten. Beran fluchte und bäumte sich in ihrer Umklammerung auf. “Lasst mich sofort
los!“ „Das ist nicht möglich“, erklärte Adessa bestimmt, während sie ihre Hand sinken ließ. “Wir müssen gerade in diesem Fall besondere Vorsicht walten lassen.“ Dann trat sie an Sir Ecker heran, wobei sie auf den eingewickelten Leichnam deutete, den die anderen Tempelritter gerade auf das Kutschendach banden. „Ihr bringt schlechte Nachrichten, Sir Ecker?“ „Ja, Ehrwürdige. Der Prophezeite ist tot und wir haben nichts von Bedeutung bei ihm oder in seiner Nähe gefunden. Aber das Mädchen und der Bauer dort-“ Abfällig deutete Ecker auf Beran, „haben ihn vor uns entdeckt.“
„Gab es Berührungen mit dem Toten?“ „Soweit wir erkennen konnten, haben ihn die beiden untersucht und danach mit Zweigen abgedeckt. Wir haben sie gründlich durchsucht, aber nichts bei ihnen gefunden.“ „Ich verstehe.“ Die Priesterin blickte kurz zu Beran, der immer noch gegen den festen Griff der Tempelritter ankämpfte, dann drehte sie sich zu Gela. Leicht strich sie ihr mit ihren behandschuhten Fingern über den Arm, während sie ihr durchdringend in die Augen blickte. Gela zuckte zusammen. Adessas Berührungen, so zart sie auch waren, hinterließen einen Kälteschauer auf ihrer
Haut, der sich bis in ihre Knochen fraß. Erstaunt blickte Gela in die Augen der Priesterin, die sich zu eisigen Splittern gewandelt hatten. „Ehrwürdige?“, fragte Gela unsicher, doch statt einer Antwort spürte sie wie die Kälte bis in ihr Hirn stieg. Mit einem Schmerzenslaut griff sie sich mit beiden Händen an den Kopf. „Lasst sie in Frieden! Sie hat den Toten nicht berührt! Ich war das!“, rief Beran und wand sich aus dem Griff der Tempelritter. Doch sie fassten ihn erneut, drückten ihn auf den Boden und drehten ihm die Hände auf den Rücken. Gelas Schmerz ebbte langsam ab. Vorsichtig befeuchtete sie ihre trockenen
Lippen, während sie entsetzt zusah, wie einer der Soldaten Beran mit seinem Stiefel ins Genick stieg. „Das wollte ich immer schon tun, Emporkömmling!“, sagte er dabei. Beran konnte gerade noch den Kopf zur Seite drehen, um nicht im Staub zu ersticken. „Priesterin!“, rief Sidgar aufgebracht und stieß seinen Stock mit dem Hirschhornkauf in den Boden. „Das ist mein Sohn!“ „Ihm wird nichts geschehen, Landeigner!“, betonte Adessa. „Das verspreche ich Euch!“ Mit einem leichten Nicken zog sich Sidgar zurück, da bahnte sich Hanndal, der ganz am Rand gestanden hatte,
seinen Weg durch die Dorfleute.. „Lasst die beiden sofort los!“, dröhnte seine Stimme über den Platz. Wie beiläufig schob er dabei die Ritter beiseite, die ihm den Weg versperren wollten. „Halt! Ihr habt die ehrwürdige Adessa gehört! Niemand darf sich nähern!“, rief einer der Ritter, doch unbeeindruckt schüttelte Hanndal alle Versuche ab, ihn zu fassen und stürmte auf sie zu. Ein gezielter Hieb gegen seine Schläfe brachte ihn schließlich zu Fall. Mitten vor den gaffenden Dorfleuten brach er zusammen. Der Ritter blieb mit erhobenem Schwert über ihm stehen, doch Hanndal rührte sich nicht mehr. Gela erstarrte vor Schreck. Sie sah wie
ihr Vater zu Hanndal eilen wollte, doch bevor er zu ihm kam, drängte sich bereits ihre Freundin Sina durch die Reihen der Dorfleute und kniete sich zu ihrem Bruder. Ihre langen roten Haare legten sich wie ein Schleier um sie und den Verletzten. „Wollt Ihr wirklich einen wehrlosen Mann erschlagen?“, fragte sie, als sie zu dem Ritter aufsah, der immer noch mit drohend erhobenem Schwert dastand. Ohne den Ritter eines weiteren Blickes zu würdigen, begann Sina die Blutung an Hanndals Schläfe zu stillen. Der Soldat murmelte etwas, steckte sein Schwert aber schließlich wieder zurück. Verzweifelt wandte sich Gela an die
Ehrwürdige. „Warum tut Ihr das?“ Die Priesterin sah sie bedauernd an. „Der Mann, den ihr gefunden habt, hat die Grenze nach Balderon übertreten und ist wieder nach Bresseran zurückgekommen, was eigentlich unmöglich ist. Leider starb er, bevor wir ihn befragen und untersuchen konnten. Jetzt machen wir uns natürlich Sorgen, dass er den Fluch Balderons an euch weitergegeben hat, da ihr ihn ohne Schutz angefasst habt.“ „Heißt das, es geht jetzt ein Fluch von uns aus?“, fragte Gela. Die Priesterin neigte ihr Haupt. „Das wissen wir noch nicht. doch wenn es so ist, können wir euch im Haupttempel
helfen. Ihr habt nichts zu befürchten.“ Gela entkam ein erstickter Laut und sie fuhr sich mit ihrer Hand an die Kehle. Adessa trat inzwischen dicht an Ecker heran. „Wir müssen beide mitnehmen. Ich habe in ihrem Geist nichts erkennen können. Untersucht sie dennoch nochmals nach dem Artefakt.“ „Sehr wohl, Ehrwürdige.“ Ecker verneigte sich leicht, dann wandte er sich an Gela und streckte ihr auffordern seine Hand entgegen. „Komm.“ Gela zitterte und sah in die Runde. Furchtsame oder sorgenvolle Blicke richteten sich auf sie, während sie stolpernd. dem Offizier folgte. „Ehrwürdige Adessa, steht es wirklich so
schlimm um unsere Kinder?“, fragte Dakan die Priesterin. „Was wird mit meinem Sohn?“, warf Sidgar ein und schlug nochmals seinen Stock in den Boden. „Haben wir vielleicht etwas zu befürchten?“, wagte auch Gundi zu fragen. Die umstehenden Dorfleute nickten dazu, einige murmelten. „Ihr habt nichts zu befürchten“, sagte die Priesterin, während das magische Flirren um sie stärker wurde. „Euren jungen Leuten können wir im Haupttempel helfen, falls sie sich an dem Toten infiziert haben. Wir nehmen sie zu ihrem eigenen Schutz mit. Es wird ihnen nichts geschehen.“
Adessa wandte sich den Tempelrittern zu, die Beran festhielten. „Bringt ihn ebenfalls zur Kutsche.“ Beran, der endlich wieder genug Luft bekam sträubte sich auf das Heftigste und fluchte, dass sein Vater sichtlich erbleichte. „Verzeiht sein Temperament…“, murmelte dieser betreten, was Beran nicht hinderte weiter Unflätiges von sich zu geben, während er zur Kutsche geschleift wurde. Die Priesterin drehte sich zu den Dorfbewohnern. Ihre Magie umgab sie dabei wie ein Strahlenkranz und verlieh ihrer Schönheit etwas Überirdisches.
Sie hob ihre behandschuhte Hand, als sie erneut zu sprechen begann. „Euer Dorf ist der Grenze zu den Magischen am nächsten. Dennoch habt ihr immer in Frieden leben können. Wir tun auch weiterhin alles, die Grenze trotz des Vorfalls aufrecht zu halten. Ihr habt nichts zu befürchten. Zu eurer Beruhigung werden einige unserer Ritter bei euch bleiben. Gela sah wie ein Aufatmen durch die Menge ging. Auch ihr Vater wirkte beruhigter. Einen letzten Blick warf sie noch auf Hanndal, doch ihrem Bruder ging es bereits besser. Mit einem breiten Lächeln sah er auf Sina, die ihm gerade half, sich
aufzusetzen. „Jetzt komm schon“, drängte sie Ecker, der ihr die Wagentür aufhielt und mit einem Seufzen stieg Gela in die Kutsche ein. Drinnen war es stickig heiß, obwohl die Kutsche im Schatten abgestellt worden war. Gelas Gesicht brannte vor Scham, als Ecker sie betont vorsichtig absetzte und dabei mit seinen Augen verschlang, während seine Hände tastend über ihren Körper glitten. Nur langsam löste er seine Arme von ihr und machte den beiden Rittern Platz, die Beran in die Kutsche zerrten und gegen die Rückwand warfen. Er wehrte sich mit Tritten, doch lachend rieben sie sich ihre
Harnische ab, an denen gerade einmal leichte Dellen zu bemerken waren. „Ohne dein Schwert oder Sir Schwendrich im Rücken bist du plötzlich nicht mehr als ein einfacher Bauer, Sohn des Landeigners!“ spöttelte einer von ihnen. „Arrogantes Pack!“, fluchte Beran und Gela zuckte schreiend zusammen, als einer der Ritter seinen Handrücken quer über Berans Gesicht schlug. Blut troff aus seiner Nase und sickerte aus seinem Mundwinkel. Verächtlich spie er es dem Tempelritter vor die Füße. Der Soldat erhob seinen Arm zu einem weiteren Schlag, doch Ecker fasste dazwischen. „Erides! Es reicht. Lass aufsitzen, wir
haben einen langen Weg vor uns. Du und deine Männer begleiten mich. Die anderen bleiben zum Schutz des Dorfes hier.“ „Jawohl, Sir Ecker!“, salutierte der Mann. Dabei sah er drohend auf Beran und stieg aus der Kutsche. Mit einem letzten, langen Blick auf Gela folgte Ecker. Beran wischte sich das Blut mit seinem Ärmel ab, dann rutschte er zu Gela, die sich in der hintersten Ecke zusammengekauert hatte. „Geht es dir gut? Hat dieses Schwein dir etwas getan?“ „Nein“, sagte sie und rückte näher an Beran heran, der sofort seinen Arm um
sie schlang. „Aber was ist, wenn wir durch die Berührung mit dem Toten wirklich mit einem Fluch belegt wurden!“ „Sicher nicht!“, erwiderte Beran vehement. „Aber der Tote kam tatsächlich aus Balderon! Du hattest völlig Recht!“ Gela fuhr auf und drückte sich aus Berans Umarmung heraus. „Wer weiß, was er von dort mitgebracht hat. Vielleicht geht von uns jetzt wirklich eine Bedrohung für unser Land aus. Das wäre furchtbar!“ „Lass dich nicht verrückt machen! Ich spüre nichts von einem Fluch. Dieser schleimige ‚erste Ritter‘ zu Bress stört
mich weitaus mehr. Ecker ist ein intriganter Bastard!“ Gela schüttelte sich „Erinnere mich bloß nicht an den“, flüsterte sie und verstummte, als die Priesterin in das Innere der Kutsche stieg. Mit einem eleganten Schwung raffte die hohe Dame die vielen Falten ihres Gewandes und trat näher. „Habt ihr es euch schon bequem gemacht?“, fragte sie, als sie sich den jungen Leuten gegenüber niederließ. Dabei drapierte sie sorgfältig die dunkelrote Robe um sich und zog ihre fein gearbeiteten Handschuhe aus. Langsam begann sich die Kutsche in Bewegung zu setzen.
„Was fürchtet Ihr alten Vetteln so, dass Ihr uns gefangen nehmen müsst?“, fragte Beran, während er Adessa herausfordernd ansah. „Beran!“, rief Gela entsetzt und griff nach seinem Arm. „So darf man nicht mit einer Ehrwürdigen sprechen!“ „Und warum nicht?“ Beschwichtigend legte er seine Hand auf ihre klammen Finger, wich aber nicht zurück, sondern blickte weiterhin finster zur Priesterin. „Lass nur, Mädchen“, meinte die Ehrwürdige gnädig, während sie ihre blonden Haare zurückstreifte. „Der junge Mann ist nur aufgebracht.“ Nachdenklich musterte sie Beran, der
ihren intensiven Blick fest erwiderte. Er blinzelte nicht einmal. „Beran“, wiederholte Adessa langsam. „Der Beran etwa? Sir Schwendrichs Schüler, der Sir Rufolds Angebot ausschlug?“ Misstrauisch nickte er. „Ja? Und?“ „Soviel ich weiß, nimmt sich Sir Schwendrich nur besonderen Talenten aus dem Hochadel an“, überlegte die Priesterin und musterte Beran interessiert von oben bis unten. „Wie geschah es, dass der Sohn eines Landeigners zu solch einer Ehre kommt? Und dann noch den Hochmut besitzt, dieses einmalige Angebot auszuschlagen?“
Beran verzog die Mundwinkel. „Sir Schwendrich fragte nicht nach meiner Herkunft. Ihm gefiel, was ich mit dem Schwert zu bieten hatte, und die Empfehlung meines Onkels Selos.“ „Selos? Der Name sagt mir nichts. Er war kein Tempelritter, oder?“, fragte Adessa. „Nein. Selos war Gardist des Königs und ein Schüler Sir Schwendrichs. Nach einer verheerenden Kriegsverletzung kam er zur Genesung auf das Gut meines Vaters und brachte mir all sein Wissen im Schwertkampf bei. Er ist der Bruder meiner Mutter.“ „Ich verstehe. Dennoch gab es in
unserer Geschichte noch niemanden, der das Angebot ausschlug, Offizier der Tempelritter zu werden. Normalerweise muss man sich diese Privilegien erst verdienen. Als Sir Schwendrichs talentierter Schüler hattest du dagegen alle Möglichkeiten.“ Ihre Stimme wurde neugierig. „Warum, Beran? War es tatsächlich Hochmut?“ „Ich denke nicht, dass man das Hochmut nennen kann“, erwiderte er, „Ich verachte den Tempel und wollte ihm niemals dienen.“ Zischend sog Gela an seiner Seite die Luft ein. „Beran!“, hauchte sie entsetzt und begann heftig an seinem Ärmel zu ziehen.
Doch Beran sprach einfach weiter, während er sanft ihre Hand festhielt. „Ich habe mich stattdessen bei der Königsgarde verpflichtet, doch als ich erfuhr, dass Gela nach Uhlas zurückgekehrt ist, wollte ich zuvor noch unbedingt nach Hause und zu ihr. Dabei überwarf ich mich auch mit Sir Schwendrich.“ „Verstehe“, sagte Adessa nach einer Weile. Gela rutschte verlegen auf ihrem Sitz herum. „Ich nicht. Warum wegen mir...?“, fragte sie und blickte Beran an. „Du hast mich doch immer nur gehänselt, bevor ich in den Tempel
ging.“ „Bei den Göttern, Gela!“ Beran warf seine Arme in die Luft. „Ist denn das wirklich so schwer zu verstehen? Ich war damals verliebt in dich aber leider zu unbeholfen, um es dir zu zeigen. Außerdem hätte Hanndal Hackfleisch aus mir gemacht, wenn ich auch nur einen längeren Blick auf dich geworfen hätte. Du warst erst vierzehn!“ Gela wich alle Farbe aus dem Gesicht. Beran war in sie verliebt gewesen? Davon hatte sie nichts geahnt. Vielleicht wäre ihr Leben anders verlaufen und sie hätte tatsächlich auf Beran gewartet und wäre nicht in den Tempel gegangen. Auch nicht mit diesem brennenden
Wunsch Heilerin zu werden. Doch geschehen war geschehen. Beran ergriff ihre Hand. „Als ich hörte, dass du aus dem Tempel ausgewiesen wurdest, musste ich es einfach probieren, ob es nicht doch eine Chance für mich gibt.“ „Dafür hast du dich sogar mit deinem Schwertmeister überworfen?“ „Ach was!“, rief Beran. „Der alte Zausel hat einfach überreagiert. Er wollte mir verbieten zu gehen, nachdem meine Großmutter ihm sagte, dass ich in mein Unglück laufen würde. Verstockte Alte, alle beide! Ich wäre ja nicht ewig weggeblieben.“ Gela sah Beran ungläubig an.
Beran rieb sich über die Stirn. „Ja, was soll ich machen? In meiner Wut habe ich Sir Schwendrich sogar das kostbare Schwert vor die Füße geworfen, das er mir geschenkt hatte.“ „Und das alles wegen mir? Du verspottest mich wieder!“ „Nein, glaub mir, das ist die Wahrheit.“ Ernst blickte Beran sie an und Gela spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Verlegen entzog sie Beran ihre Hand. „Das… kommt alles so plötzlich … ich bin verwirrt.“ Sie schüttelte den Kopf und strich sich nervös über ihren dunklen Zopf. Dann blickte sie beschämt auf ihre Finger, die sie fest
ineinander knetete. „Ich … war auch verliebt in dich … damals ...“ Scheu blickte sie wieder zu Beran auf. „Aber es ist so viel Zeit seither vergangen, wir sind auch nicht mehr dieselben. Und … und auch wenn ich nicht mehr im Tempel bin, in meinem Herzen bin ich immer noch Novizin. Das … das wird sich nicht so schnell ändern.“ Berans Lächeln zauberte sich breit auf sein Gesicht. „Damit kann ich leben. Dann warte ich halt, bis du soweit bist. Und bis dahin zeige ich mich von meiner besten Seite.“ Schüchtern lächelte Gela zurück. Sie ließ sogar zu, dass Beran sie in den Arm nahm und legte zögerlich ihren Kopf auf
seine Schulter, während sich Adessa ganz ruhig auf ihrem Sitz zurücklehnte. Die Fahrt in der rüttelnden Kutsche dauerte. Gela schlief an Berans Schulter und seiner Schätzung nach müssten sie bald in Uhn sein. Uhn war die nächstgelegene Stadt und Sitz eines der größeren Tempel. Trotz der Eintönigkeit der Reise war er hellwach geblieben. Jeden Zentimeter der Kutsche hatte er mit seinen Blicken untersucht und sämtliche Möglichkeiten einer Flucht durchgespielt. Er fand nur keine, in der er Gela nicht einer direkten Gefahr ausgesetzt hätte. Mitten in den schaukelnden Bewegungen
der langsamer werdenden Kutsche wurde die Kutschentür plötzlich von Sir Ecker aufgerissen. „Ehrwürdige Adessa, ich muss Euch unbedingt mitteilen, dass-“ Berans Reaktion war reiner Reflex. Er hatte aus den Augenwinkeln die Kutschentür aufschwingen sehen, als er sich schon mit einem Sprung zum Rahmen des Wagens bewegte, sich daran durch die offene Tür schwang und seine Beine fest nach außen stieß. Er spürte den harten Widerstand, als sie auf Eckers Körper trafen. Mit einem Ausruf des Schreckens wurde der Offizier vom Pferd geworfen. Die Kutsche war noch in Fahrt, Ecker lag im
Staub und ein gesatteltes Pferd trabte neben der offenen Tür. Beran zögerte keine Sekunde. Er nutzte seinen Schwung, ließ den Kutschenrahmen los und kam auf dem herrenlosen Pferd zum Sitzen. Ein wenig schlingerte er im Sattel, krallte sich in die Mähne des Tieres und drückte ihm seine Schenkel in die Seiten. Das Pferd wieherte protestierend, gab aber der neuen Führung nach und folgte Beran an die Seite des stehen bleibenden Gefährtes. Mit einer Hand hielt sich Beran am Türrahmen fest und rief fordernd in das Innere: „Komm, Gela!“ Doch Gela saß wie versteinert auf ihrem Platz und sah mit schreckgeweiteten
Augen auf ihn. Adessa hielt ihre Hand über sie und hatte sie mit einem Zauber gebannt. „Beran! Nicht!“, hörte er noch ihren verzagten Ruf, dann musste er loslassen, denn die übrigen Soldaten waren schon bei ihm und versuchten, Gewalt über sein Pferd zu bekommen. Mit einem frustrierten Schrei trat Beran einem der Ritter mit seinem Stiefel gegen das ungeschützte Bein. Dann drückte er seine Schenkel zusammen, drehte den Kopf seines Reittiers in Richtung der Wälder und brachte sich aus der Umzingelung der Tempelritter. In gestrecktem Galopp preschte er auf den Wald zu. Hinter sich hörte er Tumult und Eckers Flüche. Doch die
Soldaten, die sich aufmachten ihn zu verfolgen, konnten ihm nicht mehr nahe kommen. Er hatte ein schnelles Pferd unter sich und ohne Rüstung war er auch leichter. Schon nach wenigen Minuten wurde das Getrappel seiner Verfolger immer leiser. Es verlor sich komplett, als er schließlich in den Wald von Uhn eintauchte, der ihn bereitwillig aufnahm.
LunaBielle Ich bin irgendwo in der Mitte stehen geblieben und hab jetzt einfach beschlossen, die Komplettfassung zu lesen, da es schon so viele einzel Kapitel sind, dass ich glaub ich hier schneller durchkomme und auch flüssiger lesen kann. Kommentar zum Buch folgt, wenn ich durch bin, oder vielleicht mal zwischendurch! :) |
Terazuma Hi Luna! Danke für die Coins und das Favo! Freut mich sehr, dass du zur Komplettfassung gefunden hast. Ich finde es ehrlich gesagt auch leichter in einem ganzen Buch zu lesen, vor allem, wenn man einmal irgendwann den Anschluss verpasst hat.^^ Bin schon sehr gespannt, wie dir die Story zusagt. ^^ LG Tera |
EagleWriter Und ebenfalls eingesackt^^. lg E:W |
EagleWriter Und ich bin nach wie vor der Meinung, die Geschichte könnte eine Fortsetzung verdienen ^^ lg E:W |
Terazuma Hach wie schön! ^^ Freut mich, dass es dich so angesprochen hat, dass du gerne eine Fortsetzung hättest! Ehrlich gesagt, habe ich schon an ein Prequel gedacht - an Wardens Geschichte. Aber auch eine Fortsetzung käme in Frage, denn es ist ja gerade einmal die Spitze des Eisbergs abgetragen worden. Die ganzen internen Streitereien der Elfen und der Blutdurst der Nachtmahre sind ja absolut noch nicht behoben. Die fangen ja gerade erst an. ^^ Aber zuerst kommen jetzt wieder die Wölfe dran. Da habe ich ja auch noch einiges vor und das nächste Kapitel ist so gut wie fertig. Ich hoffe, du erinnerst dich noch. XDDD Meinen Urlaub musste ich ja irgendwie nutzen. ^^ LG Tera |
EagleWriter Bin gespannt. Und ich hab endlich wieder eine Stelle. Damit kann ich es auch rechtfertigen wieder mehr Zeit mit Schreiben zu verbringen^^ lg E:W |
abschuetze Wie versprochen. Das Buch gehört mir :)) |