Nebenbeitrag FB 41
Vorgaben:
Titel "Die Nacht des Jägers"
Bildbeschreibung (en) als Teil der Geschichte: verwendet: "Mann auf Brücke" und "Blondine im Schlafgemach"
Begriffe:
KERZENWACHS - KATAKOMBEN - BÜSTENHALTER - BEGRABEN - QUERULANT - BELAUSCHEN – HUMMEL-LOHNSTEUERJAHRESAUSGLEICH - DIAPHRAGMA
Die Nacht des Jägers
Mitten in der Besprechung zum diesjährigen Lohnsteuerjahresausgleich stürzte die blonde Sekretärin mit verweinten Augen ins Besprechungszimmer: „Haben sie schon die Morgenzeitung gelesen?!“
Die Herren schüttelten unwillig den Kopf ob der Störung. „Was gibt es denn, Fräulein Maier?“
Sie begann aus der Zeitung, die sie in der Hand hielt, vorzulesen: „ In der Nacht zu Freitag verstarb nach einem tragischen Unfall der Patentanwalt Dr. Marvin Müller. Der stets auf der Jagd nach Neuigkeiten zu beobachtende Forscher testete ein altes Kerzenwachsexperiment.
Es misslang und sein Haus sowie er selber wurden Opfer der Flammen. Man fand seinen Leichnam begraben unter zusammengestürzten Trümmern.
Der als Jäger der Nacht bekannte Katakombenforscher hatte zuletzt Patente zum Diaphragma, zum Büstenhalter und das historische Gesetz zum Urheberrechtsschutz von Nepomuk Hummel in dem unterirdischen Aktenlager entdeckt und vor der Vernichtung gerettet. Der oft in seinem Forschungsdrang und seiner Genauigkeit als Querulant bezeichnete Ingenieur wird im Patentamt eine Lücke hinterlassen. Ihm zu Ehren stellt die Stadt oberhalb des Eingangs zu den Katakomben auf der Flußbrücke eine Plastik
von ihm auf. Wie die Redaktion erfuhr, stand er genau dort sehr oft abends an der alten Gaslaterne, ans Brückengeländer gelehnt, in seinen Trenchcoat gehüllt, den Hut ins Gesicht gedrückt und schaute auf den Fluss, während über ihm die grauen Wolkenfetzen eilten und die Bäume sich im Wind wiegten.“
Fräulein Maier schniefte in ihr Taschentuch: „So schön geschrieben. Ach wenn er doch nur nicht so verrückte Sachen gemacht hätte“, murmelte sie. Keiner wusste, dass sie an jenem Abend vergeblich auf ihren Marvin, Patentanwalt Dr. Diplomingenieur Müller, gewartet hatte. Sie träumten beide von einem romantischen Wochenende.
Sie saß auf dem Bett, im schwarzen
Satincorsagebody, mit feinen halterlosen spitzengesäumten Netzstrümpfen, den Perlenschmuck um Hals und Arm, eine schwarze Tüllschleife im hochgesteckten blonden Haar. Der Leuchter mit den Kerzen stand schon auf dem Nachttischchen mit den geschwungenen Beinen. Sie rief ihn an, belauschte angestrengt das Freizeichen, immer wieder, doch er ging nicht ans Telefon. Das ganze Wochenende nicht. Erst die Zeitungsmeldung am Montag früh hatte ihr erzählt, warum sie an diesem Wochenende und von nun an einsam sein würde.
Die Herren der Chemie-Gmbh, die von Dr. Müller oft beraten worden waren, beendeten
ihre Zusammenkunft schweigend. Sie ließen die schluchzende Sekretärin, an den Türrahmen des Konferenzraumes gelehnt, zurück.