Die nacht des Jägers
Mein Name?
Ich habe keinen Namen – oder besser gesagt nicht mehr. Er tut auch nichts zur Sache. Ich habe mich einfangen lassen, bin in seine Falle getappt, wie ein unreifer Schuljunge. Mittlerweile berührt es mich nicht mehr. Viel zu lange lebe ich schon als Jäger, als Sammler der Seelen für meinen Schöpfer und seine Unersättlichkeit.
Kurz lehne ich mich an das Geländer der Brücke auf der ich stehe, presse mein
Zwerchfell damit fest zusammen und blicke auf das Wasser unter mir. Das Zusammenpressen meines Brustkorbs macht mir nichts aus, denn mein Diaphragma zieht keinen Atem mehr in meine Lungen. Ich brauche keine Luft, um zu leben. Was ich brauche ist Blut. Viel Blut. Glucksend muss ich lachen, als ich auf das Wasser unter mir blicke, das meinen Blutdurst noch weiter entfacht. Es erinnert mich zu sehr an den Strom des Blutes, der heute noch meine Kehle hinablaufen wird.
Auf der Brücke bin ich gegen den vom Mond erhellten Nachthimmel gut auszumachen, in dem Trenchcoat und mit
dem alten Hut auf dem Kopf. Eine lächerliche Verkleidung. Doch der Mann, dem ich sie abnahm, braucht sie nicht mehr und es riecht nach Regen.
Ich glaube, er spürte nicht einmal was über ihn kam. Ich nahm sein Blut und stillte meinen brennenden Hunger. Seinen Körper zog ich hinab in die verborgenen Katakomben, die unter der alten Kapelle liegen und von deren Existenz niemand weiß. Berge von Knochen der Pestopfer vergangener Zeiten liegen hier begraben und mit jedem Opfer, das ich ausgesaugt hier herunterschleppe werden es mehr.
Verborgen in absoluter Dunkelheit lasse
ich die Leiber von Ratten fressen, bis nur mehr die blanken Knochen bleiben, während die Seele des Unglücklichen von meinem Schöpfer aufgezehrt wird. Doch das kümmert mich schon lange nicht mehr. Mein Körper spürt nicht die Härte des Bodens oder die spitzen Knochen, wenn ich bei Tagesanbruch wieder in die Katakomben husche. Ich schlafe auch nicht. Still sitze ich in der Dunkelheit und höre den Ratten bei ihrem Mahl zu. Oder den gepeinigten Schreien der Seelen, die mein Schöpfer schmatzend in sich aufnimmt.
Eines Tages wird meine Zeit als Jäger zu Ende sein. Dann werde ich genügend
Seelen für meinen Schöpfer gesammelt haben, damit er seinen Platz im Reich der Dunkelheit als einer der Höllenfürsten einnehmen kann. Dann werde ich an seine Stelle treten und einen Jäger erschaffen. Doch noch ist es nicht soweit. Noch habe ich Zeit mich selbst am Blut meiner Opfer zu ergötzen.
So wie gestern, als ich unbemerkt über die Dächer glitt. Offene Fenster laden mich ein und wer bin ich, so eine Einladung auszuschlagen? Eine leise Stimme lockt mich an und ich hocke mich auf das Fenstersims. Kurz belausche ich das Gespräch der blonden Frau vor mir. Sie telefoniert. Dabei sitzt sie auf ihrem Bett, in ihren
Netzstrümpfen und ohne Büstenhalter. Stattdessen trägt sie einen schwarzen Body, der ihre schlanke Figur umschmeichelt. Aber schon lange lassen mich solche Reize kalt. Ihr Blut jedoch, das ich aufgeregt in ihren Adern pochen hören kann, bringt meine Glieder zum Zittern.
Ich springe in den Raum, eine schwarze Gestalt, weder Mann noch Dämon und der Wind, den mein zerschlissener Umhang dabei erzeugt, lässt die Kerze auf der Kommode erlöschen und das Kerzenwachs gegen die Wand spritzen. Die Frau kam nicht zum Schreien. Viel zu geübt bin ich darin meine Opfer
schnell zu töten und mich an ihrem noch warmen Blut zu laben.
Die junge Frau war mein letztes Opfer gestern Nacht. In den Katakomben saß ich dann und lauschte, wie die Ratten auch ihren schönen, makellosen Körper in ein unansehnliches, angenagtes und ausgeweidetes Stück Fleisch verwandelten. Nur ihre Seele schrie nicht wie all die anderen, als mein Meister sie verschlang.
Leise setzt langsam der Regen ein. Ich entferne mich von der Brücke und ziehe
den alten Hut noch tiefer in mein Gesicht. Auf diese Weise kann ich beinahe wie ein normaler Mensch durch die Gassen gehen. Keiner wird Verdacht schöpfen, außer er kommt mir so nahe, dass er den Verwesungsgeruch der vielen Leichen, mit denen ich mein Versteck teile, an mir riecht. Heute möchte ich nicht über die Dächer gleiten. Bei dem Regen wird kaum ein Fenster einladend offen stehen.
So pirsche ich durch die Nacht, durch meine Nacht, die Nacht des Jägers. Der leichte Regen ist in einen Wolkenbruch übergegangen. Ich husche durch die Straßen, bis mir eine späte Passantin
begegnet. Sie hat keinen Schirm, nur eine hässlichen, breitkrempigen Hut, dessen aufgesteckte Blume nicht einmal der strömende Regen herabschwemmen kann. Sie sieht mich nicht, so wie ich in der dunklen Nische hocke und auf ihr Näherkommen lauere. Ihr pochendes Blut kann ich bereits hören und ich lecke gierig meinen Geifer von den Zähnen. Dann springe ich auf, reiße ihr den Hut und den Mantel herab, um besser an ihren Hals zu kommen, in den ich mit Genuss meine Zähne schlage. Ihr Blut ist warm und fließt meine Kehle herab. Ihren schlaffen Körper zerre ich in meine dunkle Nische. Viel zu schnell ist es vorüber und ich lehne mich zufrieden
zurück und lecke mir die letzten Blutstropfen von meinen Lippen.
Unbeachtet weicht der grauenhafte Hut im Rinnsal der Straße auf. Der Mantel liegt zerrissen daneben. Triumphierend blicke ich auf den leergesaugten Körper meines Opfers. Ihr Kleid, das sie trägt ist mindestens genauso hässlich wie ihr Hut. Es ist quergestreift und liegt eng an ihrem etwas fülligen Körper an. Sie sieht damit aus wie eine Hummel. Dass mich solche Kleinigkeiten nach all den Jahren noch stören, erheitert mich. Dann reiße ich ihr auch das hässliche Kleid vom Leib und schleudere es zu den Resten des Mantels. Meine lächerliche Verkleidung
folgt.
„Komm, die Ratten warten bereits. Und mein Meister. Außerdem ist meine Nacht noch nicht vorbei.“
Natürlich antwortet sie mir nicht mehr. Aber ich habe mir angewöhnt mit meinen Opfern zu reden. Nur um nicht alles Menschliche zu vergessen. Zumindest solange sie noch Fleisch auf ihren Knochen haben. Sind die Ratten erst einmal fertig mit ihnen, bin ich es ebenfalls.
Als ich wieder in den Katakomben bin, ist alles wie immer. Die Leiche kommt auf den Berg der bereits angenagten
Körper, ihre Seele wird hinabgezogen in die Kammer des Meisters, der von meinem Blutdurst gemästet wird. Ich höre sein zufriedenes Schnaufen und die verzweifelten Schreie der Seele. Viel fehlt nicht mehr, bis die Kammer der Seelen voll ist und er sich sattgefressen hat. Auch heute werden noch weitere Seelen dazukommen, denn meine Nacht ist noch nicht zu Ende und mein Blutdurst wird nie versiegen...