Fliegen wir schon?
Eine abenteuerliche Reise mit einer tollkühnen Freundin
Endlich war er da, der Tag, soooooo lange haben wir darauf gewartet, geschuftet und gespart, bis wir unseren lang ersehnten Urlaub antreten konnten. Die Nachsaison in Ägypten war für Feriengäste unseres Breitengrades gerade gut genug, herrlich temperierte See, reichlich Fisch, nicht nur essbar, sondern auch in erreichbarer Tiefe sichtbar.
Schnorchler und Taucher trampelten sich bereits auf den Tauchbooten auf den
Füßen, unter Wasser war es wie auf dem Rummelplatz. Von wegen Fische gucken, aufpassen, dass die Flossen des voraus schwimmenden Tauchers einem nicht die Tauchmaske vom Gesicht fegte.
Aber dies nur am Rande bemerkt.
Bevor ich mein Gepäck die Treppen hinunter schleppte, vergewisserte ich mich noch einmal, ob ich auch das Wesentliche, neben meiner Tauchausrüstung, verstaut hatte. Startklar packte ich meinen Koffer in meinen Golf, der leider nur wenig Raum für Gepäck bot, aber die Rückbank barg noch genug Platz für die Reiseutensilien meiner Freundin. So wie ich sie kannte, würde sie nicht nur mit einem Koffer
reisen. Ich warnte sie zwar, dass sie für dieses Land eher weniger Klamotten benötigte als vorgesehen, vor allem sollte sie, wenn machbar, alles in einen ihrer großen Koffer packen, möglichst wenig Handgepäck, da es beim Einchecken schneller gehen würde, und vor allem keine Flüssigkeiten in der Handtasche lassen.
Für Maren war es der erste Flug ihres Lebens, es bedurfte an Aufklärung in jeglicher Hinsicht.
Sichtlich nervös begrüßte sie mich, als ich am späten Abend direkt vor ihrer Haustür parkte, ich wusste schon im Vorfeld, dass es nötig war. „Wo willst du denn hin“, fragte ich
amüsiert.
„Wieso?“ war ihre entrüstete Gegenfrage. „Ach ich meine nur so, bei all dem Gepäck, du hast doch wohl nicht deinen ganzen Kleiderschrank leer geräumt?“ „Das ist doch nicht viel“, entgegnete Maren, „ich habe ein Menge wieder ausgepackt, weil ich den Koffer nicht schließen konnte.“ Ich blickte sie etwas verwundert an, denn bei all dem was sie noch so mit sich führte, benötigte sie wohl doch erheblich mehr Zeug als ich. Die Rückbank reicht aber völlig aus, und kein Gepäckstück musste zu Hause bleiben. Wir brausten gut gelaunt los, freuten uns auf alles, was das Land der Pharaonen zu bieten hatte.
Maren träumte von Tut Anch Amun, vom Tal der Könige, von den Pyramiden und dem Museum in Kairo. Ich hingegen wollte eigentlich nur ans Meer. Sand unter den Füßen spüren, die Sonne genießen und mindestens drei Mal täglich abtauchen. Strandurlaub nach Tauchermanier eben, etwas Kultur sicherlich, aber in Reichweite. Eine Tagestour von mehreren hundert Kilometern quer durch die Wüste bis zum Niltal, war eher nicht so mein Ding. Aber noch waren wir nicht dort. Am Flughafen angekommen, suchten wir uns einen Parkplatz, der nicht gar so weit vom Hauptgebäude entfernt war, immerhin verlangte das Gepäck von
Maren eine enorme Kraft und lange Arme, und je kürzer der Weg, um so besser. Ich fragte so nebenbei: „Wie viel Handtücher hast du eingesteckt, wir dürfen keines aus dem Hotel mit an den Strand nehmen? Und ich hoffe, du hast deine komplette kosmetische Ausrüstung auch in den Koffer gepackt, du weißt doch, keine Flüssigkeiten dürfen im Handgepäck an Bord gebracht werden.“ Verdutzt schaute sie mich an, dann ratterte es in ihrem Kopf, und sie schimpfte über ihre Vergesslichkeit. „Verdammt, ich habe die Handtücher wieder ausgepackt, sie liegen auf meinem Bett. Aber dafür habe ich meine Kosmetik und alles was man so braucht
in meinem Rucksack.“ „Na toll, den darfst du aber nicht mitnehmen an Bord, es sei denn, du bist damit einverstanden, dass sie dir bei der Kontrolle alles wegnehmen.“ „Wie meinst du das?“ „So wie es sagte“, bemerkte ich ernst, „alle Flaschen und Fläschchen mit Flüssigkeiten, bleiben zurück.“ „Die spinnen wohl“, meckerte Maren, „ich habe doch nur Parfüm, Bodylotion, Sunlotion, Zahncreme, Haarspray, Gesichtswasser und meine Tagescreme eingesteckt.“ „Klasse“, kommentierte ich, „das passt ja prima, volles Programm für Bombenentschärfer und Co.“
Mittlerweile waren wir im
Hauptgebäude, der Schalter hatte bereits geöffnet, und wir schleppten uns die letzten Meter bis zur Gepäckaufgabe. Es ging relativ schnell, bis zu dem Moment, als Marens Koffer gewogen wurde. 20 kg Gepäck waren erlaubt, mehr forderte eine Nachzahlung.
Leider hatte Maren ihre Geldbörse im Koffer und somit musste er wieder her geholt werden.
Ich wollte ihr aushelfen, aber sie meinte, dass es besser wäre, wenn sie das Portemonnaie bei sich hätte. Da war etwas Wahres dran, denn wir brauchten noch eine Menge Geld bis zum Abflug.
Wir reisten nämlich nur mit dem Personalausweis und für die Einreise
benötigt man entweder einen Reisepass oder ein Dokument, das die Ägypter zwar aushändigen, jedoch nicht ohne ein Foto. Tja, somit brauchten wir noch jemanden, der uns mal so eben portraitierte. Ein Automat war am anderen Ende der Halle, und weit entfernt von uns. Nun denn, wir liefen also durch die Halle, Zeit hatten wir noch genug, um Passfotos machen zu lassen. Ich setzte mich in das Ding, las die Anweisung und erhielt nach kurzen 5 Minuten meine Fahndungsfotos. Maren kletterte in den Automaten, jedoch sichtlich genervt, weil sie mit dem kleinen Spiegel auf Kriegsfuß stand, er gab sie leider nicht so wieder, wie sie es
gerne gehabt hätte. Die Haare lagen nicht, die Augen mussten nachgeschminkt werden und alles was der Computer als Bild anzeigte wurde gelöscht. Irgendwie verbrachten wir eine lange halbe Stunde damit, Maren in Position zu bringen und den Auslöser zu betätigen. Auch so kann die Zeit totgeschlagen werden. Mit den Fotos im Handgepäck bewegten wir uns endlich nach oben, um durch die Kontrolle zu gehen. Ich konnte ohne Probleme passieren, nichts piepte und meine Tasche war sauber. Langsam schlenderte ich weiter, im Glauben, dass Maren mit folgte. Dem war aber nicht so. Ich vergaß, dass ihre Kosmetik Probleme bereiten würde. Sämtliche
Flaschen wurden entnommen und sollten entsorgt werden. Sie protestiere heftig, es half aber nicht, wir mussten zurück und den Rucksack aufgeben. Jetzt drängte die Zeit, wir rannten hinunter und kamen noch rechtzeitig zum Schalter, bevor er geschlossen wurde. Mittlerweile war ich schweißnass und leicht genervt. Als nun auch der Rucksack seine Reise antrat, konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen und stichelte:
„Bist du sicher, dass du ihn so ziehen lassen willst?“ Maren sah mich vorwurfsvoll an, wischte sich ihren Schweiß von der Stirn und seufzte: „Ich fliege doch zum ersten Mal, woher soll ich das alles wissen.“ „Vielleicht, weil
ich es dir gesagt habe“, antwortete ich nicht gerade freundlich.
Jetzt konnten wir den langen Weg noch einmal hastig nehmen. Oben angekommen, rannte Maren durch die Kontrolle, sie war der Meinung eine reicht, wurde aber abrupt gestoppt, da wir uns wieder anstellen mussten. Also, alles noch einmal von vorne. Glimpflicher verlief dann die Passkontrolle und wir hatten freien Zugang zum Flugzeug. Meine Freundin zitterte am ganzen Körper und setzte keinen Fuß auf die Gangway. Mittlerweile wurde auch ich nervös, denn neben dem Bedürfnis eine Toilette aufsuchen zu wollen, hatte ich auch
Verlangen mich endlich entspannt hinsetzten zu können. Jemand schubste uns von hinten, und somit waren wir schneller im Flugzeug als ich es mir vorstellen konnte, nach dem Motto, Augen zu und durch. Maren war auf der Flucht, sie hechtete über die Gangway, als wäre jemand hinter ihr her, stürmte das Flugzeug und fiel förmlich der Stewardess in die Arme. Wenigstens war sie an Bord, mehr wollte ich nicht. Den Platz zu finden, der auf der Bordkarte stand, war auch nicht so einfach, vor allem, wenn man erschöpft sich einfach so auf einen der Plätze niederließ. Maren wurde aber dann höflich gebeten sich zu erheben, um ihren Platz
aufzusuchen. Im hinteren Teil der Maschine fand sie dann den Sitz, der ihrer war, mittig zwischen mir, ich saß am Fenster, und einer Dame, die seltsame Gesichtszüge offenbarte, als ob ihr der Platz nicht behagte. Nachdem Maren ihren Sitz einnahm, sich anschnallte, klappte sie das Tablett herunter, suchte nach der Kotztüte, blies sie auf und legte sie vor sich auf das Tablett. Die Dame schaute erschrocken auf die offene Tüte und versuchte Abstand zu gewinnen. Ich schubste Maren an und forderte sie auf, die Tüte wieder in das Netz zu stecken und das Tablett hoch zu klappen, sie schüttelte den Kopf und erklärte trotzig: „Wie soll
ich dann in die Tüte kotzen, wenn sie zu ist?“ „Dann halte sie fest“, flüsterte ich ihr ins Ohr, damit die anderen Passagiere nichts mitbekamen. Maren sah mich über ihre Brille hinweg an, griff nach der Tüte und steckte sie sich zwischen ihre Beine. Dann setzte sie sich aufrecht hin, legte ihre Hände auf den Vordersitz und starrte an die Decke. „Was ist nun schon wieder?“ fragte ich genervt. „So kotze ich nicht“, gab Maren zur Antwort. „Wir fliegen doch noch gar nicht, entspann dich doch mal, und bleib locker.“ „Wann fliegen wir denn?“ „Das merkst du schon, gleich geht es los.“ Sie blieb aber so sitzen. Ihre Sitznachbarin blickte verstohlen auf Maren und verzog
das Gesicht wiederholt zu einer Grimasse.
Nach einer Weile bewegte sich das Flugzeug langsam zur Rollbahn. Maren rief entsetzt: „Fliegen wir schon?“ und bohrte ihre verkrampften Finger in den vorderen Sitz, dabei starrte sie noch immer zu Decke. „Mein Gott Maren“, beruhigte ich sie, „wir rollen zur Startbahn, es dauert noch.“ „Sag mir aber wenn wir fliegen, ja, bitte.“ „Klar man, mach ich, aber jetzt setzte dich doch mal vernünftig hin.“ „Geht nicht“, war ihre knappe Antwort.
Das Flugzeug erreichte die Startbahn, drehte eine kleine Linkskurve und rollte noch ein kleines Stück bevor es mit
Vollgas über die Startbahn raste. Maren verdrehte ihre Augen und schrie: „ Fliegen wir schon?“ Ich antwortete nicht, schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit, allmählich war sie mir peinlich und hoffte, dass sie sich nicht übergeben musste. Als der Flieger vom Boden abhob, hob auch Maren ab. Als ob ihr Gesäß automatisch mit in die Luft ginge, jedoch im Gurt hängen blieb. „Fliegen wir jetzt?“ schrie sie wieder. Die anderen Fluggäste schauten neugierig auf Maren, teilweise amüsiert, teils entsetzt, nur ich nicht.
Als wir endlich die Flughöhe erreichten, die der Pilot für angebracht hielt, zog ich Maren zu mir herüber, sprach leise
zu ihr: „Gleich kannst du trinken und essen, dann geht es besser, du wirst abgelenkt.“ Marens Krampf ließ nach und ihre Hände fanden die Tüte zwischen ihren Beinen wieder. Sofort sprang die Dame links neben ihr auf und stand im Gang. Maren sah sie empört an, störte sich aber nicht weiter daran, und stopfte endlich die noch leere Kotztüte zurück in das Netz. Vier Stunden Flug lagen vor uns. Vier Stunden Chaos mit Maren.
Nach Kaffeegenuss und Tomatensaft, gab es endlich etwas zu essen. Die Stewardess reichte uns das Tablett und Maren stellte es neugierig auf den Inhalt ab. Lüftete das Geheimnis und blickte mit entsetzten Augen auf mein Tablett.
„Davon werde ich aber nicht satt“, bemerkte sie und wusste nicht wohin mit dem Deckel. Sie stopfte sich diesen, wie die Tüte zuvor, zwischen ihren Beinen und begann langsam das Besteck auszupellen. Es gab ein Nudelgericht, Cracker, Fischkäse, Pudding und alles schön verpackt. Ihr Tablett hatte eindeutig zu wenig Platz. Zuerst fielen die Deckelchen herunter, dann das Messer und zu guter Letzt die Cracker. Maren versuchte sich seitlich zu bücken, wühlte unten auf dem Boden nach ihren Crackern, fand sie aber nicht. Leise sagte ich ihr, sie solle es lassen, bevor alles unten läge, ich gäbe ihr meine, denn ich könnte auch ohne Cracker satt
werden. Sie akzeptierte diesen Vorschlag aber nicht. Die Dame links von ihr durfte nun ihren Tomatensaft halten, in weiser Voraussicht, nahm sie den Plastikbecher gerne entgegen, ich hingegen das Tablett mit dem noch vorhandenem Nudelgericht und dem Pudding, auch ich nahm dieses gerne in Empfang. Maren klappte das befestigte Tablett hoch, bückte sich erneut und fand ihre Cracker unter dem Vordersitz wieder. Jetzt ging es retour. Genüsslich essen, keine Spur, sie schlang alles hinunter, als ob ich ihre Mahlzeit stehlen würde. „Willst du deine Cracker selber essen?“ fragte Maren noch kauend. Ich reichte ihr meine und hoffte,
sie satt zu bekommen. Beim Abräumen hielt Maren ihr Tablett der Stewardess entgegen, achtete nicht auf die Dame links von ihr, die in diesem Moment auch ihr Tablett in die Hand nehmen wollte und wieder fiel alles zu Boden. Ich senkte meinen Kopf, lachte lauthals, dass mir dir Tränen in die Augen schossen. Ich entschuldigte mich und bat um Platz, da ich die Toilette aufsuchen wollte. Maren fand, dass das eine gute Idee wäre und lief vor mir her. Ich hoffte, dass die Toilette nicht auch noch eine Überraschung für sie übrig hatte. Aber dem war so. Sie verschloss die Türe, es dauerte eine Ewigkeit, die Schlange hinter uns wurde länger und länger. Ich
klopfte an die Tür, rief ihren Namen aber sie muckte sich nicht. Die Stewardess holte einen Schlüssel und öffnete die Tür von außen, Maren drückte aber dagegen. „Machen sie bitte die Türe auf“, befahl die sonst so freundlich Stewardess. „Das geht nicht“, war Marens Antwort. „Sie müssen nichts weiter tun“, rief die Flugbegleiterin in das kleine WC. „Das ist es ja“, rief Maren zurück, „ich mach doch gar nichts.“ „Dann kommen sie doch bitte da heraus“, rief die Stewardess jetzt verärgert. „Wie denn?“ Marens Stimme klang ängstlich. „Bleiben sie einfach ruhig und tun sie nichts“, schrie die junge Flugbegleiterin. Dann warf sie
sich gegen die Türe und sie sprang ein Stück weit auf. Maren war aber nicht bereit den kleinen Raum zu verlassen. Wie konnte sie auch, ihr Pullover hatte sich am Riegel der Tür verfangen und sie hing daran irgendwie fest. Die rettende Hand der Stewardess befreite sie aus ihrer verunglückten Position. Heil froh, dass sie diesem ungemütlichen Ort verlassen konnte, errötete sie mächtig, als sie an der Menschenschlange zurück zu ihrem Sitz torkelte. Und ich war erleichtert, endlich den Ort aufsuchen zu dürfen, der für Maren ein Gefängnis hätte werden können.
Die Dame am Gang stand sofort auf, als ich zurückkehrte, Maren jedoch blieb
sitzen und starrte mich an. Eine kurze Weile, dann fragte sie verdutzt: „Warum setzt du dich nicht?“ „Würde ich ja gerne“, erwiderte ich, „aber du lässt mich ja nicht. Ach was, bleib sitzen“, dabei kletterte ich über sie hinweg auf meinen Sitz und hoffte, dass die restliche Flugzeit ohne besondere Vorkommnisse verlaufen würde. Noch etwa eine Stunde bis zur Landung.
„Was passiert jetzt?" sichtlich verängstigt starrte Maren mich an. „Wir landen", war meine Erklärung. „Wo sind wir besser aufgehoben, im vorderen Teil oder im hinteren Teil der Maschine?" Ich verstand ihre Frage nicht. „Wie bitte?" „Na, wenn das Flugzeug abstürzt, oder
auseinander bricht, wo sind wir dann besser dran?" „Im hinteren Teil", besänftigte ich Maren, denn wir saßen im hinteren Teil der Maschine. „Gott sei Dank", schluchzte sie, und schaute wieder zur Decke. Als der Pilot den Flieger auf die Landebahn aufsetzte, hoppelte das Flugzeug nicht schlecht, und wir wurden alle kräftig durcheinander geschüttelt. Ich griff sofort nach der Kotztüte, um sie Maren zu reichen, doch sie sah mich nur unverstanden an, und meinte: „Ach nein, über mich machst du dich lustig, aber selber kotzen müssen. Ohne Antwort steckte ich die Tüte wieder weg, verharrte stumm in meinem Sitz, bis wir
das Flugzeug verlassen durften.
Hurra, wir sind in Ägypten, aber noch lange nicht im Hotel.
Und Maren verstörte langsam, aber sicher, die Ägypter.
Mein Urlaub war ein Abenteuer, gewiss, und unvergesslich.
Was glaubst du, was ich alles noch so erleben durfte?