Kapitel 27 Rettungskation
Wenig später sah Simon aus ihren Versteck aus zu, wie gut zwanzig Reiter durch das Tor in den Innenhof des kleinen Anwesens galoppierten und ihre Pferde anhielten. Die Männer auf dem Rücken der Tiere trugen alle die blau-goldenen Insignien der kaiserlichen Garde und das Klirren ihrer Waffen, als sie abstiegen, war überdeutlich laut zu hören.
Sie hatten sich in einem noch nicht abgeernteten Teil des Felds versteckt,
der genau gegenüber des kleinen Tors lag, das hinaus auf den Acker führte. Durch die Gitterstäbe hindurch konnten sie so fast den gesamten Hof einsehen, ohne zu riskieren, selbst gesehen zu werden.
Simon sah nach rechts und links, wo jeweils Ordt und Tiege neben ihm lagen. Kiris hingegen hatte sich noch ein Stück weiter vorgewagt und kauerte, grade noch verborgen, am Beginn der Mauer.
Kellan hingegen war bereits in das Haus zurückgekehrt, bevor die Reiter eingetroffen waren, damit sie auch Jemanden antreffen würden. Vermutlich hatte seine Frau ihm bereits erzählt, dass Simon hatte durchblicken lassen, dass
man nach ihm suchte. Aber was würde jetzt aus ihnen werden? Immerhin es war unwahrscheinlich, dass die Gardisten wegen ihm hier waren, aber auch die Bauersleute hatten etwas zu verlieren. Vielleicht sogar etwas Wichtigeres… Simon schüttelte den Kopf. Vielleicht gingen die Soldaten auch wieder und wollten nur Vorräte holen.
Aber das, dachte er, glaubst du doch selber nicht.
Die Männer bildeten einen kleinen Halbkreis vor dem Eingang des Wohnhauses, während einer von ihnen, offenbar der Anführer, vortrat und mehrmals kräftig gegen die hölzerne Tür schlug. Hoffentlich waren weder Kellan
noch Carol dumm genug den Versuch zu wagen, nicht zu öffnen. Die Männer mochten noch weit entfernt gewesen sein, als sie sie entdeckten, aber ihnen konnte unmöglich entgangen sein, das sich hier Menschen aufhielten. Wie schon bei ihrer eigenen Ankunft hier, dauerte es eine ganze Weile, bis die Tür geöffnet wurde und Kellan erschien.
„Die Herren?“, fragte er scheinbar überrascht. „Was kann ich für Euch tun?“
Im Abendlicht schimmerten die grauen Haare des Mannes rötlich, während er auf den Hof hinaus trat. Bevor er jedoch dazu kam, das Haus wieder hinter sich zu schließen, streckte
der Kommandant der kleinen Truppe eine Hand aus und hielt die Tür fest, wo sie war. Eine seiner Hände wanderte dabei zum Schwert an seinem Gürtel.
„Ihr könntet die Güte haben uns einzulassen.“, erklärte er herablassend. „Wenn wir nicht finden, was wir suchen, versichere ich Euch, sind meine Männer genauso schnell wieder weg, wie wir gekommen sind.“
„Aha…. und würdet Ihr mir auch verraten, was Ihr in meinem Haus zu finden hofft? Seht Euch hier um, sieht es so aus, als hätte ich irgendetwas von Wert?“
Irgendjemand, dachte Simon, musste den Männern einen Tipp gegeben haben.
Oder vielleicht waren sie auch selber darauf gekommen. So oder so, das düstere Lächeln, das auf dem Gesicht des Hauptmanns erschien, verriet ihm alles, was er wissen musste.
„Davon“, erklärte dieser, „bin ich sogar überzeugt.“
Simon wurde klar, was gleich passieren musste. Entweder, Kellan machte Platz und garantierte damit praktisch, das man Helbert entdeckte oder er blieb stur. Und wenn er das tat, würde er heute mehr verlieren als nur einen Sohn. Simon spannte sich innerlich an. Er wollte das nicht sehen, wollte weglaufen, am besten die Augen schließen… oder etwas tun. Diese Leute
hatten ihnen weitaus mehr geholfen, als nötig gewesen wäre und wenn er ihnen das jemals zurückzahlen wollte, dann jetzt. Er machte eben nur ungern Schulden, sagte er sich selbst. Und seien es nur ethische.
Geräuschlos erhob er sich in die Hocke. Sofort drückte Ordt ihn wieder zu Boden.
„Seid Ihr plötzlich Lebensmüde geworden?“, fragte der Wolf, während nun auch Kiris leise zu ihnen kam.
„Im Gegenteil, ich habe eigentlich vor, ein paar Leben zu retten.“, erklärte er lediglich.
„Was ist los?“ , wollte Kiris wissen, die von dem Gespräch nur die Hälfte
„Fragt das Simon.“, antwortete Ordt.
„Hört zu… wenn wir nicht sofort etwas tun, sehen wir gleich mindestens drei Leute sterben. Und darauf habe ich ehrlich gesagt nicht die geringste Lust. Und ich bin der Eine von uns, an dem sie garantiert mehr interessiert sein werden, als an Kellan und seiner Familie.“
Er machte erneut Anstalten, aufzustehen, doch diesmal war es Kiris , die ihn zurückhielt. Einen Moment sah es so aus, als wollte sie etwas sagen, dann schüttelte sie nur den Kopf.
„Ihr seid verrückt.“, erklärte sie. „Verrückt, aber mutig. Viel Glück… ich hoffe wirklich Ihr habt einen Plan.“
„Ich mache das hier nicht für Euch.“, gab er lediglich zurück und erhob sich endgültig. Nach wie vor halb geduckt, trat er aus dem Feld und überbrückte die kurze Entfernung zwischen der Außenmauer des Gehöfts und dem Rand des Ackers. Den Hof konnte er jetzt nicht mehr einsehen, aber von den aufgebrachten Stimmen her zu urteilen, blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Kellan würde die Gardisten kaum lange hinhalten können und wenn ihnen erst der Geduldsfaden riss….
So schnell er es wagte, ohne zu viel Lärm zu machen, machte er sich daran, das Haus zu umrunden, bis er die Straße erreichte. Etwas Gutes hatte es, sich
direkt an der Mauer zu halten. Die Gardisten würden ihn unmöglich sehen können. Andererseits hatte er aber auch keine Ahnung mehr, was drinnen vor sich ging. Und der gesamte Plan, den er sich so kurz zu Recht gelegt hatte, baute darauf, dass alle zu sehr mit Kellan beschäftigt sein würden.
Simon folgte der Straße zwischen den Feldern zurück bis zum Haupttor des Hofs und spähte vorsichtig um die Ecke. Innerlich schickte er ein rasches Stoßgebet zu den Göttern, das keiner der Gardisten sich genau diesen Augenblick aussuchte, um zurückzublicken.
Das Bild das sich ihm bot, bestätigte ihm endgültig, das er keinen Augenblick
länger hätte zögern dürfen. Kellan hatte die Geduld des Hauptmanns überstrapaziert. Dieser holte grade in diesem Augenblick mit einer behandschuhten Faust aus und holte den Farmer glatt von den Füßen. Die Wucht des Schlags ging Simon bereits beim Zusehen durch Mark und Bein und er konnte hören, wie Carol aufschrie, als ihr Mann ohne einen weiteren Laut zu Boden ging. Im nächsten Moment hatte der Gardist auch bereits das Schwert gezogen und machte sich daran, über den gestürzten Bauern hinweg, ins Haus einzudringen.
Simon jedoch hatte bereits entdeckt, was er suchte. Die Männer hatten ihre
Pferde allesamt in einer Ecke des Hofs angebunden, wo sie an einigen spärlichen Büscheln Unkraut herum kauten. Die Tiere nahmen von Simon kaum Notiz, als er auf sie zutrat. Nervös warf er immer wieder einen Blick nach den Gardisten, aber diese waren nach wie vor mit dem Geschehen am Wohnhaus beschäftigt. Götter, es funktionierte. Zumindest so weit. Aber der schwierigste Teil begann jetzt erst.
Simon löste vorsichtig, um keines der Pferde aufzuschrecken, die Knoten in den Leinen der Tiere. Dann zog er sich in den Sattel. Einen Moment tapste das Pferd, das er sich ausgesucht hatte unsicher rückwärts. Es kannte ihn nicht,
dachte er. Und was es noch schlimmer machte, jetzt wo eines der Tiere nervös wurde, wurden es die anderen auch. Immerhin das klappte….
Jetzt merkten auch die ersten Gardisten, dass etwas nicht stimmte und drehten sich zu den schnaubenden und wiehernden Pferden um.
Auch der Hauptmann hielt inne, den Fuß bereits in der Tür. Simon wusste nicht, wie lange sowohl die Männer als auch er einfach nur still da standen, aber es konnte wohl nicht allzu lang gewesen sein. Ihm jedoch kam es wie eine Ewigkeit vor. Langsam, all zu langsam wurde den Gardisten klar, wen sie da vor sich hatten.
„Guten Abend, die Herren.“, meinte er spöttisch. „Ich störe ja nur ungern, aber ich bin mir ziemlich sicher, ich bin Euch mehr Wert, als ein paar Bauern. Also holt mich, das heißt wenn Ihr euch traut!“
Simon gab seinem Reittier die Sporen und sah nur noch, wie die ersten Gardisten in Richtung ihrer eigenen Pferde losliefen. Doch genau in diesem Moment sprengten diese auseinander um ihrem aufgestachelten Artgenossen Platz zu machen. Einige der Tiere preschten direkt durch die Reihen der Soldaten, andere versuchten lediglich, durch das Tor aus dem Innenhof zu entkommen.
Die wenigsten wurden von ihren
Reitern angehalten und noch weniger Gardisten schafften es dann auch, sich in den Sattel zu schwingen.
Der Kommandant der Truppe sah sich nur ratlos in dem heillosen Chaos um, das so schnell entstanden war, das wohl noch nicht jeder verstanden hatte, was überhaupt vor sich ging. Schließlich jedoch fing er sich wieder und rief rasch einige Befehle.
„Verfolgt ihn!“, seine Stimme war laut genug um sich auch über die Unruhe noch verständlich zu machen. „Und bringt mir seinen Kopf! Denkt daran: Kaiser Tiberius ist er lebend nichts wert!“
Die übrigen Männer reagierten sofort
und schafften es entweder einem der durchgehenden Pferde Herr zu werden oder nahmen zu Fuß die Verfolgung auf.
Simon seinerseits, war bereits zum Tor hinaus und schlug einen Weg ein, der ihn hoffentlich Weg von den endlosen Feldern und zu den sichereren Wäldern der Herzlande brachte. Er musste diese Kerle jetzt immer noch irgendwie abschütteln….
Ordt sah ungläubig zu, wie der wahnwitzige Plan des Zauberers Gestalt annahm. Hätte der Mann ihm erzählt, was er vorhatte, er hätte noch versucht
ihn davon abzuhalten. Was glaubte er eigentlich zu tun? Er und die anderen konnten nur hilflos zusehen, wie Simon zwischen den angebundenen Pferden der Garde-Abteilung verschwand, nur um wenige Augenblicke später auf dem Rücken eines der Tiere aufzutauchen. Und so verrückt es schien, die Gardisten folgten ihm durch das Chaos, das die nun befreiten Pferde veranstalteten und weg vom Hof.
Ordt gab den anderen ein Zeichen ihm zu folgen, während er zwischen den Weizenähren auftauchte. Dass sie jetzt noch jemand bemerkte, dachte er, war so gut wie ausgeschlossen. Nach wie vor lag Kellan dort wo er gefallen war am Boden
und Blut sickerte aus einer Platzwunde an seinem Kopf. Von außen mochte es so aussehen, als hätte er nur das Bewusstsein verloren, aber wenn Ordt sich an eine von Isbeils Lektionen erinnerte, dann die, dass Kopfverletzungen selten harmlos waren.
Simon hatte ihnen grade eine Gelegenheit verschafft, die sollten sie nutzen um wenigstens nach dem Mann zu sehen.
Tiege und Kiris hegten offenbar den gleichen Gedanken, den sie sprangen ohne zu zögern auf und folgten ihm das kurze Stück bis zum Seitentor des Gehöfts.
Der Kommandant sah nach wie vor
seinen Männern nach, die Simon verfolgten. Bereits wenige Augenblicke, nachdem der Zauberer verschwunden war, blieb er als einziger zurück.
„Ich erledige hier den Rest.“, erklärte er grade dem letzten der Gardisten, der den übrigen zu Fuß nachsetzte. Noch während er sich wieder dem Haus zuwandte, musste er bemerkt haben, dass er nicht so alleine war, wie er gedacht hatte. Ordt und die anderen traten durch das Seitentor auf den Innenhof hinaus.
„Das glaube ich nicht.“, meinte Tiege, eine Hand am Schwertgriff. „Ich würde vorschlagen, Ihr folgt euren Männern und verschwindet von hier.“
„Und wer glaubt Ihr zu sein, das Ihr
mir befehlen könnt?“ Der Kommandant war offenbar überzeugt, es mit drei Gegnern, von denen nur einer bewaffnet war, aufnehmen zu können. Sein Blick wanderte von Kiris über Ordt wieder zurück zu dem Fuchs, der unverändert und ruhig stehen blieb.
„Ich befehle Euch nicht.“, antwortete der Gejarn, während er vortrat. „Aber ich gebe Euch einen guten Rat. Wenn Ihr nur auf Befehle hört, solltet Ihr euch vielleicht Gedanken darüber machen, ob es wert ist, dafür zu sterben.“
„Ihr seid der einzige, Großmaul, der hier sterben wird.“, antwortete der Mann und suchte einen festen Stand, das Schwert bereits zum Kampf erhoben.
Tiege seufzte, während er die eigene Waffe ein Stück weit aus der Hülle zog. „Sicher?“
Statt einer Antwort, stürmte der Garde-Hauptmann vor und holte mit der Waffe aus. Tiege reagierte sofort. Um seine eigene Waffe noch zu ziehen, fehlte ihm die Zeit, stattdessen wich er dem Schlag des Hauptmanns aus und packte dann dessen Handgelenk. Ordt konnte hören, wie die Knochen darin mit einem Übelkeit erregenden Geräusch brachen, als der Gejarn es verdrehte und seinem Gegner das Schwert entriss. Brüllend vor Schmerzen ging dieser zu Boden und Tiege stieß ihn von sich. Er stolperte noch einige Schritte und stürzte
dann zu Boden, wo er jammernd liegenblieb.
„Ich sehe, das Er bleibt wo Er ist.“, erklärte der Fuchs ruhig. „Seht Ihr nach den anderen.“