das schicksal nimmt seinen lauf
Kleine Anmerkung so mittendrin und am Rande eingeworfen :-)
Mir ist durchaus bewusst, dass es einigen unter Euch schwer fällt meine Lebensgeschichte in irgendeinerweise zu kommentieren. Mein Hauptgedanke war und ist, anderen Menschen mit ähnlichen Schicksalen einfach etwas Mut zu machen.
Würde mich dennoch freuen, wenn ihr mir Euer Feedback gebt,wie mein Schreibstil gefällt (oder auch nicht)
Vielen Dank für's Lesen
pepsi55 Mai 2015
1976 HOCHZEI
Meine Vermieterin, bei der ich bisher zur Untermiete gewohnt hatte, bot uns nach Martins Entlassung aus dem Gefängnis, eine kleine 2-Zimmer-Wohnung im direkt angrenzenden Stadtteil an. Die gute Frau hatte es bis dahin stillschweigend hingenommen, dass Martin mit im möbilierten Zimmer gehaust hatte. Sie befand dann eines Tages höflich, aber bestimmt, dass dies ja wohl kaum eine Dauerlösung sein könne. Martin und ich unterschrieben dankbar den Mietvertrag und zogen binnen weniger Tage in die kleine Zwei-Zimmerwohnung. Wir richteten uns
vorerst mit zusammengewürfelten Möbeln ein, die wir geschenkt bekamen. Hier der alte Kühlschrank von meiner Mutter, da das alte Sofa einer Nachbarin und einen 2-Platten-Kocher von meiner Freundin. Wir konnten zumindest einigermaßen gemütlich sitzen, schlafen und kochen.
Auch unsere Hochzeit war bescheiden. Ich trug ein einfaches langes weißes Kleid und einen großen weißen Hut dazu. Es war kein Hochzeitskleid, wie ich es mir immer erträumt hatte und im klassischen Sinne einfach nur ein „Etui-Kleid“ in langer Form. Auch reichte es nur für ein kleines Blumengebinde, wobei
ich selbst noch ein weißes Satinband darin arrangiert und das gleiche Band an meinem weißen Hut angebracht hatte. Unsere Hochzeitsfotos wurden zu unserer Verwunderung noch jahrelang im Schaufenster des Fotografen ausgestellt. Obwohl es natürlich schon Farbfotos waren, hatte der Fotograf eines von den Fotos auch in schwarzweiß ausgestellt. Was unglaublich „edel“ wirkte trotz unserer eher einfachen Kleidung. Nun ja, wir waren aber auch generell nicht unbedingt hässlich anzusehen als Paar. Ich war gut 10 cm kleiner als Martin, er mit blonden Haaren und grünen Augen, ich dunkelhaarig und braunäugig. Beide
schlank, aber eher mit Normalgewicht, also keine Hungerhaken.
Meine Eltern waren bei der Hochzeit nicht anwesend. Wobei ich bewusst nicht Bescheid gesagt hatte. Nur meine Schwester und die Familie von Martin waren zum Standesamt gekommen. Da die Familie von Martin nicht gerade klein zu nennen war und meine beste Freundin und von Martin noch ein paar Kumpels erschienen, kamen doch noch an die 30 Personen zu unserer kleinen Feier, die nach der standesamtlichen Trauung in der Wohnung meiner Schwiegereltern stattgefunden hat.
Gegen Abend bekam ich einen Vorgeschmack dessen, wie die Familienmitglieder meines Mannes miteinander umgingen. Es gab eine Klopperei unter den Verwandten, wegen einer Flasche Bier, die irgend jemand ausgetrunken haben soll, die sich Manni, Martins Bruder, bereitgestellt hatte. Martin gab seinem Bruder „Manni“ eine schallende Ohrfeige und schrie auch einen seiner Cousins an. Dimone und ich flüchteten sofort auf den Balkon. Drinnen schrien sich nun alle gegenseitig an und beschimpften sich mit unflätigen Wörtern. Der Tisch im Wohnzimmer wurde umgeschmissen und das Getöse und Geschrei wurde
immer lauter. Es dauerte nicht lang und die Polizei stand vor der Tür.
Meine Schwester und ich zitterten am ganzen Körper. So was hatten wir noch nicht erlebt. „Komm wir fahren“, sagte Simone, nachdem die Polizei uns nach den Personalien gefragt hatte und wir danach total nervös und ängstlich noch eine Zigarette geraucht hatten. Als wir vom Balkon aus durch die Küche in Richtung Diele gehen wollten, kam Martin aus dem Wohnzimmer und fragte:
„ Wo wollt ihr denn hin?“. „Mir reicht das hier. Eine schöne Vorstellung gebt ihr ab“, erwiderte ich verständnislos und
wütend. Martin wollte mich am Handgelenk festhalten. Ich entzog mich ihm und ignorierte auch die jüngste Schwester Martins, die ebenfalls wissen wollte, wo wir hin wollten. An der Wohnungstür angekommen schaute ich noch mal zurück, ob Martin mitkommen würde. Aber er war wohl schon wieder Wohnzimmer. Marlies, die zweitälteste Schwester von Martin kam heraus und sagte: „Ach Mensch Perle, bleib doch, ist doch jetzt wieder gut“. Im selben Augenblick traten die Polizisten vom Wohnzimmer in den Flur um die Wohnung verlassen. „Weißt Du was, Marlies? Ich bereue schon jetzt, euren Familiennamen angenommen zu haben!“,
sagte ich und öffnete die Wohnungstür, um den Polizisten den Vortritt zu lassen, um dann mit Simone ebenfalls die Wohnung zu verlassen.
„Boey, Du stellst Dich ja an. Bleibt doch noch. Es ist wieder Ruhe. Der Manni liegt jetzt im Bett und schnarcht. Der is voll wie tausend Haubitze.“ versuchte Marlies noch einmal, Simone und mich zum Bleiben zu überreden. Simone war schon im Hausflur und ich antwortete Marlies gar nicht mehr.
Wortlos, aber energisch zog ich die Wohnungstür meiner Schwiegereltern hinter mir zu. Simone war noch immer
kreidebleich im Gesicht und nestelte in ihrer Handtasche nach ihren Wagenschlüsseln, die ihr dann prompt aus der Hand glitten, als sie sie endlich herausgekramt hatte. Mir selbst war auch nicht ganz wohl. Was nicht nur dem Alkohol zuzuschreiben war. Ich war regelrecht „grün“ vor Wut. „So’ ne Scheiße, hab ich mir bestimmt nicht unter einer Hochzeitsfeier vorgestellt.“ schimpfte ich. Simone sagte gar nichts, was sehr ungewöhnlich für sie war, wo sie sonst plapperte wie ein Wasserfall.
Im Auto fragte Simone unvermittelt: „Sind die immer so?“ „Weiß ich nicht, aber Martin erzählte mir, dass er als Kind
sehr oft geschlagen, ja regelrecht verprügelt worden ist.“, gab ich zur Antwort.
„Aha, na dann wollen wir mal hoffen, dass er dich nicht eines Tages auch schlägt“ resümierte Simone ohne mich dabei anzusehen. Ich sagte nichts darauf. Obwohl ich sehr wütend auf Martin war, dass er seinen Bruder Manfred geschlagen hatte, damit der wieder vernünfitg sein sollte, konnte ich mir nicht vorstellen, warum Martin mich schlagen sollte. Noch viel wütender war ich darüber, dass Martin noch da geblieben und nicht mit uns nach Hause fahren wollte. So kam es, dass ich unsere Hochzeitsnacht allein in unserer
kleinen 2-Zimmer-Wohnung verbrachte.
Martin kam erst gegen Mittag anderntags und tat, als wenn nichts gewesen wäre. Simone war in der Nacht noch direkt nach Hause gefahren, nachdem sie mich zu Hause abgesetzt hatte und noch einen Kaffee getrunken hatte. Beim Abschied sagte sie: „Pass auf Dich auf“ und schaute mich ernsthaft besorgt an. Diese Seite kannte ich so überhaupt noch nicht von Simone und ich drückte sie fest an mich und sagte bewegt: „Ja werde ich. Mach Dir keine Sorgen“.
Es blieb Martin und mir nun nicht viel
Zeit über das Vorgefallene zu reden, da Martins Chef zum Kaffee vorbeikommen wollte, um zur Hochzeit zu gratulieren. Martins Chef erschien pünktlich und brachte auch ein Geschenk mit. Ein Tafelservice für 12 Personen.
Martins Chef tauschte die üblichen Höflichkeitsfloskeln mit mir aus und sagte dann an Martin gerichtet: „Kommst Du morgen früh wieder vor den anderen? Das wäre prima, denn der Betonmischer kommt doch schon eher“. „Na klar, dass ist kein Problem. Werde die Mofa nehmen, dann bin ich schneller als mit dem Bus“, sagte Martin direkt beflissen. Alsbald verabschiedete sich
Martins Chef. Er war zwar augenscheinlich ein höflicher Mann mit Manieren. Aber ich mochte ihn persönlich nicht. War er doch als Frauenheld verschrien. Mir tat seine Frau unendlich leid.
Martin tat noch immer so, als wenn alles in Ordnung sei, nachdem er seinen Chef noch bis zum Wagen begleitet hatte und sich danach in der Küche hinsetzte. Ich selbst sagte auch nichts. Wir tranken noch einen weiteren Kaffee. Doch dann platzte es aus mir heraus. „Findest Du es eigentlich gut, was sich gestern abgespielt hat? Lässt mich obendrein einfach allein nach Hause
gehen.“?! „ Jetzt stell dich nicht so an. Dir ist doch nichts passiert und jetzt bin ich doch bei Dir. Morgen muss ich natürlich wieder arbeiten, wie du gehört hast.“ erwiderte Martin ganz gelassen. Ich sah Martin an und wäre am liebsten geplatzt. Ich sagte bewusst ironisch: „Danke schön, sehr nett von Dir und Euch, unsere Hochzeit so zu versauen. Echt toll habt ihr das hingekriegt“.
Martin reagierte mit keinem weiteren Wort. Das machte mich noch mehr wütend. „Na ich hätte große Lust mich direkt wieder scheiden zu lassen. Man muss sich ja schämen mit so einem Namen rumzulaufen. Gefängnis und
Kloppereien und wer weiß was noch alle, ewig die Bullen vor der Tür. Tolle Aussichten“, schimpfte ich einfach drauflos. „Willst Du das wirklich tun?“, fragte Martin.
„Weiß nicht, könnte aber sein“, entgegnete ich noch immer schmollend, aber längst nicht mehr so wütend. Kaum ausgesprochen, ließ ich den Gedanken zwar weiter reifen und stoppte diesen aber sofort, als ich an dem Punkt ankam, dass ich wieder allein wäre. Mir fielen die Worte meiner Schwester wieder ein. Aber warum sollte Martin mich schlagen? Nein, er hatte mir ja bis dahin ja nie körperlich wehgetan. Nein,
es war wirklich unvorstellbar für mich.
„Na dann kannste ja zu diesem Eddie gehen, wenn der wieder raus kommt. Da kannste weiter rummachen mit dem“, sagte Martin eiskalt. „Spinnst Du?“, schrie ich fast und sprang vom Stuhl auf. „Wer weiß, ob das alles so stimmt, was Du immer erzählst“, erwiderte Martin. Ich sagte nichts mehr und lief weinend in den Wohn/Schlafraum, um meine Jacke aus dem Kleiderschrank zu holen. „Wo willste denn jetzt hin?“ herrschte Martin mich an. „Ich muss raus hier“, entgegnete ich nur und rannte aus der Küche hinaus in den Hausflur und auf die Straße.
Martin holte mich rasch ein, nachdem er wohl die Wohnungsschlüssel gesucht und danach hinter mir hergelaufen kam. „Kleines, ist doch gut, jetzt komm nach Hause. Oder sollen wir noch was spazieren gehen?“ Ich gab keine Antwort und ging einfach weiter. Martin nahm meine Hand und ich ließ es trotz meiner Wut geschehen.
Wir gingen wortlos gewiss eine Stunde ziellos weiter. Irgendwann blieb Martin stehen und nahm mich in den Arm. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.“ sagte er mit Tränen in den Augen. „Bitte, lass dich nicht von mir
scheiden. Was soll ich denn ohne Dich tun?“, flehte er mich an. „Kannst Dir doch ne Andere suchen. Vor mir warst du doch schon mal verlobt. Dann nimm’ die doch“, sagte ich schnippisch. „Was soll ich denn mit „der“. Die rennt doch mit jedem rum. Die war mir damals schon nicht treu.“ „Ach so, deswegen meinst du nun, wäre ich auch so Eine. Danke schön!“ gab ich zur Antwort und löste mich aus Martins Armen.
Ich drehte mich um in Richtung nach Hause. Martin war direkt wieder neben mir. Er nahm dieses Mal nicht meine Hand und wir schwiegen wieder. Wir redeten den ganzen Rückweg nicht und
auch zu Hause angekommen fiel kein Wort. Ich machte mich sofort fertig fürs Bett und wünschte Martin nicht mal „Gute Nacht“. Er blieb iseelenruhig und scheinbar unbeeindruckt n der Küche sitzen.
Im Bett brachen die Dämme über mich herein und ich weinte hemmungslos. Es war einfach alles zu viel für mich. Ich weinte und weinte und bemerkte Martin nicht, als er wohl schon längere Zeit neben mir gelegen hatte. Irgendwann rückte er zu mir heran und drehte mich zu sich herum und nahm mich in den Arm. Auch jetzt sprachen wir nicht und ich schlief noch unter Tränen einfach
ein. Als ich dann am nächsten Morgen erwachte, war Martin längst fort zur Arbeit. Er hatte Kaffee gekocht und ihn mir in einer Thermoskanne auf den Tisch gestellt. Neben meiner Kaffeetasse lag ein Zettel, darauf stand: „Ich habe Angst. Bitte verlass mich nicht“.
(c) pepsi55 2008
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