Romane & Erzählungen
Johannas Wege

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"Johannas Wege"
Veröffentlicht am 23. Mai 2015, 126 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

aufgrund meiner einsamen Abende (dank Fernbeziehung) schreibe ich ein wenig. ich lebe mit meiner Tochter und meiner kleinen Hündin in unserem Mädchentraum und bin sonst Tagesmutti :)
Johannas Wege

Johannas Wege

Der Anfang

Schreib mir was!

Routine

„Maaaaaamaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!“ Oh nein. Nicht schon wieder wach. Wie spät ist es? Vorhin war es erst halb zwei.. sie kann doch nicht schon wieder.. oh man! Leni hat gerade mal dreißig Minuten geschlafen seit ihrem letzten Anfall von nächtlichen Kuschelbedürfnis. Ich drehe mich mühsam auf die Seite, setze mich auf und frage mich, wie Dennis es schafft dieses dauerhafte Wecken ständig zu überhören. Wie üblich liegt er breitbeinig neben mir, die Arme weit von sich gestreckt und schnarcht leise vor sich hin. Am liebsten

würde ich ihn jetzt wecken und einfach weiterschlafen. „Mama?? Ich habe Angst.“ Aus meinen Gedanken gerissen zucke ich zusammen und schlürfe nach nebenan zu Lenis Bett. „Was ist denn los? Wir haben doch eben erst alle Monster vertrieben und gekuschelt, bis du eingeschlafen bist.“ Ich streiche ihr durchs Haar was, wie jede Nacht, ganz wirr und kraus absteht. Mein kleines Baby wird anscheinend nie größer. Jede Nacht das gleiche Spiel. Ich atme noch einmal tief durch und hebe sie aus ihrem Bett um mich mit ihr

auf unseren Sessel langsam sinken zu lassen. Sie scheint zu schlafen, denn so still, wie sie sich an mich schmiegt mit ihrer kleinen Nase, ist sie sonst nicht. „Pieps will jetzt Doktor sein, Mama. Dummer Pieps.. Mäuse können das gar nicht. Mäuse können nur Mäuse sein, oder?“ Und wieder reibt sie ihre Nase an meinem Hals und gibt sich ihren Träumen hin. Hmmm.. Kann man wirklich nur sein was man ist? Ist das alles? Während ich Leni noch etwas über den Kopf streichle lasse ich meine Gedanken wieder ihren

Lauf. „Verdammt!! Schatz, warum hast du mich nicht geweckt? Das gibt’s doch nicht! Du hast eine kleine Aufgabe!

Man!!“ Wütend polternd kommt Dennis ins Kinderzimmer gestürmt. Seine Haare sehen ebenso wüst aus wie die von Leni, die sich zum Glück nicht weiter daran stört, das ihr Vater wie ein Bär durch die Wohnung stampft und vor sich hin schimpft. Klar, dieses Spiel haben wir mittlerweile fast täglich. Er erwartet, dass ich ihn nach seinem Wecker wachmache und ihn fein hergemacht, fröhlich lächelnd mit Kaffee am Bett zum Aufstehen bewege. Ein paar Mal habe ich mich sogar dazu hinreißen lassen. Immerhin bedankte er sich bei mir mit Blumen und ab und zu sogar

einem Lächeln. Heute hatte ich eher weniger Glück. Missmutig starrte er mich an, schüttelte den Kopf und schmiss die Tür hinter sich zu. Dieser Idiot! Nein, ich werde mich nicht von seiner miesen Laune anstecken lassen. Ich sehe nicht ein mir wieder einen Tag von diesem.. diesem.. diesem Kerl vermiesen zu lassen. Mit angespanntem Bauch und dicken Augenringen schlendere ich in die Küche. Es sieht, wie üblich aus wie ein Schlachtfeld. Der Toast liegt verteilt

über der Arbeitsfläche, die Butter steht etwas schwankend an der Kante und droht zu kippen und irgendwie frage ich mich warum ich mir jeden Abend noch die Mühe mache hier alles sorgsam aufzuräumen. Dennis würde sich nie dazu aufraffen. Für ihn ist das gänzlich alleiniges Frauenrevier, ebenso wie der Kindergarten, Einkaufszentren und Kinderärzte. Eigentlich so gut wie alles außer sein Sofa und die geliebte Arbeit. Allein beim Gedanken, dass er heute wieder Überstunden machen muss und viel zu spät Heim kommen wird, zieht sich mein Bauch zusammen. Johanna Bachmann, du musst dich jetzt zusammenreißen. Geh duschen und mach

dich und das Kind endlich fertig. Auch deine Arbeit ruft. Jaja, diese kleine Stimme in meinen Kopf mal wieder. Sie ist die einzige Konstante in meinem Leben, auf die ich mich, neben Lenis nächtliches Wachwerden, immer verlassen kann. Sie hält mich über Wasser. Eilig springe ich unter die Dusche. Keine vier Minuten später stehe ich schon wieder in frischen Klamotten gehüllt und mit Haarturban bedeckt an Lenis Bett und wecke sie mit einem liebevollen Kuss. „Guten Morgen, Sonnenschein. Es ist Zeit zum Aufstehen.“ Schnute ziehend streckt sich meine

kleine Maus und öffnet blinzelnd ihre kleinen grünen Augen. „Na, ausgeschlafen? Komm, ich habe uns Cornflakes gemacht mit Bananen.“ Wie aufs Stichwort springt Leni aus dem Bett und tippelt in die Küche. Mein kleines Mädchen.. mit ihren vier Jahren ist sie von solchen Kleinigkeiten noch hin und weg. Sie stellt noch keine Ansprüche. Hauptsache Mama ist da und es gibt irgendetwas zum Spielen. Keine zwanzig Minuten später stehen wir wieder im Bad. Ich föhne meine braunen, mittlerweile bis zur Hüfte reichenden Haare und Leni versucht sich verzweifelt eine kleine Haarspange festzudrücken.

„So, nun müssen wir aber los, Maus. Hast du alles? Schnuffeltuch, Kitarucksack, Hausschuhe und Pieps?“ Leni nickt nur abwesend während sie von einem Fuß auf den anderen tritt und ungeduldig wartet bis ich meine Tasche schnappe, einen letzten Blick in den Spiegel werfe und natürlich kritisch an mir herunterblicke. Ich habe schon bessere Tage gesehen. Aber vielleicht sieht man mit fast dreißig so aus. So… fraulich. Nun denn, wir haben keine Zeit für solche Gedanken also hasten wir zur Bahn und der Tag kann

beginnen.



Endlich auf Arbeit! Dankbar über meine kleine Erholungsinsel sinke ich in meinen Stuhl. Ich arbeite in einer kleinen Redaktion, die über News und Angebote unserer Region berichtet. Alles ziemlich normal, wie mein ganzes Leben. Mein Name, mein Zuhause, mein Ich. Ich denke an Pieps, der einfach so Arzt werden mag. Einfach so. Als ginge im Leben alles so einfach. Ich wäre auch zu gerne etwas „besseres“ geworden. Lehrerin zum Beispiel, Schauspielerin oder Sängerin. Und was mache ich? Ich schreibe Nachrichten über unser kleines Nest, inmitten von Wäldern und

Wiesen. Ich hasse es! Ich hasse die Gegend, die alten Nachbarn, den Dialekt, alles. Wie gerne wäre ich ein Großstadtmensch mit Bus, Bahn und Taxi vor der Tür. Mit großer Verantwortung, meiner Leni und der großen Liebe an der Hand. Entschieden angewidert schüttle ich, an Dennis denkend, den Kopf. Nein, meine große Liebe ist dieser Mann wirklich nicht. Er ist eher mein Freund und Lenis Vater. Zumindest auf dem Papier. Da war er eigentlich nie und ihre letzten beiden Geburtstage vergaß er auch. Ich seufze. Ab ans

Werk. Zur Mittagspause schlendere ich zu meiner Kollegin und besten Freundin Helen rüber. Sie hat schon immer das gewisse Etwas ausgestrahlt und besitzt das Talent, jeden sofort von sich zu überzeugen. Ich schleiche mich von hinten an sie und drücke ihr einen herzigen Kuss in ihr kupferfarbenes Haar. Völlig erschrocken wirbelt sie hoch und drückt mich weg. Etwas irritiert sehen wir uns an. „Ähm, alles ok? Helen?“ Während ich meinen Kopf schief lege und grüble, wie ich ihre Reaktion

einschätzen sol, starrte Helen mich an und ringt nach Worten. „Ah, oh.. Johanna. Du sollst mich doch nicht erschrecken. Ich.. ähm..“ „Wollen wir Mittag essen gehen?“, bringe ich das Gestottere zum Schweigen. Dankbar dafür nimmt Helen mich mit einem Schwung an die Hand und zieht mich hastig nach draußen. „Weißt du, Helenmaus, Dennis hat wieder verschlafen und ICH trage die Schuld dafür. ICH hätte nämlich nur diese eine Aufgabe und bekäme ja nie etwas hin. Ich komme mir vor wie ein Komplettversager.“ Helen umarmt mich. „Schnecke, ich sage

dir seit zwei Jahren du sollst dich trennen. Ich gehe mit dir jedes Mal aufs Neue die Negativliste durch und ändern magst du dennoch nichts. Irgendwo da draußen ist ER. Dein Prinz, der dich aus diesem Loch retten wird.“ Der Wiederholung müde nicke ich nur und stelle mir vor, wie ER kommt und Leni und mich mit einer Kutsche abholt und ins Paradies fährt. Als ob MIR so etwas passieren würde. Ich, Johanna. Die, die außer ihrem Abitur und dreimal abgebrochenen Studium nichts, außer der süßesten Prinzessin auf Erden hinbekommen hat. Warum sollte gerade mich irgendjemand retten

wollen? Erschöpft und mit tief hängenden Schultern sitze ich mitten auf einer Bank inmitten unseres Stadtparks. Wie jeden Nachmittag spielt Leni mit den gleichen Kindern. Nie mit den Jungs, denn wie jedes Mal ärgern die sie und ziehen sie wegen ihrer Größe auf. Lieber sucht sie sich die kleinen Mädchen und spielt Mama. Eine Mama, die ihren Mann weckt, kocht und Mittag kocht. Eine Mama, die nie schimpft und alles toll findet. Möchte ich ihr so ein Vorbild sein? Ernüchternd lasse ich meine Schultern noch ein Stück tiefer sinken und schaue

in den Himmel. Ach Mama, ich habe mir mein Leben doch ganz anders vorgestellt. Ich brauche dich an meiner Seite. Ich brauche deine Umarmung. Ich brauche dich! Ich weiß nicht weiter! Meine Mutter starb vor fünf Jahren. Der Krebs war ihr treuer Begleiter geworden, den sie bis zuletzt nicht mehr loswurde. Sie war meine Heldin. Immerhin hatte diese Frau mich ganz allein großgezogen und das trotz ihrer psychischen Labilität. Sie hat den Tod ihres Mannes nie verkraftet. Ich dagegen habe ihn nie kennengelernt. Er hieß Marlon und starb eine Woche vor meiner Geburt. Die genauen Umstände hatte man

mir immer verschwiegen aber er war ihre große Liebe. Sie hat nie wieder so sehr geliebt. Sein Tod brach ihr Herz, sodass sie fortan, bis zu ihrem Ende nur noch ein Schatten ihrer Selbst zu sein schien. Ich habe sie selten Lachen gehört und genauso wenig weinen gesehen. Sie fehlt mir so sehr. Ich schluchze und versuche Leni ausfindig zu machen. Mit einem Mal sitze ich aufrecht und reiße die Augen auf.


Ein wildfremder Mann drückt sie an sich und tätschelt ihr über den Kopf. Binnen Sekunden stehe ich vor ihm. „Was fällt ihnen ein! Lassen sie sofort mein Kind runter und verschwinden sie!!“, fauche ich ihn an. Mein ganzer Körper spannt sich an, meine Hände sind zu Fäusten fest geballt. Bereit mein Kind zu verteidigen. „Schau mal, kleine Maus. Da ist deine Mama. Sie hat dich wohl schon gesucht“, sagt er ganz ruhig und mit einem verspielten Lächeln. Er lässt Leni herunter und mustert mich genauestens. Seine strahlend blauen Augen fangen mich sofort ein, sodass sich mein Körper augenblicklich entspannt. Was für

Augen… „Mamiiii!!“, kommt Leni zu mir gerannt und drückt sich an mich. „Ich habe dich überall gesucht. Mama, wo warst du denn?“. Vorwurfsvoll, mit roten verweinten Augen schaut sie mich beinaufwärts an. „Ich, ich.. Leni. Ich war die ganze Zeit da. Ich saß dort drüben auf der Bank. Was war denn los?“ „Und.. was haben sie eigentlich an meinem Kind zu suchen?“ Finster schaue ich ihn an. Diesen..unglaublich attraktiven großen Mann mit seinen breiten Schultern und, oh..dieses Lächeln!. Nein, Johanna. Lass

dich nicht ablenken! Er ist deinem Kind eindeutig zu nah gekommen. Abwehrend hebt er beide Hände und geht zwei Schritte zurück. Er schüttelt den Kopf und scheint regelrecht flüchten zu wollen. „Die Kleine lief weinend umher und wäre beinah von einem Radfahrer angefahren worden. Ich konnte sie gerade noch zur Seite ziehen. Es tut mir sehr leid. Ich wollte nur helfen. Ich bin Oliver und.. ich muss los. Es tut mir wirklich leid.“ Wieder geht er zwei Schritte zurück und schaut auf seine Uhr. Dabei sehe ich, dass der Ärmel seines Hemdes zerrissen ist. Darunter schimmerte frisches Blut.

Es stimmt also. Er hat die Wahrheit gesagt. Leni nickt nur still und lächelt ihm hinterher. „Oh, vielen Da..“, rufe ich ihm nach. Doch er ist längst losgesprintet und in der Menge verschwunden. Was für ein wundersch..äh toller Mann, denke ich und drücke Leni an mich. „Mama würde dich nie alleine lassen, Prinzessin. Niemals! Wir sind doch ein Team, oder?“ „Hast du Lust auf ein Eis?“ Leni hopst fröhlich vor mir her und schon bald hat sie ihre Angst vergessen. Ich aber denke immer noch an Oliver. Seine blauen Augen scheinen mir zu

folgen.


Noch Tage später spüre ich das seltsam warme Gefühl in mir. Ich fühle mich, als wäre ich nicht mehr allein unterwegs. Als hätte ich einen zweiten Schatten und das Seltsame ist, dass es mir keine Angst bereitet. Ich fühle mich besser denn je. Ich schaffe es früh aufzustehen, Dennis seinen Kaffee zu bringen, mich zu stylen und mich wieder schön zu kleiden. Ich habe mir ganz spontan ein paar neue Outfits geholt, mir die Haare schneiden lassen und ich trage nach drei Jahren Pause tatsächlich wieder Makeup. Dennis ist das zwar nicht aufgefallen und es hat sich ebenso wenig auf sein Verhalten ausgewirkt aber ich fühle mich

großartig. Helen beäugt mich schmunzelnd. „Nun komm schon. Sag mir bitte, dass du ihn wenigstens gegoogelt hast. Der muss ja unglaublich toll sein, DEIN Oliver“, stichelt sie. „Helen, ich kenne doch nur seinen Vornamen und weiß, wie er aussieht. Also etwa.. SO genau habe ich nicht mal hingesehen“, schnaube ich. „Ich bin vergeben, wie du weißt.“ Tatsächlich denke ich nur noch an ihn. Ich wünschte, ich hätte anders reagiert. Ihn zum Café eingeladen oder wenigstens

nicht so eine Szene gemacht, sondern ihm gedankt. Leni lässt sich sonst nur von mir trösten. Schon etliche Male musste ich in ihren Kindergarten hetzen um sie in den Arm zu nehmen, weil sie schon ganz blau war vor weinen. Und er.. er nimmt sie einfach an sich. Ein völlig fremder Mann und beschützt sie. Und ich dumme Kuh blöke ihn auch noch an! Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen und wäge kurz ab, ob ein Suchaufruf im Fernsehen Sinn machen würde. Im gleichen Moment fällt mir Dennis ein, der sich sicher wundern würde, was ich da treibe.

Obwohl.. er kommt derzeit immer erst spät in der Nacht nach Hause und legt sich dann sofort schlafen. Er duscht auch nicht und irgendwie leben wir uns gerade ganz schön stark auseinander. Helen drückt mich liebevoll und sichert mir zu, mich in allen Entscheidungen zu unterstützen. „Pass nur auf dich und dein Herz auf, Liebes“, sagt sie mir ins Ohr und geht an ihren Platz zurück. Wenn ich mich doch nur konzentrieren könnte. Immer wieder erscheint er mir. Oliver.. was für ein schöner Name. Was für eine

Begegnung. „Feierabend, Hanni!! Lust auf Shoppen? Wir könnten Leni abholen und ins Gewerbegebiet fahren“, motiviert mich Helen mit einer fordernden Handbewegung gen Ausgang. „Hmm.. Helen, ich.. ich wollte eigentlich mit der Prinzessin in den Park. Du weißt schon. Ich hoffe Oliver zu sehen.“ Ziemlich unbeeindruckt zuckt sie mit den Schultern und hakt sich ein. „Also, wenn du magst.. ich habe Zeit. Dann lass uns zusammen dein Schicksal

herausfordern.“ Kaum im Park angekommen stürmt Leni voraus. „Mama, ich will alleine laufen. Ich passe auch gut auf diesmal“ und weg ist sie. Schnellen Schrittes, mit heimlichen Blick durch die Menschen folgen wir ihr. Leider ohne Erfolg, wie die letzten Male. Er scheint wie nie dagewesen. Mein Herz zieht sich zusammen. Wie gern würde ich mich bedanken. Wie gern noch einmal in seine Augen sehen oder seine Hand berühren. Auch dieser Tag bleibt erfolglos. Ich habe das Gefühl die Tage ziehen nur

noch an mir vorbei und mein kurzzeitiger Aufschwung lässt spürbar nach. Ich fühle mich ausgebrannt und leer. Um mich endlich etwas zu erholen nehme ich mir spontan "frei" und quartiere Leni bei Helen ein, die sich ebenso wie ich krankgemeldet hat.

Es ist gegen ein Uhr mittags als ich erholt und ausgeschlafen in die Dusche steige. Das warme Wasser länger als die morgendlichen zwei, drei Minuten zu genießen ist herrlich. Es tut so unendlich gut alle Sorgen von mir zu waschen. Als ich eine halbe Stunde später aus der Dusche steige und mich abtrockne vernehme ich ein hohes

Quieken aus dem Flur. Was war das? Ich ziehe mir schnell meine Sachen über, öffne leise die Tür und stecke meinen Kopf inklusive Turban durch die Tür. Ich horche. „Das erste Mal bei dir. Eine Premiere“, spricht eine hochverführerische junge Frauenstimme. „Es wird nicht das letzte Mal sein, das verspreche ich dir, Baby“, raunt Dennis Stimme zurück. Kann das sein? Bilde ich mir das ein? Habe ich zu heiß geduscht und liege ohnmächtig im Bad? Das kann einfach nicht sein! Ich blicke um die Ecke und sehe ihn,

breitbeinig vor einer sehr jungen rothaarigen Frau stehen, ihre Arme an die Wand drückend. Sie erkenne ich kaum. Er bedeckt sie mit seiner dominanten Körperhaltung fast völlig. Was passiert hier? Vor Schreck verliere ich das Gleichgewicht und stürze nach vorne. Von meinem lauten Poltern aufgeschreckt wirbelt Dennis herum und bleibt wie erstarrt vor mir stehen. „Hanni! Hanni, ich kann das alles erklären. Das ist Vicky und.. wir… sie ist.. Hast du dir wehgetan?“ Er eilt zu mir und versucht mich aufzuheben. „Fass mich nicht an. Fass mich nie mehr

an und vor allem: ich heiße Johanna für dich!“ Ich ziehe hasserfüllt meinen Arm aus seiner Stütze und versuche Abstand zu gewinnen. Noch mehr Abstand als der, den er selbst in den letzten Monaten geschaffen hat. „Wie lange, Dennis? Wie lange fickt ihr schon? Sag es mir!“ „Hanni.. wir sind nur Freunde. Da war nie etwas. Ich würde dich nie betrügen!“ Mit Tränen in den Augen wäge ich ab, ob das was er sagt in irgendeiner Weise mit dem zusammenpasst, was ich gesehen habe. Er wollte sie hier flachlegen. Es sollte nicht die letzte Premiere werden. Was ist

das für ein Spiel? „Raus! Sofort! Verschwinde sofort aus meinem Leben du elendiger Lügner und nimm deine kleine Schlampe mit bevor ich mich vergesse!“


Ich versuche so ruhig wie nur möglich diese Worte über meine Lippen zu bringen und habe das Gefühl gleich wirklich bewusstlos zu werden. „Hanni, ich will nicht gehen. Ich liebe dich doch! Wir sind doch eine Familie. Du kannst das doch nicht einfach so wegwerfen. Hannischatz..“, schluchzt er und versucht mich zu umarmen. „Ich bin dann mal weg“, flüstert die

kleine Schlampe Vicky und entschwindet aus der Tür.


Da stehen wir beide – alleine. Ich, den Tränen nahe und er ebenso. Wie gern würde ich noch einmal ins Bad zurückkehren und in seine Arme fallen, anstatt mir diese Szenerie zu geben. Wie gerne würde ich vergessen. „Verschwinde endlich. Ich habe dir nichts mehr zu sagen, du Scheißkerl! Und nochmal: Hannischatz ist Geschichte! Hau-endlich-ab!!!“ schreie ich und schlage abwehrend auf seine Hand. Sichtlich gekränkt packt Dennis eine kleine Reisetasche und sucht dabei gezielt Dinge, die an uns als Paar erinnern. Unsere Urlaubsfotos, unsere ersten Kinokarten. Er steckt alles

ein. „Vergiss nicht, dass DU uns aufgegeben hast, Johanna. Ich liebe dich. Vergiss das nie“, beendet er sein Werk mit zittriger Stimme und gesenktem Blick. Dann verschwindet er und lässt mich zurück. Allein mit meinen Gefühlen und der Gewissheit mit 28 alleinerziehende Singlefrau zu sein. Das war es dann mit den Träumen, Johanna. Das war es.. Ich räume geistesabwesend ein paar Kleinigkeiten zusammen und mache mich auf dem Weg zu Helen und Leni. Ich kann hier nicht bleiben in UNSERER

Wohnung mit all diesen Erinnerungen. Bis zu ihr sind es zwanzig Minuten zu laufen.

Es ist mittlerweile 16 Uhr Nachmittags. Ich beschließe, dass die beiden sich sicher über ein leckeres Abendessen freuen würden (und ich so ein wenig abgelenkt wäre) also steuere ich den nächsten Supermarkt an. Mit möglichst selbstsicherem Gang versuche ich meine knallrot unterlaufenden Augen zu kaschieren. Ich hoffe es beachtet mich niemand.

Früher haben wir das zusammen gemacht. Gekocht und davor gingen wir gemeinsam einkaufen, Hand in Hand. Heute bin ich alleine. Die Tränen steigen

in mir auf also straffe noch einmal die Schultern: Kopf hoch, Johanna! Mit Hähnchenbrust, Reis, Paprika und ein paar anderen Kleinigkeiten auf dem Arm stakse zur Kasse. Natürlich ist die Schlange voll und selbstverständlich sucht Opa Willi sein letztes Kleingeld penibel zusammen. Was genau habe ich eigentlich verbrochen so bestraft zu werden?! Als ich an der Reihe bin und meine Waren auf das Band fallen lasse drückt sich eine junge Mutter hinter mir vorbei. „Darf ich bitte?

Oh, oh Max! Kannst du nicht aufpassen mit deinem Eis? Nun hast du der Tante ihr ganzes Kleid eingesaut. Sag sofort

Entschuldigung!“ Klein Max war sichtlich empört über meine Frechheit, mitten in den Weg zu stehen und dachte gar nicht an eine Entschuldigung. „Ist schon ok. Gehen sie einfach“, murmle ich und versuche den letzten Funken Selbstachtung hinauf zu beschwören. Mit Lenis Feuchttüchern versuche das Eis von meinem Po zu wischen und gebe schließlich entmutigt auf. Und natürlich habe ich die Tüte vergessen.. Da ich nur noch zu meinen Mädels will,staple ich alles, so gut wie möglich unter mein Kinn und laufe schnellen Schrittes los. Die fünfzehn Minuten Weg werden mich

nicht umbringen. Auf der Hälfte der Strecke fällt mir natürlich das Hühnchen aus meinem Turm und während ich mich bücke um es aufzuheben, rutscht der Rest hinterher. Ich mag nicht mehr! Was habe ich verbrochen das man mich so bestraft?

Ich schaue in den düster zugezogenen Himmel und gerade als mein leises „Warum“ meine Lippen verlassen, regnet es los. Nein, es regnet nicht nur, es schüttet. Es schüttet so stark, das ich binnen ein paar Sekunden völlig durchnässt auf dem Boden sitze und in einem Anfall völliger Überforderung los weine. Meine Tränen mischen sich mit

dem Regen. Ich schmecke warme salzige und kalte Tropfen zugleich, die sich an der Spitze meines Kinns zusammentreffen und hoffentlich mein Weinen unsichtbar machen. Mein Leben ist ein Chaos. Ich bin es nicht einmal mehr wert ehrlich behandelt zu werden von dem Mann, für den ich alles aufgegeben habe. Für den ich hier her zog und meine Karriere für unsere kleine Familie hintenan stellte. Ich hasse diesen Dreckskerl so sehr! Warum ich?! Mit einem Mal stoppt der Regen über mir. Ich schaue nach rechts vom Boden auf und blicke in blaue, besorgt schauende Augen. SEINE Augen. Oliver.

Er ist hier! Wortlos verstaut er meinen aufgeweichten Einkauf in seine Tasche und hebt mich absolut mühelos vom Boden auf.

Ein neues Abenteuer

Ob meine Wangen heiß von den endlich versiegten Tränen sind oder meiner Scham kann ich nicht mehr sagen.

Mir ist heiß und kalt zugleich, sodass eine Gänsehaut den gesamten Körper überzieht. Meine Kopfhaut kribbelt und als er mich in seinen Wagen setzt, der ein paar Meter entfernt steht, spüre ich, wie sich erst meine Beine, dann der Bauch, die Schultern und schließlich meine Hände entkrampfen. Ich lehne den Kopf an, schließe die Augen und atme mehrmals laut aus und ein. „Bekommen sie nun bitte nicht noch eine Panikattacke. Sie können gehen

wann sie wollen, keine Angst.“ Verwirrt sehe ich ihm in die sorgevollen Augen. „Danke, Oliver. Ich habe keine Angst, ganz im Gegenteil." (Ich habe mich nie sicherer gefühlt. Dabei bricht mein Leben...) Olivers Blick legt scheinbar alle Sorgen nieder und wird liebevoll weich. Er hebt seine Hand und als ich das Gefühl habe, er würde gleich meine Wange berühren, legt er sie abrupt hinter mich und parkt wortlos aus. Eine Woge der Enttäuschung legt sich auf mein Herz. Ich hätte zu gern seine Nähe noch einmal gespürt. „Wie heißen sie

eigentlich?“ „Johanna, ich bin Johanna und wo fahren wir hin?“ „Wohin sie wollen, Johanna. Der Name passt übrigens wunderbar zu ihnen. Ich mag es, wenn Menschen ihren Herzen folgen.“ Ich hebe eine Augenbraue und schaue ihn wohl etwas zu verdutzt an. „Was denn? Ich wollte es vermeiden zu fragen, was bei ihnen los ist. Daher der Smalltalk. Normalerweise bin ich darin besser aber so oft gable ich nicht im größten Gewitter junge verweinte Frauen auf.“ Ein schelmisches Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Er sieht so

unbedarft sorglos aus, dass es mich ansteckt. „SO oft komme ich leider auch nicht in den Genuss von netten jungen Herren beim größten Gewitter aufgegabelt zu werden.“ Er biegt Ort auswärts auf eine kleine Landstraße ab, fährt ein paar Hundert Meter und bleibt dann langsam am Straßenrand stehen. Ich schaue mich etwas unbeholfen um. „Johanna, ich war auf dem Weg nach Hause. Es ist nicht weit von hier und wenn sie möchten, bringe ich sie sofort nach Hause. Ich würde mich aber sehr freuen wenn sie heut Abend mit mir zusammen essen. Ich habe das Gefühl sie

könnten ein wenig Gesellschaft gebrauchen und trockene Sachen ebenso. Meine Familie wird auch da sein also brauchen sie keine Angst haben. Wir sind nicht allein und ich könnte es auch verstehen wenn sie ..“ „Ok. Ja, gerne“, unterbreche ich ihn schnell. Normalerweise bin ich übervorsichtig und lasse mich auf solche Geschichten niemals ein doch mein Bauchgefühl sagt mir, ich bin sicher. Er startet den Motor und wieder lächelt er jungenhaft während er die Landstraße bis zum Ende fährt. Während die Sonne zwischen die Bäume der Allee blinzelt und mir scheinbar Mut zuspricht, denke ich an nichts. Mein Kopf ist zum ersten

Mal in meinem Leben völlig leer und mein Herz fühlt sie frei und unbeschwert an. Als wäre ich noch einmal klein und würde mit Mama in den Urlaub fahren. Als würde ein riesen Abenteuer da draußen auf mich warten, nur ohne dieses Angstgefühl. Bei ihm bin ich sicher.

Unheimliche Wege

Gespannt beobachte ich, wie die letzten einsamen Häuser an uns vorüberziehen und die Straße, die uns bislang zuverlässig führte, erst etwas holpriger und schließlich ganz verschwunden ist. Besorgt schaue ich zu Oliver, der mich gelassen lächelnd und wortlos zu verstehen scheint. „Ich wollte dir, äh ihnen vorher nur etwas zeigen. Ist das in Ordnung? Wir sind auch fast da.“ Mir ist etwas flau im Magen. Um uns herum wird es stetig dunkler und außer ein paar Rapsfeldern links und rechts des

beginnenden Feldweges ist nichts zu sehen. „Oliver, ich bin nicht sicher. Was hast du vor?“ Meine wachsende Besorgnis scheint er zu spüren. Augenblicklich legt er seine Hand auf meinen Oberschenkel, dreht die Innenfläche nach oben und deutet mir, ich solle meine hineinlegen. Zögerlich nehme ich diese Geste an. Wie ein Funke durchdringt es mich als wir uns berühren. So etwas habe ich noch nie gespürt! Erschrocken schaue ich hinüber, doch sein Blick verlässt die Straße nicht. „Wir sind da“, sagt er geheimnisvoll. „Vertraust du

mir?“ Ich nicke, beginne unsicher zu lächeln und steige aus dem Wagen. Er folgt mir auf meine Seite und legt mir seine mittlerweile trockene Jacke um. Dann nimmt er meine Hand und führt mich ein paar Meter durch das Feld. „Ok, Johanna. Ich muss zugeben, dass ich noch niemanden hier her genommen habe. Das ist ein ganz besonderer Ort für mich und ich hoffe, du fühlst dich ebenso wohl wie ich hier. Bist du bereit?“. Er versichert sich ein letztes Mal und als ich ermunternd neugierig nicke, zieht er mich plötzlich ein Stück nach

vorne. „Das ist meine kleine Oase. Hier komme ich her, wenn ich abschalten und wieder ich selbst werden muss.“


Ich bin sprachlos. Wir stehen auf einem alten Steg, vor uns ein riesiger See mit Schilf umrandet. Der See spiegelt klar den Sonnenuntergang wieder und die Grillen, Frösche und Enten geben ein leises Konzert. „Es ist atemberaubend schön. Ich habe mit einigem gerechnet aber das übertrifft alles. Oliver, das ist ein Traum“, schaffe ich es nur noch zu

hauchen. In allen Facetten der Abendsonne funkelt das Wasser. Oder der Himmel? Die Grenzen scheinen zu verschwimmen und selbst die Tiere scheinen beeindruckt. Während wir uns an die Kante des Stegs setzen und die Füße ins warme Wasser tauchen, wird alles still um uns. „Das hier wird irgendwann einmal mir gehören und dann baue ich ein großes Haus dort hin, in dem ich meinen Lebensabend verbringe“, träumt er vor sich hin und schaut in den Himmel. „Deine Familie würde das sicher wundervoll finden. Ich würde es und Leni auch, das weiß ich. Warum hast du

es deiner Frau nie gezeigt?“. Ich schaue ihn etwas überrascht über meine Direktheit an und endlich wendet er sich mir zu. „Johanna, ich bin nicht verheiratet. Ich habe auch keine Kinder. Ich habe nicht einmal einen Hund.“ Er lacht und ich frage mich, auf welche Familie ich treffen soll. „Ich wurde schon als Kind allein gelassen mit unserem Personal. Meine Eltern habe ich mit fünf das letzte Mal gesehen. Ich weiß weder wo sie sind noch ob sie überhaupt noch leben. Meine Familie sind die Angestellten geworden, die mich aufzogen und dafür sorgten, dass ich nie alleine bin.

„ Mich überkommt so viel Mitleid, das meine Augen sich wieder mit Tränen füllen. Der Ärmste.. „Oh, es.. es tut mir unsagbar Leid für dich, Oliver. Ich weiß, wie es ist seine Eltern zu verlieren und ich entschuldige mich zutiefst für meine vorlaute Art. Das war nicht okay von mir.“ Ich schaue auf meine ineinander verhakten Finger in meinem Schoß. Oliver, dem es sichtlich peinlich ist mich so zu sehen, nachdem er mich eigentlich aufbauen wollte, nimmt wieder meine Hand. Dieser Funke, er ist immer noch da! Es durchzuckt uns beide und augenblicklich

lassen wir einander los. „Spürst du das auch?“, frage ich ihn unsicher und schaue in seine amüsierten Augen. „Was genau?“, antwortet er sichtlich besser gelaunt. Ich stupse ihm mutig in die Seite und fange an zu kichern. „Das ist nicht komisch! Ich glaube ich habe mich heute genug blamiert.“ Er schreckt zusammen und startet einen Gegenangriff, dem ich mich recht plötzlich zu entziehen versuche. Ich springe auf und versuche ein paar Schritte zurück zu springen um ein wenig Sicherheitsabstand zu gewinnen. In keinem Augenblick habe ich das

Gefühl, unser kindliches Spiel würde ernste Züge annehmen. Ich fühle mich pudelwohl, so sorglos in seiner Nähe. Viel eleganter aber ebenso schnell steht er auf und streckt mir seine Arme einladend entgegen. Er, in seinem hellbauen Hemd, die obersten Knöpfe lässig offen und der hochgekrempelten dunklen Anzugshose wirkt so vertrauenserweckend, das ich ihm wieder etwas näher komme. Langsam und möglichst unnahbar versuche ich zu wirken. Dieses Spiel kann ich auch. Sein Lächeln wird größer und größer je näher ich komme. Wie ich ihn so sehe, mit jugendlicher Leichtigkeit, trotz seiner geschätzten dreißig Jahre, geht

mir das Herz auf. Ich breite wie er die Arme aus und mache einen letzten Schritt auf ihn zu. Als ich den Fuß aufsetze und das Gewicht nach vorn verlagern will, knarzt und kracht es laut und ich schreie erschrocken auf. „Aaaah, nein!!!“, hört man es um den See schallen. Ich versuche vergeblich Halt zu finden und rudere wild umher. Gerade als sich mein Körper nicht mehr zu fangen scheint und ich mich heute ein zweites Mal durchnässt vor dem inneren Auge sehe, fängt mich seine Hand ab. „Ich hab dich. Keine Angst“, ruft er und zieht mich ruckartig zu sich. Ich lande

mit einem gewaltigen Schwung in seinen Armen. „Oliver, danke. Schon wieder eine Rettung in großer Not.“ Fest an seine Brust gedrückt, von ihm umarmt, schaue ich ihn an. Unsere Blicke treffen sich wieder und die Zeit scheint still zu stehen. Er schiebt mich etwas mittiger vor sich ohne seine kräftige Umarmung zu lösen und seine Lippen nähern sich meinen. „Immer wieder gerne, meine Liebe“, flüstert er und schließt die Augen. Auch ich schließe meine und warte auf den berühmten ersten Kuss.

Steine



„Ich denke, wir fahren jetzt weiter, oder? Was sagst du? Es ist ja schon recht dunkel geworden.“ Hat er das gerade tatsächlich gesagt? Ernsthaft?! Wir stehen hier höchst romantisch so nah beieinander und er will nach Hause? Oh Johanna, was hast du denn erwartet. Er und du.. das ist lächerlich. Meine Gedanken fahren Karussell und gerade, als ich mich versuche zu fangen dreht er uns um und nimmt mich an die Hand.

„Kommst du?“, fragt er mehr fordernd als unsicher. Ich nicke und folge ihm wortlos zum Auto, in das wir, jeder für sich, einsteigen. Er wirft den Motor an und betätigt den Knopf um das Radio ertönen zu lassen. Er will also nicht mehr reden.. ok. Stumm fahren wir noch ein paar Kilometer in die Einsamkeit hinaus. Warum wohnt man bloß so weit außerhalb? Hier gibt es nichts außer Bäume, Dunkelheit und Stille. Mich überkommt ein ungutes Gefühl. „Wir sind da, Johanna“, spricht er und

biegt auf einen großen Hof ein. Ich erkenne nur ein paar beleuchtete Fenster, sonst nichts. Es ist einfach zu dunkel mittlerweile und ich hoffe Meter für Meter mehr, das meine Entscheidung mitzukommen richtig war. Eingeparkt sitzen wir nun in seinem Auto in seinem Hof vor seinem Haus. Ich schaue auf meinen Schoß und beobachte meine Finger, die sich ineinander verhaken, als suche ich einen kleinen Halt. Ich bin so unsicher und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Warum zum Teufel hat er das getan? „Liebes, mach dir bitte keine Gedanken darum. Ich bin es nicht gewohnt der

Retter zu sein und wollte dir einfach keine Angst einjagen. Kannst du mir verzeihen?“, sagt er ruhig und führt meine Hand zu seinen Lippen um ihr einen flüchtigen Kuss darauf zu schenken. Überrascht, wie er es geschafft hat ins Schwarze zu treffen stammle ich nur: „ Ja, ok. Ist gar nicht schlimm. Alles gut“. Er steigt aus, läuft um den Wagen und hält mir die Tür auf. Nachdem ich ausgestiegen bin ergreift er meine Hand und führt mich zur nächsten Tür. „Bereit?“, er lächelt mir wohlwollend zu und da dieses Lächeln sich ebenso in seinen Augen widerspiegelt fasse ich Mut und folge ihm in sein Reich.

Ich staune. Der Flur ist hell und kühl gestaltet. Weiße einfache Möbel, etwas ländlich, und ein paar Kunstdrucke zieren den schmalen Raum. Er hilft mir aus meiner und seiner Jacke, geht in den nächsten Raum und schaltet das Licht an. Ich folge ihm weiter und betrete die wohl gemütlichste Küche auf Erden. „Wow, das ist ja toll. Hier kann man sich nur wohlfühlen.“ Ich bin versucht meine Finger über die Landhausküche gleiten zu lassen. So einen großen Raum hätte ich nicht erwartet und Oliver hier stehen zu sehen, in seiner Küche, kommt mir ein

wenig seltsam vor. Er, der in Hemd und Anzug mit glänzenden Lederschuhen durch die Stadt schlendert gegen diese alte Küche mit Blümchentellern und Einmachgläsern voll Marmelade. Was für ein paradoxes Bild. „Sie gehörte noch meiner Oma. Ich habe sie so unendlich geliebt und kann mich einfach nicht trennen. Das hier ist als wären sie noch alle hier. Das sind wir. Verstehst du?“ „Ja, das kann ich gut verstehen. Wenn ich du wäre würde ich nicht anders handeln. Ich spüre es; die Wärme.“ Er geht an den Kühlschrank, holt einen Topf heraus und stellt ihn auf den

Herd. „Ich hoffe du magst Suppe“, und ist nun sichtlich selbstsicherer als auf dem Steg. „Ich liebe Suppe! Aber sag mal, wo sind denn die anderen? Sind wir alleine?“ Er grinst und zeigt auf ein Fenster hinter ihm. „Dort hinten ist ihr Haus. Wir haben allen Angestellten ein Haus gebaut um etwas mehr Privatsphäre zu haben. Ich kann sie dir auch gerne rufen und vorstellen.“ Ich schüttle aufrichtig den Kopf. „Nein, nein. Es ist ja schon spät. Lass sie ruhig schlafen. Außerdem habe ich einen

Bärenhunger.“ Wir decken gemeinsam den großen Eichentisch und stellen Kerzen auf, die die romantische Stimmung von vorhin wieder hochholen sollen. Das ist zumindest mein Plan. Mit dem gedimmten Licht sieht der Raum nun edler aus als mein Lieblingsrestaurant in der Stadt. Dort waren Dennis und ich einige Male essen doch das ist nichts gegen dieses Arrangement hier mit Oliver. Dieser legt eine CD ein und leise Klavierstücke umhüllen uns. Er kommtzu mir und ergreift meine Hand. „Lust zu tanzen?“

Ãœberwindung

„Unbedingt“, grinse ich verlegen und ergreife seine Hand. Er zieht mich zu sich heran und führt mich so sanft zum Takt, das man meinen könnte, wir schweben über den Boden. Ich weiß nicht wie lange wir so tanzen und ob es immer noch dasselbe Stück ist. Ich weiß nicht einmal mehr warum ich solche Angst hatte bevor wir das Haus betraten. Gerade in diesem Moment fühlt sich alles einfach nur richtig an. Als wäre es unsere Bestimmung hier zu sein. Wir tanzen bis uns die Füße wehtun und fallen müde auf unsere Stühle. Der

Rotwein tut sein Übriges, sodass wir ziemlich schnell schläfrig werden und mir schummrig wird. Ob ich hier bleiben soll? Helen und Leni rechnen ja heute nicht mehr mit mir und mein Herz sagt zu hundert Prozent ja. Ich habe mir schließlich fest vorgenommen besser auf mein Gefühl zu hören. Das wäre ein guter Anfang. Oder ist das etwas übereilt? „Oliver, ich.. also.. ich bin recht kaputt…“ „Alles ok, das verstehe ich. Wenn du möchtest fahre ich dich heim.“ „Äh, nein.. also ich…“, ich überlege verzweifelt was ich tun soll. „Ich habe Angst nachts Auto zu fahren“, fahre ich

schnell fort um möglichst überzeugend zu klingen. „Ist das ein Problem? Ich brauche nur eine Decke und würde gleich morgen früh ein Taxi rufen.“ „Johanna, du bist mein erster Gast hier und bist natürlich herzlich eingeladen zu bleiben. Ich werde dich zurückfahren sobald du möchtest. Das habe ich dir versprochen. Ich hole dir ein paar Sachen von mir, wenn das in Ordnung ist und zeige dir deine Räume.“ Seine Lippen umspielt ein Anflug von Neugierde und auch ein kleines bisschen Besorgnis, habe ich das Gefühl. „Hier hat noch niemand übernachtet? Aber warum denn? Es muss doch schrecklich einsam hier

sein“ Er nimmt mich wieder an die Hand und führt mich nach oben, wo drei Räume auf uns warten. „Ich bin einfach nur gerne für mich hier und wahre das Andenken meiner Familie. Ich bin aber unglaublich froh dich hier haben zu dürfen.“ Er öffnet eine Tür. „Das hier ist das Badezimmer. Ich hole gleich ein paar Sachen für dich aus dem Angestelltenhaus und das hier ist mein Arbeitszimmer.“ Oliver macht eine flüchtige Handbewegung hinein und verschließt dann die Tür. „Und das hier ist der Schlafbereich. Ich weiß, es ist recht kahl eingerichtet aber

ich hoffe dir gefällt es dennoch.“ Oh ja, es ist absolut romantisch! Das er hier schläft kann ich mir kaum vorstellen. Es gibt nur ein paar Möbel in diesem recht großzügigen Raum. Vor uns ein großes Himmelbett mit weißen Chiffontüchern um die Pfosten gewickelt, am Fußende eine dunkle Bank mit weißen Sitzkissen und hinten an der Wand ein großer weißer Kleiderschrank mit Spiegeltüren. An den Fenstern sind ebenfalls Chiffontücher angebracht und ein ziemlich romantischer Kronleuchter taucht den Raum in warmes dezentes Licht. „Ein Traum, ehrlich. Das ist wunderschön aber schläfst du sonst

hier? Es passt irgendwie gar nicht zu dir“, platzt mir recht vorschnell raus. Ich schrecke zusammen und werde rot. Diese Anmerkung hätte ich besser für mich behalten. Wie hört sich das denn an? „Ja, hier schlafe ich. Da ich aber viel mehr unterwegs als daheim bin, nächtige ich recht selten daheim. Mich freut es aber, das du dich wohlfühlst.“ Er geht zum Schrank und holt ein weißes Hemd und eine graue Jogginghose heraus. „Ich hoffe das passt dir. Ich werde dich nun in Ruhe lassen und mir ein Nachtlager bauen. Wenn du mich suchst, ich bin unten. Weck mich ruhig,

wenn du irgendetwas brauchst. Ich wünsche dir schöne Träume und danke dir für den wunderbaren Abend.“ Oliver wendet sich zum Gehen. Mein Herz erinnert mich mit einem kleinen Stich an seine Existenz. Verlegen schaue ich auf dem Boden während ich all meinen Mut zusammen nehme. „Oliver?“ Er dreht sich zu mir zurück. „Ich habe seit Jahren nicht mehr alleine geschlafen und.. also meinst du es wäre schlimm wenn du hier bei mir bleibst?“ Mein Gesicht muss förmlich leuchten. Was habe ich mir da wieder einfallen lassen? Johanna, ein wildfremder Mann!

Mut

„Bist du dir sicher? Ich möchte nicht, dass du dich morgen schlecht fühlst. Wenn du es wünscht, bleibe ich gerne bei dir“, antwortet Oliver etwas überrascht. Er verzieht, wie so meist kaum eine Miene. Eigentlich zeigt er generell in seinen Gesichtszügen selten Emotionen. Das macht ihn aber nur interessanter. „Ja, bitte. Ich bin hier in einem fremden Haus in einem fremden Bett bei einem fremden Mann. Etwas Sicherheit würde meinem Herzen ganz gut

tun.“ Oliver kommt auf mich zu, umfasst meine Schultern und drückt mich sanft. „Ich rette dich für mein Leben gern, weißt du das?“ Ok, nun glühe ich vor mich hin. Wie er mich mit Worten umschmeichelt ist verzaubernd. Ich habe mir zwar vorgenommen Worten von Männern immer kritisch gegenüber zu stehen, doch dieser hier war anders. Was umgibt ihn für eine anziehende Energie, das ich so handle? Ich erkenne mich von Stunde zu Stunde weniger wieder. „Ich besorge dir nur ein paar Kleinigkeiten. Bin gleich wieder da.“ Er springt auf und verschwindet aus dem

Haus. Ich husche ins Bad, dusche mich schnell und flechte mir die Haare. Nachdem ich umgezogen und frisch zurückkomme ist das Zimmer immer noch leer. Ich schaue in den klaren Nachthimmel und überlege mich jetzt noch bei Helen und Leni zu melden, beschließe jedoch, dass ich auch mal nur Frau sein darf und die beiden das auch ohne mich hinbekommen. Erschrocken fahre ich zusammen. Oliver hat sich von hinten zu mir geschlichen und erscheint plötzlich im Fenster. „Huch, jetzt hast du mich erwischt“, japse ich zu seiner

Belustigung. „Das tut mir leid. Das war nicht meine Absicht. Bei was denn genau?“ Er hebt eine Augenbraue und beäugt mich fasziniert. „Beim Träumen. In so einem Moment in einsamen Zimmern darf man das doch, oder?“, entgegne ich gespielt böse und stemme die Hände in die Hüften. Er lacht los, ich lasse mich anstecken und schon kichern wir wie zwei Teenies. Aus herzlichstem Lachen denke ich daran wie sehr mir solche Momente fehlen. Mir kommt die Frage in den Sinn, wie lange ich nicht mehr so unbeschwert war. „Johanna, ich bin bereit fürs Bett.

Wollen wir?“ Er nimmt meine Hand, höflich auffordernd wie ein Prinz und ich steige auf seine fürstliche Geste ein. „Gerne, mein Herr. Lassen sie uns endlich nächtigen.“ Frisch ausgesprochen kichern wir wieder los. Dieser Mann macht Dinge mit mir. Ich kann es kaum erwarten mehr von ihm zu erfahren. Wir steigen ins Bett und krabbeln einander entgegen. „Es war die beste Rettung, die man sich wünschen kann. Vielen Dank, Sir Oliver.“ Ich schaue ihm aufrichtig in die Augen. Er rückt ein Stück näher an mich heran und reibt seine Nase gegen

meine. „Manchmal glauben wir gar nicht, dass wir die Helden sind. Ich habe zu danken.“ Er küsst mich liebevoll auf die Stirn, wünscht mir nochmals eine gute Nacht und löscht das Licht. Und er lässt mich mit kribbelndem Bauch, einem dümmlichen Grinsen und der Frage, was er damit nun wieder meint, in den Schlaf sinken. Jeder auf seiner Seite mit eigener Decke und jeder darauf bedacht dem anderen eine selige Ruhe zu gönnen. Ich brauche nicht lange um einzuschlafen. Der heutige Tag war so erlebnisreich, das ich Mühe habe gegen die schweren Lider

anzukämpfen. Dabei hätte ich Oliver zu gern genauestens im hellen Mondlicht angesehen. Ich wache auf, da mir ein seltsam unbekannter Geruch in die Nase steigt. Es riecht männlich, nach Parfum und Wein. Außerdem ist mir ganz schön heiß, was kein Wunder ist. Oliver hat beide Decken über uns gelegt und sich von hinten an mich geschmiegt. Er möchte also doch Nähe. Was auch immer das gestern war, heute haben wir einen neuen Tag für uns. Mein Bauch

kribbelt beim Anblick seines schlafenden unschuldigen Gesichts, daher vergnüge ich mich nun damit ihn ausgiebig zu studieren.

Träume



Oliver nun zugewandt zeichne ich ihm hauchzart die Lippen nach. Wie gern würde ich sie kosten.. Meine Gedanken kreisen noch um den gestrigen Abend und vor allem um seine Reaktion am See. Er hätte mich küssen können. Es war alles perfekt! Doch er machte einen Rückzieher. Traurig seufze ich und schließe noch einmal die Augen um mir vorzustellen, er wäre mutiger gewesen. „Guten Morgen, Johanna. Was machst du

denn da?“, lacht er plötzlich los. Ich schrecke zusammen und überlege, was genau ich nun wieder peinliches angestellt habe. Schließlich öffne ganz vorsichtig die Augen. „Was soll ich getan haben? Ich habe nur geschlafen und weiß gar nicht, wovon du sprichst“, spiele ich gekonnt unschuldig. Er rückt noch ein Stück an mich heran und stützt sich ein wenig auf, wohl um größer zu wirken. „Meine Liebe, du hast anscheinend richtig romantisch geträumt oder was waren das für Lippenbewegungen?“ Oliver stellt einen übertriebenen Knutschmund nach und fummelt an seinem Oberkörper

rum. Ich werde knallrot und ziehe mir die Decke über den Kopf. Wie peinlich!! Doch er, frech wie er gerade ist, zieht mir die Decke weg und legt sich auf sie um mich noch angreifbarer zu machen. Er will also spielen? Gut, das kann ich auch. „Ich darf träumen was ich will, klar? Außerdem friere ich nun und muss wohl oder übel aufstehen.“ Mit ernstem Gesicht drehe ich mich auf meine Seite und setze mich auf. Die Füße berühren gerade den Boden, da zieht Oliver mich an der Hand nach hinten in meine Ursprungslage. Er hält meinen Arm fest und schwingt

sich auf mich. Oh mein Gott, wie mein Herz klopft! Ich kann mein Grinsen nicht mehr zurückhalten und lasse mich von seinem Spieltrieb anstecken. „Hey, du musst dich entscheiden. Sei lieb zu mir oder ich muss vor dem Frühstück gehen.“ Oliver erschrickt förmlich, überlegt kurz und umfasst blitzschnell beide Arme. Er zieht sie nach oben und flüstert mir ganz ernst: „ohne ein richtiges Frühstück lasse ich dich aber nicht gehen“, ins Ohr. Ich versuche mich spielerisch zu wehren und strample mit den Beinen um ihn zum Aufstehen zu bewegen. „Oliver, du bist zu schwer! Du gemeiner

Kerl, hör auf mich zu ärgern“ Er lacht erneut los und zeigt mir noch einmal, dass er der Stärkere ist. „Johanna, DU hast doch angefangen mit deinen seltsamen Bewegungen neben mir. Ich muss mich doch vergewissern, dass es dir gut geht.“ Oliver drückt mir ein Küsschen auf die Wange und steigt von mir herunter. „Na komm, sei nicht böse auf mich. Deinen Helden, der dich im tiefsten Regen in sein warmes Bett geholt hat und dir nun das beste Frühstück der Welt servieren wird“ Wie er vor mir kniet und mich fürsorglich und treu ansieht, wird mir das Herz warm. Auch wenn er wieder

meinen schwachen Moment NICHT ausgenutzt hat, war dieser Augenblick wunderschön und beflügelt mich, mir einen richtigen Kuss zu holen, bis er mich absetzt. „Ich denke, ich kann dir verzeihen. Einen wahren Ritter soll man nicht verärgern. Wer weiß, wozu er noch gut sein wird.“ Ich zwinkere und springe aus dem Bett. „Wieviel Zeit gibst du mir denn bis zum weltbesten Frühstück? „Ich gebe dir 15 Minuten Zeit. Deine Sachen hat Katharina schon gewaschen und getrocknet. Sie liegen im Bad.“ Er steht auch auf und geht beschwingt zur Tür. „Hast du besondere

Wünsche?“ „Nein, Oliver. Ich bin zufrieden wenn du da bist. Mehr brauche ich gerade nicht. Bis gleich“, schmeichle ich ihm, husche frech an Oliver vorbei und verschwinde ich im Bad. Ich bin gespannt was mich erwartet. Ob seine Angestellten auch dabei sind? Ich löse den Zopf und weiche Wellen fallen über meine Schultern. Nachdem ich mich angezogen, gewaschen und etwas geschminkt habe, schreibe ich Helen und Leni eine kurze Nachricht. „Hallo meine Süßen, habt ihr gut geschlafen? Ich bin bei IHM und werde gleich mit einem tollen Essen verwöhnt. Wenn ihr aber wollt, fahre ich sofort

zurück bin bei euch. Macht euch keine Sorgen, XXX“ „Bei IHM?! Und das erzählst du erst jetzt? Hanni, wir haben Gesprächsbedarf! Ich hoffe es hat sich gelohnt und du hast etwas Erfreuliches zu berichten. Wir essen jetzt Cookies zum Frühstück und schauen Cartoons also mach in Ruhe und genieße die Zeit mit IHM. Bis später, XXX“ Hach, Helen. Sie ist eine geborene Romantikerin und wünscht sich für mich, wie üblich, einen weißen Ritter, der mich endlich mit sich nimmt. Ich liebe diese kleine verrückte Frau

einfach. Nachdem ich alles zusammengepackt habe, schlendere ich nach unten in die Küche. Ich höre mehrere fröhliche Stimmen und atme noch einmal ganz tief ein bevor ich mich ihnen stelle. Ich komme mir ein wenig vor, als würde ich zum ersten Mal meine Schwiegereltern kennenlernen und hoffe, ich lasse wenigstens die großen Fettnäpfchen aus. „Oh, da ist sie ja! Darf ich euch vorstellen, das ist Johanna. Sie hat sich das tollste Frühstück auf Erden

verdient“, sprudelt es aus Olivers Mund. Schüchtern und verlegen lächelnd begrüße ich die drei Angestellten, die mich freundlich einladend zu Tisch bitten.


Ich habe unbändigen Hunger aber an einem Tisch mit unbekannten Menschen in einem fremden Haus gelingt es mir nicht Mut zu fassen nach den Brötchen zu greifen. Ich schaue unentschlossen umher. Was soll ich nur sagen? Soll ich sie fragen warum sie gerade HIER an diesem einsamen Ort arbeiten oder wie das Leben hier ist. Denken sie vielleicht er und ich hätten.. oh wie peinlich! Katharina nimmt neben mir Platz. „ Ich

bin Katharina und kümmere mich um alle hauswirtschaftlichen Belange. Ich hoffe, wir haben ihnen einen angenehmen Aufenthalt beschert.“ Sie streicht sich eine dünne graue Strähne aus dem liebevoll schauenden Gesicht. Ich kann gar nicht schätzen wie alt sie sein mag. Ihre Haare sind zwar völlig ergraut, doch ihr Gesicht ist fast faltenfrei und ihre Augen wirken blutjung. „Vielen Dank, Katharina. Ich habe mich durchweg wohl gefühlt hier.“ Katharina schaut geschmeichelt an mir vorbei. „ Das tun wir alle sehr. Dieses Haus wird seit Jahrzehnten von Olivers Familie und uns bewohnt und

bewirtschaftet. Hier stecken ganze Lebensgeschichten in den Möbeln. Es wäre eine Schande sie nicht mehr zu nutzen. Wo leben sie denn?“ „Ich? Etwas zentraler gelegen momentan aber ich denke ich muss mir mit meiner Tochter erstmal eine neue Wohnung in der Stadt suchen. Ist eine umständliche Situation im Moment.“

Mein Blick senkt sich. Ich habe mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Wo sollen Leni und ich eigentlich hin? „Ach sie haben eine Tochter? Wie alt ist sie?“, Katharinas Augen leuchten auf. Das Thema Kinder scheint ihr sehr am

Herzen zu liegen. „Meine kleine Leni ist fast fünf und ein ganz besonderes Goldstück. Sie ist mein ganzer Stolz.“

Ja, das ist sie wirklich. Für sie würde ich alles stehen und liegen lassen. Ich will einzig und allein, dass sie glücklich ist. Fraglich ist nur wie sie mit unserer Trennung zurechtkommen wird. Ich fange an zu grübeln. „Hans? Hans! Ach du Träumer“, rüttelt Katharina den Mann neben ihr wach. „Hans, stell dich doch auch mal vor!“ Der ältere Mann mit Seemannsbart und treuem Blick streckt sich und schaut mich durchdringend an. „Also ich kümmere mich um den Garten

und alles Handwerkliche hier. Mein Sohn Nico hier hilft mir dabei. Ich freue mich sie kennenzulernen. Hier kommen so selten Gäste vorbei – eine willkommene Abwechslung.“ Er klopft seinem Sohn auf die Schulter. Dieser muss in meinem Alter sein und schaut etwas unsicher zu seiner Mutter, die wieder das Wort ergreift. „Johanna, sie müssen Leni unbedingt einmal mitbringen. Ich habe noch so viel Spielzeug hier, was nie genutzt wird. Außerdem fehlt mir das kleine Kindergetrappel. Also natürlich nur wenn sie noch einmal kommen mögen und Oliver nichts dagegen hat.“ Sie sieht ihn eindringlich

an. Olivers Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. „Die beiden sind jederzeit hier willkommen. Aber nun lasst uns doch bitte endlich essen. Ich habe Johanna ein unglaublich tolles Frühstück versprochen und wir warten gerade bis die Brötchen kalt werden. Ich habe soo Hunger.“ Auf dieses Kommando habe ich gewartet. Ich greife beherzt zu und lasse es mir schmecken. Dafür, dass ich eigentlich Liebeskummer haben müsste geht es mir unwahrscheinlich gut. Dennoch sollte ich nach dem Essen zu Helen und Leni zurück und dann schauen

wo wir bleiben. Gedacht, getan. Wir verabschieden uns schon bald von Katharina, Hans und Nico, der mich immer noch nicht ansieht. Er scheint hier selten Frauen zu sehen, so unbeholfen wie er wirkt. Zum Abschied drückt mich Katharina und flüstert mir zu, dass sie sich sehr freut mich kennengelernt zu haben. „Er war, seit seine Eltern nicht mehr da sind, nicht mehr so gut gelaunt und herzlich. Sie müssen einen ganz besonderen Einfluss auf ihn haben. Ich hoffe sehr, wir sehen uns einmal wieder. Auch die kleine Leni würden wir gerne kennenlernen. Kommen sie gut

Heim.“ Ich verabschiede mich und überlege, warum Oliver bei mir so anders sein soll. Mir ist bisher nichts Ungewöhnliches an ihm aufgefallen – bis auf die Abfuhr am See. Oliver hält mir die Tür seines Wagens auf und zeigt mir freundlich bittend an, dass ich einsteigen möge. Er hat ja Recht. Leni wartet sicher schon sehnsüchtig auf mich und wenn ich schon lese, wie die beiden sich ernähren, sollten wir uns umso mehr beeilen. Ich winke den dreien zu während Oliver den Wagen Richtung Ausfahrt lenkt.

Nun beginnt wieder der Ernst des Lebens, Johanna. Es wird Zeit deine Träumereien zu lassen und dich um euer Leben zu kümmern. Ich seufze und schaue zu, wie sein Anwesen im Seitenspiegel immer kleiner wird und schließlich ganz verschwindet. Wie gern würde ich wiederkommen und all den Ballast auf ewig hinter mich lassen. Hier habe ich mich frei und unbeschwert gefühlt. Oliver sieht mich aus dem Augenwinkel an und nimmt meine Hand. Wir fahren so ein paar einsame Kilometer weiter und schweigen, denn keiner von uns wagt es unsere Stille aufzubrechen. Weil

ich nicht recht weiß wohin mit mir und meinen Gedanken beschließe ich noch einmal mutig zu sein. Ich rücke ein Stück näher an ihn heran und lasse meinen Kopf auf seine Schulter sinken. Um diesen Moment, seine Nähe und unsere Zweisamkeit voll auszukosten schließe ich die Augen und gehe in Gedanken jeden Augenblick unseres Treffens noch einmal durch. Wie ich Dennis überraschte, heulend im Regen saß, er mich wegtrug und wir ins Auto stiegen um zuerst an seinen Steg zu fahren und dann zu ihm. Ich stelle mir vor, was alles hätte positives passieren können. An die negativen Folgen muss ich überhaupt nicht denken denn, obwohl

ich Oliver gar nicht kenne, vertraue ich ihm. Es ist, als wären wir gute Freunde, die einander zwar selten sehen, sich aber nie aus den Augen verlieren. Irgendwie.. Ob ich ihn ein wenig ausfragen sollte? „Du, sag mal. Was machst du eigentlich beruflich so einspannendes, dass du die drei deinen Hof quasi allein bewirten lässt?“ Ich schaue zu ihm auf und beobachte, wie er erst den Mund öffnet um mir spontan zu antworten, doch dann innehält. „Ich leite ein kleines Unternehmen. Nichts Besonderes eigentlich aber insoweit wichtig, weil es ein

Familienerbe ist. Und du?“ Er erwidert meinen Blick flüchtig, lächelt milde und konzentriert sich weiter auf die Straße. Das war recht dürftig, stelle ich fest. Ein paar Informationen mehr hätten mich schon gefreut aber vielleicht sollte ich ihn nicht weiter zu bedrängen. Stattdessen versuche ich ebenso flüchtig zu antworten. „Ich arbeite in einer kleinen Redaktion. Auch nichts Besonderes, zumal ich nur ein paar Beiträge zusammenstelle und im Hintergrund arbeite.“ Er drückt unwillkürlich meine Hand. „Und warum gehst du nicht an die Front? Du machst mir einen durchaus begabten

Eindruck.“ Sein Daumen streichelt über meinen Handrücken. „Ach ich fühle mich ganz wohl im Hintergrund. Was soll ich auch vor der Kamera? Ich, die alleinerziehende Studienabbrecherin.. nein nein.. ich bin da schon genau richtig.“ Mein Blick ist auf unsere Hände gerichtet. Teils aus Scham, teils weil mir der Anblick sehr gefällt. „Was hat ein abgebrochenes Studium mit Können zu tun? Ich habe mein Wirtschaftsstudium auch nicht beendet. Ich habe nicht mal die ersten zwei Jahre geschafft. Johanna, du brauchst dich nicht kleiner zu machen, als du bist. Wer

nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich wette, du würdest die anderen locker in die Tasche stecken.“



Ein Ende

In mir steigen heiße Tränen hinauf. Dieselben Worte hatte meine Mama mir gesagt kurz bevor sie für immer ging. Ich hatte das völlig verdrängt und nun holt ein fast Fremder solche Erinnerungen in mir hoch. Ich kann.. ich will das nicht! Weil ich vor ihm nicht mehr weinen mag schlucke ich meine Trauer hinunter und versuche mich zu fangen. „Danke, das ist wirklich lieb von dir.“ Mehr bringe ich nicht mehr heraus. Die Zeit will gar nicht recht vergehen und unser Schweigen unterstreicht, dass irgendetwas nun nicht mehr so läuft, wie

es sollte. Was mach ich nur? „Johanna, wir sind da“, spricht Oliver mich seelenruhig an und parkt seinen Wagen vor Helens Haus. Wenn ich jetzt einfach gehe ist alles vorbei! In mir steigt noch mehr Unbehagen auf doch ich möchte meine Lieben nicht mehr länger warten lassen. Mit erröteten Wangen wende ich mich ihm zu. „Das waren schöne Stunden mit dir. Ich weiß gar nicht wie ich dir noch danken soll, Oliver. Du bist wunderbar und ich würde mich sehr sehr freuen wenn wir uns bald wiedersehen könnten. Wenn du auch möchtest.. also.. ganz unbefangen.“ „Meine Liebe, ich bin leider sehr stark in

meine Arbeit eingebunden und kann nie frei vorausplanen. Aber wenn du Hilfe brauchst bin ich da. Versprochen!“ „Maaaaaaamiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!!!!!“ Meine kleine Lenimaus hat mich längst entdeckt und klopft gegen die Scheibe Helens Küche um mich endlich bei sich zu haben. Mein süßer Engel. Ich verabschiede mich rasch von meinem Retter und steige wehmütig aus dem Wagen - und unserer Zeit- aus. Er schenkt mir zum Abschied sein hinreißenstes Lächeln, winkt flüchtig und ist so schnell verschwunden wie er gestern auftauchte. Zeit dich zu sammeln, Johanna. Auf

geht’s! Leni und Helen warten schon. Du schaffst das!

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Ostseekind
aufgrund meiner einsamen Abende (dank Fernbeziehung) schreibe ich ein wenig.
ich lebe mit meiner Tochter und meiner kleinen Hündin in unserem Mädchentraum und bin sonst Tagesmutti :)

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thehunter Wie geht die Geschichte weiter ? Bin bis jetzt sehr in der Handlung gefangen
Vor langer Zeit - Antworten
thehunter Wie geht die Geschichte weiter ? Bin bis jetzt sehr in der Handlung gefangen
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseekind schau einfach immer mal wieder rein ;)
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseekind und noch ein paar neue Seiten :)
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseekind Aus allabendlicher Einsamkeit heraus (dank Fernbeziehung) ist das entstanden. Ich bastle aber noch etwas daran rum, nicht wundern.

Viel Spaß beim Lesen :)
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