der ganz normale wahnsinn
oder
„Es ist wie es ist, weil es nicht (mehr) zu ändern ist“
Ich wünsche Allen da draußen, die Menschen pflegen oder in jedweder Form in ihrer Obhut haben, egal ob privat, ehrenamtlich oder beruflich, ganz viel Kraft und fortwährende Motivation auch schwerste Umstände durchzustehen und zu meistern.
Heute morgen ist mir eingefallen, dass ich dies und jenes am heutigen Tag zu erledigen habe bzw. ich mir schon letzte Woche ganz fest vorgenommen habe, die eine oder andere Sache endlich in
Angriff zu nehmen und zu beenden.
Mal schauen was der heutige Tag so bringt. Es ist nicht immer einfach alles unter einen Hut zu bringen. Nein, nein ich bin nicht mehr im Berufsleben stehend oder habe noch kleine Kinder zu versorgen. Das nicht – aber mitnichten – meine Mutter ist an Alzheimer erkrankt und ich pflege sie bereits seit fünf Jahren bei uns zu Hause. Da wir ein kleines Häuschen besitzen und die Kinder bereits flügge, gab es diesbezüglich keine nennenswerten Hürden sie bei uns aufzunehmen
Bis es jedoch überhaupt soweit war, dass
mein Mann und ich meine Mutter von ihrem ehemaligen Wohnsitz fortholen konnten, haben sich jedoch unglaubliche Dramen abgespielt.
Immerhin litt meine Mutter insgesamt schon vier Jahre an Demenz, bevor alles geregelt werden konnte. Aber nichts da – die lieben Anverwandten und engeren Familienmitglieder in ihrem direkten Umfeld gaben vor, sie sei ja nur alkoholabhängig und herrschsüchtig, nichts weiter.
Es war schlicht zum „Haare raufen“. Lagen doch verschiedene Atteste von spezialisierten Professoren vor, die klipp
und klar die Diagnosen gestellt hatten. Da stand es schwarz auf weiß: „Kosanow Syndrom“ und beginnende „Demenz“, nachdem sie 2005 mal wieder wegen eines wiederholten Alkoholexzesses ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Seinerzeit fiel ich aus allen Wolken. Was war da los? Hatten wir doch wegen andauernden und letztendlich unüberwindlichen Disputen fast 10 Jahre keinen persönlichen Kontakt mehr gehabt. Nur irgendwann trieb es mich unerklärlicherweise dorthin um zu schauen, wie es meinen „Eltern“ und meiner Schwester nebst Familie so ging.
Meine Schwester und mein Stiefvater zeigten mir nach einigen neuerlichen Besuchen die Atteste, die meine Mutter stets nach Arztbesuchen oder Krankenhausaufenthalten als Privatpatienten ausgestellt bekam. Aber nichts geschah. Sie ließen sie buchstäblich im Stich, so als seien diese Atteste gegenstandslos und nie geschrieben worden. Niemand ging mit ihr zum Arzt, sorgte für einen Alkoholentzug bzw. entsprechende Therapie oder sorgte für regelmäßiges Essen und sonstige alltägliche Dinge. (So trug es sich beispielsweise zu, dass
die Waschmaschine kaputt ging. Mein Stiefvater weigerte sich jedoch rigoros für Ersatz zu sorgen oder jemanden kommen zu lassen, ob die Maschine noch zu retten war. Er argumentierte, dass meine Mutter die Waschmaschine im „Suff“ falsch bedient habe und sie solle nun selber zusehen...“. Das Ende vom Lied war, dass ich dann von unserem zu Hause aus mit einem Elektrofachgeschäft telefonieren musste, damit sich jemand den Schaden vor Ort angeschaut hat. Das war schon komisch, wohnten wir ja immerhin 200 Kilometer entfernt.)
Ich bekam von meinen Lieben immer
wieder Worte zu hören wie:“Was mischst du dich denn jetzt ein. Hast dich so viele Jahre nicht blicken lassen und willst uns jetzt hier Vorschriften machen....“. Nun ja, wären die Atteste nicht so elementar hinsichtlich des Gesundheitszustandes meiner Mutter gewesen, hätte ich ihnen Recht gegeben – was mischte ich mich nach all den Jahren der Funkstille nun auch ein?
Letztendlich regte ich irgendwann eine gesetzliche Betreuung (früher Vormundschaft) an und beauftragte einen örtlichen Pflegedienst und „Essen auf Rädern“. Dies alles „gegen den Rest der Familie“.
Obwohl ich meine Schwester und auch meinen Stiefvater als mögliche „Betreuer“ beim Amtsgericht/Familiengericht vorgeschlagen hatte und örtliche Beratungsdienste eingeschaltet hatte, die vor Ort vorstellig wurden, blieben mein Stiefvater und meine Schwester weiterhin „uneinsichtig“.
So entschied letztendlich das zuständige Oberlandesgericht Essen, dass nur ich als gesetzliche Betreuerin in Frage käme, obwohl ich zu dem Zeitpunkt 200 Kilometer entfernt wohnte. Grundsätzlich
werden im Betreuungsrecht Familienangehörige und sonstige Anverwandte vorgezogen bevor ein Berufsbetreuer eingesetzt wird. Ich nahm den Beschluss an und die Dinge nahmen ihren Lauf.
Nun weilt meine Mutter schon fast fünf Jahre hier bei uns und die Pflege erweist sich mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer strapaziöser. Aber ich bereue es nicht. War das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir auch nie gut gewesen – es verbietet sich für mich sie einfach in ein Heim abzuschieben oder sie generell sich selbst überlassen zu haben.
Als Mutter hat sie mir nie Liebe geben können oder zeigen mögen – dennoch achte ich sie als Mensch – einen Menschen der ganz einfach Hilfe benötigt. Punktum ohne „Wenn und Aber“.
Meine Gedanken weilen immerzu bei meiner Schwester, die 2011 plötzlich im Alter von 54 an einer Leberzirrhose verstarb und meinen Stiefvater, der noch vor dem Beschluss des Oberlandesgericht meine Mutter nach 30 Jahren des Zusammenlebens ohne Vorwarnung verlassen hatte, obwohl er
zu dem Zeitpunkt sehr wohl wusste, dass meine Schwester sich nicht um unsere Mutter kümmern würde. Es sei vielleicht noch angemerkt, dass sie alle zusammen im Haus meiner Schwester und ihrem Mann/meinem Schwager lebten.
Ich denke heute im Nachhinein, dass Beide damals einfach zu nahe dran waren am Geschehen. Das sie nur finanzielle Einbussen gesehen haben mögen, anstatt sich um das leibliche Wohl meiner Mutter zu kümmern (so die Begründung des Oberlandesgericht), lasse ich mal dahin gestellt sein.
Mein Stiefvater hat sich hier nur zwei Mal blicken lassen, seit meine Mutter bei uns lebt. Meinen Schwager und meine beiden Neffen hab ich leider seit der Beerdigung meiner Schwester nicht mehr gesehen. Meine Versuche, den Kontakt mit meinem Stiefvater, Schwager und den beiden Neffen aufrecht zu erhalten, sind allesamt gescheitert. Dennoch trage ich ihnen nichts nach und werde mich weiter bemühen.
Jedenfalls sehe ich die Betreuung und Pflege meiner Mutter nicht nur als
gesetzliche oder menschliche Verpflichtung. Es liegt ganz einfach in meiner Natur. Folglich werde ich auch den heutigen Tag wieder klaglos meistern.
ENDE
(c) pepsi55 Mai 2015