Kapitel 19 Ielfgars Ende
Als Simon auf die Kreuzung hinaus stolperte, wusste er bereits, dass seine Hoffnung vergebens gewesen war. Aus drei Richtungen näherten sich mindestens fünfzehn bewaffnete Männer, alle in den blau-goldenen Wappenröcken der kaiserlichen Garde.
„Zurück!“, rief er und drehte sich bereits um, ohne darauf zu achten, ob die anderen seinem Beispiel auch folgten. Das hier war eine Sackgasse und mit so vielen würden sie es niemals aufnehmen können. Zumindest nicht
ohne Magie, dachte er bitter. Der einzige Weg, der ihnen noch blieb war, durch die Gasse die sie gekommen waren zurück…. Das würde zwar einen Umweg bedeuten, aber anders erreichten sie die Tore jetzt garantiert nicht mehr. Wenn die Wachen sie nicht ohnehin vorher einholten, hieß das.
„Los jetzt endlich!“ Er versetzte sowohl Tiege als auch Kiris einen Stoß, die wie erstarrt stehen geblieben waren. Offenbar zeigte das die erwünschte Wirkung, denn endlich setzten auch die Beiden sich in Bewegung. Aber was war mit Ordt?
Der Wolf war auf halbem Weg die Gasse hinauf stehengeblieben.
„Geht schon mal ohne mich weiter.“,erklärte er ruhig.
„Seid Ihr plötzlich wahnsinnig geworden?“, wollte Simon wissen.
„Hört zu, ich komme nach. Die Gasse ist zu schmal, als das sie mich alle gleichzeitig angreifen könnten. Ich halte sie etwas hin und folge Euch dann.“
Kiris schüttelte den Kopf. „Ihr… Also schön. Aber das ist ein Versprechen. Wehe Ihr lasst euch umbringen.“
Über Ordts Züge blitzte ein kurzes Grinsen, das selbst Simon einen Moment Angst machte.
„Glaubt mir, das haben schon ganz andere versucht. Und ich stehe immer
noch. Und jetzt los.“
Kiris nickte.
„Wir sehen uns auf der anderen Seite.“
Mit diesen Worten war es entschieden und sie setzten sich erneut in Bewegung. Trotzdem konnte Simon es nicht ganz vermeiden, sich noch einmal zu dem Gejarn umzudrehen. Es fühlte sich schlicht… falsch an, den Mann derartig zurückzulassen. Aber er hatte sich aus freien Stücken dafür entschieden. Götter, was dachte er überhaupt? Es sollte ihm völlig egal werden, was aus Ordt wurde.
„Ich gebe ihm fünf Minuten, wenn er dann nicht wieder bei uns ist, zieh ich
den Sturkopf am Schweif hier raus…“, konnte er Kiris murmeln hören, während die verfallenden Hütten Anegos an ihnen vorbeirasten. Und zu seiner eigenen Überraschung konnte er ein schwaches, trockenes Lachen nicht vermeiden. Es war eine Weile her, dass er Grund dazu gehabt hatte, ehrlich zu lachen. Aber die ganze Situation hier war auch Irrsinnig…
Am Ende der Gasse wurde er kurz langsamer um sich zu orientieren. Die Stadt war der reinste Irrgarten und dass ihnen jetzt endgültig die Zeit davon lief, machte die Sache nicht unbedingt einfacher…
„Hier lang.“, warf da Tiege
ein und rannte eine der verstaubten Straßen hinab.
Simon zögerte einen Moment, ihm zu folgen. Nach wie vor wussten sie beinahe nichts über den Mann. Aber… welche Wahl hatten sie schon? Bevor er noch länger darüber nachdenken konnte, folgte er dem Gejarn auch schon, direkt hinter Kiris. Und wenige Augenblicke später, wusste er auch bereits, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden. Der Palisadenzaun, welcher Anego umgab, war nicht sehr hoch, aber über die gedrungenen Gebäude hinweg, war er trotzdem gut zu sehen. Und auch das Torhaus zeichnete sich bereits als deutliche Silhouette über den Dächern
ab. Sie hätten es gleich geschafft….
Doch wieder einmal hatte das Glück gegen sie entschieden. Noch bevor sie ganz heran waren, erkannte Simon bereits den Mann, der an den Toren auf sie wartete.
Der Kommandant der kaiserlichen Garde Anegos. Und Ielfgar war nicht alleine. In seinem Rücken standen vier Männer, die in ihren schwarzen Panzerungen mehr wie lebende Schatten wirkten, als wie Wesen aus Fleisch und Blut. Jeder der vier trug ein schweres Zweihandschwert auf die Schulter gestützt, Klinge und Heft ebenfalls schwarz gehalten, wenn man von dem Drachenwappen am Heft absah.
Prätorianer. Das hatte ihnen grade noch gefehlt. Vermutlich hatte Ielfgar sie hierher beordert. Möglicherweise sogar als Henker für ihn selbst, dachte Simon. So oder so, sie standen ihnen im Weg….
„Und ich hatte schon befürchtet, meine Leute würden mich um das Vergnügen bringen, euch selbst zu erledigen, Simon.“, meinte Ielfgar kalt. „Ich will gar nicht wissen, wie Ihr es angestellt habt, zu entkommen. Fest steht, ich gebe euch dazu keine zweite Gelegenheit, Orden hin oder her.“
„Daraus wird nichts.“ Tiege zog die Waffe. Das Symbol der aufgehenden Sonne , das in das Heft des Schwerts eingelassen war. „Die gehören mir.“,
fügte er an Simon und Kiris gerichtet hinzu.
Ielfgar lachte, als er die Worte des Gejarn hörte.
„Ihr seid verrückt.“ Und mit einem Wink an seine Männer befahl er: „Tötet das Großmaul. Und danach die Anderen.“
Die vier Prätorianer setzten sich träge in Bewegung und hoben ihre Schwerter von den Schultern. So furchteinflößend diese Waffen auch wirkten, es brauchte normalerweise einen unvorstellbar kräftigen Krieger, sie auch effektiv einzusetzen. Und jetzt hatten sie vier davon vor sich. Simon wäre Tiege zur Hilfe gekommen, aber er hatte nichts,
womit er helfen konnte. Nicht mehr, wie ihm erneut schmerzhaft bewusst wurde.
Der Gejarn wartete lediglich, während die vier Prätorianer ausschwärmten und einen Halbkreis um ihn bildeten, die Hand am Schwertgriff, ansonsten aber scheinbar vollkommen entspannt. Lediglich seine Augen folgten jeder Bewegung. Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Der erste Prätorianer hob das Schwert und stürmte auf den wartenden Tiege zu. Die anderen drei folgten seinem Beispiel nur wenige Herzschläge später.
Tiege hingegen bewegte sich beinahe wie in Trance, wie es Simon schien. In einer fließenden Bewegung hatte er das
Schwert gezogen und Griff, sowie den oberen Teil der Klinge gepackt. Der Aufprall, als der Zweihänder und das dagegen zerbrechlich wirkende Schwert des Gejarn aufeinandertrafen, hätte Knochen zerschmettern können. Tiege jedoch ließ sich davon scheinbar nicht aus der Ruhe bringen. Einen Moment, während die restlichen drei Prätorianer ihm schon gefährlich nahe kamen, blieben die beiden Männer regungslos stehen, der Gejarn darum bemüht, die Klinge von sich fernzuhalten und scheinbar versagte er dabei. Der Prätorianer überragte Tiege leicht um einen halben Kopf und war ohne Zweifel ein gutes Stück kräftiger. Dann jedoch
versetzte Tiege seinem Gegner einen Tritt, der diesem das Gleichgewicht kostete. Jetzt erst wurde auch Simon klar, was der Fuchs getan hatte. Er hatte darauf gewartet, dass sein Gegner alle Kraft in das Schwert legte, seinen Schwerpunkt verlagerte… die Vollpanzerung forderte jetzt ihren Tribut und der Prätorianer schlug scheppernd auf dem Boden auf. Die anderen beiden schenkten ihrem gefallenen Kameraden jedoch keine Beachtung, sondern drangen nun geschlossen auf ihren einzelnen Gegner ein. Dieser jedoch, gab das Katz und Maus Spiel nun offenbar auf. Simon hatte selten jemanden gesehen, der sich so schnell und dabei gleichzeitig so
gezielt bewegte. Es war beinahe, als wäre Tiege kaum mehr als Luft, die zwischen den Klingen seiner Gegner hindurch huschte… und dabei immer wieder zuschlug. Nach wie vor hielt der Mann das Klingenblatt des Schwerts mit einer Hand gepackt und schien es mehr wie eine Lanze zu verwenden, anstatt als Hiebwaffe. Mit jedem gezielten Stoß fand er eine Lücke in den schweren Plattenrüstungen seiner Gegner, eine offene Armbeuge, ein Kniegelenk, den Schlitz eines Helmvisiers….
Als der Gejarn die Waffe schließlich sinken ließ, standen seine drei Gegner nur noch schwankend auf den Beinen. Blut rann aus den Rüstungen hervor,
floss über den schwarz glänzenden Stahl und tropfte dann auf die staubigen Straßen.
Tiege ging an den sterbenden Männern vorbei, noch ehe diese in sich zusammensanken, direkt auf Ielfgar zu. Der Kommandant war mittlerweile bleich geworden, während er zusah, wie seine vier Krieger innerhalb weniger Augenblicke besiegt wurden. Langsam wich er vor dem näherkommenden Gejarn zurück.
„Götter…Ihr habt meine Männer alle getötet. Ihr….“ Ielfgars Hände zitterten, während er einen schweren Gegenstand aus seinem Gürtel zog und auf Tiege richtete. „Sterbt Dämon!“
Dieser ignorierte die Bedrohung jedoch und ging nur weiter auf den Kommandanten zu, der nun bereits die Waffe spannte, nun nicht mehr zitternd, sondern routiniert und mit schnellen Handgriffen.
Eine Radschlosspistole. Simon erkannte das Stück verziertes Holz beinahe selbst zu spät als das was es war. Er hatte in einer Provinzstadt wie dieser nicht wirklich damit gerechnet. Lunten-Gewehre konnte man beinahe überall bekommen, aber die kleineren Ausführungen waren schon alleine aufgrund der komplizierten Zündmechanik teurer und normalerweise dem Hochadel vorbehalten.
„Tiege, Vorsicht! “ Kiris hatte offenbar auch gemerkt was vor sich ging. Und das der Gejarn den Kommandanten nie rechtzeitig erreichen würde. Ielfgar hingegen brauchte nur noch den Abzug betätigen.
Der Schuss war auf die kurze Entfernung ohrenbetäubend laut. Kiris wendete den Kopf ab und selbst Simon ertappte sich dabei, dass er kurz die Augen schloss. Als er wieder hinsah, bot sich ihm ein seltsames Bild.
Tiege hatte offenbar die letzten Augenblicke genutzt, um den Rundschild, den er bisher unbenutzt auf dem Rücken getragen hatte, an sich zu nehmen. Weniger als zwei Schritte von
der rauchenden Mündung der Feuerwaffe entfernt, wirkte die Barriere aus Stahl nicht so, als könnte sie den Mann irgendwie geschützt haben. Simon konnte die gewaltige Delle sehen, die der Aufprall der Kugel in das Metall gestanzt hatte, aber… ansonsten war es noch intakt….
Das war doch unmöglich.
Tiege ließ den nun nutzlosen Schild einfach fallen. Im gleichen Moment, wo dieser auf dem Erdboden aufprallte, sprang eine einzelne, verkrümmte Bleikugel aus der Delle hervor.
„In Eurem nächsten Leben solltet Ihr Euch vielleicht Gedanken darüber machen, wen Ihr anlügt.“
Der Gejarn führte die Klinge in einem Bogen auf den Hals des auf der Stelle erstarrten Kommandanten. Dieses Mal drehte Simon den Kopf ebenfalls weg, das Geräusch der Klinge jedoch, die Knochen und Muskeln wie Papier durchtrennte, sollte ihn noch bis in seine Träume verfolgen.
„Es ist vorbei, oder?“, fragte Kiris offenbar darum bemüht, den regungslosen Körpern vor dem Torhaus keine Aufmerksamkeit zu widmen.
„Noch ist nichts vorbei, wenn wir nicht bald hier verschwinden.“, antwortete Tiege.
„Ich bin mir sicher in ein paar Minuten wird es hier vor Gardisten
wimmeln. Bis dahin sollten wir schon ein gutes Stück Abstand zwischen uns und Anego gebracht haben.“
„Was ist mit Ordt?“, wollte sie wissen. „Wir können ihn nicht einfach hier zurück lassen.“
„So sehr ich das bedauere, aber Euer Freund hat sein Schicksal selbst gewählt.“, antwortete der Gejarn. “Und wenn das nicht umsonst gewesen sein soll müssen wir weg. Jetzt.“
„Dann geht.“, antwortete Kiris entschlossen. Wieder einmal konnte Simon nicht anders, als ihren Mut stumm Respekt zu zollen. So ungern er das auch zugab.
„Ich jedenfalls gehe zurück und suche
ihn. Mit etwas Glück… finden wir einen anderen Ausweg.“
„Nichts da.“ Ehe er selber wusste, was er tat, war er zwischen Kiris und Tiege getreten. „Ich gehe zurück und hole ihn.“, erklärte Simon, bevor er selber wusste, was er sagen wollte. „Das verschafft euch einen Vorteil. Sie sind vor allem hinter mir her und damit gebe ich euch selbst im schlimmsten Fall… wenigstens einen Vorsprung.“
Kiris sah ihn einen Moment an, als hätte er den Verstand verloren. Und vielleicht hatte er das ja auch, dachte Simon. Der Ausgang lag vor ihm, sein größtes Problem grade sollte sein, wie er am schnellsten hier weg kam. Aber
gesagt war gesagt….
„Wir…“ Kiris hielt einen Moment inne, als wüsste sie nicht, was sie antworten oder von seinem Vorschlag halten sollte. „Wir warten draußen.“, erklärte sie schließlich.
Simon nickte, während er eines der Schwerter aufhob, die die Prätorianer verloren hatten. Zu schwer für ihn. Wenn er das mitschleppte könnte er auch gleich kriechen. Er ließ es fallen. Wichtig war erst einmal, den Wolf überhaupt zu finden. Was er dann tun wollte, wusste er ohnehin nicht. Am wahrscheinlichsten schien ohnehin, dass der Mann längst tot war.
„Wartet nicht zu lange.“, meinte er an
Kiris und den Gejarn gerichtet, dann machte er sich wieder auf den Weg, hinein in die Labyrinth artigen Straßen Anegos. In der Ferne könnte er die Fassade der Arena aufragen sehen. Solange er sich daran orientierte, müsste er auch irgendwie zu der Straße zurückfinden, in der sie Ordt verloren hatten. Zumindest hoffte er das…. Ihm blieb so oder so nicht viel Zeit, bevor die Garde anfangen würde, die ganze Stadt auf den Kopf zu stellen.