Das Tor mit ihren reichen Verzierungen von Bäumen, Früchten und Bannern des imperialen Reiches Gordovan wirkte fast imposanter als die zehn Meter hohe Mauer, in der sie eingelassen war. Links und rechts des Tores waren jeweils vier Schießschanzen übereinander. Aus jedem der Löcher konnten die Ranger die Pfeilspitzen erkennen, die auf sie gezielt waren. Auf dem Wehrsims über dem Tor hielten ebenfalls Bogenschützen die Stellung. Nur die beiden Wachen vor dem Tor waren nicht Pfeil und Bogen bewaffnet, sondern mit
Schwertern. »Wer seid ihr, und was wollt ihr?«, fragte einer der beiden Wachen vor dem Tor. »Wir sind bescheidene Ranger, die dem Fürsten zu Diensten stehen wollen«, antwortete Varro sachlich. »Und wir wollen passieren.« »Und wir sollen euch durchlassen? Einfach so?« »Der Fürst höchstpersönlich hat uns beauftrag in den Garten zu gehen, um ein bestimmtes Objekt zu finden.« »Welche Sicherheit könnt ihr uns geben, dass ihr keine Betrüger und Diebe seid, die den Garten plündern wollen?« Resnec trat zur Wache und stellte sich
dich vor ihm und sprach in einem ruhigen, aber bestimmten Ton: »Wir sind keine Betrüger. Ich will, dass ihr das Tor aufmacht, um uns passieren zu lassen.« Varro packte seinen Gefährten am Arm und zog ihn zu sich: »Was soll das werden?« »Öffnet das Tor!«, sagte der Wachmann, dessen sicheres Auftreten sich verändert zu sein schien. Wider allen Erwartungen von Varro wurde das Tor weit geöffnet. Irritiert vom verhalten der Wachen trat Varro zögernd durchs Tor. Er hätte erwartet, dass die Wachen ihn nur auf die Probe stellten und ihn wieder aus dem Garten
heraus prügeln würden, sollte er drinnen ankommen. Doch nichts dergleichen geschah. Seine Begleiter zogen nach, als sie merkten, dass sie durchgehen konnten. »Wie hast du das gemacht?«, fragte Varro verwundert, als die Wachen außer Hörweite waren. Grinsend sah Resnec seinen Vorgesetzten an und sagte selbstsicher: »Ich kann mit Menschen umgehen. Nicht so wie unser Edelmann.« »Das muss ich mir nicht bitten lassen«, schrie Valentino auf. »Halt endlich deine verdammte Fresse, oder ich erweitere sie dir mit meiner Axt«, zog der vollbärtige Azad seine
Waffe und wedelte mit dieser vor Valentino's Gesicht. »Varro, können wir diesen Barbaren endlich entledigen, damit ich seinen Gestank nicht länger ertragen muss?« Der Anführer der Ranger drehte sich zu dem Edelmann, holte mit seiner behandschuhte Linken aus und donnerte seine Faust in Valentino's Gesicht. Dieser flog einige Meter zurück und schrie vor Schmerzen auf. »Wenn hier jemand entledigt wird, dann bist du das«, schrie Varro ihn an. »Und jetzt halt dein vorlautes Maul, oder ich werde es dir persönlich stopfen!« »Meine Nase. Meine wunderschöne Nase. Du hast meine wunderschöne Nase
Gebrochen«, jammerte Valentino und hielt seine Hand auf die bluttriefende Nase. »Sei endlich still und ertrage die Schmerzen wie ein Mann, und nicht wie ein zweijähriges Mädchen«, forderte Varro von ihm, bevor er seinen Weg fortfuhr. Die Ranger liefen weiter. Links und Rechts vom Trampelpfad wuchsen die Bäume, sorgfältig im gleichen Abstand angepflanzt, hoch in den Himmel. Zwischen den Stämmen wuchsen korrekt beschnittene Hecken, die den Wanderer hinwiesen, wo der Weg war. Der Garten roch nach Borke, Laub, nasser Erde und von weit her wehte ein Duft von Flieder
den Rangern entgegen. Nach einer Gabelung gelangten die Ranger an eine Gabelung, die in vier verschiedene Richtungen weiterführte. »Was machen wir jetzt?«, wollte Resnec wissen. »Sollen wir uns aufteilen?« »Bleibt uns was anderes übrig?«, zuckte Varro die Achseln. »Wir könnten auch zusammen bleiben«, schlug Valentino vor, der sich einen Seidentuch unter die Nase hielt. »Ihr wisst, dass ihr mich vor allen Gefahren beschützen müsst.« Varro zog sein Schwert aus der Scheide und Azad seine Axt und hielten es dem Edelmann an den Hals und wirkte wie eine riesige Schere, die jeden Moment
die Kehle durchschneiden würde. »Wir müssen gar nichts machen«, sagte Azad. »Warum haben wir diesen Taugenichts eigentlich dabei, Varro?« »Damit er uns einige Tore öffnet.« »Dieses Tor hat aber nicht er geöffnet, sondern Resnec.« »Da hast du Recht. Also, Valentino, warum sollten wir dich am leben lassen? Schließlich bist du für uns eine Belastung.« »Nun... äh... ja«, stotterte Valentino, bei dem ein Schweißfilm auf der Stirn bildete. Trotz seiner typischen Redegewandtheit konnte er nicht die richtigen Worte finden. Als ein verdächtiges Geräusch aus dem
Buschwerk kam, war diese Notwendigkeit nicht mehr von belang. Eine grauenhafte Bestie sprang ihnen entgegen. Es war so lang wie ein Mann hoch, der Brustkorb doppelt so groß wie bei einem Menschen. Die Vorderpforten wirkten wie Baumstämme, wohingegen die Hinterläufe im Vergleich mickrig und unterentwickelt wirkten. Das Biest knurrte die Ranger böse an. Speichelfäden hingen an den Lefzen hinab. Varro und Azad rissen ihre Waffen vom Hals des Edelmannes und bereiteten sich auf den Angriff der Bestie. Valentino stieß ein erleichtertes Seufzen ab. »Was zur Hölle ist das für ein Biest?«,
fragte Varro, nicht ohne eine Spur von Furcht in der Stimme. »Ein Werbiest«, antwortete Resnec lässig und kramte in seiner Reisetasche herum. »Was machst du da, verflucht?«, presste Varro durch die Zähne, als er sah, dass Resnec einige Scheiben Dörrfleisch herausholte und es dem Biest hin wedelte. »Warte mal ab«, grinste Resnec selbstsicher und warf die Scheiben an dem Werbiest vorbei. Mit seinen kurzen aber kräftigen Beinen sprang das Biest hoch und schnappte sich das Dörrfleisch im Flug. Mit wenigen Happen verschlang es sein Mahl und wandte sich
wieder seinen Opfern zu. »Und was nun?«, fragte Varro. »Das war so nicht geplant«, sah Resnec verwundert aus. Mit großen Schritten lief das Werbiest auf die Gruppe zu. Varro und Azad schwangen ihre Waffen um das Werbiest abzuwehren. Resnec zog seinen Dolch und sprang auf den Rücken der Bestie um seine Klinge in dessen Rücken zu rammen. Ein ohrenbetäubendes Jaulen verließ die Kehle des Werbiestes. Varro und Azad rammten abwechselnd ihre Waffen in den Nacken, bis das Ungetüm leblos zu Boden fiel. »Deshalb seid ihr an meine Seite«, kommentierte Valentino herablassend.
»Um mich vor Gefahren wie diesen zu beschützen.« Diese Aussage war für Varro zu viel des Guten. Er schmiss seine Waffe zu Boden, als er wutentbrannt zum Edelmann stampfte. Ein kräftiger rechter Hacken landete im Gesicht des hochnäsigen Edelmannes. Mit blutströmender Nase fiel dieser hin und jammerte über sein schönes Gesicht. Gnadenlos kniete Varro zu ihm hinab und bearbeitete dessen ach so schönes Gesicht mit seinen geballten Fäusten. »Du wertloses Stück Dreck«, schrie Varro ihn aus Leibeskräften an. »Du bist zu nichts zu gebrauchen. Hör auf dich wichtiger zu fühlen als du wert
bist.« Anstatt Varro in seinem Tun zu unterbrechen, sahen Azad und Resnec ihm zu. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist, hä? Du bist ein wertloses und nutzloses Stück Nichts«, prügelte Varro unaufhörlich auf ihn ein, bis dieser das Bewusstsein verlor. Erst als dieser sich nicht mehr rührte, lies Varro von ihm ab. Es hatte sich gut angefühlt ihm endlich die Fresse zu polieren. Er massierte seine Knöchel und sah mit feurig bösen Augen zu Valentino hinab. »Das wurde auch Zeit, dass du was gegen diesen Bastard machst«, kommentierte Azad. »Wieso hast du das
nicht schon vorher gemacht?«
»Keine Ahnung«, zuckte Varro die Achseln. »Ich hatte die dumme Hoffnung, dass er sich bessern würde.«
»Dass es nie passieren wird, hab ich dir gleich gesagt.«
»Was machen wir nun?«, fragte Resnec.
»Wir teilen uns auf. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier. Wenn wir den Stein nicht haben, suchen wir weiter.«
»Was soll aus ihm werde?«
»Er soll selbst zusehen, wie er zurecht kommt. Was den Fürsten angeht, hat ihn das Werbiest verschleppt und vermutlich schon längst gefressen.«