Esmeraldas nackte Füsse flogen förmlich über die Pflastersteine. Das Nachthemd flatterte in der morgendlichen Brise. All die Düfte des Marktes strömten ihr entgegen. Eher sie sich versah, strömten die Stände an ihr vorbei und landete auf der Handwerksstraße mit den fein ausgearbeiteten Schildern über den Türen und den reich verzierten Hausfassaden. Irgendwas brachte sie dazu vor dem Geschäft gegenüber der imposanten Treppe zum oberen Viertel zu halten. Esmeralda konnte im Inneren des Gebäudes eine Präsenz spüren. Eine
Präsenz, die ihr so vertraut war, wie für ein Kind die Umarmung seiner Mutter. Sie musste herausfinden, wessen Präsenz sie spürte. Keinen der tausenden Gedanken konnte sie richtig erfassen. Esmeralda schloss die Augen und atmete tief durch. Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich auf der anderen Seite der Tür wieder und lief wie fremdgesteuert in den hinteren Teil des Geschäfts, vorbei an Mateo, der in seinem Büchlein vertieft war. Im Hinterzimmer stand ein Bett, von dem die Präsenz herzukommen schien. Ohne das sie was dagegen machten konnte, schritt sie vorsichtig zum Bett. Ihr Herz pochte wild. Sie
konnte schon die Haare der darin befindenden Person sehen. Der Schock durchfuhr ihre Glieder, als sie das Antlitz ihrer Mutter erkannte. »Du bist in Gefahr«, sagte Amidala, als sie ihren Kopf zu ihrer Tochter wandte. »Du bist in Gefahr.« Esmeralda riss ihre nassen Augen auf. Sie war nicht mehr Im Geschäft von Mateo, sondern im Krankenzimmer des Drachenauge. Was zur Hölle war das für eine teuflische Vision? Was hatte es zu bedeuten? Zuerst sah sie ihre Mutter in der Gruft als geisterhafte Erscheinung, und nun in einem Geschäft in Kap Ardea. Das konnte doch kein Zufall
sein. Von einem Moment in den anderen änderte sich ihr Gemütszustand. Eine innere Eingebung riet ihr der Sache auf den Grund zu gehen. Sie zog die schweißgebadete Decke zur Seite und sprang auf. Im Schrank suchte sie nach passender Kleidung, da sie schlecht in einem Nachthemd in die Stadt gehen konnte. Die einzigen Kleidungsstücke, die sie fand waren ein Paar Sandalen und ein knielanger Mantel, der nur für den Krankenbereich geeignet war. Bis zu ihrem Schlafgemach dürfte es ausreichen. Als sie aus dem Krankenzimmer stürmte, stieß sie mit Leander
zusammen. »Wohin so eilig, kleiner Wirbelsturm?«, fragte er ohne auf seine Wortwahl zu achten. »Wie hast du mich genannt?«, sah die Prinzessin ihn irritiert an. Erst da begriff Leander, was er gesagt hatte und senkte entschuldigend den Kopf. »Ist auch egal«, packte sie ihn am Arm und zog ihn hinter sich her. Widerspruchslos folgte Leander ihr. Im Schlafgemach angekommen lief Esmeralda zum Kleiderschrank, riss die Tür auf und wühlte in ihren Kleidungsstücken herum. »Was ist los?«, fragte Leander
besorgt. »Ich weiß es nicht«, kam sie mit einem Bündel Kleidung zurück, die sie auf ihr Himmelsbett warf. »Was soll das heißen, du weißt es nicht?« Esmeralda unterbrach ihr Tun und sah Leander nachdenklich an und fragte ihn: »Hattest du schon mal einen Traum gehabt, der so real schien, als wärst du wach?« Irritiert verzog Leander sein Gesicht und wusste nicht, wie er diese merkwürdige Fragen beantworten sollte. Er hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wovon sie eigentlich sprach. »Ich hatte von meiner Mutter geträumt«,
erklärte Esmeralda. »Zweimal sogar. Beide male hatte sie mich vor den Männern gewarnt, die ins Drachenauge unterwegs seien.« Je mehr sie erklärte, um so weniger verstand Leander. Um genau zu sein, fühlte er sich wie unter Fremden, die sich in einer ihm unbekannten Sprache verständigten. »Nun will ich den Visionen, oder was auch immer es waren, auf den Grund gehen.« »Und wie?« »Die zweite Vision spielte in einem Geschäft, nahe dem Eingang zum oberen Viertel von Kap Ardea.« »Du willst doch nicht dorthin?«, war
Leander sichtlich schockiert. »Du bist noch nicht genesen. Wie willst du in deinem Zustand eine Reise antreten?« »Oh, doch. Genau das will ich«, sagte sie selbstbewusst, als sie sich den Mantel und das Nachthemd entledigte. »Und ich bin gesünder als je zuvor.« Leander wusste nicht zu sagen, was ihn mehr schockierte. Ihr vorhaben, oder die Tatsache, dass sie sich vor seinen Augen entblößte ohne ein Schamgefühl zu besitzen. Ein mulmiges Gefühl stieg in seinem Bauch hoch und sein Herz donnerte fast Hörbar gegen seinen Brustkorb. Einerseits erfreute ihn der Anblick, doch andererseits wollte er sich nicht vorstellen, was der Fürst mit
ihm anstellen würde, falls er je von dem hier erfahren sollte. »Und du wirst mich begleiten«, sagte sie ihm, als sie die Reiterhose übergestreift hatte. »Ich glaube kaum, dass dein Vater dich so einfach aus dem Drachenauge lassen wird. Schon gar nicht nach der Sache, die dir zugestossen ist. Außerdem habe ich hier Verpflichtungen.« »Ach, Leon, lass das bitte meine Sorge sein«, strich sie ihm lächeln über die Wange. »Weiß der Medicus, dass du wieder wach bist?«, wechselte Leon das Thema und versuchte sie nicht unterhalb des Halses
anzuschauen. »Noch nicht«, zog sie die langärmlige, schulterfreie Bluse über und zog die Schnüre an den Seiten enger zusammen. »Das werde ich gleich nachholen.« »Eure Hoheit, denkt ihr wirklich, dass die Ranger eine reelle Chance haben den Anhänger zu finden?«, fragte Csardas in einem besorgtem Tonfall. »Das denke ich weniger. Aber wenn der unwahrscheinliche Fall eintreffen wird, dann haben wir ein mächtiges Problem.« Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn, als er an die Worte seiner verstorbenen Frau dachte. Es gab ihm eifach keine Ruhe. Meinte sie damit
Varro und seine Männer? Unruhig ging er im Thronsaal auf und ab. Zu viele Fragen schwirrten in seinem Kopf, als das er ruhig auf seinem Thron sitzen konnte. War es eine Vision, oder legte er zu viel wert in einen bedeutungslosen Traum? Als die Tür aufgerissen wurde, zuckte er zusammen und griff bereits zu seinem Schwert. Die Kampfeslust wich der Freude, als er ins Antlitz seiner Tochter blickte. »Kleines, warum bist du nicht im Bett?«, fragte er besorgt, als er sich wieder gefasst hatte. »Hallo, Vater. Freut es dich nicht, mich wieder auf den Beinen zu
sehen?« »Doch, natürlich«, umarmte er seine Tochter, und gab ihr einen kräftigen, aber zärtlichen Kuss auf die Wange. »Was bewegt dich zu mir zu kommen?«, wurde der Fürst wieder sachlich, ohne die Wärme in seiner Stimme zu verlieren. »Ich muss raus aus Drachenauge«, kam Esmeralda ohne Umschweife auf den Punkt. Sämtliche Farbe verlies das Gesicht des Fürsten, der glaubte nicht recht gehört zu haben. »Ich muss das Drachenauge verlassen«, wiederholte sie sich, als ihr Vater keine Reaktion zeigte. »Hier bin ich nicht mehr
sicher.« »Was redest du da?«, fand der Fürst seine Sprache wieder. »Du kannst hier nicht weg. Das ist dein Zuhause. Du bist hier doch am sichersten.« »Aber hier wurde ich doch entführt«, erwiderte Esmeralda. »Wer versichert mir, dass es nicht noch einmal passiert?« Der Fürst lies sich auf den Hocker vor dem Tisch sinken. Seine Tochter erschlug ihn mit ihrer Forderung. Seine Vision kam ihm in den Sinn. Wenn es echt war, dann hatte seine Tochter recht und sie musste aus Drachenauge verschwinden. »Wo glaubt ihr sicher zu sein?«, übernahm der Magier das Wort, da der
Fürst zu keiner Reaktion mehr fähig zu sein schien. »Meine Hoffnung lieg in Ardea.« »Ardea?«, fragte der Fürst mit erhobener Stimme, die fast in einen entsetztes Brüllen mündete. »In diesem Rattenloch von einer Stadt, die das Gesindel der ganzen Welt anlockt?« »Überleg doch einmal, Vater, wenn einer auf die Idee kommt die Prinzessin als Geisel zu nehmen, bekommen die anderen das mit und wollen ebenfalls ein Stück vom Kuchen haben. Mit dem darauffolgenden Streit kann ich unentdeckt fliehen. Wenn das kein ideales Versteck ist, dann weiß ich nicht, wo ich mich sonst verstecken
könnte.« »Hat der Medicus für Gesund erklärt?«, fragte der Fürst mit zitternden Händen. »Ja«, kam die Stimme des älteren Mannes, der offenbar die ganze Zeit im Türrahmen gestanden hatte. Neben dem Schatten Leander. »Meines Erachtens ist sie wieder Gesund. Ich würde sie gerne bei der Reise begleiten. Für den Fall, dass es ihr wieder schlechter gehen sollte.« »Gut«, nickte der Fürst ihm zu und richtete sich wieder an seine Tochter. »Ausserdem wirst du noch Geleitschutz brauchen.« »Leander soll mein Geleitschutz sein«, sagte Esmeralda
bestimmt. Es gefiel ihm nicht, dass ausgerechnet dieser Grünschnabel sie begleiten soll. Er versuchte das innere Zittern zu unterdrücken um nicht in Zorn auszubrechen. »Ich gebe dir noch Chavo. Er ist um einiges erfahrener als der Schatten. Von ihm kann dein Freund noch einiges lernen. Leander, wenn ich erfahren sollte, dass meiner Tochter ein Unheil widerfahren ist, dann wirst du die ganze Schuld auf dich laden. Dann kannst du zu Gott, welchem auch immer, um Gnade bitten, denn ich werde sie dir nicht geben. Verstehen wir uns?« »Jawohl«, salutierte Leander, nicht ohne
einen Anflug von Furcht in den Augen. »Ihr werdet euch auf den direkten Weg in die Kaserne begeben. Dort sollten genug Gardisten sein, die im Fall der Fälle eingreifen können. Dort findet ihr auch Kommandant Gandor, bei dem du dich unverzüglich meldest.« »Danke, Vater«, fiel Esmeralda ihm um den Hals. Als sie mit ihren Begleitern den Thronsaal verlies, war Csardas ausser sich: »Seit ihr von Sinnen? Wie könnt ihr eure eigene Tochter, euer einziges Kind, mit einem so unerfahrenen Schatten ziehen lassen? Seht ihr denn nicht, dass es kein gutes Ende nehmen
kann?«
»Aus dem Grund werdet ihr ihnen unauffällig folgen. Sie dürfen euch nicht sehen und greift erst dann ein, wenn es von Nöten sein wird.«