Kikeriki
Nun war es so weit. Mit zitternden Knien stand ich hinterm Vorhang und überlegte, wie ich diesem Desaster hier entkommen könnte. Aber es gab kein Zurück. Hier musste ich durch. Was hatte ich mir da angetan? Ich könnte jetzt so schön ruhig auf meinem Balkon sitzen und die Sonne genießen.
Aber nein, ich musste ja ins Rampenlicht. – Wenn es noch Rampenlicht wäre -.
Nein es war helllichter Tag. Ich stand auf einer Bühne und ich schätzte, ca 300 Menschen saßen und standen da draußen und warteten darauf, dass ich mich blamierte und sie mich ausbuhen konnten.
Mein Herz pochte so laut, dass ich dachte, man könnte es draußen hören.
Hatte ich auch meine Blutdruckpillen genommen? Man weiß ja nie, wie der Körper bei so einer Aufregung reagiert. Schnell rief ich mich zur Ordnung.
An so etwas sollte ich jetzt nun wirklich nicht denken.
Ich versuchte meine Texte noch einmal vor mich hin zu sagen und mir fiel keiner mehr ein. Panik ergriff mich. Wie hieß das blöde Wort noch, an das ich mich nicht gewöhnen konnte. - ABCD,- ja D Demütigung. Zu Hause hatte ich mir im ganzen Haus Zettel mit diesem Wort hin geklebt, damit es endlich in meinem Kopf blieb. Doch immer wenn
ich es sagen sollte, fiel es mir partout nicht ein. Woran lag das?
Hatte ich es vielleicht unbewusst aus meinem Wortschatz verdrängt?
Kam jetzt die Strafe von oben? Vielleicht hätte ich in meinem Leben doch öfter mal demütig sein sollen. Aber jetzt war ich es und wie! Ich flehte den lieben Gott leise an, mir doch einen Engel zu schicken, der mir die Worte in den Mund legte.
Vorsichtig spähte ich durch den Vorhang. Der Esel, der Hund und die Katze waren noch im Disput, was sie machen sollten.
Wie hatte es eigentlich dazu kommen können! Mich muss wohl der Teufel
geritten haben.
Vor 4 Wochen fragte mich Christine die Leiterin unserer Theatergruppe „die Stiftler“ so nebenbei, ob ich nicht mal Lust hätte, bei einer Stadtführung mitzulaufen
und mir das Spektakel mal anzusehen. Es ging um eine Stadtführung, bei der man auch die Stadtmusikanten dazu buchen konnte. Natürlich interessierte mich das und ich erschien pünktlich zur verabredeten Zeit am Marktplatz.
Christine fragte mich , ob ich eigentlich krähen konnte. Natürlich konnte ich und arglos schmetterte ich ein lautes „Kikeriki“ über den Marktplatz. Ein paar Leute sahen mich mitleidig an, aber das
machte mir nichts. Ich war frohgelaunt und ein paar Verrückte gibt es ja immer. Christine jedenfalls war ganz zufrieden damit und sagte: „Dann kannst du ja gleich das Hahnenkostüm anziehen und als Hahn hier mitlaufen.“ Ich schaute sie entsetzt an. „Aber ich kann ja noch keinen Text!“
„Brauchst du auch nicht“ erwiderte sie, „du kommst nach deinem Kikeriki aus der Ecke und stellst dich vor. Du heißt übrigens Lorenzo. Alles andere machen wir schon. Antworte einfach auf meine Fragen. Wir fangen dich schon auf!“ Na das klang ja gut. Sie wollten mich wenigstens auffangen. Wenn sie sich da man nicht zu viel vorgenommen hatten.
Gott sei Dank hatte ich mir irgendwann mal das Textbuch angeschaut und einiges war hängen geblieben.
Bei einer Stadtführung wird immer nur ein kleines Stück aus dem Märchen gespielt. Die Stapelung über einander wurde mir noch erklärt. Nur der Esel ging auf allen Vieren. Wir anderen beugten uns darüber. Und weil wir alle so tolle kunstvolle Köpfe hatten, waren wir natürlich ein beliebtes Fotoobjekt. Überall wurden die Kameras gezückt. Gesagt getan. Es war auch wirklich nicht schwer und Christine war zufrieden mit mir. Nun fragte sie mich, ob ich in Zukunft den Hahn die ganze Saison mitspielen wollte. Aber richtig
auf der Bühne!
Ich barst fast vor Stolz. Ich, den Hahn!
Ja so hatte es angefangen. Ich bekam ein Textbuch in die Hand gedrückt mit dem Bescheid, dass die Tänze mit Gesang kurz vor der ersten Aufführung noch einmal durchgenommen würden.
TÄNZE ? GESANG ? Ich glaubte nicht richtig zu hören.
Ich tanzen ? Bei 5 Umdrehungen kam ich ja jetzt schon aus der Puste! Und dann auf der Bühne! Und singen auch noch dazu? Was kam da auf mich zu?
Aber wer A sagt, muss auch B sagen, das war schon immer meine Devise.
Also „Nicht lang schnacken, Kopf in'n Nacken“. So lautet ein altes Bremer
Sprichwort.
Nun stürzte ich mich auf die Texte und musste feststellen, dass meine grauen Zellen doch schon etwas nachgelassen hatten. Früher konnte ich besser lernen.
Die Zeit bis zum ersten Sonntag im Mai verging wie im Fluge und jezt war es so weit.
Unsere wunderschöne fahrbare Bühne wurde auf der Domsheide aufgestellt.
Wir waren eine Stunde vorher da und stellten die Sitzbänke bereit und nun ging es ans Umziehen. Claudia, eine Mitstreiterin aus dem Theater,die sich vorsorglich auch den Hahn einstudiert hatte, half mir fürsorglich beim Ankleiden, was bei diesem Kostüm
wirklich nicht so einfach war. Sie spuckte mir über die Schulter und wünschte „Toi, toi toi. Sie konnte ermessen, wie mir zumute war.
Und nun stand ich da. Ich merkte, wie mir der Angstschweiß den Rücken runter lief.
Wie war das Wort? - DEMÜTIGUNG -
Aber vorher noch „Sehr verehrte Herrschaften...........
Von draußen hörte ich plötzlich „Auf nach Bremen“. Mein Stichwort, - es half nichts. Ich musste raus. Ich legte alle Kraft in mein „Kikeriki“, denn noch hatte ich kein Mikrofon, und betrat die Bühne. Du lieber Himmel , welche
Menschenmengen!
Mit einem schnellen Blick stellte ich fest, dass mich alle anstrahlten, denn ich war als Hahn eine wirklich imposante Erscheinung. Das erleichterte mich doch ungemein.
Christine hielt mir das Mikrofon hin und siehe da,es kamen wirklich richtige Worte aus meinem Mund. Und wahrscheinlich hatte es auch gut geklungen, denn die Masse klatschte mir Beifall. Nach den ersten drei längeren Passagen, die ich wirklich ohne Stottern hinter mich gebracht hatte, merkte ich dass die Anspannung nachließ und es mir richtig Spaß machte, dort zu agieren. Jedenfalls war die Aufführung
ein voller Erfolg und anschließend wurden für die Kinder Lesezeichen und Zeichnungen von uns mit unseren Autogrammen versehen verschenkt. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Autogramme geschrieben habe.
Zwar als Lorenzo, aber immerhin. - -