Ente Süßsauer
Genial, nicht wahr?
Geschickt hatte ich in der Episode „Der Kopfstoß“ Vladimir Ashkenazy und Alfred Brendel gegeneinander genutzt. Davon haben diese beiden selbstverständlich nichts bemerkt.
Es wäre mir ebenso selbstverständlich äußerst peinlich gegenüber diesen beiden Virtuosen auf dem Klavier gewesen. Wenn Brendel auf dem Klavier Beethoven spielt, dann ist es mir, als ob Beethoven dort säße. Wenn Ashkenazy Beethoven spielt, dann ist es mir als ob Beethovens bester Schüler, sein Lieblingsschüler, ihm vorspielt. Versteht ihr, ihr lieben Leser, was ich meine? Wenn ja, dann ist es gut. Wenn nein, dann ist es auch gut. Denn ihr hattet euch ja nicht, so wie ich, aus einer zweifachen Klammer zu lösen. Vladimir hin. Alfred her: und ich war sowohl befreit von der Apothekerin als auch von der hanseatischen Hanseatin.
Wer meine Episoden unter dem Zeichen der Apotheker fleißig lesend mit verfolgt hat, der weiß, dass mich zunächst die Apothekerin in ihren Bann zog.
Eine am Segelhafen gesichtete Ente verlockte mich zu der spontanen Idee eines Entenbratens, den ich sofort der Apothekerin kund tat. Dieses kulinarische Angebot reizte sie so sehr zu spontanem Ekel und zu körperlicher Gewalt an mir, dass ich ohnmächtig zu Boden schlug.
Diese Ohmacht wiederum warf mich schlussendlich in die gebürtige Hochkultur der Hanseaten in der verführerischen Form einer Arzttochter. Einem Töchterchen, das mit ihrem Vater auf dessen Segelyacht, die hier zwischen den Pfählen Blicke anziehend fachmännisch vertäut lag, jedermann im Hafen begeisterte. Doch das erfuhr ich erst so nach und nach…und konnte es sehr gut nachvollziehen.
Es war eine wirklich sehr interessante Erfahrung für mich, dass eine tiefgehende, ja intensive Beziehung, ausschließlich in Form des kulturellen Fleisches geistiger Konsistenz sich glühend, flammend, verzehrend und lockend entfalten kann. Ja, dass ich geradezu gefesselt war von dem Gedanken, dass wir uns am Telefon, am Mail auszutauschen pflegten. Goethe, Schiller, Beethoven und Mozart. Nein, nein, nein. Wir bewegten uns nicht nur mit den unendlichen Erkenntnissen und Datenströmen des world wide web in der Welt vor runden zweihundert Jahren, nein. Wir analysierten sehr wohl die Rolling Stones, die Beatles, den gesamten Prozess des Pop und Rock und Blues. Wir verglichen sehr wohl Thomas Mann, Bertold Brecht, Günter Grass, Heinrich Böll, Dittsche und Karl- Heinz Franzen.
Doch eines wurde mir dabei unumstößlich durch meine süße Professorin klar:
Die Reinheit des Umfeldes, die Klarheit der Gedanken, der Genuss, kein Produkt der alles und jedes gedachten Gedanken zu sein, finden wir wohl nur noch unverfälscht beim guten alten Dante in seiner Göttlichen Komödie, dem Ursprung allen Schaffens. Fast schon seit dessen genialen Ergüssen ist meine Arzttochter gebürtig in Hamburg. Also kein Wunder, sondern Gene, Gene, Gene.
Ach, ihr lieben Leser, so wie mich mehr oder weniger urplötzlich am Segelhafen das hochgeistige Gut ereilte, so war ich auch von jetzt auf gleich nicht nur erfüllt, sondern abgefüllt und sehnsuchtstrunken nach Einsamkeit und nach selbstständigem Denken. Da kam mir dann das einmalige und letztmalige öffentliche Konzert von Alfred Brendel sehr gelegen.
Danach? Ach, wie gemütlich habe ich mich auf dem Sofa ausgestreckt. Ach, wie genussvoll habe ich Glas um Glas einen vorzüglichen roten Bordeaux aus dem Jahre 1996 getrunken. Ob das Jahr 1996 ein gutes Weinjahr war? Was weiß ich, ob das Jahr 1996 ein gutes Weinjahr war. Mir tat der Rote richtig gut. Mir schmeckte der Saft der roten Traube nicht nur, sondern er mundete vorzüglich.
Ja, ich muss dazu auch noch sagen: nach den Turbulenzen der jüngsten Zeit schmeckte mir sogar mein selbst gekochtes Essen lecker; und nicht nur mir.
Mein Himmel un Ääd war selbst zu meinen Nachbarn mit verführerischen Düften herüber geschlichen. So unterm Zaun und Fenster, Türen und Ritzen hindurch, hinein über Münder, Zungen und Nasen auf die Essenszellen und…Hunger, Hunger, Hunger.
So koche ich heute, also richtig am heutigen Tag, für Mutter, Vater und Tochter nebenan mit.
Ein guter Freund, der mich vor einiger Zeit gute vierzehn Tage besuchte, hat mir zu meinen Nachbarn folgendes Gedichtchen hinterlassen:
Ein Blick zum Nachbarn
Des Nachbars Tulpen eine Pracht,
die Rosen knospen nun mit Macht.
Des Nachbars Blumenbeet, es strahlt,
Stiefmütterchen wie hingemalt.
Des Nachbars Kirschbaum blühet weiß,
der Apfelbaum mit gleichem Fleiß.
Des Nachbars Garten, vorbildlich,
weil er zu ihm fast mütterlich.
Des Nachbars Kind, wollt ihrs raten?
Es steht dort links, mit dem Spaten!
Mit natürlicher Hand gemalt,
schuf der Nachbar des Gartens Pracht.
Das Töchterchen ist hölzern Macht,
mit einem Mund, der schief dir strahlt.
Einen Buckel, krumme Beine,
Ohren wie dem Esel seine,
auch die Nase wie ein Säbel,
drunter Härchen wie Clark Gable.
So spendet dir unsre Natur,
ein knarrend Brett und den Purpur.
Ich halte seinen Eindruck zu meiner Nachbarschaft für außerordentlich übertrieben. Wirklich. Wahr ist, dass mein kleiner Garten hinter dem Haus von dieser Nachbarschaft sehr profitiert.
Meine Nachbarn legen mit Hand an in meiner Natur. Kaum lasse ich mich mit Gartengeräten sehen, dann stehen schon helfende Hände bereit. Ratschläge fliegen sowieso über den Zaun oder kommen direkt durch das nie verschlossene Gartentor.
Ich war sogar für einen städtischen Preis vorgesehen. Ja, wirklich. Ich bin allerdings zu den Juroren hin und habe denen gebeichtet. Feine Art von mir, oder?
Gut, dass sie dafür von meinen Pflaumenbäumen, meinen Himbeeren, meinen Stachelbeeren, meinem Rhabarber profitieren, ist nur recht und billig. Übrigens, der Kompott aus meinen Pflaumen mit den Äpfeln meiner Nachbarn gekocht von der Nachbarin Tochter Hand: einfach unschlagbar. Wirklich. Unschlagbar.
Und noch nebenbei: Die Kirschen zum Griespudding. Da könntest du schon beim Anblick wirklich die Selbstbeherrschung verlieren.
Unschlagbar ist auch der von ihr aus deren Äpfeln gekochte Apfelmus, der nun wiederum unabdingbar zu meinem heute zu kochendem Gericht gehört:
Meine Zutaten für Himmel un Ääd:
Das sind die ungefähren Mengen für meine drei Nachbarn und mich und für den immer ungeplant eintreffenden Besuch. Wenn kein Besuch kommt und ihr oder die Nachbarn gar nicht mehr mögt, dann freuen sich Hunde, Katzen und wer hat…Möwen.
1000 g Kartoffeln
1,5 l Wasser
10 g Salz
1000 g Äpfel…Für den Mus prima sind säuerliche Äppel, auf jeden Fall vom Nachbarn…
2 El. Zucker
2 El. Zitronensaft
150 g Speck
5 - 7 Zwiebeln
300 ml Milch
50 g Butter
1 Tl. Salz
1000 g Blutwurst
1000 g Leberwurst
Meine Zubereitung:
Kartoffeln schälen und vierteln und kochen. Wenn die Kartoffeln dann gar sind, dann stampfen und mit Milch, Butter und Salz zu Püree schlagen.
Zum Apfelmus müsst ihr die Tochter meiner Nachbarn fragen oder euch einfach ein Glas aus dem Supermarkt holen. Der schmeckt nicht so gut, das sage ich gleich.
Auf den Teller kommt dann mit einem „Zack“ das Kartoffelpüree, daneben mit einem „Klacks“ der Apfelmus.
Den in der Pfanne gemeinsam mit den Zwiebeln gebratenen Speck wirbelt ihr über die Blut- und Leberwurst, die natürlich in einer anderen Pfanne zeitgleich gebraten wurde und jetzt schon auf dem Teller duftet.
Wenn euch dann die gesamte Verteilung auf dem Teller wie „hingeschi….“ vorkommt, dann könnte Himmel un Ääd so lecker schmecken wie bei mir.
Aber, wenn ihr, ihr lieben Leser, die Zubereitung beim ersten Mal noch nicht so richtig hinbekommen habt, dann werft ihr das Rezept (zusammen mit der Episode) vielleicht aus dem Fenster und das Gericht wie oben beschrieben gleich zu den Tieren…wenn die das dann aber überstehen…versucht ihr es noch einmal. Das gelingt, wenn nicht schon hungrige Spaziergänger das hinaus geworfene Rezept mitgenommen haben.
…Freude schöner Götterfunken…erklingt es im Tenor aus berufenem Munde, von Karajan dirigiert, von den Berliner Philharmonikern gespielt, aus meinen Lautsprechern herunter von einer CD…
Wie ihr seht, ihr lieben Leser, es ist nicht sämtliches Kulturgut hoffnungslos verschwunden, gar untergetaucht. Nein, nein, nein. Ich scheue mich ganz und gar nicht, diesen musikalischen Leckerbissen, die 9. Symphonie von Beethoven, mit meinem rheinischen Essen, Himmel und Ääd, musikalisch zu verbinden, ja zum Hochgenuss zu führen.
So ist es fast an den Buchstaben dieser Worte nachvollziehbar, dass ich im Eifer dieses Gefechtes das erste Klingeln an der Haustüre überhöre.
Erst, als der elektrisch erzeugte Ratterton von heftigem Klopfen begleitet wird…
…alle Menschen werden Brüder……seid umschlungen Millionen…
Ich öffne die Tür und werde umschlungen. Nicht von Millionen, aber von einem Kaschmirpullover, von verlockendem Duft aus der Nase von Jil Sander und von zärtlichstem hanseatischem Genengut.
Die Professorin!!!
Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts, ein Küsschen links, komm doch herein, ach, duftet es hier gut, ach, die 9. von Beethoven, deshalb hast du, mein Guter, mich nicht gleich gehört, erwartest du Besuch, nein, ich koche für die Nachbarn mit, ach, für die Nachbarn mit, ja, Himmel und Äd, bleibst du zu Tisch, ist genug für alle da, oder hast du schon gegessen, aber nicht von meiner Hand gekocht und schon gar nicht Himmel und Äd, lecker, lecker, lecker.
Und so vieles mehr Gesagtes oder Ungesagtes? Wer weiß das schon so genau in einem solchen Moment zu unterscheiden, ob wir uns in gemeinsamer Wiedersehensmacht voll gesäuselt oder gedankenschwer angeschwiegen haben.
Weil meine Nachbarn auch Hunger haben und das Sprösslein der hanseatischen Erbfolge einen mir bisher nicht bekannten Appetit entwickelt, fülle ich den an gedachten nachbarschaftlichen Futteranteil aus den Töpfen und reiche ihn flugs über den Zaun.
Selbst ziehe ich mich, meine Fehleinschätzung der Fassungsmenge ihres 100-Liter-Magens sehend, auf ein „ich kann heute gar nichts herunter bekommen“ zurück. Dabei sehne ich schmachtend jedem Stückchen hinterher, dass sie in Windeseile verschlingt.
Gut, das Lob „Du bist ein super Koch“ bleibt mir erhalten.
Sie verzehrt und spricht mit abgespreiztem kleinen Finger, versteht sich. Wie beim Tee trinken. Ich komme erst zum Spreizen beim gekauften Cerealien-Joghurt, den sie im Moment verschmäht, weil sie sich den Geschmack von meinem vorzüglichen Himmel-un-Ääd-Gericht nicht verderben möchte.
Dann ist sie auch schon wieder an der Haustür. Kaschmirpullover, Jil Sander, hanseatisches Genengut um meinen Hals, Küsschen links, Küsschen rechts und Küsschen links.
Warum sie zu mir gekommen ist? Das weiß ich nicht zu erzählen. Nein, ehrlich nicht. Es mag sein, dass sie sich nicht so wirklich für den begrünten Bauch der Segelyacht interessiert, die in der Scheune von Bauer Prüß, in der schon seit ewigen Zeiten kein Stroh und kein Mähdrescher und kein Pflug mehr Platz findet, aufgebockt überwintert. Da legt nur der Herr Papa Hand an die Oberfläche aus Plastik; wie in seiner Klinik bei den alternden Schönen.
Taktvoll haben meine Nachbarn mit ihrem Dank und Lob für Himmel und Ääd gewartet bis der weiße Sportflitzer, ähnlich geklont wie diese Hanseatin, sich mit Brumm, Brumm, Brumm und nochmals BrummBrummBrumm entfernt hatte.
Köstlich. Wir trinken zusammen einen wunderbar starken Kaffee. Und der selbst gebackene Pflaumenkuchen aus der Hand der Mutter des Hauses: Köstlich. Das Töchterchen tupft mir sozusagen als I-Tüpfelchen auf ihn einen Klacks steifer, weißer Sahne…
Die Witze des Hausherrn sind zwar abgehangen, doch wir lachen herzhaft. Er weiß sie uns mit der gleichen Perfektion, wie er seinen Garten betreut, so als nachbarschaftlicher Loriot, vorzutragen und uns somit außergewöhnlich zu vergnügen.
Als wir uns durch die Gartentür verabschieden und uns noch einmal zuwinken, als würden wir uns nun Jahre nicht mehr sehen, spüre ich, dass der gesamte Kaffeezauber für mich, ja extra für mich, in Szene gesetzt wurde.
Danke, ihr lieben Leute. Wenn ihr meinen Garten mit Erd´ und Frucht euer eigen nennen wollt, dann greift jetzt zu. Das hätte ich am liebsten gesagt.
Wenn einem so Gutes widerfährt, dann ist es schon einen 96er Roten wert.
Ich habe also gerade den Wein in meine einzige, jedoch in schlichter Eleganz unübertroffene Karaffe eingefüllt, nein dekantiert, da klingelt es schon wieder an der Haustür.
Meinen ersten Gedanken: auf abwesend zu machen…verwerfe ich allerdings sofort wieder. Es leuchtet mein Wohnzimmerlicht gut sichtbar nach draußen und das bei leerem Haus, das ist eher unüblich. Ja, es gut meinende, kämen vielleicht sogar auf den Gedanken, dass mir etwas zugestoßen sein könnte und rufen die bekannten Notdienste. Da ist gute Tat am Ende sehr teuer. Also, was ist zu tun? Klar, du gehst zwar widerwillig aber doch zur Haustür.
Da mich die Dunkelheit draußen durch die dicke verzierte Glasscheibe der Haustür nichts Konkretes erkennen lässt, fliegen mir, während ich noch den richtigen Schlüssel für das Türschloss hektisch und nervös suche, Tausend Gedanken zu möglichen oder ganz und gar unmöglichen Besuchern durch den Kopf. Diese einzelnen Gedanken, die will ich euch, ihr lieben Leser, obwohl es mir zuzutrauen wäre, heute nicht mehr in Schriftform zumuten.
Vielleicht davon nur diese wenigen: Die Hanseatin etwa? Ohne Auto? Denn das BrummBrummBrumm hätte ich von Wohnzimmer aus gehört. Bernhard? Wilhelm? Peter? Richard gar?...
Und wen erkenne ich jetzt im eingeschalteten Flurlicht:
Blaue Augen unter dunklen Wuschelhaaren strahlen mich zwar fröhlich aber auch etwas unsicher an!!!
Eine kleine, zarte Hand streckt mir eine Plastiktüte entgegen, in der sich ein warmer Karton befindet:
„Ich habe uns vom Chinesen gebratene Ente in Süßsauer mitgebracht. Hast Du Appetit?“