Kapitel 17 Kampf
Die morschen Holztribünen knirschten unter dem Gewicht der Zuschauer, die sich darauf drängten. Zeltbahnen schützten die höher gelegenen Ränge, wo sich die Oberschicht Anegos sammelte, vor dem einsetzenden Nieselregen, der den Boden der Arena aufgeweicht hatte. Dieser bestand aus bracher Erde, von Tausenden von Füßen festgetrampelt. Lediglich an einigen wenigen Stellen durchbrach Unkraut das Braun
Wieder einmal fand Simon seine
Vermutung bestätigt. Dieser Ort war wohl wirklich die einzige Attraktion in der Gegend. Und ein Kampf wie der, der nun bevorstand, zog die Leute an, von den wenigen Herrschern des Landes, den Handwerkern bis hin zu den ärmsten Tagelöhnern. Das die Tribüne die Masse überhaupt noch trug, war wohl an sich schon ein kleines Wunder.
Er duckte sich unter dem Hieb einer Wache weg, die ihn eine Treppe hinab trieb, welche, von einer mit einem Gitter umgebenen Plattform, hinab auf das eigentliche Kampffeld führte. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine ähnliche Konstruktion und auch wenn er den Wolf auf die Entfernung nie erkannt
hätte, wusste er doch, dass die zweite Gestalt, welche grade diese Treppe hinab kam, Ordt sein musste. Man hatte sie bereits früh am Morgen aus ihren Zellen hinauf gebracht. Und ausgerüstet. In Simons Hand lag ein einfaches Schwert und als zusätzliche Waffe ein Dolch, den er an seinem Stiefel trug. Rüstung hingegen hatte keiner von ihnen bekommen und das aus gutem Grund. Und dieser Grund saß auf den Tribünen umher. Diese Leute waren nicht hier weil sie interessierte, wer von ihnen als Sieger hervorging. Es war barbarisch, aber ein simples Mittel für den Kaiser, seine Kontrolle über das Land zu festigen. Sie waren hier um Blut zu
sehen. Blut, das den Gedanken an Rebellion oder Widerstand sättigte. Nun, zumindest das würden sie wohl bekommen, auch wenn sein Plan aufging.
Jetzt blieb Simon nur, zu hoffen, dass Ordt auch mitspielte und das hier nicht als Gelegenheit ansah, ihn auszuschalten. Er könnte versuchen, Simons Plan auf andere Art umzusetzen. Ein toter Zauberer wäre möglicherweise ebenfalls Ablenkung genug, um zu tun, was er tun musste und der Wolf könnte versuchen, auf eigene Faust hier herauszukommen. Aber… er müsste vertrauen haben, dachte Simon. Es würde nur so funktionieren. Es sei den… was wen er den Wolf als Ablenkung tötete? Seine
Reaktion auf diesen Gedanken überraschte ihn selbst. Nein. Er hatte einen Plan ersonnen, so unsicher dieser sein mochte, der sie hier alle lebend rausbringen würde. Und das hatte er nicht umsonst getan. Es klang wie eine Ausrede und das wusste er. Aber wem erzählte er die? Sich selbst ?
Du hattest mal keine Probleme damit, den Wolf zu erledigen und sie alle einfach hier zurückzulassen, dachte er. Und das sollte er immer noch nicht haben. Er brauchte ihn einfach, antwortete er sich schließlich selbst. Eine zusätzliche Klinge konnte über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Hoffentlich war Ordt das auch klar. Es
musste funktionieren. Sie hatten nur diese eine Chance.
Simon machte einen letzten Schritt von der Treppe hinab und auf den aufgeweichten Erdboden. Zumindest klärte der Himmel sich langsam wieder und der Regen ging in, von vorbeiziehenden Wolken unterbrochenen, Sonnenschein über.
Ordt hatte auf der anderen Seite ebenfalls bereits den Boden erreicht. Im gleichen Moment wurden hinter ihnen auch schon schwere Gattertore zugezogen, welche den Rückweg auf die Tribüne versperrten. Ab jetzt, dachte Simon, gab es keinen Ausweg mehr aus dem Ring, der sie umgab, außer, sein
Plan funktionierte… oder einer von ihnen starb.
Ordt war ähnlich gerüstet wie er selber. Keinerlei schützende Panzerung, aber offenbar hatte ihm jemand seine Waffe zurückgegeben. Simon hatte von Anfang an vermieden, mit der gezackten Klinge, die der Wolf führte nähere Bekanntschaft zu schließen… und er würde jetzt nicht damit anfangen. Kaum merklich nickte er Ordt zu und hoffte, dass er die Geste auch verstand. Die Gesichtszüge des Gejarn blieben jedoch nichtssagend düster. Was wenn er einen Fehler machte?, fragte Simon sich wieder. Er war sich sicher, den Wolf in einem Kampf schlagen zu können. Dann
müsste er kein Risiko für sich eingehen. Aber... ja was aber ? Es gab kein Aber. Er wollte es schlicht nicht. Also gut. Vielleicht wurde er ja auch nur langsam verrückt.
Simon blieb gut fünf Schritte von Ordt entfernt stehen und wartete, was geschehen würde. Der Wolf hielt ebenfalls an, ohne ein Wort, oder eine Geste, die ihm verraten hätte, was in dem Mann vorging. Götter es war immer noch närrisch so viel Vertrauen in jemanden zu setzen, der ihn tot sehen wollte.
Sein Blick wanderte wieder zu den Tribünen. Etwa auf halber Höhe auf den Rängen befand sich eine kleine
Plattform, die wohl eventuellen Ehrengästen vorbehalten war. Freilich jedoch, lag diese verlassen da. Die Adeligen der Gegend zählten nicht grade zu den Einflussreichsten Cantons. Und das führte man ihnen so wohl auch vor Augen.... Noch eine gute Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass niemanden sein Rang zu Kopf stieg, wie es schien.
Nun jedoch trat eine einzelne Gestalt in der roten Robe eines kaiserlichen Richters auf die Plattform hinaus. Simon sah dem Man grimmig entgegen. Offenbar ließ Ielfgar es sich nicht nehmen, hieraus ein kleines Theaterstück zu machen.
„Heute.“, begann er Richter, „werden
wir sehen, wie zwei der größten Feinde des Kaiserreichs ihre gerechte Strafe erhalten. Simon Belfare, der Verräter, enthoben aller Ämter und verurteilt wegen Verschwörung gegen unseren geliebten Kaiser….“ Der Mann stockte einen Moment, so als wollte er die Wirkung seiner Worte abwarten. Das alles hier war wirklich nur Theater, dachte Simon, während die Menge auf den Rängen erschrocken Luft holte. Einstudiert, bestenfalls. Dem Richter schien es jedoch zu genügen, denn er fuhr fort: „Und Ordt, von den Gejarn, schuldig befunden des mehrfachen Mordes an den Kriegern unseres Herrn Tiberius Ordeal.“
Simon konnte ein Kopfschütteln nicht verbergen. Was bitte war daran Mord, wenn man sich gegen bewaffnete Eindringlinge verteidigte? Der Gedanke war seltsam. Natürlich war das falsch gewesen, oder? Das Land gehörte immerhin ihm. Oder hatte ihm gehört. Aber… er verbot sich weiter darüber nachzudenken. Später, sagte er sich. Wenn es den ein Später gab. Jetzt musste er sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihm und dem Wolf lag.
„Wer von den beiden den heutigen Kampf gewinnt, wird einen weiteren Tag leben. Mögen die Götter entscheiden, wem sie das Sonnenlicht erneut schenken.“
Uns allen, dachte Simon. Wenn er etwas Glück hatte. Sobald die letzten Worte des Richters verklungen waren, wurde es fast totenstill im Ring. Keiner der Anwesenden schien auch nur zu atmen, während er und Ordt sich weiter regungslos gegenüberstanden. Jeder wartete auf das erste zusammentreffen, das Klirren des Stahls den Geruch des ersten Bluts…
Simon machte Schritt zur Seite und zog gleichzeitig das Schwert. Aber zu lange würde er es nicht behalten.
Ordt folgte seinen Bewegungen, blieb jedoch wo er war, die Klinge in der Hand… und wartete. Simon stellte erneut fest, dass es ihm unmöglich war, etwas
in den Zügen des Wolfs zu lesen. Genauso gut hätte er einem Fels gegenüberstehen können. Und dann geschah es. Ordt war schnell, schneller als Simon erwartet hatte und sprang vor, die Klinge bereits zum Schlag erhoben.
Der Zauberer wusste, dass ihm keine Zeit blieb, den Angriff abzuwehren und so versuchte er sich durch einen raschen Sprung zur Seite zu retten. Dreck spritzte auf, als er im Schlamm landete und rasch wieder auf die Füße kam. Die Waffe des Gejarn unterdessen schlug ungebremst in den Boden und versank fast bis zur Hälfte darin, als ob der Mann durch Butter geschnitten hätte.
Nun war es an Simon anzugreifen,
während der Wolf sich noch damit abmühte, das Schwert wieder zu befreien. Aber er durfte ihn nicht töten, schoss es ihm wieder durch den Kopf. Trotzdem, Ordt stand viel zu offen, wenn er nicht zustieß würde klar werden, das sie ein falsches Spiel spielten…
Der Schlag traf ihn erneut überraschend, als Ordt es aufgab, das Schwert wieder aus dem Boden zu ziehen und ihm stattdessen einen Fausthieb in die Magengrube verpasste.
Simon spürte, wie sich seine Finger um den Griff seiner eigenen Waffe lösten, während er an dem Wolf vorspeistolperte. Übelkeit wallte in ihm auf… trotzdem konnte er sich wohl noch
glücklich schätzen, dachte er. Er wusste mittlerweile aus eigener Erfahrung, wie viel Kraft Ordt besaß. Hätte er es gewollt, er hätte ihm grade die Rippen gebrochen. Oder gleich mit einem Prankenhieb zerfetzt.
Wenigstens, dachte Simon, wusste er jetzt was gespielt wurde. Mit einer Hand tastete er nach seiner zweiten Waffe, dem Messer. Ordt hingegen wartete bereits auf ihn, scheinbar entspannt und ebenfalls einen Dolch in der Pranke. Die Klinge wirkte nicht besonders gefährlich… aber nun wären sie beide gezwungen, ihrem Gegner ziemlich nahe zu kommen. Das würde wehtun, dachte Simon. Ob sie es wollten oder nicht,
sich nicht zu verletzen war jetzt endgültig unmöglich geworden. Er stürzte vor, das Messer vor dem Körper angewinkelt. So hätte er im Zweifelsfalls bessere Kontrolle darüber, wo die Klinge landete. Ein paar Schrammen am Arm oder einen Kratzer im Gesicht würde der Wolf schon überstehen….
Und doch kam ihm Ordt erneut zuvor. Der Wolf wich der Klinge aus und führte das eigene Messer in einem Bogen nach oben. Die Waffe verfehlte Simons Kehle nur knapp, schnitt jedoch in den Stoff seines Hemdärmels… und hindurch in das Fleisch darunter. Brennender Schmerz gesellte sich zu der
verbleibenden Übelkeit nach Ordts Schlag.
Ohne Magie fehlte ihm einfach…. Irgendetwas, dachte Simon. Früher wäre er niemals auf so eine Finte hereingefallen. Es war, als wäre er ständig aus dem Gleichgewicht, grade wenn es darauf ankam. Als hätte ihm jemand einen Sinn genommen, den er sein ganzes Leben genutzt hatte und ihn erst jetzt bemerkte, wo er fehlte. Und vermutlich, war auch genau das der Fall.
Ordt war erneut stehengeblieben, dieses Mal jedoch mit einem deutlich fragenden Blick in Richtung auf Simons verletzten Arm. Mit einer grimmigen Geste wischte er das sich ansammelnde
Blut weg. Und erstarrte. Es ging dem Wolf natürlich nicht um die Verletzung. Er wusste durchaus, wie weit jeder von ihnen gehen konnte. Aber das dunkelrote Geflecht aus sich gabelnden Linien und Runen das sich über seine Schulter und einen Teil seines Rückens zog, schimmerte unter dem ausgeschlitzten Stoff hindurch. Noch eine Erinnerung, die er im Augenblick nicht gebrauchen konnte.
Simon stürzte erneut vor und dieses Mal war er darauf gefasst, das Ordt zurückschlug. Der Wolf tauchte unter dem Hieb durch und wollte ihm den Knauf seiner Waffe ins Gesicht schlagen. Simon jedoch kam ihm zuvor und
parierte den Hieb seinerseits. Die Klingen verkeilten sich und das Geräusch von knirschendem Stahl war für einen Moment erneut der einzige Laut, den man innerhalb der hölzernen Arenamauern hörte.
Dann wurde die Spannung zu groß. Sowohl der Zauberer als auch Ordt sprangen zeitgleich zurück, während die beiden Messer in einem Bogen davon segelten und einige Schritte entfernt auf dem Boden landeten. Während der Wolf noch der verlorenen Waffe nachsah, verpasste Simon ihm bereits einen Schlag, der ihn von den Füßen holte. Obwohl er nicht mehr Kraft als nötig hineinlegte, schien Ordt beinahe von
selbst zu Boden zu gehen. Jetzt würde sich zeigen müssen, ob sie Glück hatten. Im nächsten Moment wurden ihm auch schon die Beine weggezogen. Erneut fand er sich im Dreck liegend wieder, während Ordt bereits auf ihn einschlug. Simon wehrte die Hiebe ab, während er versuchte, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Mit aller Kraft, die er noch hatte, sprang er wieder hoch und schüttelte den Wolf dabei ab. Dieser kam ebenfalls wieder auf die Füße. Und für einen Moment, nur einen ganz kurzen Augenblick, sah Simon etwas Metallisches in seiner Hand aufblitzen, bevor es verschwand. Sicher versteckt, wie er hoffte. Sonst war das hier alles umsonst.
„Jetzt…“, meinte er schwer atmend, „wäre die Zeit aufzugeben.“
„Davon träumt ihr.“ Aber er konnte auch dem Gejarn ansehen, das dieser langsam an die Grenzen seiner Kräfte kam. Wenn man sie einfach immer weiterkämpfen ließ, dachte er, würde das hier damit enden, dass sie beide einfach auf dem Feld zusammenbrachen.
Er wusste nicht, wie lange sie schon kämpften, aber die Sonne hatte bereits ihren Stand direkt über ihren Köpfen erreicht. Zwei Stunden? Drei? In jedem Fall hatte es seinen Zweck erfüllt. Und dann, grade als er schon glaubte, den Kampf erneut beginnen zu müssen, erhob sich der Richter erneut. Wie Simon
gehofft hatte. Niemand wollte dem Volk zwei zu Tode erschöpfte Kontrahenten präsentieren. Allerdings bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass er sie einfach beide töten ließ. Aber das passte nicht zu dem Kaiserreich, das er kannte. Diese Leute wollten Theater, sie würden es bekommen. Eine simple Hinrichtung war zu kurz.
Einen Moment sah der Richter lediglich auf sie herab, bevor er anfing:
„Bringt sie zurück in ihre Zellen. Morgen werden wir sie erneut antreten lassen. Gegen einen…. anderen Gegner.“
Einige der Wächter, die hinter den Gittertoren an den Rändern der Arena zurück geblieben waren, lösten sich nun
von ihrem Posten und kamen über das Feld auf sie zu. Simon ließ sich widerstandslos in die Mitte nehmen, genauso wie Ordt, jeweils flankiert von zwei bewaffneten Gardisten. Jetzt blieb ihm nur noch, zu hoffen, dass niemanden auffiel, das nur ein Dolch auf dem Kampffeld zurückgeblieben war.