Gala´thien; am Fuße des Berges Estaroth;
Jahr 2751 des Ersten Zeitalters; Sommer
Der Morgen graute und ein leichter Nebel zog auf. Die feuchte Luft roch angenehm frisch. Bis auf das Zwitschern einiger Vögel schienen die Bewohner des Waldes noch zu schlafen. Eflaen und seine Mitstreiterin Diandel packten ihre Ausrüstung zusammen und machten sich wieder auf die Jagd nach dem Gesuchten. Bis auf das Geplänkel mit ein paar Räubern, die sie fälschlicherweise für leichte Opfer hielten, ist nichts Nennenswertes auf ihrer Reise passiert. Während des
Überfalls wurde Eflaen am Bein verletzt und sie mußten zwei Tage ausruhen. Aber die tiefe Wunde ist durch die kundige Hilfe seiner Begleiterin schnell verheilt.
Sie hatten den Berg fast umrundet, ohne auch nur eine einzige Spur von Taanuen oder ihren Gefährten zu finden. Plötzlich blieb Diandel stehen. Der Nebel verdeckte die Sicht wie ein dichter Vorhang die Theaterbühne, und es war fast unmöglich weiter als 10 Schritte zu schauen. Und doch erspähte Diandel ein Lager.
„Da vorne ist jemand. Siehst Du das sich bewegende Schattenspiel an dem
großen Baum dort hinten?“
Eflaen nickte.
„Dort werden wir uns einmal umsehen. Vielleicht haben wir Glück und unsere Reise neigt sich dem Ende.“
Lautlos schlichen sie sich im Schutz der Büsche und Bäume näher an das Lager heran. Nachdem sie in Reichweite waren konnten sie sehen, dass jemand mit spitzen Ohren und langen blonden Haaren, eingehüllt in einen grünen Mantel, vor dem knisternden Feuer lag, welches sie hat aufmerksam werden lassen. Wer das wohl sein mag? War es Taanuen, oder vielleicht jemand anderes der sich unbefugt im Reich der Elfen aufhielt. Auch die Dunkelelfen, dessen
Reich nur geschätzt zwei oder drei Tagesmärsche entfernt lag, hatten spitze Ohren. Und einige Wenige trugen helle Haare. Nur noch wenige Augenblicke und sie würden es wissen.
Diandel gab ihrem Gefährten ein Zeichen das dieser auf die andere Seite des Lagers schleichen sollte um eine mögliche Flucht des Schlafenden zu verhindern. Als Eflaen versteckt hinter einem Baum in Position war ging sie lautlos mit gezogenem Schwert in Richtung Feuerstelle. In wenigen Wimpernschlägen hätten sie Gewissheit. Sie wollte gerade mit ihrem elfischen Langschwert den Umhang ein wenig zur
Seite streifen als sie eine ungute Vorahnung hatte. Im selben Moment wurde aus kurzer Distanz ein Pfeil auf sie abgeschossen, dem sie nur mit Mühe ausweichen konnte. Eflaen entdeckte den Schützen auf einem Baum und nutzte seinen Bogen um diesen herunter zu stoßen. Zur selben Zeit sprang der vermeintlich Schlafende auf und zückte zwei Kurzschwerter. Blitzschnell näherte sich ihr der Angreifer. Stahl knallte aufeinander. Funken flogen. Diandel schaffte es ein Schwert abzuwehren, das Zweite stoppte vor ihrer Kehle.
„Du warst schon immer zu langsam mit dem Stahl in Deiner Hand.“, belehrte sie
ein lächelnder Elf.
„Ich freue mich auch Dich zu sehen, Enduen.“
Eflaen, der in der Zwischenzeit den Schützen mit dem Gesicht zum Boden sicherte bemerkte schnell wen er da in den Dreck drückte und ließ von ihm ab. Nemdel stützte sich auf seine Ellbogen und spuckte Erde und einige Grashalme aus, die er auf unfreiwillige Weise in den Mund bekommen hatte. Er drehte sich um und maulte vorwurfsvoll, „Mußt Du immer gleich so grob werden?“
Das erdige Gesicht sah lustig aus und Eflaen erwiderte mit einem Lächeln auf
den Lippen, „Hast Du noch nicht gelernt Dein Ziel zu treffen? Komm, steht auf Bruder.“ Er reichte ihm die Hand und zog ihn wieder auf die Beine. Als er für ihn den Bogen aufhob bemerkte er etwas Seltsames. „Das ist Enduens Bogen mit dem Du geschossen hast. Was ist mit denn mit Deinem passiert?“, wollte er verwundert wissen.
„Es ist einiges passiert seitdem wir uns getrennt hatten. Aber das ist eine lange Geschichte.“ Er klopfte den Schmutz von seiner Kleidung ab und hob die auf dem Boden verstreuten Pfeile auf.
„Komm, wir wollen zu den Anderen gehen.“, sagte Eflaen zu ihm und ging zu den anderen zwei Waldläufern. „Schau
mal wen ich hier aufgelesen habe.“ Mit einer Handbewegung machte er auf den hinter ihm gehenden Waldläufer aufmerksam.
„Ich grüße Dich.“, entgegnete Diandel und klopfte ihm auf die Schulter.
„Ich Dich auch.“ Nemdels Stimmung war wegen dem tiefen Fall vom Baum etwas angeschlagen. Genauso wie seine linke Seite.
Nachdem sie ihre Ausrüstung abgelegt hatten, und entspannt am warmen Feuer saßen, berichteten die Waldläufer der jeweils anderen Gruppe von den Geschehnissen der letzten Tage. Von der Zwergenkarawane und wie sie in die
verlassene Stadt der Zwerge vom Stamm der Fünften gelangt sind. Dem Aufspüren von Taanuen und der Begegnung mit den Echsen, und wie sie den Gesuchten bis hierher verfolgt hatten. Die anderen zwei Waldläufer berichteten hingegen von dem Überfall durch die Räuberbande, und wie Eflaen verwundet wurde und sie deswegen die Suche kurzzeitig unterbrechen mußten.
Der Nebel lichtete sich, und wärmende Sonnenstrahlen durchbrachen die graue Wolkendecke. Enduen stand auf und sagte zu seinen Gefährten, „Lasst uns aufbrechen und diesen Auftrag erledigen. Wir sind schon viel zu lange
unterwegs. Nicht das der Rat glaubt wir sind zu unfähig um einen einzelnen Zauberer zur Strecke zu bringen.“
Ausgeruht und gestärkt machte sich die Gemeinschaft auf und folgte den Spuren, die Taanuen nur allzu deutlich im Wald hinterlassen hatte. Diandel fand, dass diese schon zu offensichtlich gelegt wurde, doch sie wollte nichts sagen ohne einen Anhaltspunkt der ihren Verdacht erhärten konnte.
„Wir müssten bald den Ramael sehen.“, sagte Diandel während sie mit den Anderen im Laufschritt dem Fluss immer näher kamen.
„Kennt jemand von Euch eine Fuhrt oder
Brücke die wir nutzen können?“, erkundigte sich Eflaen.
„Ich war vor einigen Jahrzehnten auf Grenzpatrouillie, um das Reich vor möglichen Angriffen der Dunkelelfen zu schützen. Damals hatten wir eine steinerne Brücke genutzt um das Wasser zu überqueren. Mit etwas Glück sollten wir geradewegs auf diese zu laufen.“, erzählte Enduen.
Nach einer Stunde traf die Gruppe Waldläufer am Ufer des Ramael ein. Die Ausläufer des Flusses durchzogen das Elfenreich im Norden, quer durch das Land, bis dieser im Westen wieder in das Meer floss. Taanuens Spuren endeten
am Rande des Wassers. Das Becken war tief genug damit kleinere Handelsschiffe darauf fahren konnte. Auch die Strömung war nicht sonderlich stark sodass sie hätten hinüber schwimmen können. Es wollte jedoch niemand Zeit verlieren um die Kleidung und Ausrüstung hinterher an einem Feuer trocknen zu müssen. Also entschieden sie sich nach Norden zu gehen. In dieser Richtung vermutete Enduen den Übergang.
Nemdel ging ein kleines Stück voraus. „Ich sehe die Brücke. Dort hinten ist sie.“, rief er freudig, und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf etwas das weit vor ihnen
lag.
Nach ungefähr zehn Minuten waren sie am anderen Ufer und gingen zurück zu der Stelle an der der Zauberer aus dem Wasser gekommen sein muß. Die Verfolgung ging weiter.
Zwei Tage waren sie nun unterwegs, ohne auch nur einen Anhaltspunkt zu haben wie viel Vorsprung Taanuen haben mochte. Der Fährte nach zu urteilen war sie ganz frisch, und sie hätten ihn schon längst sehen müssen. Doch dem war nicht so. Wären sie nicht auf der Jagd so hätten sie die Reise durch den Wald sogar genießen können. Der Sommer ließ alles in prachtvollem grün
erstrahlen. Duftende Wildblumen erfüllten die frische Luft. Beeren und verschiedene Obstsorten luden zu einer schmackhaften Rast ein. Der Gesang von Vögeln unterstrich die märchenhafte Atmosphäre.
Ein Pfeil zischte durch die Luft und nagelte einen der Waldläufer an eine große Eiche. Seine rechte Schulter war mit dem Stamm verbunden und ein schmerzerfüllter Schrei hallte durch den Wald. Als seine Begleiter merkten was geschehen war gingen sie sofort in Deckung und zogen ihre Waffen. Mit gespannten Bogen suchten sie ein Ziel. Im selben Moment flog das zweite
tödliche Geschoss ohne Vorwarnung durch die Luft und traf den ohnehin hilflosen Elfen. Seine Augen waren weit aufgerissen, so als wenn er das Geschoss kommen sah und nichts dagegen unternehmen konnte. Das Metall bohrte sich durch sein linkes Auge und mit hängendem Unterkiefer erstarrte sein Gesicht zu einer Maske des Schreckens.
„Eflaen!“, schrie Diandel und lief ohne auf die Gefahr zu achten zu ihm hin.
„Nein warte!“, rief Enduen ihr hinterher.
Weitere gefiederte Tode sausten durch die Luft ohne ihr Ziel zu treffen. Diandel versuchte ihren Weggefährten von den Pfeilen zu befreien als Nemdel
sie mit beiden Armen an der Hüfte umklammerte und zu Boden riss. Drei weitere Geschosse traten in die Brust des Toten ein. Diese Gelegenheit nutzte Enduen um ein halbes Dutzend Pfeile auf ihren Weg zu bringen. Er sah die Schützen zwar nicht, konnte jedoch die ungefähre Position bestimmen wo sie sein mußten. Und er behielt Recht. Zwei der Angreifer fielen von den Bäumen. Zur gleichen Zeit durchbohrte etwas Diandels Körper. Nemdel sah wie eine metallene Pfeilspitze aus der rechten Seite ihres Unterkörpers heraus ragte. Er nahm Eflaens Bogen mit der linken Hand und stützte sie mit der rechten Seite sodass beide in Deckung gehen
konnten. Enduen war hoch konzentriert und ließ sich nicht von den Angelegenheiten seiner Gefährten ablenken. Einer der Angreifer wollte gerade einen Speer werfen, der Diandel den Rest geben sollte, als ein Pfeil seinen Hals durchschlug. Die Wucht riss ihn nach hinten, und mit einem letzten Gurgeln beendete er sein Leben. Die zwei Waldläufer hatten es geschafft hinter einem Felsen in Deckung zu gehen. Während Diandel geschockt auf dem Boden saß spannte Nemdel die Sehne des Bogens und suchte ein Ziel. Es herrschte Totenstille. Die Elfen lauschten auf jedes Geräusch das ihre Angreifer hätte verraten können, doch da
war nichts. So verharrten sie regungslos eine Stunde lang. Die Anspannung war ihnen anzusehen.
Enduen schlich sich im Schutz der Bäume zu seinen Gefährten. „Ist alles in Ordnung bei Euch?“
„Mir geht es soweit gut, aber Diandel ist verwundet.“ Nemdel schaute weiterhin in die Richtung von der aus sie angegriffen wurden. Niemand wußte ob der Feind noch auf der Lauer lag und ihre Unachtsamkeit nutzen würde. In der Zwischenzeit untersuchte Enduen die Verwundete. Er brach den Pfeilschaft ab und zog die Spitze vorne heraus. Ein leises Stöhnen kam von der
bewußtlosen Elfe. Als er den Stoff ihres Hemdes zerriss sah Enduen schwarze, wellenförmige Linien die sich wie die Strahlen einer Sonne um die Wunde herum gebildet hatten. „Der Pfeil war vergiftet.“ Er roch an der Spitze und ein unangenehm beißender Geruch stieg ihm in die Nase. Angewidert verzog er das Gesicht. Nemdel schaute kurz auf die Wunde und ging sofort wieder in Position um einen möglichen Angriff erwidern zu können. „Dem Geruch und den Symptomen nach zu Urteilen könnte das Gift von einer Argulesischen Schlange sein. Du passt auf sie auf und ich werde mich auf die Suche nach einem Gwarnastrauch machen. Mit
dessen Beeren vermag ich sie vielleicht lange genug am Leben zu erhalten bis wir zurück in Gaya´den sind und ein Heiler sich um sie kümmern kann.“
Nach gefühlten zwei Stunden kam Enduen mit den Beeren zurück. Er legte die grünen Kugeln auf einen Verband und zerdrückte diese mit einem Stein zu einer breiigen Masse. Vermischt mit etwas Saft aus den Wurzeln des Keuribaums legte er Diandel den Verband an. Er hielt Nemdel einen Beutel mit weiteren Beeren und eine Flasche mit dem Schmerzmittel hin. „Hier, nimm dies und bringe Diandel in die Hauptstadt zu einem Heiler. Wechsel den
Verband alle zwölf Stunden, und mit etwas Glück wird sie überleben.“
„Und was ist mit Dir?“, frage Nemdel verwundert.
„Ich werde Eflaen bestatten und weiterhin Taanuen verfolgen. Vielleicht bringe ich dabei auch etwas über unsere Angreifer in Erfahrung. Der eine mit dem Speer war ein Dunkelelf. Und wir sind nahe an der Grenze zu ihrem Reich. Berichte dem Rat was vorgefallen ist, und das wir die Grenze sichern müssen bevor sie weiter in unser Gebiet vordringen. Florana möge euch beschützen.“ Mit diesen Worten machte sich Enduen daran seinen toten Begleiter zu bestatten und an die Verfolgung von
Taanuen und den Dunkelelfen. Währenddessen sortierte Nemdel alles aus was nach seiner Sicht nur überflüssiges Gewicht darstellte. Als er damit fertig war erwies er dem Toten seinen Respekt, verabschiedete sich von Enduen und ging mit Diandel im Arm los in Richtung Hauptstadt. Auf diese Weise der Fortbewegung würden sie bestimmt zwei Wochen bis zum nächsten Heiler benötigen und er bezweifelte, dass sie mit dieser Verletzung so lange durchhält.