Kapitel 16 Tiege
Ordt hatte das Gitter erneut erreicht. Auf dem Gang draußen war alles dunkel. Lediglich einige dünne Lichtbalken vielen durch die hoch gelegenen Gitterfenster und erschufen ein Muster aus hellen und schattigen Flecken auf dem mit Staub bedeckten Boden. Der Wolf drehte sich um und ging wieder zurück zur Rückwand der Zelle. Eine einfache Liege bildete die einzige Einrichtung und selbst diese knarrte bedenklich unter seinem Gewicht, als er sich darauf nieder ließ.
Es war kühl hier unten, nicht zu
verwunderlich, lagen die Zellen doch ein Stück weit in der Erde vergraben. Als man ihn, Kiris und den Zauberer hergebracht hatte, hatte man sie eine lange Treppe an der Außenseite der Arena hinab gebracht, bis sie eine verriegelte Tür erreicht hatten. Ordt hatte sich weit unter dem Torbogen ducken müssen, damit er überhaupt hindurch passte und hatte praktisch sofort bereut, das er sich nicht doch von den Gardisten erschießen lassen hatte.
Es roch nach Tod, Verfall, verschimmelnden Stroh… und Schlimmeren, über das er erst gar nicht zu genau nachdenken wollte. Und jetzt saß er hier. Wie viel Zeit vergangen war,
seit man sie hergebracht hatte, konnte er nur an dem sich langsam verdunkelndem Licht abschätzen, das durch die Fenster hereinfiel. Diese mussten sich wohl auf Höhe des Bodens draußen befinden, denn ab und an verstellte ein Schatten sie und ließ einen Teil von Ordts Gefängniszellen in kompletter Finsternis zurück. So zumindest, hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt, nicht einmal, als er seinen Clan verlassen hatte. Mit der sicheren Gewissheit, dass man ihn jagen und töten würde. Und doch hatte er überlebt. Um jetzt in einem imperialen Gefängnis zu versauern… zumindest so lange, bis ihren Wärtern etwas Besseres einfiel. Für Simon zumindest, gab es
offenbar schon Pläne.
Die Worte des Magiers fielen ihm wieder ein. Die Worte die, so seltsam es schien, sein Leben gerettet hatten. Tot konnte er niemandem helfen. Und auch wenn der Mann damit wohl Recht hatte… wegen ihm waren sie doch erst in dieser Situation. Sein Auftauchen hatte sie gezwungen, hierherzukommen. Und sie hatten ihn lediglich dem Orden übergeben wollen. Jetzt waren er und Kiris selber Gefangene des Kaiserreichs. So hatte das wirklich nicht laufen sollen. Er hatte weder die Frau noch den Zauberer wiedergesehen, seit man ihn hier herunter gebracht hatte, aber vermutlich befanden sie sich in den
angrenzenden Zellen. Die ihm gegenüber jedenfalls war, bis auf einen Stapel Decken verlassen.
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein metallisches Kratzen, das er erst nicht als das erkannte was es war, bis plötzlich ein weiterer Lichtstrahl in den Gang fiel. Ein Türriegel, der zurückgeschoben wurde. Hallende Schritte und das Klirren von Stahl kündigten schon an, das sich jemand näherte, bevor Ordt den Mann auch nur sehen konnte. Es war Ielfgar, der Kommandant der Garnison dieser Stadt. Und so wie es aussah, war er bester Laune. Das Grinsen auf seinem Gesicht jagte Ordt bereits einen Schauer über
den Rücken, bevor er auch nur darüber nachdachte, was den Mann hier herunter bringen könnte. Und das war nicht grade ermutigend. Sicher, er hatte dem Anführer es Ordens in Anego versprechen müssen, das er Simon fürs Erste am Leben erhalten würde. Das galt aber weder für Kiris… noch für ihn.
„Freut euch, Ihr kommt bald hier raus, Wolf.“, meinte Ielfgar, als er vor der Zelle stehen blieb, mehrere Schritte von den Gitterstäben entfernt… und damit zu weit, als das Ordt auch nur hoffen könnte, ihn eventuell zu erwischen. Mal davon abgesehen, das außerhalb seines Sichtfels bestimmt weitere Gardisten warten würden. Ielfgar
war sicher nicht dumm genug alleine hier herunter zu gelangen.
„Wieso habe ich das Gefühl, das mir das nicht gefallen wird?“, fragte Ordt. Ihm gefiel der Überschwang in der Stimme des Kommandanten jetzt schon nicht.
„Oh ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es das wird. Ihr werdet morgen gegen Simon hier antreten dürfen.“
„Was ?“ Kiris und die Stimme des Zauberers überschnitten sich beinahe.
Aber wenigstens, dachte Ordt, wusste er jetzt, das sie noch in der Nähe waren. Und, dachte er grimmig, nicht, dass ihm die Aussicht, Simon in Stücke zu
schneiden ungelegen kam, aber….
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihr kaum ein Gegner für einen legendären Kämpfer, wie ihn, sein werdet, aber ich entledige mich damit zweier Probleme auf einmal.“
„Lasst Euch überraschen.“, antwortete der Wolf.
Bisher hatte er von diesem… legendären Kämpfer nicht viel gesehen und ohne Magie, war Simon nur halb so gefährlich, wenn überhaupt. Trotzdem, die Vorstellung nach der Pfeife dieses Bastards zu tanzen behagte ihm nicht.
„Aber wer garantiert Euch, das wir uns morgen nicht einfach in den Schatten der Arena setzen und abwarten, bis es
dunkel wird?“
„Ich hatte gehofft, dass Ihr fragen würdet.“ Das Grinsen auf Ielfgars Zügen verlosch. „Solltet Ihr euch weigern, warum auch immer, sterbt Ihr sofort. Und die Frau obendrein. Ohne eine Chance, wenigstens das Leben von einem von Euch zu verlängern.“ Der Kommandant wandte sich zu der Zelle links von Ordt um. „Euch mag das vielleicht wenig bedeuten, Simon, aber ich bin mir sicher der Wolf wird das anders sehen…. Nun, morgen bei Sonnenaufgang werden wir es wissen, nicht?“
Mit diesen Worten drehte Ielfgar sich um und machte sich auf den Weg aus
dem Gefängnis. Ordt konnte seine Schritte auf der Treppe nach draußen verhallen hören.
„Ich hasse den Bastard jetzt schon.“, konnte er Simon murmeln hören.
„Das habt Ihr ja großartig hinbekommen.“, rief er dem Mann zu.
„Ich ? Erklärt mir einmal, was ich damit zu tun habe, das Ihr meine Anwesenheit hier gleich der Stadtwache, der kaiserlichen Garde und dem Orden gleichzeitig bekannt geben musstet. Das wäre nicht passiert, wenn Ihr mich einfach hättet gehen lassen.“
„Damit der Orden uns an eurer Stelle jagt, Zauberer?“ fragte Ordt gereizt.
„Könntet Ihr beide Euch vielleicht
lieber darauf konzentrieren, wie wir hier herauskommen?“, rief Kiris. Die Frau klang mehr resigniert als wütend.
„Gar nicht.“, antwortete er. „Das ist ja das Problem. Ich habe mir schon die letzten Stunden darüber den Kopf zerbrochen, aber wenn unser… Freund hier nicht plötzlich seine Fähigkeiten wiederentdeckt sehe ich schwarz. Für ihn oder für mich. Vorzugsweise für ihn.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit!“ Ordt könnte Hören, wie Simon in der Nachbarzelle gegen die Gitterstäbe schlug.
„Hey, ich versuche hier zu schlafen!“ Die vierte, fremde, Stimme brachte sie alle Drei kurz dazu, innezuhalten.
Ordt konnte sich nicht sicher sein, meinte aber einen seltsamen Akzent in den Worten zu erkennen, den er schlicht keiner Region Cantons zuordnen konnte. In der seiner eigenen gegenüber liegenden Zelle, rührte sich etwas. Der Stapel Decken wurde beiseitegeschoben und darunter kam eine Gestalt zutage, wie Ordt sie bisher nicht gesehen hatte. Ein Gejarn mit gräulich-rotem, etwas zottelig wirkendem Fell….
In der Dunkelheit konnte Ordt es nicht mit Sicherheit sagen, tippte aber auf einen Fuchs. Ein paar gelbliche Augen sahen ihm unverwandt entgegen und irgendetwas blitzte darin. Etwas, das ihn zutiefst beunruhigte. Der Mann trug
einen mit feinem Kettengewebe verstärkten Lederpanzer und offenbar hatte man ihm, obwohl er hier mit ihnen eingesperrt war, seine Waffen gelassen. Ein simpler Rundschild und ein Breitschwert, aber von einer Machart, wie Ordt es noch nicht gesehen hatte. Eine Parier-Stange gab es nicht und in den Knauf war das Symbol einer aufgehenden Sonne eingelassen worden.
„Wer seid Ihr?“, fragte Simon und kam damit dem Wolf zuvor, dem bereits dieselbe Frage auf der Zunge brannte.
„Tiege.“, erklärte der Fremde. „Tiege Carmine um genau zu sein. Und falls Euch das entgangen ist, ja das hat sich gereimt. Steht’s zu Diensten.“ Er deutete
tatsächlich eine kurze Verbeugung an.
Kiris lachte leise, aber in der einsetzenden Stille hörten sie es wohl trotzdem alle.
„In Helike hört man selten Jemanden lachen. Daran musste ich mich hier erst gewöhnen.“, meinte Tiege nun selber grinsend. Die Geste ließ zwar einige Spitze Zähne zu viel sehen, schien aber ehrlich zu sein. Auch wenn der Mann Ordt jetzt schon vor ein Dutzend Rätsel stellte.
„Sagtet Ihr grade Helike?“, wollte er wissen.
„Da komme ich her. Ich weiß es ist nicht grade in der Nähe, aber glaubt mir, ich hab mir das nicht ausgesucht. Wenn
es nach mir ging, bin ich vor dem Herbst wieder auf dem Weg zurück dorthin. Oder zumindest, wenn die Archonten mich bis dahin ein wenig vergessen haben und ich behaupten kann ich hätte meine… Ehre wiederhergestellt. Was immer man darunter versteht. Laos zumindest hat es in seinen Schriften nie genau definiert. Verrückter Kerl, wenn ihr mich fragt.“
Laos… Helike... Das waren Namen und Orte, die er bestenfalls aus Gerüchten kannte. Helike, das war die legendäre Stadt, weit hinter den freien Königreichen und über das Südmeer hinweg gelegen. Ein Ort, den wenige je gesehen und noch weniger je betreten
hatten. Doch die Geschichten die man von dort hörte, waren bestenfalls beunruhigend. Und Laos….
Der Schutzpatron dieses Stadtstaats, wenn Ordt das richtig verstanden hatte. Es war seltsam, aber er hätte nie gedacht, dass ein Mann aus Helike so über seinen Gott reden könnte. Die wenigen, die sich ihrerseits jemals nach Canton verirrt hatten, kannte man eigentlich als schweigsame Gestalten und Söldner, die aufgrund ihrer Kampfkunst überall gefragt waren. Tiege zumindest passte ganz und gar nicht in dieses Bild.
„Ehre wiederherstellen?“, fragte Simon. „Wie ? Indem Ihr hier kämpft?“
„Wieso nicht ? Ehrlich gesagt, ich
habe keine Ahnung, was ich sonst tun sollte. Aber ein guter Kampf bringt immer Gewinn und mit einem Schwert umgehen ist das einzige, was ich je gelernt habe. Wenn meine Heimat sich nicht durch meine Taten besänftigen lässt, dann sicher durch ein paar Truhen voll Gold. Am Ende sind die Archonten Helikes auch nur Menschen… oder Gejarn, je nachdem.“
„Ihr seid also freiwillig hier?“
„Ihr nicht ?“ Tiege runzelte die Stirn. War der Mann so einfältig oder einfach mit den Gepflogenheiten Cantons derartig unvertraut?
„Verzeiht, aber Ihr habt das hier…“ Ordt schlug gegen die Gitterstäbe.
„Nicht zufällig mit den Gästezimmern verwechselt , oder ?“
„Nein… aber wenn Ihr nicht aus freien Stücken hier seid…“
„Wir sind Gefangene.“, antwortete nun Kiris.
„Ich verstehe…“ Tiege schüttelte den Kopf. „Barbaren hier, allesamt. Und natürlich verheimlicht man mir so etwas…. Wir haben wenigstens den Anstand unsere Gefangenen gleich zu töten, oder sie in die Wüste zu schicken, wortwörtlich übrigens. Und ich wurde damit betrogen. An einem Kampf gegen Unfreiwillige ist nichts Ehrenhaftes zu finden…. So kann ich lange darauf hoffen, in meine Heimat zurückkehren
zu können. Aber wenn Ihr einen Plan habt, wie ihr entkommen könnt….“
„Ähm…“ Kiris räusperte sich. „Ihr werdet uns nicht einfach raus lassen?“
„Nichts für ungut, ich kann zwar hier raus, aber weder weiß ich, wo sich der Schlüssel für eure Zellen befinden mag, noch bin ich besonders unauffällig oder wüsste wenigstens, wie man ein Schloss aufbricht. Und ich habe ein Versprechen gegeben, als man mich in diese Stadt ließ, dass ich nichts tun würde, was ihnen schadet. Davon jedoch, dass ich im Zweifelsfall nicht mit Euch fliehen dürfte, haben sie aber nichts gesagt.“
Simon hörte dem Gejarn, der sich als Tiege vorgestellt hatte nur mit einem
halben Ohr zu. Er hatte sich noch nie so machtlos gefühlt, wie in diesem Moment. Nicht während seiner vorangegangenen Gefangenschaft, nicht während seiner Flucht. Das Schicksal schien es sich in letzter Zeit einfach zur Aufgabe gemacht zu haben, ihm immer wieder vor Augen zu führen, wie es sich anfühlte, völlig am Boden zu sein. Und jetzt saßen sie fest, er und Ordt würden morgen kämpfen… und einer von ihnen sterben… und es gab keinen Weg darum herum. Nicht, das ihm das Leben des Gejarn etwas bedeutete. Aber Morgen würden sie Waffen in der Hand haben. Wenn es einen Weg hier heraus gab, wäre das die beste Gelegenheit, ihn zu nutzen. In der
Arena allerdings würden sie wohl ständig unter Beobachtung stehen. Man würde auf sie achten, vielleicht auch darauf, dass Ordt Simon nicht umbrachte, wenn der Hauptmann einen weiteren Konflikt mit dem Orden vermeiden wollte. Und vielleicht lag darin auch der Schlüssel…
„Ich habe eine Idee.“, erklärte Simon ruhig. Aber damit sie auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg hatte, musste er sich auf die anderen verlassen können. Vor allem auf Ordt. Und das war der schwierige Teil….