Spät-Diäting
In der Spalte bei den Kennenlern-Angeboten hatte ich diese kleine Anzeige gefunden. Ein paar Kilos auf die Rippen würden nicht schaden, so dachte ich mir und meldete mich kurzerhand an.
Ach herrje, was die alles wissen wollten! Aber ich habe nichts zu verbergen. Zugegeben – mit dem Geburtsdatum hatte ich ein bisschen geschummelt!
Aber setzt man die Jahre ins Verhältnis zum Geburtstag, und rechnet das zum Quadrat, subtrahiert die Summe der Fältchen und
gegebenenfalls das ein oder andere Altersfleckchen, dann komme ich auf wunderbare 27 Jahre.
Für dieses Alter sollte ich bei meiner ursprünglichen Körpergröße 52 Kilo wiegen. Das ergeben für mich am heutigen Tag genau 9 Kilo, die ich zunehmen sollte. Dann hätte ich mein Ideal Gewicht!
Schon seltsam! Im Fernsehen wird man ständig darüber aufgeklärt, wie es ganz ohne Entbehrungen gelingt, 10 Kilo in der Woche abzunehmen. Doch vom Zunehmen spricht dort niemand.
Nun, ich setzte meine ganze Hoffnung auf das Spät Diäting an einem Abend im Februar.
Während ich gemächlich meinen Wagen auf den Parkplatz rollen ließ, dachte ich über die Bedeutung der beiden Worte nach: „Spät“ und „Diäting“.
Wahrscheinlich sowas, wie: in der letzten Minute …
Und das traf auf meine Person ja ziemlich genau zu. Also war ich guter Dinge und trat ein.
Es war nett, aber ein bisschen was anderes hatte ich schon erwartet. So etwa eine große Tafel über und über mit Leckereien bestückt. Vielleicht einen Fasan oder Kaninchen an Sahnemöhren. Doch aufgetischt wurde hier nichts. Das konnte ja noch kommen.
Statt dessen stand der ganze Raum voll mit kleinen runden Tischen mit jeweils einer Kerze darauf und zwei Stühlen daran. Einzelne Besucher hatten bereits platzgenommen.
Ich schaute mich suchend um. Wo sollte ich mich hinsetzen?
Ein junger Mann – gar kein schlechter Typ! – kam galant auf mich zu und nahm mir meinen Mantel ab.
Er zeigte an einen Tisch, an dem so ein junger Spund saß: „Nehmen Sie Platz, ich komme gleich zu ihnen um die Getränkebestellung entgegen zu nehmen.“
Mir kam das komisch vor, zu dem Kleinen an den Tisch zu gehen, aber ich machte das trotzdem.
„Guten Abend, junger Mann. Darf ich?“, und schon saß ich.
Vielleicht lag es an den starken Brillengläsern, doch schien mir mein Gegenüber ein wenig verschreckt. Mit froschartigen Glubschaugen taxierte er mich, brachte aber kein Wort heraus.
Nun, so sprach eben ich:
„Ein paar Kilos mehr auf den Rippen werden Ihnen sicher auch gut stehen. Aber wenn ich mich so umsehe, kann man das wirklich nicht von allen, die hier sitzen, behaupten, nicht wahr? Aber vielleicht kann man hier ja auch abnehmen.“
Der Jungspund sah einfach weg! Oder schaute er sich, mit seinen scheinbar stets staunenden Augen, die anderen Teilnehmer an?
War mir auch egal. Ich redete einfach weiter:
„Wie viele Kilos haben Sie sich denn für heute vorgenommen? Um mein Idealgewicht zu erreichen, müsste ich es auf 9 schaffen! Aber wenn ich mir hier die blanken Tische ansehe, kann ich mir das für diesen Abend wohl abschminken. Ach, da kommt ja schon der nette Herr von eben!“
Diesen fragte ich als erstes, was es denn zum Essen geben würde. Doch er fragte mich, ob ich nicht erst einmal etwas zu trinken bestellen wollte.
Ich dachte spontan an ein Wasser, weil ich ja mit dem Auto unterwegs war. Der nette schmucke Herr meinte aber, das sei doch viel
zu nüchtern für so einen schönen Abend und empfahl mir einen Long Dings. Und weil ich mich nicht entscheiden konnte zwischen lieblich, spritzig oder etwas Schärfe – an meine Lesebrille hatte ich dummerweise nicht gedacht und konnte so die Karte nicht studieren, brachte er mir Sage und schreibe fünf Gläser an den Tisch. Eines hübscher anzusehen, als das andere.
Zu meinem Verdruss waren sie in dem horrenden Eintrittspreis nicht enthalten. Aber immerhin galt Häppi Aua. Keine Ahnung, was das heißt, aber die Long Dings hatten nur 15,-€ gekostet. Und ich war erstmal gut versorgt.
Der nette schmucke Herr versicherte mir, dass an jenem Abend die Männerwelt rotiert. Aha!
Und dass es im Anschluss an die Veranstaltung ein Buffet gäbe, dass mir sicher gefallen würde, wobei ein herzliches Lächeln auf mich hinab regnete. Und dieses sei im Eintritt enthalten.
An dieser Stelle kann ich vorweg nehmen – ich hatte lange nicht mehr so gut gegessen, wie an jenem Abend.
Im Anschluss! Aha! Erst die Theorie dann die Diät. Das ergab für mich einen Sinn und ich fühlte mich gut aufgehoben.
Mit einem mal vibrierte ein lästiger Ton an meinen Ohren! Böööööb!
Der nette schmucke Herr stellte sich in die Mitte des Raumes und erklärte, dass am heutigen Abend die Männerwelt rotiert. (So viel wusste ich ja bereits.) Sobald der Buzzer ertönt, wird gewechselt. Immer den dünnen Linien auf dem Boden folgend.
Dünne Linien? Die hatte ich bis zu dem Zeitpunkt noch gar nicht bemerkt!
Doch bemerkte ich bei meinem glubschäugigen Gegenüber eine plötzliche Unruhe. Er konnte es wohl kaum erwarten zu rotieren.
Nun soweit sei dann alles klar, so meinte der nette schmucke Herr und ging wieder auf seinen Platz hinter der Theke und – bööööb!
Was soll ich sagen? Die gesamte Männerwelt rotierte! Ein wildes Stühlerücken und schon hatte ich ein neues Gegenüber!
Durch meinen kleinen Strohhalmwald schaute ich ihn an, und fragte ihn, welchen Long Dings ich zuerst versuchen sollte. Rot, gelb, blau/grün, den weißen oder den orange-roten.
Er verwies mich auf den orange-roten und meinte, so ein Tequila Sunrise sei etwas ganz feines.
Aha! Dieser Mann kannte sich mit solchen Dingen aus!
Ich sog ganz vorsichtig an dem schwarzen Trinkhalm und verschluckte mich beinahe! War das stark! - - - Aber gut!
Aufgeregt hielt ich ihm das Glas entgegen, „wollen Sie auch mal?“
Er grinste breit und nahm einen tiefen Zug.
Ich klärte ihn auf, an diesem Abend sei Häppi Aua und da könnte man sich sowas ja mal gönnen.
Bööööb!
Und schon wieder rückten die Stühle. Ja, das ging beinahe den ganzen Abend so. Erst dachte ich bei mir, da kann man ja gar kein ordentliches Gespräch führen!
Doch noch nie hatte ich so viele nette Menschen auf einmal kennengelernt.
Im Anschluss gab es das versprochene Buffet. Und der nette schmucke Herr hatte nicht übertrieben! Es gefiel mir, und zwar sehr!
Und die vielen jungen Menschen um mich herum! Ach, das war so schön, dass ich inzwischen jeden Monat einmal dort hingehe.
Seitdem habe ich tatsächlich 5 Kilo zugenommen, die mir außerordentlich gut zu Gesicht stehen.
Und ich habe einen netten jungen Mann gefunden, der sich um meine Rosen kümmert. Ich backe an diesen Tagen einen leckeren Kuchen und dann plaudern wir in aller Ruhe bei einem schönen Tässchen Kaffee im Schatten der alten Bäume.
Ja, so ist das.