Die ganze Nacht fand ich keinen Schlaf. Den halben Abend lang hatte ich mit Antonio telefoniert. Wir redeten über Gott und die Welt. Ich hätte für die Ewigkeit an seinen Lippen hängen können, so verführerisch empfand ich seine Stimme. Und nun endlich schien es um mich geschehen zu sein. Denn gesehen, hatten wir uns in letzter Zeit kaum. Tagsüber war er mit seinem Job beschäftigt und abends half er im Restaurant seines Onkels aus. Es fehlte ihm einfach die Zeit, um sich mit mir zu verabreden. Ich nahm es so hin, wie es war. Sicher würden auch mal bessere
Zeiten kommen. Für eine richtige Beziehung fehlte mir schließlich selbst noch der Mut. Zwei, dreimal war ich Stefan begegnet. So rein zufällig. Das erste Mal, ging ich gerade von der Arbeit nach Hause. Dicke Wolken überdeckten die Sonne und es dauerte auch nicht lange, da regnete es so stark, dass ich binnen zwei Minuten bis auf die Haut nass war. Stefan stand plötzlich vor mir. Obwohl es schon längst zu spät war, breitete er einen Schirm über mir aus. Ich war so verblüfft, dass ich keine Worte fand. „Du kannst ihn haben, wenn du willst“, sprach er etwas irritiert. Womöglich wäre jetzt ein „Dankeschön“, meinerseits
angebracht gewesen, doch war ich unfähig dazu, jene Worte auszusprechen. Denn mit Stefan hatte ich wahrlich nicht gerechnet. So ging er davon und ich tat nichts anderes, außer ihm hinterher zu schauen. Als er nicht mehr zu sehen war, kamen meine Lebensgeister zurück. Und dabei hätte ich ihm doch zu gern gesagt, dass mir alles so leid tat. Für die schönen Momente wollte ich ihm danken. Nun war es zu spät. Zwei Tage später sah ich ihn wieder. Ich war mit Marlene im Cafe um die Ecke verabredet. Da saß er, ganz in unserer Nähe, in weiblicher Begleitung. „Das ging aber schnell!“, merkte Marlene mit einem sarkastischen Unterton an.
„Wie läuft´s denn mit Antonio so?“, fragte sie etwas vorsichtig. „Wie, was?“, fragte ich verwirrt. Denn, dass Marlene etwas gesagt hatte, war mir nicht entgangen. Irgendwas mit Antonio. Marlene war zwar meine beste Freundin, mit welcher ich gern meine Zeit verbrachte, doch jetzt, just in diesem Moment, hätte ich mir gewünscht, dass mein Gegenüber Antonio gewesen wäre. Ich musste mich wohl mit dem Gedanken abfinden, dass Stefan noch immer ziemliche Chancen in der Damenwelt besaß. Nein, diese Verbindung würde doch nie und nimmer halten, auf keinen Fall! Am Anfang sind sie doch alle Blender. Obwohl wir nie an diese
Geschichten: Ich gehe gerne tanzen und liebe romantische Abende glauben, fallen wir doch immer wieder darauf rein. Irgendwann, wenn der Fisch am Haken hängt, dann wachen wir auf. Schleichend waren jene Versprechungen entschwunden. Man fragt sich dann, hatte er diese Worte tatsächlich einmal ausgesprochen oder war es nur reine Einbildung? Die junge Frau war hübsch, ein nettes Lächeln lag auf ihren Lippen. Ein verliebtes Lächeln womöglich? Ich musste über mich selbst schmunzeln. Niemals! Stefan und diese Blondine? Er stand doch gar nicht auf blond. Oder bevorzugte er jetzt blond, weil ich ihn verlassen hatte? Wie oft hatte er betont,
dass er mein braunen Haare so schön fand. „Willst du nun was bestellen, oder nicht?“, hörte ich Marlenes leicht verärgerte Worte. Ich versuchte mich zu konzentrieren. „Aber klar. Einen Cappuccino und ein großes Stück Schokotorte mit extra Sahne bitte“, kam prompt die Antwort. Die Bedienung notierte alles und verschwand. „Soll ich Stefan vielleicht fragen, ob er zu uns herüberkommen will?“, kam Marlene auf den Punkt. „So ein Quatsch, wie kommst du nur auf so eine absurde Idee?“, meinte ich so desinteressiert wie
möglich. „Na, seit dem wir hier sind, starrst du ihn ständig an. Man könnte glatt denken, du seist eifersüchtig.“ „Nee, ich doch nicht. Stefan kann sich doch treffen, mit wem er will. Schließlich sind wir ja nicht mehr zusammen“, antwortete ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Zum Glück tauchte die Bedienung wieder auf. Das Stück Schokotorte kam mir jetzt gerade recht. Ich schaufelte es in mich hinein, als hätte ich tagelang nichts gegessen. Als ich wieder aufblickte, waren Stefan und seine Begleitung gerade dabei, das Cafe zu verlassen. Mich traf es wie ein Schlag. Lag seine
Hand tatsächlich auf dem Hinterteil jener Blondine? Sicher tat er das mit Absicht, um zu zeigen, du mein Herzchen, bist nicht die einzige Frau auf der Welt. „Hast du Lust, morgen Nachmittag mit mir shoppen zu gehen?“, meinte ich zu Marlene. Keine Frage, Marlene sagte zu, denn Stunden in den Geschäften zu verbringen, war ihre Leidenschaft. Mein Frust musste schließlich irgendwie abgebaut werden. Aber welcher Frust? Aber doch nicht wegen Stefan? Das war doch lächerlich! Gleich morgen wollte ich mich mit Antonio verabreden. Der nächste Tag begann recht harmonisch. Auf der Arbeit lief es gut
und ich freute mich auf den Nachmittag mit Marlene. Die Einkaufpassage war ein Paradies für Frauen. Klamottenläden aller Art reihten sich aneinander. Gleich das erste Geschäft nahmen wir in Beschlag. Shirts, Hosen, kein Ständer war vor uns sicher. Es dauerte auch nicht lange, da war mein Arm völlig überladen. Jetzt hieß es erst einmal: Anprobieren, anprobieren usw. Ich steuerte die einzig freie Kabine an. Doch soweit kam ich nicht, denn mir blieb plötzlich die Luft weg. Vor einer der Kabinen saß Stefan. Noch hatte er mich nicht gesehen. Sollte ich unbemerkt verschwinden? Nein, das war wohl keine gute Idee. Ich straffte meine Haltung und
schritt an ihm vorbei. „Hallo Sophie!“, erklang plötzlich Stefans Stimme. Ich tat überrascht: „Na so ein Zufall. Was machst du denn hier?“ So eine blöde Frage, dachte ich. Was sollte wohl Stefan in einem Damengeschäft schon machen. Bestimmt kaufte er keine Sachen für sich. Mir schwante schlimmes. Nein, nicht diese Blondine. Das konnte doch nicht sein ernst sein? Urplötzlich ging der Vorhang der Kabine neben uns auf. Meine Mundwinkel glitten automatisch nach unten. Tatsächlich stand die Blondine vor uns und das in einem hautengen Kleid. Ich wollte in die Nebenkabine
flüchten, welche vorhin noch frei gewesen war. Die war natürlich nun besetzt. „Und Stefan, wie findest du´s? Kann ich so etwas überhaupt tragen?“, sprach die junge Dame ein wenig überheblich. „Nein, das kannst du nicht. Du bist viel zu dick für dieses Kleid!“, lag es mir auf der Zunge. Obwohl das nicht unbedingt der Wahrheit entsprach, denn diese Superblondine schien wirklich perfekt zu sein. Endlich wurde eine der Kabinen frei. Ich verschanzte mich in ihr. Ich war drauf und dran, sie nicht eher wieder zu verlassen, bevor Stefan verschwunden war.
Ich lugte durch den Spalt. Verdammt, noch immer hatte er sich nicht von der Stelle gerührt. Er konnte ja nicht ewig da sitzen bleiben. Drei, vier endlose Minuten zogen ins Land. Dann bewegte er sich tatsächlich und verließ seinen Platz. Ich atmete auf. Vorsichtig verließ ich schließlich mein Versteck. „Und´, hast du was gefunden?“, sprach mich plötzlich Marlene von der Seite an. Ich zuckte zusammen, denn noch immer lag ich auf der Lauer. „Nee, davon passt nichts“, log ich mit einem schlechten Gewissen, denn statt irgendetwas anzuprobieren, hatte ich einzig und allein meine Zeit
damit verbracht, mich um Stefan zu kümmern. „Na, dann auf zum nächsten Geschäft, schließlich will das Geld unter die Leute gebracht werden“, sprach Marlene sichtlich gut gelaunt. Hoffentlich erwartete mich da nicht schon wieder Stefan, kam es mir in den Sinn. Gleich heute Abend wollte ich doch Antonio anrufen. Dann würden wir zusammen ins Cafe um die Ecke gehen. Vielleicht wäre dann auch Stefan rein zufällig da.