Kapitel 10 Im Lager
„Ihr seid nicht dumm genug, das zu versuchen.“, meinte Simon an den Gejarn gerichtet. Nach wie vor lag die Schwertklinge direkt an seiner Kehle. Und was immer Ordt davon abhielt, ihn einfach direkt zu töten, er konnte dem Mann ansehen, das ihn das nicht mehr lange zurückhalten würde.
„Und warum nicht?“, fragte der Wolf gepresst.
„Weil ihr tot wärt bevor ihr wisst, was geschieht. Denkt nach. Ich bin ein Magier. Der einzige Grund, aus dem Ihr grade noch lebt ist, das ich Unterstützung brauche.“ Es war ein gewagter Bluff, aber auch die einzige Option, die er hatte. Wenn auch nur ein einziger dieser Leute nicht mitspielte… dann hätte er ein Problem. Niemand würde ihm abnehmen, dass er jemanden verschonte.
„Dann seid Ihr am falschen Ort.“, erklärte Ordt, aber zumindest verschwand die Klinge von seinem Hals.
„Und das könnt Ihr für alle entscheiden?“, fragte Simon und gab sich
dabei kaum Mühe, den drohenden Unterton in seiner Stimme zu verbergen.
„Wie meint Ihr das?“ Der Wolf hielt die Klinge nach wie vor erhoben, scheinbar bereit, sich beim geringsten Anzeichen von Gefahr doch noch auf ihn zu stürzen.
„Ich… bitte Euch noch lediglich um Unterstützung. Es wäre aber nicht klug, mir diese zu verwehren. Vielleicht komme ich sonst doch noch zu dem Schluss, dass es besser wäre, Euch nicht entkommen zu lassen.“
„Ihr seid ein Bastard.“, antwortete Ordt, ließ die Waffe nun aber endgültig sinken.
„Ihr werdet mir folgen. Langsam.
Ohne ein Wort Wenn nicht… kümmert mich nicht, was Ihr tut. Ihr werdet sterben.“
„Ihr meint, Ihr würdet versuchen mich zu töten… und dabei selber Euer Ende finden.“
„Sicher, dass Ihr das herausfinden wollt ?“ Ein tiefes Grollen drang aus Ordts Kehle.
Der Laut sorgte dafür, dass sich die Härchen auf Simons Armen aufrichteten und er musste sich zusammennehmen um nicht zurückzuweichen. Wie ein verfluchtes Tier, dachte er bei sich. Ein tollwütiger Wachhund. Aber für den Moment musste er sich damit arrangieren.
Vorsichtig stand er auf, während der Wolf ihm bedeutete, ihm zu folgen. Ohne sich noch einmal umzudrehen, trat Ordt unter den Bäumen hervor auf die Lichtung. Simon zögerte einen Moment, tat es ihm dann aber gleich. Wenn er jetzt Unsicherheit zeigte, könnte sein Bluff auffliegen. Und dann würde er sterben, das hatte er in den Augen des Wolfs sehen können. Nach wie vor schien der Mann sich zusammenreißen zu müssen, sich nicht direkt auf ihn zu stürzen. Vermutlich hielt ihn wirklich nur der Gedanke daran, was Simon dann mit dem Rest der Flüchtlingen tun würde, überhaupt zurück. Oder zumindest, was er gedroht hatte zu tun.
Dutzende von Gesichtern drehten sich in ihre Richtung, sobald den Leuten im Lager auffiel, das der Wolf nicht alleine zurückgekehrt war. Simon ließ den Blick zwischen den Feuern und Zelten hin und her schweifen. Niemand schien ihn zu erkennen, wie er erleichtert feststellte. Wenn sich jemand auf ihn stürzte, war es vorbei, dann war seine Täuschung dahin. Allerdings musste er sich darum wohl keine Sorgen machen. Er konnte sich vorstellen, was diese Leute sahen. Einen zerlumpten Reisenden, der aussah, als hätte er zu wenig Schlaf und Essen bekommen. Vielleicht fragten ein paar von ihnen sich, wieso dieser Fremde ihnen trotzdem entfernt vertraut vorkam.
Aber niemand sagte etwas. In den meisten Gesichtern sah er nur Mitleid für etwas, das die Flüchtlinge hier wohl selber zu gut kannten. Aber keiner von ihnen war auch nur ansatzweise so tief gefallen wie er. Diese… Bauern hatten ein paar Hütten und ihr Vieh verloren. Er hingegen… alles. Es widerte ihn an, auch nur darüber nachzudenken.
Ordt führte ihn wortlos mitten durch das Lager und hin zu einer der größeren Feuerstellen. Dann blieb er stehen und wartete. Simon wollte bereits fragen, wie lange er ihn hinhalten wollte, ließ es dann aber. Ein wenig Geduld. Der Wolf wäre nicht so dumm, ihn zu hintergehen.
Die Flammen, die aus einer mit
Steinen umrundeten Grube im Boden schlugen, erhitzten das Innere eines Wasserkessels und brachten die Flüssigkeit darin zum Brodeln. Eine einzelne Frau stand daran und gab aus einem simplen Lederbeutel eine Handvoll getrockneter Pflanzen und Kräuter dazu.
Manche Einfältigen hielten das schon für Magie, dachte Simon, während er zusah, wie sich das Wasser verfärbte und die aufkochenden Pflanzen einen leichten, pfefferminzartigen Geruch über die Lichtung verbreiteten. Tee, dachte Simon. Das er darauf nicht früher gekommen war….
Die Frau schöpfte einen Zinnkrug mit
dem Inhalt des Kessels voll, bevor sie sich Ordt zuwendete.
Sie war noch jung, wie Simon feststellte. Vielleicht zwei, drei Jahre älter als er selbst. Lange, braune Haare fielen ihr bis über die Schultern, bedeckten den Rücken ihres blaugrünen Kleids und um ihren Hals lag eine feingliedrige Silberkette mit einem Anhänger in Form einer Waage. Mehr Aufmerksamkeit schenkte Simon allerdings dem Dolch an ihrem Gürtel. Bei den Göttern, musste hier denn wirklich jeder bewaffnet sein?
„Ordt ? Wen habt Ihr da mitgebracht?“
Ihre Stimme klang angespannt,
obwohl sie sich offenbar Mühe gab das zu verbergen.
„Ihr wisst doch genau, dass wir niemanden mehr aufnehmen können.“
Sie seufzte, während sie Simon nun zum ersten Mal direkt ansah. Grüne Augen , die ihn ohne Furcht oder Ablehnung musterten. Aber nur einen Moment lang. Sie erkannte ihn…. .
„Ärger Kiris, Ärger“, antwortete Ordt düster.
„Aber ich glaube, das wisst Ihr schon….“
„Und ob.“, antwortete Kiris kühl.
„Was tut ihr hier? Nachsehen ob wir auch wirklich alle verschwinden? Ihr habt euer Land, Zauberer…“.
„Ich glaube nicht, das Euch das zu interessieren hat.“, antwortete Simon.
Aber die Flüchtlinge wären ein ideales Versteck. Wenn er in einer Gruppe reiste, fanden der Orden und der Kaiser ihn nicht so schnell. Und vielleicht konnte er sich mit ihrer Hilfe tatsächlich durchschlagen. Womöglich bis nach Vara. Er hatte von Anfang an überlegt, den Bibliotheken dort einen Besuch abzustatten und jetzt schien es seine einzige Möglichkeit, noch an die Informationen zu gelangen, die er suchte.
„Wichtig ist, das es für Euch… Folgen hätte, mir Eure Hilfe zu verweigern. Fürs Erste und solange mir
danach ist, werde ich Euch begleiten.“
Ordt lachte gedämpft.
„Wenn Ihr Selbstmord begehen wollt… Simon Belfare, dann gibt es dafür schmerzfreiere Wege. Diese Leute werden Euch nicht vergeben, nachdem ihr Stillforn niedergebrannt habt.“
„Stillforn ?“ Simon sah fragend in die Runde.
„Ihr kanntet allen Ernstes nicht mal den Namen der Ortschaft, die Ihr dem Erdboden gleichgemacht habt?“
Die Stimme der Frau, Kiris, bebte jetzt vor unterdrückter Wut.
Er zuckte mit den Schultern. Diese Diskussion begann bereits in eine Richtung abzudriften, die ihn nur
aufhalten würde.
“Ihr habt das selber durch Eure Weigerung zu weichen über Euch gebracht.“
„Ach ja?“, erwiderte Kiris,
„Ich war Stillforns Vorsteherin. Habt Ihr eine Ahnung, wie viele Briefe ich an den Kaiser gerichtet habe, damit wir eine Lösung finden? Verflucht, Ihr selber müsst ein Dutzend davon bekommen haben… und nichts. Keine Antwort, keine Kompromisse. Habt Ihr den Kopf so weit in den Wolken, dass ihr es nicht einmal für nötig hieltet, mit uns zu reden?“
Briefe… Simon dachte nach. Es gab stapelweise Papiere, um die er sich zu kümmern
hatte. Einige davon verschwanden letztlich einfach unter den Anderen. Und wieder andere landeten direkt im Ofen. Vermutlich hatten die Schriftstücke um die es hier ging letzteren Weg genommen, auch wenn er sich nicht genau erinnern konnte. Es spielte auch keine Rolle. Diese Leute hatten schlicht keine Ansprüche zu stellen gehabt, sagte er sich. Trotzdem fand er sich unfähig etwas auf Kiris Anklage zu erwidern.
„Ich könnte ihn immer noch töten.“, murmelte Ordt grade so laut, das Simon die Worte hören musste.
„Nein, könnt Ihr nicht.“ Kiris sah wieder zu ihm.
„Und ich fürchte, das wisst Ihr. Wir
haben beide gesehen, was dieser Mann anrichten kann.“ Sie holte tief Luft.
„Wenn er also unbedingt meint, uns begleiten zu müssen… von mir aus. Aber zwei Dinge. Erstens, verletzt Ihr irgendjemanden werde ich persönlich dafür sorgen, dass Ihr es bereut und wenn es das letzte ist, was ich tue. Zweitens, Ihr versorgt euch selbst. Mir ist egal wie, aber wir haben weder die Vorräte noch Lust dazu, jemanden durchzufüttern. Macht Euch nützlich… oder hungert. Ordt… habt ein Auge auf ihn. Ich gebe den anderen Bescheid, das wir früher aufbrechen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging davon. Der Wolf dachte allerdings gar
nicht daran, auf sie zu hören, sondern lief ihr rasch nach.
Simon, der alleine zurück blieb, atmete erleichtert auf. Es funktionierte. Tatsächlich schien Kiris erstaunlich vernünftig zu sein… auch wenn er das ungern zugab. Nun, solange sie nach wie vor alle glaubten, er besäße nach wie vor Magie, würden sie tun was er ihnen sagte. Doch das hieß auch, er musste sich Kiris Regeln beugen. Bekam er jemanden so weit, dass er gegen ihn kämpfte, wäre die Wahrheit sofort heraus.
„Kiris, früher aufbrechen?“
Ordt beschleunigte seine Schritte um zu der Frau aufzuschließen.
Währenddessen warf er jedoch immer wieder einen Blick über die Schulter zu dem wartenden Menschen zurück. Simon Belfare blieb lediglich genau dort stehen, wo er ihn zurück gelassen hatte und sah sich, mit einem gelangweilten Ausdruck auf dem Gesicht, um. Geister, das musste alles ein schlechter Scherz sein, dachte der Gejarn.
“Die Leute brauchen eine Rast, das wisst Ihr so gut wie ich.“
Kiris antwortete nicht, sondern ging einfach weiter. Allerdings wurde sie etwas langsamer, so dass er ohne zu rennen mit ihr mithalten konnte. Die Ahnen wussten, diese Frau konnte rennen. Und zuschlagen. Ordt konnte ein
kurzes Grinsen bei dem Gedanken nicht verbergen, egal wie verworren ihre Situation grade war. Er wusste selbst nicht, warum er sich bereiterklärt hatte, den Dörflern zu helfen. Letzten Endes hatte er allerdings ohnehin nirgendwo hingekonnt. Nicht nachdem…. . Der Wolf schüttelte die Erinnerung ab. Vielleicht hatte er ja den Tod gesucht. Gefunden hatte er Dutzende von Leuten, die Schutz brachten. Und wenn er dazu beitragen konnte…. . Es war ein kleiner Schritt, aber es war einer in Richtung Wiedergutmachung.
„Ja wir brauchen eine Rast.“, antwortete Kiris. „Wir alle. Aber vor allem ist es unsere Aufgabe, diese Leute
in Sicherheit zu bringen.“
„Das nützt uns nichts, wenn sie auf halbem Weg tot umkippen.“, protestierte er.
So sehr die junge Frau sich bereits bewiesen hatte… sie konnte einen verfluchten Dickschädel haben, dachte er.
„Oder wenn uns das erwischt, wovor auch immer Simon wegrennt. Ehrlich gesagt, ich glaube, das ist gefährlicher.“
„Er flieht?“ , fragte Ordt überrascht.
„Natürlich flieht er. Oder glaubt Ihr, er ist hier, weil ihm plötzlich in den Sinn kam, mit einer Gruppe von Leuten durch die Gegend zu ziehen, die ihm bei erster Gelegenheit ein Messer in den
Rücken rammen werden, falls sie erfahren, wer er ist? Und was immer es ist, es muss verdammt gefährlich sein, wenn es einen Zauberer dazu bewegen kann, ihm auszuweichen.“
Der Wolf zuckte mit den Schultern.
„Ich verstehe Menschen nicht immer.“, gab er zu. „Ihr seid schwer zu deuten, Eure Gesichter, Eure Stimmen…..“
„Sagt der laufende Bettvorleger. Verzeiht… ohne euch wären wir heute schon einige weniger. Und trotzdem verstehe ich immer noch nicht, warum Ihr uns eigentlich helft.“
„Ich… habe meine Gründe, das ist alles.“, antwortete Ordt unruhig. Er
hatte vielleicht nicht Kiris Augenmerk für die kleinen Dinge, Mimik, Gestik, aber er verstand genug. „Offenbar gibt es noch einiges über euch zu lernen.“
„Menschen interessieren Euch?“
„Gezwungenermaßen. Ich… lebe schon eine Weile unter euch und werde es wohl noch eine ganze Weile tun müssen. Bei den Clans zumindest kann ich mich erst einmal nicht mehr sehen lassen.“
„Wieso ?“
Verflucht sei diese Frau und ihre Neugier. Aber er kannte sie jetzt lange genug um zu wissen, dass sie nicht mehr aufhören würde zu fragen, bis sie zumindest eine Antwort erhielt. Einen
Teil der Wahrheit konnte sie wohl wissen. Der Rest jedoch ging niemanden etwas an.
„Ich habe jemanden getötet. Und ja, er hat es verdient.“ Er war sich in seinem Leben selten etwas so sicher gewesen.
„Belassen wir es dabei.“
Offenbar gab Kiris sich damit zufrieden.
„Also gut und wenn Ihr schon nicht auf unseren Gast achtet, helft mir die anderen zu informieren. Ich will, das wir noch vor Tagesanbruch hier weg kommen.“
Der Wolf nickte. Eine Aufgabe. Zumindest wäre er vor weiteren Fragen geschützt, während er sich darum
kümmerte.