Kapitel 8 Flucht
Mondlicht fiel durch die Fenster der Burg und verlieh allem einen silbrigen Glanz, als Simon die Kellertreppe verlies. Zumindest, wusste er jetzt, dass er mindestens den ganzen Tag gefangen gewesen war, vorausgesetzt natürlich, es war noch derselbe Abend. Er lauschte einen Moment, den Türgriff noch in der Hand, ob er etwas hörte, aber die gesamte Burg schien wie ausgestorben.
„Los kommt.“, wies Volero ihn an, der bereits draußen auf dem Gang stand und sich nervös umsah. „Es sieht beinahe
so aus, als hätten wir Glück. Seit ihrer Ankunft, patrouillieren die Prätorianer das Gelände. Ich habe schon auf dem Weg hierher zwei von ihnen ausschalten müssen.“
Simon musterte den alten Bibliothekar skeptisch. Ein einzelner Mensch war für einen Zauberer zwar kein großer Gegner, doch wer hätte vermutet, das Volero noch zu so etwas fähig wäre?
Der Mann bedeutete Simon lediglich ihm zu folgen. Dieser überließ ihm nur zu gerne die Führung. Sollten sie doch auf jemanden treffen, wäre es wohl besser, er sähe zuerst den Magier anstatt den Mann, den man vor wenigen Stunden
wegen Verrats festgenommen hatte. Wenn er jemals die Gelegenheit bekam, Erik dafür zur Rechenschaft zu ziehen…. Aber das war Wunschdenken, sagte Simon sich. Im Moment zählte nur, dass sie hier heraus kämen. Danach konnte er weitersehen. Misstrauisch beäugte er Volero, der vor ihm durch die dunklen Gänge der Burg lief. Bisher hatte er ihm, wie die meisten, nicht viel Beachtung geschenkt. Er war eben der Bibliothekar, ein Mann, der mehr in seinen Büchern zu existieren schien, als das er sich mit den Lebenden beschäftigte. Und doch wusste er ganz augenscheinlich mehr, als er je zugegeben hatte, nicht?
„Ihr habt mir nicht alles verraten, was ihr über die Tränen, oder die Seher was das angeht, wisst, habe ich recht?“, fragte Simon leise. Er hielt den Arm nach wie vor leicht angewinkelt. Obwohl seine Verletzungen geheilt waren, musste sich sein Geist erst noch wieder daran gewöhnen.
„Vielleicht tue ich das.“, antwortete Volero. „Aber dafür ist später Zeit. Und es ist nicht so, das ihr in der Lage wärt, mir dieses Wissen abzunehmen. Der Ausgang ist nicht mehr weit, schnell…“
Tatsächlich erreichten sie bald darauf eine, für die Verhältnisse der Burg, weitläufige Halle, deren Dach von Reihen aus massiven Säulen getragen
wurde. Ohne jegliche Verzierung, wirkten diese mehr wie uralte Monolithe, anstatt wie etwas, das Menschen geschaffen hatten.
Und in ihrem Schatten… Simon hätte die Gestalten in ihren dunklen Panzerungen fast zu spät bemerkt. Vor jeder der Säulen stand ein Prätorianer, in der Dunkelheit kaum erkennbar. Mindestens zwölf, wenn sich anderswo nicht noch mehr verborgen hatten. Die Tore zum Innenhof standen offen und ließen silbrige Lichtstrahlen herein, die jedoch kaum dazu beitrugen, die Schatten zu vertreiben.
„Was machen wir jetzt ?“ , fragte er an Volero gerichtet.
Wenn er nur seine Magie wiederhätte, dann wäre das alles kein Problem. Manchmal schien es konnte er es beinahe vergessen. Außer in Momenten wie diesen wo ihm wieder klar wurde, wie erschreckend verwundbar er jetzt war. Die Seherin hatte mehr von ihm genommen, als nur seine Fähigkeit Zauber zu wirken… Wenn er nur….
Ja wenn, schalt er sich selbst, hast du aber nicht. Und solange er hier nicht wegkam, würde sich daran auch schwerlich etwas ändern. Aber sobald er und Volero entkommen waren, würde er ein paar Antworten bekommen und wenn er sie dem Alten aus den Rippen schneiden musste.
„Seht zu und lernt.“, antwortete der Zauberer derweil und trat an Simon vorbei in die Halle
War der den verrückt geworden? Simon drückte sich mit dem Rücken an die Wand, während er Volero nachsah, wie dieser unbekümmert auf die Posten zuging. Diese lösten sich von ihrer Position unter den Säulen und traten als geschlossene Kette auf den Magier zu.
„So spät noch auf?“, fragte einer. „Verzeiht, aber bis morgen früh verlässt niemand mehr die Burg. Befehl vom obersten Zauberer Svensson.
„Und dürfte ich erfahren, warum Ihr hier herumsteht?“, fragte Volero wütend „Ist er hier durchgekommen? Habt Ihr
ihn gesehen?“
„Herr ? Wen sollen wir gesehen haben?“
„Simon Belfare natürlich !“ Der alte Magier warf, scheinbar verzweifelt die Arme in die Luft. „Bin ich den nur von Idioten umgeben?“
„Der sitzt doch unten in seiner Zelle…“
„Eben nicht ! Ich war grade dort, da ist alles leer. Er muss schon vor Stunden entkommen sein und Ihr sagt ihr hättet ihn nicht gesehen?“
„Was… Wir…“ , setzte einer der Posten an. „Wir waren die ganze Zeit hier es ist unmöglich, das…“
„Dann ist er sicher schon an Euch
vorbei.“ , unterbrach Volero ihn. „Verflucht. Worauf wartet ihr noch, nach draußen, wir müssen die ganze Umgebung absuchen. Ich informiere den Ordensobersten. Na los. Erik lässt uns alle hängen, wenn der Verräter entkommt.“
Die Männer schienen mittlerweile zu verwirrt, um sich den Anweisungen des Zauberers groß zu wiedersetzten und so waren die ersten bereits auf dem Hof, als Volero ihnen noch nachrief.
„Und vergesst nicht die nahegelegenen Wälder abzusuchen. Ich komme mit Verstärkung nach. Er entkommt uns nicht.“
Sobald der letzte Prätorianer in der
Dunkelheit verschwunden war, trat Simon aus seinem Versteck heraus. Einen Augenblick begutachtete er die verlassene Eingangshalle.
„Ihr seid wahnsinnig alter Mann.“ , erklärte er mit gelassener Stimme. „Warum habt ihr sie nicht einfach getötet, anstatt dieses Spiel zu veranstalten?“
„Manchmal, Simon, reichen Worte.“, antwortete Volero nur. „Es ist nicht immer nötig, seine Feinde zu töten. Das solltet ihr auch einmal versuchen. Die meisten werden euch nur bekämpfen, wenn ihr ihnen keine Wahl lasst… oder sie glauben keine Wahl zu haben. Ich habe sie grade vor die Wahl gestellt,
mich zu bekämpfen, oder das Weite zu suchen.“
„Ihr habt sie ausgetrickst.“
„Nein.“ Er drehte sich zu Simon um.„Das sind Prätorianer, die trickst man nicht aus. Aber auch sie hängen an ihrem Leben, wenn es nicht grade um das des Kaisers geht. Kommt, der Weg ist frei, das ist was zählt.“
Simon wusste nicht, ob er den Magier verstanden hatte, aber mit einem hatte er recht: Hauptsache, sie kamen hier raus. Auf dem Burghof war mittlerweile alles wieder still. Nach wie vor standen die Tore offen und erlaubten einen Blick über die im Dunkeln liegende Ebene. Am Horizont zeichnete sich nun jedoch
bereits der erste Schimmer von Rot ab. Die Sonne würde bald aufgehen und bis dahin sollten er und Volero möglichst weit weg sein. Trotzdem sog er einen Moment die kühle Nachtluft ein. Seine Gefangenschaft war von kurzer Dauer gewesen, doch das Gefühl wieder frei zu sein, egal wie ausweglos seine Situation nach wie vor schien, war… überwältigend, dachte er bei sich. Eine… seltsame Erfahrung.
Sie hatten die Tore so gut wie erreicht, als es doch noch passierte. Simon hatte Volero ein Stück weit hinter sich zurück gelassen und das war sein Glück. Bevor er wusste, was vor sich ging, entzündete sich hinter ihnen ein
Lichtpunkt in der Dunkelheit und erhellte den Eingangsbereich der Burg. Simon brauchte nicht länger hinzusehen, um zu wissen, dass dieses Licht weder von einer Fackel noch von einem harmlosen Lichtzauber stammte. Es war ein Feuerball, der direkt über der Handfläche eines Mannes in einem türkisfarbenen Umhang schwebte. Erik Svensson… und neben ihm mindestens ein Prätorianer. Einer der sie bemerkt haben musste….
Im nächsten Moment raste das magische Geschoss auch schon quer über den Hof auf sie zu.
„Volero, aufpassen…“, rief er noch. Der alte Magier drehte sich um… und
blieb regungslos stehen, während der Feuerball nun nur noch wenige Herzschläge von ihnen entfernt war. „Was soll…“, setzte Simon an, dann hüllte das Feuer den Zauberer bereits ein.
Die entstehende Hitze trieb ihn dazu zurückzuweichen, doch Volero blieb scheinbar völlig ruhig. Und doch verbrannte das Feuer ihn, seine Kleidung, seine Haare, seine Haut…. Langsam sank der Mann in den Flammen in sich zusammen, während auch der Rest seines Körpers zu Asche zerfiel. Simon konnte dem geschehen nur fassungslos zusehen. Das war Selbstmord gewesen, das war… er hatte grade seine
einzige Chance auf antworten verloren…
Und nun musste er fliehen oder er würde Voleros Schicksal teilen. Mit einem letzten Blick zurück, rannte er los, hinaus durch die Tore und den im Dunkeln tückischen Pfad hinab. Ein weiterer Feuerball raste direkt an ihm vorbei und schlug vor ihm auf dem Weg auf. Flüssiges Feuer ergoss sich über die Erde und er war gezwungen, darüber hinwegzuspringen, um nicht hineinzulaufen. Er spürte die Hitze, die seine Kleider versengte…. Dann war er endlich außer Reichweite und verschwand in der Nacht….
Erik Svensson sah ungehalten aus dem Fenster. Seine Finger klopften auf dem Holz des Tisches, der neben ihm stand. Mehrere Dutzend Bücher mit herausgerissenen Seiten waren darauf aufgestapelt worden. Und sie würden die fehlenden Teile auch nicht mehr finden, dachte er. Mehrere, verkohlte und unleserliche Papierstücke hatte man in einem der Kamine der Burg entdeckt, andere aufgeweicht und ebenfalls zerstört aus dem Brunnen gefischt. Volero war gründlich gewesen, so viel musste er ihm lassen. Sein Wissen war mit ihm gestorben. Und Simon Belfare blieb verschwunden. Sie hatten noch in der Nacht alles nach ihm abgesucht, aber
vergeblich. Der Mann schien sich praktisch in Luft aufgelöst zu haben, nachdem sie ihn einmal aus den Augen verloren hatten.
Und damit, dachte Erik düster, war ihm die einzige Quelle für Informationen, die er noch hatte, abhanden gekommen. Aber nicht für lange. Simon konnte nirgendwo hin. Der Kaiser lies längst das Land nach ihm absuchen und bis er die nächste bewohnte Siedlung erreichte, würde vermutlich schon das halbe Reich sein Gesicht kennen. Nein er kam nicht weit. Aber wenn die kaiserliche Garde ihn aufgriff, hatte er sicher nicht mehr lang zu leben, wenn man ihn nicht an Ort und
Stelle tötete. Das wiederum durfte nicht geschehen. Nicht solange er der Einzige war, der etwas über eine Träne Falamirs wusste. Mit Voleros Tod hatten sich die Spielregeln ein wenig verändert….
Erik sah auf zu der hochgewachsenen, schlanken Gestalt, die vor dem Tisch stand. Der Mann trug vollkommen schwarze Kleidung, die genau dem Ton seiner Haare zu entsprechen schien. Blaue, kalte Augen musterten den Ordensobersten, ohne dass sich die geringste Gefühlsregung auf den Zügen des Fremden gezeigt hätte. Ein Ledergurt, in dem mehrere Messer steckten, verlief quer über seine Brust und der Griff eines Kurzschwerts ragte
über seinen Rücken, gehalten von einer weiteren Lederschlaufe. In den abgetragenen Stiefeln die er trug steckten ebenfalls Waffen. Zwei gespannte Radschlosspistolen, allerdings deutlich kleiner gehalten, als die klobigen Feuerwaffen, an denen der Adel zunehmend Gefallen fand. Diese hier wären vermutlich nur aus nächster Nähe tödlich, aber das reichte wohl auch. Sein gegenüber hatte durchaus seinen Ruf, dachte Erik.
„Roderick. Schön, dass Ihr den Weg hierher gefunden habt…“
Der Fremde zog eine Augenbraue hoch.
„Ich würde mir die Förmlichkeiten
gerne sparen… Hexer. Ihr habt Arbeit für mich. Mich interessiert nur, worin diese besteht und wie viel ihr zahlt.“
„Ganz wie Ihr wünscht.“
Erik zog eine der Schubladen des Tisches auf und holte einen kleinen Geldbeutel heraus, den er dem Mann zuwarf. Dieser fing ihn mit katzengleicher Geschicklichkeit auf.
„Silber?“, fragte er.
„Gold. Seht es als Anzahlung und als Lohn für Eure Mühen, so schnell hierher zu kommen.“
„Ich war in der Gegend.“, antwortete er nur doch die Drohung war unüberhörbar. Roderick, der Falke war
kein einfacher Söldner. Es gab nur wenige Menschen, die sich als Auftragsmörder verdingten und noch weniger, die sich dabei auf eine ganz bestimmte Zielgruppe spezialisiert hatten. Auf Magier. Dass der Mann so leicht zu finden gewesen war, bedeutete vermutlich, dass Erik bald einen Zauberer vermissen würde…. Aber solange der Mann tat, was man ihm auftrug, war er bereit darüber hinwegzusehen.
„Den Rest bekommt Ihr bei Erfüllung des Auftrags.“, erklärte Erik.
„Und wie lautet dieser Auftrag?
„Ihr werdet Simon Belfare finden.“, antwortete er.
„Und töten?“
„Genau das ist Teil des Problems. Es kümmert mich wenig, was Ihr mit ihm anstellt und wenn Ihr ihm die Füße abschneiden müsst… aber er sollte noch reden können, wenn ihr ihn hierherbringt.“
„Ich sehe schon. Das dürfte… interessant werden. Mir sind schon einige Magier untergekommen, aber noch nie einer vom Kaliber Simons, wenn man den Geschichten glauben darf.“
„Darf man. Ich war dabei. Aber darüber braucht ihr Euch kaum zu Sorgen, vertraut mir. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er völlig machtlos und ich bezweifle, dass sich das geändert
hat. Fühlt ihr euch dem gewachsen?“
„Ich hätte den Auftrag auch angenommen, wenn er noch im Vollbesitz seiner Kräfte wäre. Das macht so ja fast keinen Spaß.“
„Ich wüsste auch nicht, was daran spaßig sein soll.“ , erwidere der Ordensoberste.
Bereits im nächsten Moment hatte Roderick das Schwert von seinem Rücken gezogen und ließ die Waffe etwas zu nah an ihm vorbeiwirbeln.
„Die Jagd.“, erklärte er, die Klinge nach wie vor viel zu nah an Eriks Hals. „Ihr Zauberer seid so selbstsicher, so überheblich…. Aber wenn Ihr dann feststellt, dass Ihr nicht mehr die Jäger
seid… sondern die Beute…. Es gibt nichts erhebenderes, als die Selbstsicherheit eines Mannes zu zerbrechen, bevor er stirbt. Das ist ein größerer Sieg als der Tod. Es hält länger an. Selbst wenn sie Euch dann entkommen… werden sie nie wieder dieselben sein.“
Erik hörte nur mit halbem Ohr zu. Der Mann war ganz offenbar verrückt, dachte er, während er in die blassblauen Augen seines Gegenübers starrte. Hätte er Magier aus irgendeinem Grund gehasst, das hätte er zumindest verstehen können. Aber Roderick schien einfach Spaß am Töten zu haben, nicht als Mittel zum Zweck sondern… einfach so.
Endlich verschwand die Waffe vor seinem Gesicht wieder. Erik konnte einen leichten Schauder nicht unterdrücken, als er darüber nachdachte, wie viele seines Blutes vielleicht schon durch genau jenes Schwert gefallen waren.
„Man wird euch alles geben, was ihr braucht.“, meinte er und hoffte, das seine Stimme nicht verriet, wie nervös er wirklich war.
„Sagt mir nur, in welche Richtung er unterwegs ist…“