Kapitel 7 Verhör
Er hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, als er plötzlich Geräusche hörte. Simon wusste nicht mehr zu sagen, wie lange er einfach nur dasaß, gegen die kühle Felswand gelehnt… und wartete. Worauf, das wusste er nicht. Vielleicht den Tod. Sein Leben war so schnell in sich zusammengebrochen, das er scheinbar nicht einmal mehr geschockt darüber sein konnte. Er hatte hoch gespielt… und verloren wie es schien. Es war ein seltsamer Gedanke. Hatte er schon einmal wirklich darüber
nachgedacht, einfach aufzugeben? Simon legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke oder zumindest dorthin, wo diese wohl sein musste. Es war so dunkel, was er nicht einmal seine Hände sehen konnte, wenn er sie sich vors Gesicht hielt. Seine Magie war fort. Der Orden jetzt den Händen eines anderen überlassen und er….
Wenn er ehrlich zu sich selber war, durfte er wohl nicht hoffen, noch lange zu Leben zu haben. Der Kaiser war nicht dafür bekannt, zimperlich mit jenen umzugehen, die seine Macht bedrohten. Und jetzt? Nahm er den Weg, den so viele vor ihm gegangen waren. Alle seine Bestrebungen würden auf einem
Schafott oder durch die Klinge eines Scharfrichters enden.
Irgendwann musste er wohl einfach eingenickt sein, denn als er wieder erwachte, war er nicht länger alleine. Schwacher Lichtschein, begleitet vom Geräusch von Schritten auf Stein, drang durch die Dunkelheit und zum ersten Mal in… wer wusste wie langer Zeit nahm er seine Umgebung war.
Er trug nach wie vor die Ordensroben, in denen er festgenommen worden war, jetzt freilich verdreckt, zerrissen und blutverschmiert. Die Schritte von draußen kamen langsam näher, genauso wie der Lichtschein und als die erste Gestalt auf der Treppe
erschien, eine Fackeln in der Hand, musste er die Augen abschirmen, um nicht geblendet zu werden…. Ihm war durchaus klar, dass er einen beklagenswerten Eindruck machen musste, zerlumpt, mit blutunterlaufenen, gereizten Augen und dem gebrochenen Arm, den er so gut es ging mit der gesunden Hand schützte. Eine gebrochene Kreatur, eine die sich tiefer in die dunklen Winkel seiner Behausung drückte…. Nein !
So nicht, dachte er. Mochte sein, dass er das Ende seines Wegs erreicht hatte. Aber er würde ihm entgegentreten, wenn es sein musste. Entschlossen stand er auf und ging den Männern entgegen, die sich
vor seiner Zellentür sammelten. Es waren drei. Eine gehüllt in die typischen Roben des Ordens, die anderen beiden in schwarze Panzerung gekleidet.
,,Geht.“ Wies der Magier seine zwei Begleiter an.
Gegen das Licht der Fackeln konnte Simon ihre Züge nicht erkennen doch er erkannte die Stimme wieder.
Die Prätorianer schlugen sich jeweils mit der Faust vor die Brust, bevor sie sich folgsam entfernten und die Fackeln dabei in zwei Halterungen am Treppenaufgang zurückließen.
„Es wird Euch sicher freuen zu erfahren, dass ich bis auf weiteres als Ordensoberster eingesetzt wurde.“,
antwortete meinte Erik Svensson.
“Da Ihr dieser Aufgabe anscheinend nicht mehr… gewachsen seid, hat die Versammlung der Magier mich dazu bestimmt.“
„Wie lange habt Ihr das schon geplant?“ , fragte er matt.
„Simon… Ihr wart einfach zu Vertrauensselig, das ist alles. Ich habe eine Gelegenheit gesehen und sie ergriffen und behauptet nicht, Ihr hättet etwas anderes getan. Wir beiden können wenig daran ändern was wir sind. Das Blut des alten Volkes gehörte schon immer zu denen, die nach Macht streben…es ist unsere Natur, Simon. Und Euer Streben endet hier.“
Er lachte bitter.
„Dann worauf wartet ihr noch? Wenn ich mir aussuchen kann wie ich sterbe, dann lieber hier als irgendwo vorgeführt zu werden wie ein Tier oder ein Sklave.“
„Ihr werdet morgen früh zur fliegenden Stadt gebracht werden.“, antwortete erklärte sein Gegenüber nur kühl und trat näher an das Gitter. „Mich kümmert aber wenig wie ihr sterbt, aber vielleicht denke ich darüber nah euch nicht dem Kaiser zu überlassen… wenn ihr mir eine Frage beantwortet.“
„Eine Frage ?“ Simon lehnte sich erneut gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie lautet sie?“
„Wo befindet sich die Träne, die ihr sucht? Was habt Ihr wirklich herausgefunden?“
Darum ging es ihm also jetzt. Simon hätte am liebsten laut gelacht. Das war Wahnsinn. Er wusste selber nicht mehr darüber, als das es existierte, oder? Allerdings… wusste das Erik nicht. Wenn der Mann wirklich davon überzeugt war, das er wusste, wo die Träne sich befand… dann brauchte er ihn zwangsläufig solange er die Information für sich behielt. Vielleicht war das seine Rettung, zumindest vor dem Scharfrichter.
„Und warum bitte, sollte ich Euch so etwas verraten ? Ich habe keinen Grund
dazu. Ich werde sterben. Schon in wenigen Stunden.“
„Sicher. Aber die Zeit bis dahin kann Euch sehr lang werden.“
Noch bevor der Magier den Satz beendet hatte, schossen erneut Schmerzen durch Simons Körper. Es war, als wäre nicht mehr länger nur der Arm verletzt, sondern als würde jeder Knochen in seinem Körper einzeln zermalmt. Er spürte wie seine Beine unter ihm nachgaben, doch der Schmerz hielt an, nahm sogar noch einmal an Intensität zu…. So schnell wie alles begonnen hatte, war es auch wieder vorbei. Halb betäubt blieb er einfach regungslos liegen.
„Also“, fragte Erik. Redet Ihr jetzt? Ich kann die ganze Nacht so weitermachen wenn nötig.“
Simon zwang sich dazu, aufzustehen, auch wenn jede Faser seines Körpers dabei protestierte.
„Selbst, wenn ich irgendetwas wüsste, würde ich es euch ganz sicher nicht sagen.“
„Wie ihr wünscht.“
Mit diesen Worten wurde er zurückgeschleudert, als Erik eine Hand ausstreckte. Der Zauber drückte ihn gegen die Wand. Scharfkantige Felsstücke schnitten in seine Haut, er konnte nicht atmen, versuchte irgendwie gegen das unsichtbare Gewicht
anzukämpfen, das ihn zu ersticken drohte….
Die magische Faust, die sich um seinen Körper geschlossen hatte, ließ grade rechtzeitig los, damit er Atem schöpfen konnte, hielt ihn aber weiterhin fest wo er war. Alles um ihn herum drohte dunkel zu werden und in seinem Kopf drehte sich alles, während er keuchend nach Luft schnappte. Das würde Erik ihm früher oder später büßen, schwor er sich, wusste aber gleichzeitig, dass es leere Worte waren. Er hatte nichts mehr, das einzige, was den neuen Ordensobersten daran hinderte, ihn hier und jetzt zu töten war, das er glaubte, Simon besäße
Informationen. Und wenn er erst einmal herausfand, dass das eine Lüge war…
„Hat Euch das vielleicht überzeugt?“.
Erik hatte sich vor den Gitterstäben seiner Zelle auf dem Boden niedergelassen und musterte ihn, so wie ein Kind wohl einen Käfer betrachten mochte, den es im nächsten Augenblick zerquetschen würde.
„Vielleicht solltet Ihr das Foltern besser anderen überlassen.“ Simon lachte gequält.
„Ich hab ein wenig mehr Erfahrung damit als Ihr…“.
„Töricht Simon, Ihr könntet es euch so einfach machen…“.
Erik hob erneut eine Hand und dieses
Mal schloss sich die unsichtbare Faust nicht nur um seinen Brustkorb… sie drückte zu. Simon spürte, wie mehrere Rippen sich verschoben… und brachen, wie sich die Splitter in sein Fleisch gruben….
Er spuckte Blut, als sich die Klammer löste und er kraftlos an der Wand hinabrutschte. Bei jedem Atemzug gruben sich die zerborstenen Knochen erneut in seinen Körper, rissen neue Wunden…. .
,,Keine Sorge.“ , antwortete meinte Erik im Plauderton. „Ihr werdet nicht sterben. Aber vielleicht bringen Euch ein, zwei Stunden in diesem Zustand doch zur Besinnung. Vielleicht
entscheide ich ja auch, dass mich die Antwort nicht mehr interessiert und ich Euch hier langsam verbluten lasse, wer weiß… ich kann Euch immer wieder heilen wenn es nötig ist. Erst, wenn Ihr meine Frage beantwortet, könnte ich vielleicht darüber nachdenken Euch zu erlauben… zu sterben.“
Der Zauberer stand vor dem Gitter auf und ging ohne ein weiteres Wort. Simon sah ihm lediglich nach, sein ganzer Verstand war damit beschäftigt, ihn irgendwie am Leben zu erhalten, trotz der stechenden Schmerzen weiter zu atmen…. Aber wozu eigentlich ?
Er verlor erneut jegliches Zeitgefühl, während die Fackeln draußen langsam
herunterbrannten. Das Knistern der Flammen war das einzige Geräusch, das die allumfassende Stille durchbrach. Wie lange er dieses mal alleine blieb, wusste er später nicht zu sagen. Es gab hier unten nichts, an dem er das verstreichen der Zeit hätte klar festmachen können. Er wusste nur, dass das die Fackeln zu einem sanften Glimmen heruntergebrannt war, das nur noch als schwacher, bläulicher Schein die Dunkelheit durchbrach, grade genug, dass er seine Umgebung in Umrissen erkennen konnte. Und dann hörte er erneut Schritte.
Simon wusste nicht, ob er das noch einmal durchstand…. Er hatte seinen Machtverlust nicht verheimlichen
können, wie lange konnte er sein Nichtwissen geheim halten? Oder würde das einfach immer so weiter gehen, wenn Erik ihm nicht glaubte? Sicher würde er einen Weg finden, den Kaiser glaubhaft zu machen, dass man Simon jetzt noch nicht ausliefern konnte. Es könnten Wochen sein, dachte er bei sich. Oder sogar Monate.
Besser es endet, solange er noch nicht gebrochen war. Er würde nicht als sabbernder Idiot gehen und das würde aus ihm werden, wenn der Zauberer mit ihm fertig war. Wenn Erik zurückkehrte würde er ihm alles sagen. Viel war es ohnehin nicht…
Die Gestalt, die auf der Treppe
erschien blieb auf dem letzten Absatz stehen, außerhalb des schwachen Fackelscheins, aber Simon konnte sie trotzdem sehen. Und er erkannte die Robe, die sie trug. Der Mantel des Ordens. Natürlich.
„Ich hatte Euch gewarnt, oder?“, fragte sie. Die Stimme veranlasste Simon doch, den Kopf zu heben. Die einfache Bewegung kostete ihn bereits erschreckend viel Kraft. Er blinzelte ins Halbdunkel.
„Wer ?“ Seine eigene Stimme klang rau, falsch, wie bei einem Mann, der zu viel getrunken hatte.
Der Mann auf der Treppe antwortete nicht, sondern vollführte eine Geste mit
der Hand, worauf die heruntergebrannten Fackeln wieder aufloderten. Ihr schein viel auf ein faltiges, grauhaariges Gesicht.
„Volero…. Es sollte mich nicht überraschen, dass Erik Euch schickt. Ihr hattet mich nicht davor gewarnt, dass meine eigenen Leute mir in den Rücken fallen würden.“
Der alte Bibliothekar trat an die Zellentür heran.
„Nein. Vor allem weil ich nicht damit gerechnet habe, das man Euch so schnell hintergeht, Simon.“ Volero zog einen rostigen Metallring aus seiner Tasche, an dem eine Anzahl Schlüssel klirrte.
“ Aber am Ende, spielt das alles keine
Rolle. Er wird genauso wenig auf mich hören wie Ihr, nicht?“
„Das weiß ich nicht.“, antwortete brachte Simon mühsam hervor.
Der alte Zauberer lachte stumm in sich hinein, während er nach dem richtigen Schlüssel suchte und die Zellentür aufsperrte. Angst, dass Simon entkommen könnte, musste er keine haben.
Im Augenblick, dachte dieser, wäre es ein Wunder wenn ich auch nur davonkriechen könnte….
Volero ließ sich neben ihm auf ein Knie nieder und musterte ihn stirnrunzelnd.
„Unsterbliche, der Bastard musste
Euch auch komplett auseinander nehmen, wie?“
Vorsichtig legte er ihm beide Hände überkreuzt auf die Brust.
„Das wird Euch jetzt mehr wehtun, als mir.“
Simon spürte die Magie, die durch die Hände des Alten in seinen Körper strömte, in die Wunden, die zahlreichen kleineren Verletzungen, sich um die gebrochenen Knochen legte… und sie mit Gewalt wieder zusammenfügte. Hatte er geglaubt, zuvor Schmerz erlebt zu haben, so musste er jetzt feststellen, dass er sich maßlos verschätzt hatte, als gesplitterte Knochen und gerissene Venen sich wieder miteinander
verbanden, neues Gewebe das zerstörte ersetzte und das Blut aus seinen Lungen sog… Simon kannte diese Pein gut. Magische Heilung war effektiv, aber nicht ohne Grund gefürchtet. Er selber hatte sich allerdings noch nie daran versucht. Auf der einen Seite war es jedem Magier schon alleine aufgrund der Schmerzen unmöglich sich selbst zu heilen und auf der Anderen… hatte er bisher nie einen Sinn darin gesehen.
Volero zog die Hände zurück und der Energiestrom riss ab. Der alte Magier atmete nun selber schwer. Selbst im Zwielicht konnte Simon die dunklen Ringe erkennen, die unter seinen Augen lagen. Waren die schon vorher da gewesen?
„Ihr helft mir… wozu ? Bald ist sowieso alles egal. Ihr hättet mich einfach sterben lassen können.“
„Und genau das hätte Erik niemals zugelassen.“, antwortete Volero. „Nicht, bevor er alles weiß, dass Ihr wisst. Und das darf nie geschehen.“
„Warum ? Es spielt keine Rolle mehr, Volero. Es ist vorbei. Ich bin machtlos, verurteilt…“
Der alte Bibliothekar seufzte tief, während er sich langsam aufrichtete.
„Nicht für Euch nein.“, erklärte er düster. „Aber vielleicht tät es Euch ganz gut, wenn Ihr einmal aufhören würdet, nur an das zu denken, was Euch alleine einen Vorteil bringt, Simon. Lasst mich
ganz ehrlich sein, ich glaube Ihr verdient jedes bisschen hiervon, aber, Erik darf niemals erfahren, was Ihr wisst, egal wie wenig das ist, vielleicht reicht es schon aus. Egal was geschieht… er darf genau so wenig von der Träne erfahren wie Ihr es solltet.“
„Dann tötet mich eben. Mir ist es gleich. Und Eure Sorgen bedeuten mir nichts.“
„Vielleicht sollte ich das.“, antwortete Volero. „Aber ich hätte es bereits getan, wenn ich das gewollt hätte. Nein. Erik wird genau wie Ihr früher oder später auf die Idee kommen, in den Bibliotheken nachzusehen. Aber ohne meine Hilfe wird er dort nichts
finden. Ich habe die wichtigsten Einträge bereits zerstört. Sie existieren jetzt nur noch an einem einzigen Ort.“
Der alte Bibliothekar tippte sich gegen die Stirn „Hier. Und das heißt keiner von uns beiden darf ihm noch in die Hände fallen. Wir müssen beide hier weg.“