Kapitel 5 Ein Vertrauter
Irgendetwas beschäftigt Euch doch…..“
Simon hielt in der Bewegung inne, das Schwert halb zum Schlag erhoben. Die einfache Übungsklinge verfügte über eine grade, dünne Schneide, die in einem Korbgriff endete, wie sie nun überall langsam die schweren Breitschwerter und Anderthalbhänder ersetzten. Mit dem Aufkommen von Feuerwaffen verschwand der Nutzen von Panzerung Zusehens und/ damit auch der Grund für
Waffen, die genug Wucht aufbrachten, um selbst massiven Stahl durchdringen zu können. Lediglich die Prätorianer, die Elite des Kaisers, hielt nach wie vor an der traditionellen Ausrüstung fest, was ihnen auf dem Schlachtfeld immer mehr das Aussehen von Sagengestalten als wirklichen Kämpfern gab.
Doch trotz dieses zuweilen altmodischen Auftretens, waren sie durchaus fähig und nicht ohne Grund gefürchtet.
Simon selbst verließ sich zwar ebenfalls meist auf die alten Schwerter. Es gab nur wenige, die es erlernten, Schwert und Zauberei gleichzeitig zu führen und letzten Endes war auch
Simons eigentliche Waffe vor allem die Magie. Nur das diese ihm auch weiterhin den Dienst versagte….
Er war sämtliche Bücher durchgegangen, die Volero ihm hatte nennen können, doch ohne wirkliches Ergebnis. Das meiste, hatte ihm der alte Bibliothekar ohnehin schon gesagt und dieses Wissen war bestenfalls dürftig. Im Augenblick hätte Simon nicht einmal gewusst, wo er anfangen könnte, mal abgesehen davon, den gesamten Norden Cantons auf der Suche nach einer Legende zu durchkämmen. Und das würde ewig dauern, selbst wenn er die Seher oder wenigstens einen Eisnomaden fand. Vielleicht sollte er doch nach Vara
reisen, um die Archive dort zu durchsuchen. Die Bibliotheken waren um einiges größer als die, die der Orden hier in der Burg besaß und konnten ihm vielleicht wenigstens ein paar Antworten liefern.
Erst jetzt ließ Simon die Klinge ganz sinken und wendete sich seinem Besucher zu.
Er stand in einer kleinen, bis auf einige hölzerne Sitzbänke leeren, Halle. Die Übungskammer der Burg, die man vor allem für die Schüler eingerichtet hatte. Dutzende von Schutzzaubern brachten die Luft leicht zum Kribbeln und würden jegliche Magie abschwächen. Sonst wären Tote vorprogrammiert, bei
den Kräften, über die bereits ein junger Zauberer verfügen konnte. Und die konnten sie sich einfach nicht leisten, dachte Simon. Jeder Magier war am Ende wertvoll…. Es wurden zu wenige von ihnen geboren, als das man Verschwenderisch mit ihnen umgehen konnte. Zumindest nicht mit jenen, deren Begabung vielversprechend genug war.
Der Ordensoberste ließ die Klinge in eine Wandhalterung gleiten, in der sich noch weitere Waffen befanden, die jedoch bereits so aussahen, als müssten sie an den Metallringen, die sie in Position hielten festgerostet sein. Es gab nicht viele hier, die sich auch mit dem Schwert übten, doch Simon war nun
mehr als sonst genau darauf angewiesen.
„Mich beschäftigen eine Menge Dinge, Erik“, meinte er an den Mann gerichtet, der durch eine niedrige Tür in die Halle trat. Trübes Abendlicht fiel durch die Fenster und brachte den Staub in der Luft dazu, rötlich zu glühen. „Was führt Euch her?“
„Eine Nachricht des Kaisers. Der Bote ist erst vor einigen Minuten eingetroffen“, antwortete Erik. „Er war hocherfreut über unseren Sieg über diese Rebellen. Wie Ihr wisst, duldet das Reich keine Abweichler und diese Leute haben sich seinem Willen klar wiedersetzt.“
Simon wusste nicht zu sagen, woran
es lag, aber irgendwie gefiel ihm Eriks Tonfall nicht.
„Ihr seid aber sicher nicht nur hierhergekommen um mir das zu sagen, oder? Der Kaiser hat sich bisher noch nie über unsere… Arbeit beklagt.“ Und das war untertrieben, wie Simon wusste. Ein Großteil der Macht, die der Orden mittlerweile besaß stammte direkt vom Kaiser. Geschenke in Gold und Land, das Recht Niederlassungen in den meisten größten Städten zu unterhalten und ihre einzigartige Position als Sammelbecken für Magier hatten dazu geführt.
„Nein. Ich wusste nur nicht, wie ich Euch am besten davon unterrichte. Wie es aussieht, Herr, haben wir die
Aufmerksamkeit des Kaisers mehr als nur geweckt. Er ist auf dem Weg hierher, Simon. Und nach dem, was der Bote berichtet hat, wird er in weniger als zwei Tagen eintreffen.“
Simon hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihm zu schwanken beginnen. Wann hatte man das letzte Mal gehört, dass Kaiser Tiberius die Sicherheit der fliegenden Stadt verlassen hätte? Innerhalb der Mauern seines Palastes war er so gut wie unangreifbar, mal davon abgesehen, das er von einer ganzen Armee Leibwächter umgeben war, darunter nicht nur Prätorianer sondern auch Zauberer, die es an Macht sogar mit ihm aufnehmen könnten. Die
hoch über der Erde schwebenden Bauten der Metropole waren allerdings ohnehin so gut wie unangreifbar. Alleine um hineinzukommen wäre eine kaum vorstellbare Belagerungsmaschinerie von Nöten, davon abgesehen, das die schwebenden Stadtteile sich ständig weiter bewegten und es so fast unmöglich machten, den Kaiserpalast einfach zu umstellen und auszuhungern.
Simon war bisher erst einmal dort gewesen und selbst er hatte sich, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, eingeschüchtert gefühlt. Die fliegende Stadt war kein Ort für gewöhnliche Sterbliche. Und nun hatte der Kaiser also seinen größten Schutz
tatsächlich abgelegt wie es schien. Ausgerechnet jetzt, wo Simon machtlos war. War das Zufall? Er begann langsam auf und ab zu laufen. Vielleicht war es nichts. Vielleicht war es aber auch die Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte, Magie hin oder her. Simon wusste, dass er sich auf dünnes Eis wagte, sogar sehr dünnes… er konnte diese Entscheidung nicht jetzt treffen, dazu musste er wissen, ob er überhaupt eine Gelegenheit bekommen würde, an den Kaiser heranzukommen.
„In zwei Tagen also…“ Simon faltete die Hände hinter dem Rücken zusammen.
„Worauf genau müssen wir uns einstellen?“
„Tiberius wird sicher nicht ohne eine entsprechende Eskorte eintreffen“, meinte Erik. „Zweihundert Mann unter Waffen. Und wir werden sie wohl kaum abweisen können. Vermutlich lässt keiner davon den Kaiser länger als ein paar Herzschläge aus den Augen. Wenn sie den Burghof nicht vorher ohnehin abriegeln, bis man bereit ist, euch eine Audienz zu geben.“
Simon war stehen geblieben und sah aus dem Fenster.
„Natürlich. Wir werden doch alles tun, damit der Kaiser sich hier willkommen fühlt.“
Er zögerte.
Es gab wenige Leute, denen er vertrauen
konnte, aber er konnte auch nicht ewig so weitermachen, vor allem nicht, wenn der Herrscher der Welt selbst bald hier eintreffen würde. Wenn er nicht bald eine Lösung fand, was nach wie vor unwahrscheinlich schien, dann könnte er nicht ewig verbergen, was aus ihm geworden war. Ein Mensch, dachte er angewidert. Ein ganz normaler, hilfloser, machtloser… Simon schloss einen Moment die Augen.
Das war alles doch bloß ein Alptraum. Was er sich aufgebaut hatte, drohte nun unter ihm zusammenzustürzen wie es schien. Das würde er aber nicht zulassen.
Doch was wollte eine Seherin von
ihm? Wenn das eine Strafe sein sollte, war es keine sonderlich effektive. Er wusste, dass er seinen Weg auch so finden würde. Zum wiederholten Mal dachte er über ihre rätselhaften Worte nach. Welche Ketten bitte sollte er brechen? Mal davon abgesehen das er in den Tagen, die er jetzt schon in Nachforschungen gesteckt hatte weder etwas über Stahl noch ein Schattenjuwel hatte finden können. Und Volero war ohnehin ratlos.
„Während wir… während der Schlacht ist etwas mit mir geschehen, Erik. Weder habe ich eine Erklärung dafür, noch weiß ich, wie ich es Rückgängig machen kann, aber meine Kräfte sind geschwunden.“
„Geschwunden ?“ Eriks Stimme klang belegt und Simon wusste nicht zu sagen, ob er ernsthaft überrascht war… oder ob etwas anderes dahinter lag.
„Vielleicht ist das sogar das falsche Wort. Es ist praktisch nichts übrig, als hätte jemand jegliche Magie in meinem Körper erstickt. Seht doch selbst…..“
Der Ordensoberste richtete die Hand auf eine Kerze, die in einer Wandhalterung hing. Normalerweise wäre es dem unerfahrensten Magier möglich gewesen, eine einfache Flamme heraufzubeschwören, doch so sehr er sich auch darauf konzentrierte, es war als wäre er Blind geworden für die feinen Strömungen der Magie, das Gewebe der
Existenz, das alles zusammenhielt und das er sonst so einfach seinem Willen unterwerfen konnte.
Mit unendlicher Mühe gelang es ihm schließlich, wenigstens einen winzigen Funken zu finden und selbst das kostete ihn unglaubliche Mühe. Seine Hand begann zu zittern und bohrende Schmerzen setzten sich in seinem Kopf fest. Dann endlich loderte der Kerzendocht auf. Eine klägliche Flamme, die sofort wieder Anstalten machte zu verlöschen.
„Das ist…“ Erik schien nicht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte.
„Es ist schlecht.“, beendete Simon den Satz für ihn.
„Ich kann es noch geheim halten, aber wie lange weiß ich nicht. Auch nicht, ob dieser… Zustand vorübergehend ist oder nicht. Aber eines weiß ich. Weder der Kaiser noch der Rest des Ordens darf davon erfahren.“
Simon war wieder an die Waffenhalterung an der Wand getreten. Innerlich machte er sich bereit, notfalls eines der Schwerter zu ziehen… und sich auf Erik zu stürzen.
„Kann ich mich darauf verlassen, dass Ihr schweigen werdet?“
Der Zauberer spürte offenbar, dass nun sein Leben auf dem Spiel stand. Machtlos oder nicht, Erik wusste, wozu er fähig war. Wenn man erst einmal ein
Stück Stahl zwischen den Rippen hatte, nützte alle Magie nichts mehr.
„Natürlich… Herr.“ Der Mann schlug sich mit einer Faust vor die Brust.
„Wie schon immer.“
Simon entspannte sich. „Bei allen Göttern, Erik, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen ihr verspottet mich… Ihr wisst nicht zufällig etwas über die Tränen Falamirs?“
Erik zuckte mit den Schultern. ,, Nur das, was jeder weiß, der die alten Legenden einmal gehört hat. Wieso ?“
„Weil ich eine gesehen habe.“
Die Augen seines Gegenübers wurden weit.
“ Ihr wisst, wo sich eine Träne befindet?
Eine echte ?“
,,Noch nicht ganz.“ , antwortete er. „Ich arbeite noch daran.“
Er würde Erik gegenüber sicher nicht zugeben, wie aussichtslos diese Suche bis jetzt gewesen war und wie wenig er tatsächlich wusste. Es reichte bereits, dass der Mann nun wusste, wie geschwächt er im Augenblick war. Aber er brauchte einen Vertrauten, nicht?
Zwei Tage später stand Simon Belfare auf dem Mauerkamm der Burg und sah
die, sich durch das Tal ziehende, Straße entlang. In der Nacht hatte es Frost gegeben und so war nach wie vor alles mit einer feinen Eisschicht überzogen, die Zinnen, die tückischen Stufen, die hinauf zur Mauer führten, die Gebäude und auch das Gras auf der Ebene. Die Morgensonne spiegelte sich darauf und machte es schmerzhaft länger hinzusehen, trotzdem blieb sein Blick auf die kleine Karawane geheftet, die sich ihren Weg hinauf zur Burg suchte.
Die Bauarbeiten gingen gut voran und dort wo vor einigen Wochen kaum mehr als bloße Gruben gewesen waren, ragten nun schon die ersten Mauersteine in die Höhe. So früh und mit dem Frost war es
fürs erste kaum möglich, die Arbeiten fortzusetzen, aber jedem Reisenden musste beim Näherkommen bereits klar werden, welche Ausmaße die neue Festung einmal annehmen würde. Ein Zeichen für das, was aus dem Orden geworden war, das die ganze Welt sehen könnte. Simon bemerkte, wie die kleine Gruppe bewaffneter Reiter, die die Spitze der Kolonne bildete, etwas langsamer wurde, als sie die Grabungsarbeiten passierten. Selbst die disziplinierten Soldaten des Kaiserreichs sahen sich erstaunt um, um das entstehende Bauwerk zu begutachten.
Die Männer, die den Reitern folgten sahen nicht weniger grimmig aus.
Schwarze Panzerungen und das allgegenwärtige Zeichen des Kaiserhauses, ein aufgerichteter Drache in weiß oder schwarz, warnten jedem bereits schon aus der Ferne, mit wem er es zu tun hatte. Prätorianer, jeder davon mit einem Banner in der Hand und einem schweren Umhang, als Schutz vor der Kälte genau so schwarz wie ihre Rüstungen. Die Männer sahen sich, im Gegensatz zu den Reitern nicht um, während sie die Baustelle passierten. Sie marschierten als fehlerloses, dicht gefügtes Rechteck, wenn man von der Lücke absah, die sie in ihrer Mitte ließen. Dort wiederum schwebte eine vergoldete Sänfte auf den Schultern von
einem Dutzend Trägern. Vermutlich hatte man den Großteil des Weges mit einer Kutsche bewältigt. Das hier… das war vor allem eines: Machtdemonstration. Ein Spiel, das ihm jedoch nicht fremd war. Ein anderer hätte beim Anblick der kleinen Armee und des Prunks vielleicht Bedenken bekommen…..
Ein dunkelroter Vorhang an der Sänfte verhinderte, dass Simon einen Blick ins Innere werfen konnte, aber das war auch gar nicht nötig. Er wusste, wer sich darin befand. Seine Hände wanderten zum Schwertgriff, während die Reiter sich nun bereits an den Aufstieg zur Burg machten. Der Kaiser war hier…..