Kapitel 2 Die Seherin
Simon ließ die Frau nicht aus den Augen, während sie endgültig aus dem Hauseingang hervortrat, hinaus auf die aufgewühlten Straßen der Siedlung. Tausende Stiefel hatten längst Schlamm aus den einstmals gepflegten Wegen gemacht, doch trotz ihrer feinen Kleidung schien sie sich daran nicht zu stören. Erst jetzt fiel ihm auf, das der Mantel den sie trug nicht völlig bar jeder Verzierungen war. Kaum erkennbar
hatte jemand ein offenes Auge mit Silberdraht in das Gewebe geflochten. Ein Wappen, das ihn fast genauso sehr beunruhigte, wie ihre Worte.
„Ich bestimme mein Schicksal“, erklärte er schließlich.„Seht Euch um. Das ist mein Wille.“
Statt Furcht oder wenigstens Besorgnis, zeigte sich nur ein Lächeln auf ihren Zügen.
„Vielleicht tut Ihr das ja…“.
Simons Hand wanderte unwillkürlich zum Schwertgriff. Das war nur eine alte Frau, sagte er sich. Und doch warten ihn etwas vor ihr, etwas, das aus der gleichen Quelle zu stammen schien, wie seine Magie, eine Art Sinn, der sich
verselbstständigt hatte… und einen Schauer über seinen Rücken jagte.
Oh ja, sie war gefährlich. Er wusste nur noch nicht, auf welche Art.
„Wer seid Ihr, Frau?“
„Mein Name ist Delia, wenn Ihr es unbedingt wissen müsst.“
„Also dann… Delia Ihr gehört wohl kaum zu diesen Bauern… also, erklärt Euch, was sucht Ihr hier auf meinem Land?“
„Land, das denen, die Ihr vertrieben habt, bereits Jahrhunderte vor Euch gehörte, vielleicht bevor es das Kaiserreich gab. Und doch tötet Ihr sie eher, als ihnen auch nur einen Kompromiss anzubieten.“
„Ihr sprecht als ob sie einen verdienen. Fakt ist jedoch, es ist mein gutes Recht.“
Und er würde nicht viel länger darüber diskutieren, entschied Simon.
„Das Recht eines Kaisers, der so oder so am Ende seiner Herrschaft angelangt ist. Aber für welches Recht steht Ihr selbst?“
„Meines. Und das lautet, tretet bei Seite und verlasst diesen Ort, oder spürt die Konsequenzen…“.
Er zog die Waffe und richtete sie auf die Gestalt, die unbeeindruckt einige Schritte von ihm entfernt stand. Nicht, das er im Zweifelsfall das Schwert brauchen würde, um sie loszuwerden. Es war mehr ein Werkzeug, als eine echte
Waffe. Die eingelassenen Kristalle nährten seine Kräfte noch und dienten im Zweifelsfall als wertvolle Reserven, wenn sich seine eigenen Fähigkeiten erschöpften. Es war gefährlich für einen Zauberer, sich zu überanstrengen. Tod und langsamer Verfall waren die Folge.
„Wenn es denn sein muss.“
Ihre ruhige, gelassene Art zehrte an seinen Nerven. Es war beinahe so, als kümmere sie das Geschehen hier kaum. Stattdessen hielt sie es offenbar für nötig, ihm eine Moralpredigt zu halten. Entweder, sie war verrückt… oder noch gefährlicher, als er gedacht hatte. So oder so, er hatte genug von diesem Spiel. Wenn sie kämpfen wollte, konnte
sie das jetzt.
„Ihr werdet euch wünschen auf mich gehört zu haben.“
Er ließ die Waffe sinken und sammelte sich erneut. Der Zauber von zuvor hatte seine Reserven angegriffen, aber lange nicht erschöpft. Es brauchte nicht mehr als einen Gedanken und erneut loderten Flammen in seiner Handfläche auf. Bögen aus flüssigem Feuer türmten sich übereinander, sprangen von seiner rechten in die linke Hand, bis er selber den Feuersturm nur noch mühsam kontrollierte… und dann auf die einsame Gestalt vor sich richtete. Der Zauber, mit dem er das Dorf angezündet hatte, war nichts hiergegen.
Das hier, war formgegebene Wut die nur ein Ziel hatte. Zischend überschlugen sich die Flammen, bevor sie Delia erreichten und einhüllten. Simon hatte fest damit gerechnet, dass sie schreien würde, wenn das Feuer sie vernichtete, genau wie der Gejarn zuvor. Doch Delia blieb beunruhigend still und was wichtiger war, auf den Füßen… Simon kniff misstrauisch die Augen zusammen und fachte die magischen Flammen noch mehr an, so dass selbst die Erde um ihn herum in Brand geriet. Rauch stieg davon auf und zog durch die verlassenen Straßen. Und dann…..
Es war, als hätte ihm jemand ein glühendes Messer genau zwischen die
Augen getrieben. Nur, ohne ihn zu töten… Simon stolperte Rückwärts und der Feuersturm um ihn herum verlosch von einem Moment auf den anderen, während seine Beine unter ihm nachgaben. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Er hatte sich überanstrengt, dachte er. Das musste es wohl sein. Ein Magier, der nicht wusste was er tat, konnte sich leicht mit seiner eigenen Magie umbringen. Aber wenigstens wäre von Delia wohl kaum mehr als Asche geblieben, dachte er und ein schwaches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht auf. Das Grinsen gefror jedoch, als er aufsah. Die Frau stand noch… schlimmer, sie war praktisch
unversehrt, wenn man davon absah, das sie nun eine bestenfalls säuerlich zu nennende Mine aufgesetzt hatte. Es war keine echte Wut, dachte er irritiert… aber wohl so nah dran, wie diese reservierte Frau je kommen würde.
In ihrer Hand glitzerte etwas, das er schließlich als einen schwarzen, tropfenförmigen Stein erkannte. Die Oberfläche schien aus Vulkanglas zu bestehen, das so dunkel war, das es das Licht mehr zu schlucken, als zu reflektieren schien. Als hätte sie ein Stück reines Nichts in der Hand. Das einzige, was diesen Eindruck trübte, war das Symbol darauf. Ein in goldener Farbe gehaltenes, goldenes Auge. Ob es
aufgemalt oder wirklich Teil des Kristalls war, konnte Simon auf die Entfernung jedoch nicht sagen. Schwerfällig kam er erneut auf die Füße.
„Ich weiß ja nicht, wie Ihr überlebt habt“, meinte er, während er sich für einen weiteren/ Zauber sammelte. ,, Aber…..“
Simon stockt. Er griff nach der Kraft, die er fast sein ganzes Leben lang gekannt hatte, die Magie, die bereitstand, seinem Willen, seinen Gedanken zu folgen… Nichts. Er wusste genau, was er zu tun hatte und wo er danach suchen musste, wie man das zerbrechliche Gefüge der Welt dem eigenen Willen unterwarf, aber es gelang
ihm einfach nichts. Nur Leere. Einen Moment wurde ihm erneut schwindlig. Das konnte nicht, sein das war unmöglich. Er hatte schlicht etwas falsch gemacht. Falsch, bei einem Prozess, den er von Kindesbeinen an beherrschen gelernt hatte… Simon schloss die Augen, konzentrierte sich ganz darauf, das ruhige Zentrum in seinem Geist zu finden…..
„Was habt Ihr mit mir gemacht?“. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal wirklich Angst gehabt hatte, doch die kalte Klaue, die sich um seine Brust zu schließen schien, war genau das…. „Antwortet mir!“
Delia ließ den Stein langsam in der
Tasche ihres Mantels verschwinden, bevor sie antwortete.
„Ich habe Euch zum Herrn über Euer Schicksal gemacht, Simon Belfare. Was Ihr damit anfangt, ist eure Sache. Doch lasst mich Euch eine letzte Warnung mitgeben. Kommt nicht zu mir, bevor ihr nicht Eure Ketten gebrochen habt. Sucht mich nicht auf, bevor Ihr nicht den Wert des Stahls kennt und das Gewicht des Verlusts tragt. Und letztlich, bringt mir das aus Schatten wiedergeborene Juwel.“
„Ich bringe Euch Euren Tod und sonst nichts!“, rief Simon, bevor er vorstürzte, das Schwert zum Schlag erhoben. Damit konnte er sie nach wie
vor töten. Delia jedoch war schnell, schneller, als er je für möglich gehalten hätte. Beinahe war es, als hätte sie längst im Voraus gewusst, dass er angreifen würde, wich die Frau aus und stellte ihm zeitgleich ein Bein. Er schlug der Länge nach auf der Erde auf, das Schwert entglitt seinen Händen und landete einige Schritte entfernt…..
„Wie ich schon sagte, Zauberer, kommt nicht vorher… sucht danach… oder bleibt für alle Zeit in Eurem jetzigen Zustand“
Mit diesen Worten verschwand Delia. Er konnte ihre Schritte hören, während er selbst wie betäubt am Boden sitzen blieb. Sein Schädel dröhnte, die Leere
drohte ihn zu verschlingen, seine Hände zitterten… das war nicht möglich, das war alles einfach nicht möglich…..
Irgendwann überwand er sich dann doch, wieder aufzustehen. Es würde nichts ändern, wenn er hier abwartete. Er musste sich organisieren und vor allem, herausfinden wer bei allen Göttern diese Frau war. Ein Schatten, der über ihn fiel, riss den Zauberer aus seinen Gedanken.
„Herr, alles in Ordnung mit Euch?“, fragte eine Stimme, die er sofort erkannte.
Erik Svensson stand über ihm, begleitet von vier weiteren Gestalten in den türkisfarbenen Roben der Ordensmagier.
„Gar nichts“, antwortete er, während er zeitgleich an sich herb sah.
Schmutz und Asche hatten seine Rüstung, sowie seinen Umhang gräulich verfärbt. Er sah aus, als hätte er grade eine richtige Schlacht hinter sich, kein bloßes Zusammentreffen mit einer Handvoll Bauern. Und gewissermaßen stimmte das ja auch. Nur war es sicher keine gute Idee, das sofort jedem auf die Nase zu binden. Vor allem nicht im Beisein von einem halben Dutzend Ordenshexer… .
„Ich habe… lediglich nicht aufgepasst und bin gestolpert. Wie sieht es aus?“.
„Wir haben die meisten Einwohner vertrieben.“, erwiderte Erik Svensson.
„Wie es aussieht, haben sie sich über die Pässe zurück gezogen. Hinaus aus dem Tal und in die umliegenden Berge. Sollen wir sie verfolgen?“.
Simon winkte ab.
„Sie sind weg, das zählt. Ich werde keine Mittel darauf verschwenden einer Bande Streuner nachzustellen. Sagt den Truppen, sie sollen sich bei der Burg sammeln. Wir ziehen uns erst einmal aus der Siedlung zurück. Wenn die Feuer erloschen sind, kann die Arbeit endlich weitergehen.“
„Ja, Herr…“.
Er hob seine verlorene Waffe auf und schob sie zurück an ihren Platz an
seinem Gürtel, bevor er Erik ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Zusammen mit den verbliebenen Truppen machten sie sich an den Aufstieg hinauf zur Burg. Der Weg verlief leicht ansteigend und je höher man kam, desto besser konnte man sich einen Überblick verschaffen. Obwohl dieser Ort mitten in den Bergen lag, war das Land hier doch überraschend flach, so dass man von einem Ende zum anderen sehen konnte. Felsklippen rahmten eine grüne Wiesenlandschaft ein, in der nur einige vereinzelte Bäume wuchsen. Eine einzige, geklafterte Straße schlängelte sich als dunkelgraues Band vom Taleingang durch die Ebene, bis hinauf
zu den Zinnen der Festungsbauten, die ihr Ziel darstellten. Die Steine der Mauern wirkten auf die Entfernung fast schwarz. Dunkler Granit, der direkt aus dem Fels der umliegenden Gipfel geschlagen worden war, als man diesen Ort erschuf. Das war vielleicht noch zur Zeit der ersten Kaiser gewesen, überlegte Simon, als Canton kaum mehr als eines von Dutzenden aufstrebenden Reichen gewesen war, das versuchte, sich in einer von ihren alten Meistern verlassenen Welt zu behaupten. Heute hingegen, beherrschte das Kaiserreich Cantons den Großteil der bekannten Welt, sah man von einigen Vasallenstaaten und den
lebensfeindlichen Gegenden weit im Norden und Süden des Kontinents ab. Im Süden gab es nur endlose Wüsten, in denen sich, wussten die Götter was, eingenistet hatte und im Norden… da gab es nur Schnee und ewigen Frost. Bestenfalls die Eisnomaden überlebten in dieser unwirtlichen Gegend. Und vielleicht waren auch die mittlerweile alle erfroren. Man hörte nur selten etwas von ihnen.
Jedenfalls war das Bollwerk, das sich vor ihnen Abzeichnete hoffnungslos veraltet. Vermutlich, war das vor allem anderen der Grund, aus dem Kaiser Tiberius Ordeal ihm den Ort zum
Geschenk gemacht hatte. Er wollte ihn abschieben. Seit Jahren hatten er und seine Magier dem Imperator treu gedient... und er hatte geglaubt ihn mit einem Stück wertlosen Land und einem kleinen Lehen abspeisen zu können. Aber er hatte ganz offenbar nicht mit Simons Ehrgeiz gerechnet. Wenn dieses Gemäuer nun seine Heimat und damit auch die des Ordens sein würde, dann würde er das Beste daraus machen. Die Ausbauarbeiten waren bereits in vollem Gange und nun, war auch das letzte Hindernis aus dem Weg. Die Siedlung, die einstmals mitten im Verlauf der neuen Mauern gelegen hatte, war jetzt nur noch Asche und Staub. Endlich
würde der Sangius-Orden den Sitz bekommen, der ihm Zustand. Eine Festungsanlage, die bei jedem Ehrfurcht erwecken würde, sei es nun ein vorlauter Bauer… oder der Kaiser selbst.
Simon sah auf, als ihnen auf dem Weg zwei bekannte Gestalten entgegen kamen, beide in schwarz gefärbte Rüstungen gekleidet und mit Schwertern bewaffnet. Robert… und der Hauptmann Leif. Vermutlich würde er die Namen später ganz vergessen… Sie waren nicht wichtig.
„Ihr wollt uns schon verlassen?“, fragte Simon. Wenn es nach ihm ging, konnten die Agenten des Kaisers hier nicht schnell genug verschwinden.
„Leider ja, Herr“, antwortete der Hauptmann. „Mich hat vor kurzem eine Nachricht erreicht, dass ich… in meine Heimat zurückkehren soll.“
„Oh.“ Simon versuchte wenigstens halbwegs interessiert zu klingen.
„Der Bote hat sich sehr undeutlich ausgedrückt… Ich hoffe wirklich, dass es sich als Nichtigkeit herausstellt. Goldbrück ist normalerweise ein ruhiger Ort. Aber natürlich werden wir vorher dem Kaiser Bericht über Euren Sieg hier erstatten, Herr.“ Er verneigte sich kurz. Ein geringerer Mann wäre bei der Geste vermutlich allein unter dem Gewicht der Panzerung zusammengebrochen, aber bei dem
Hauptmann besaß es eine gewisse Eleganz. Er war sich jeder seiner Bewegungen offenbar vollkommen bewusst. Die Eigenschaft eines gefährlichen Kämpfers…
Zu Simons Überraschung verneigte Erik an seiner Seite sich ebenfalls. Es war ganz sicher nicht die Art des älteren Zauberers, höflich zu sein….
Allerdings, hatte er im Augenblick wohl drängendere Probleme, dachte er. Je eher sie zur Burg gelangten und er Zeit hatte, nachzudenken, desto besser.