Randbeitrag FB 40
J. fuhr nach Spanien, um zu sterben.
Distel
flirrend
Perle
Vermächtnis
schwindelig
Sonnenuntergang
palavern
Wildbienen
Affenbrotbaum
(beurlauben)
Kaninchen
ungezähmt
Hunderte Perlen einer friedlichen Nacht
José fuhr nach Spanien, um zu sterben. José, ein stolzes, ungezähmtes Kaninchen, spanischer Adelsherkunft,war in die Jahre gekommen. Er spürte, seine Seele war
reif, um in eine andere Welt einzukehren. José war ein sehr umtriebiges Kaninchen. Nach seiner Geburt in einem kleinen spanischen Ort, in der Nähe von Barcelona, machten sich seine Eltern mit ihm auf den Weg in viele unterschiedliche Orte. Nirgends waren sie zu Hause und somit war auch José nirgends zu Hause.Aber eins wußte José, er würde an seinen Geburtsort zurückkehren, um dort in Ruhe sterben zu können. Manchmal verhielt er sich wie ein Mensch. Er war beispielsweise in der Lage, wenn ihm die Wege von A nach B zu lang erschienen, einfach in eine Eisenbahn einzusteigen beziehungsweise hineinzuspringen, die
irgendwo auf einem Bahnhof stand und die ihn dann irgendwohin mitnahm. Auf diese Weise kam José wie seine Eltern viel herum. Auf seine letzte Reise freute er sich ganz besonders. Die Wildbienen waren sein ganzes Leben lang seine treuen Wegbegleiterinnen, ganz egal wo er hinkam, Josef traf immer wieder auf einen palavernden Schwarm von ihnen. Sie begrüßten José in den unterschiedlichsten Sprachen und hießen ihn an jedem Ort, an dem sie sich zufällig begegneten, herzlich willkommen. Als sich José eines Tages auf den Weg nach Spanien machte, sprang er aus einem Zug in den er zuvor hineingesprungen war und landet
unverhofft unter einem Affenbrotbaum, der ganz einsam und verlassen im Sonnenuntergang stand, um dort eine kleine Rast einzulegen. José war es für einen Moment ganz schwindelig von dem Sprung aus dem fahrenden Zug, denn schließlich war er ja nicht mehr der Jüngste. Um den Affenbrotbaum herum wuchsen unzählige Disteln, die alle irgendwie auf eine besondere Art und Weise glänzten und glitzerten. Es war sehr heiß an jenem Tag und die flirrende Hitze machte José ganz benommen und ließ ihn in einen tiefen Schlaf fallen. Er träumte von seinen Eltern und Geschwistern, die er schon vor vielen Jahren verloren hatte. Nach
einiger Zeit wachte er wieder auf und alles um ihn herum war dunkel und ganz ruhig. Er schaute sich um und sah, dass in den Disteln, die um ihn herum zu hunderten wuchsen, Perlen herausschauten und in die Nacht hinein funkelten und alles um ihn herum ganz friedlich und hell erleuchteten. Dieser Anblick berührte ihn so sehr, dass er wie verzaubert schien. José war nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob er träumte, wach war oder ob seine Seele schon in die neue Welt eingetaucht war. Ob er sich schon in Spanien befand und dort auch starb, kann nicht genau gesagt werden. Ob es sich wirklich um José, das Kaninchen,
gehandelt hat, dass sich auf den Weg nach Spanien machte, ist auch nicht mehr überliefert. Dass José mal auf dieser Erde gelebt hat, ist allerdings ganz sicher, ob als Kaninchen oder als ein anderes Lebewesen, dieses kleine Vermächtnis wird sich nicht mehr bis ins Detail klären lassen. Wir können es glauben oder wir können es belächeln, doch eines steht fest, hunderte Perlen funkeln noch heute aus den Distelfeldern, wo immer sie auch sind, in eine Nacht hinein und lassen sie ganz friedlich und hell erleuchten.