Kapitel 1 Simon Belfare
Die letzten Eiskristalle, die sich auf den Grashalmen gebildet hatten, tauten unter den warmen Sonnenstrahlen rasch auf. Obwohl das Frühjahr grade erst begann, standen die Bergwiesen hier oben bereits in voller Blüte. Tausende bunte Tupfer, die das Grün durchbrachen, doch nun unter den Stiefeln von hunderten bewaffneter Männer zertrampelt wurde. Ein Teil sammelte sich vor einer Ansammlung von Häusern und strohgedeckten Hütten, die sich im Schatten einer halb
verfallenen Burg erhoben. Die meisten trugen einfache Felle oder Stoffkleidung und waren bestenfalls mit ihren Arbeitsgeräten bewaffnet. Sichel, Hämmer und Äxte gegen eine ausgebildete und ausgerüstete Armee. Doch es waren viele… und sie waren entschlossen genug, sich dem Kampf, der sie erwartete zu stellen. Und doch so entschlossen sie auch waren, mehr als einen musste beim Anblick ihrer Gegner doch fast der Mut verlassen.
Die zweite Gruppe Bewaffneter hatte sich oberhalb der Siedlung positioniert, wo das Land zur Festung hin steil Anstieg. Schwarzweiße Banner, auf denen das Emblem eines auf den
Hinterläufen balancierenden Drachen zu sehen war, wehten über ihren Köpfen, zusammen mit weiteren, auf denen ein vergoldeter Tropfen auf türkisfarbenem Tuch zu sehen war.
Konnte man unten aus dem Lager der Dörfler noch nervöse Gespräche und das Klirren von Metall hören, so war es hier beinahe totenstill. Die Krieger unter dem Drachenbanner waren disziplinierte Soldaten und reichte nicht ihr Ruf aus, ihre Gegner in die Flucht zu schlagen, waren sie durchaus in der Lage, dem mit dem Schwert Nachdruck zu verleihen.
Oder mit der Flinte.
Der Geruch von brennenden Lunten, welche die Schützen sorgsam in kleinen
Bleigefäßen an ihren Gürteln verwahrten, hing in der Luft. Die schweren, klobigen Arkebusen hatten die meisten noch auf die Schultern gestützt. Sie würden erst aufgebaut werden, wenn der Kampf begann…..
Gruben, so tief, das man vom Boden aus den Himmel nur noch als fernen Streifen sehen würde, zogen sich wie Narben durch die Landschaft und hatten stellenweise bereits die ersten Ausläufer des Dorfs erreicht. Erdarbeiten für die Fundamente der neuen Mauern, wenn erst das letzte Hindernis dafür beseitigt war. Und dieses, lag vor ihnen.
Der Mann, der an der Spitze der Soldaten stand, überblickte all dies mit
scheinbarer Gelassenheit, die Hände auf den Griff eines schweren Zweihänders gestützt. Runen, die nicht nur dekorativen Zwecken dienten, waren auf der Oberfläche der Klinge eingeätzt und selbst jetzt am helllichten Tag schienen sie schwach zu leuchten. Magie… genährt von einer Reihe Kristalle, die man in das Heft eingelassen hatte.
Der Wind zerzauste seine hellblonden Haare. Er wirkte noch jung. Die meisten Leute, die einen ersten Blick auf Simon Belfare erhascht hätten, hätten ihn wohl kaum als gefährlich eingeschätzt… etwas, das sie sehr bald bereuten, wenn sie einen zweiten Blick wagten.
Die vergoldete Panzerung, die er trug erzählte ihre eigene Geschichte, genauso, wie der türkisfarbene Schulterumhang, mit dem Emblem des goldenen Blutstropfens. Das Zeichen des Sangius-Ordens. Seinem Orden, dachte Simon.
Der Mann neben ihm trug eine Robe in der gleichen Farbe und mit den gleichen Verzierungen wie der Umhang. Erik Svensson überragte Simon um einen guten Kopf. Die zurückgehenden, braunen Haare gaben ihm das Aussehen eines Gelehrten, doch er würde ihn deshalb niemals unterschätzen. Erik war mehr als nur intelligent… und er Gebot über eine Macht, die der seinen fast gleich kam. Fast… vielleicht würde er
eines Tages zum Problem werden, überlegte Simon, während er zu der Armee aus Bauern und Dörflern hinab sah. Wie es aussah, gab es sogar eine Handvoll Gejarn unter ihnen. Die Tiermenschen Cantons und ihre Clans blieben für gewöhnlich lieber unter sich. Das sie Menschen zu Hilfe kamen, war alles andere als normal. Aber vermutlich, hatten auch die Clans mehr als genug Grund, ihn zu fürchten, nicht? Alle fürchteten ihn, wenn er es genauer bedachte. Sogar der Kaiser selbst… weshalb sonst sollte er ihm Truppen zur Verfügung stellen, um einen Aufstand niederzuschlagen, den er sogar alleine beenden könnte?
Die Gejarn waren letzten Endes das einzig bemerkenswerte, das er finden konnte. Gute Kämpfer, zumindest Bessere als eine Handvoll Bauern, aber trotz allem kaum eine Bedrohung.
Hinter ihm kam Bewegung in die Reihen der wartenden Soldaten. Erik drehte sich um, als sich zwei Männer in schwarz gefärbter Panzerung ihren Weg zu ihnen bahnten. Simon drehte sich erst um, als er hörte, wie die Schritte verstummten.
Die zwei waren Prätorianer, keine einfachen Soldaten. Die Leibwache des Kaisers selbst und die bei weitem loyalsten Diener des Hauses Ordeal. Manchmal konnte man meinen, sie sahen
in ihrem Herrn schon mehr einen Gott, als einen Menschen. Es gab genau zwei Gründe, einem von ihnen zu begegnen. Man hatte etwas furchtbar falsch gemacht und würde die nächsten Augenblicke nicht überleben… oder man hatte sich die Gunst des Herrschers der Welt verdient. Simon wusste durchaus, dass er auf einem schmalen Grat zwischen diesen beiden Extremen balancierte. Er hatte lange gedient, nicht? Er und der Orden hatten genug Schlachten für Tiberius-Ordeal geschlagen. Und gleichzeitig war seine Macht mit jedem Sieg gewachsen. Und das Land hier, war Zeichen dieser Macht, wenn der Orden erst einmal einen
würdigen Sitz erhielt.
„Lasst sie durch “, bemerkte er an Erik gerichtet, der sich den zwei Prätorianern in den Weg gestellt hatte. Der Mann zuckte mit den Schultern, bevor er bei Seite trat und den beiden folgte, als sie ihren Weg fortsetzten. Ganz unmerklich wurde jeder der beiden etwas langsamer, während sie sich ihm näherten. Simon wusste, dass er diese Wirkung auf andere hatte. Sein Ruf tat sein Übriges dazu…
„Ihr müsst meinen Stellvertreter entschuldigen.“, meinte er,
„Großmagier Erik ist lediglich äußerst besorgt was meine… Sicherheit angeht.“
,,Natürlich… Ordensoberster.“, antwortete der erste der Prätorianer.
„Verzeiht, aber worauf warten wir? Wir sollten diesen Bauern endlich zeigen, wer in diesem Land das Sagen hat.“
„Geduld Robert.“, mahnte der Zweite, „Mit etwas Glück rennen sie ohnehin weg, bevor es zu einem Kampf kommt.“
„Verdammt Leif, ich habe genug vom Warten. Nicht nur, dass der Kaiser uns, ausgerechnet uns, hierher…..“
„Kein Wort mehr“, erwiderte der als Leif angesprochene Prätorianer scharf. „Wie es aussieht Herr, muss ich auch für meinen Adjutanten um Verzeihung bitten. Er wird noch lernen wie man sich
gebührend verhält.“
„Euer Adjutant?“, fragte Erik. „Dann seit ihr kein einfacher Ritter.“
„Nein, Sir Magier, das bin ich nicht. Leif, Hauptmann der kaiserlichen Leibgarde.
Er streckte dem Mann eine behandschuhte Hand hin, die dieser jedoch ignorierte.
„Der Kaiser schickt seinen Hauptmann hierher?“.
,,Nur als Beobachter“, antwortete Roland. „Wir werden nach der Schlacht wieder in der fliegenden Stadt zurück erwartet und sollen dann gleich Bericht erstatten. Wir waren einfach schon in der Gegend, als der Befehl kam.“ Leif
zuckte mit den Schultern. Die schwere Panzerung die er trug schepperte bei der Bewegung. „Wenn sie ihr Land nicht einfach aufgeben, heißt das“
Simon folgte dem Gespräch nur mit einem halben Ohr. Das war niemals der wahre Grund, aus dem der Kaiser einen seiner besten Männer hierherschickte… vielleicht fruchtete der alte Tiberius wirklich langsam, das er ihn bald in den Schatten stellen könnte?
„Das ist nicht mehr ihr Land“, antwortete er schließlich. „Es wurde mir vom Kaiser überantwortet. Und ich habe vor, diese Leute daran zu erinnern.“
„Vielleicht können wir sie einfach vertreiben.“, merkte der Hauptmann an,
während er einen Blick hinab ins Dorf warf.
„Genau das, ist der Plan. Eure Arkebusiere sollen sich formieren und zuerst angreifen. Wenn sie das nicht zermürbt… erledigen wir den Rest auf die altmodische Art.“
Er mochte Feuerwaffen ohnehin nicht. Sie verbreiteten einen Höllenlärm und Gestank… aber vor einer Bleikugel bot auf kurze Entfernung auch die dickste Panzerung keinen Schutz mehr.
„Ja, Herr…“
Die beiden Prätorianer schlugen sich zum Gruß vor die Brust, bevor sie durch die Reihen der Soldaten zurück verschwanden und rasch Anweisungen
erteilten. Wenn man/ der kaiserlichen Garde eines lassen konnte, dann das sie effizient war. Einige Worte reichten und die komplette Abteilung setzte sich in Bewegung, bildete Gassen, damit die Schützen nach vorne gelangen konnten.
Unter den wartenden Milizionären unten im Dorf machte sich spätestens jetzt Nervosität breit. Simon konnte sehen, wie einige zurückwichen… nur um dann doch stehenzubleiben.
Gut, dachte er bei sich. Sie hatten jetzt tatsächlich lange genug gewartet… und diese Dörfler seine Geduld schon viel zu lange strapaziert. Jetzt würde ihre Siedlung eben ein Opfer der Flammen werden und nicht nur der
Gruben. Er wusste nicht mal wie sie hieß… dafür war sie aber ein großes Ärgernis für ihn geworden.
Simon hätte das plötzliche Donnern der Gewehre fast überhört, so sehr war er bereits in Gedanken. Doch das dumpfe Dröhnen holte ihn dann doch zurück in die Wirklichkeit. Und diese… bestand aus Blut und Dampfschwaden.
Er konnte sehen, wie Dutzende der Dörfler plötzlich umkippten oder getroffen zusammensackten. Andere hatten sich hingegen flach auf dem Boden geworfen, ihre improvisierten Waffen von sich geschleudert. Die wenigen, die stehengeblieben waren,
zogen sich nun jedoch, Verwundete und Tote mit sich schleppend, zwischen die vermeintliche Sicherheit ihrer Wohnhäuser zurück.
Simon riss das Schwert aus dem Erdboden, bevor er zu Erik zurücksah. Der Zauberer nickte und im nächsten Moment setzte sich die gesamte Mauer aus Stahl hinter ihm in Bewegung. Waffen wurden gezückt, die Schützen warfen die nun nutzlos gewordenen Gewehre weg und griffen zu Dolchen und Schwertern.
Simon erreichte das Dorf als einer der Ersten und fand sich bereits nach wenigen Augenblicken Auge in Auge mit einem Gejarn wieder. Das Biest war
leicht doppelt so breit wie er und trug einen simplen Lederharnisch. Zottiges, dunkles Fell bedeckte den Kopf, der eindeutig wölfische Züge aufwies und in den Händen schwang es eine Axt, die definitiv nicht zum Holzmachen gedacht war. Simon parierte einen Hieb, der ihm durch Mark und Bein ging, als die Waffen aufeinandertrafen. Und während er strauchelte, holte der Gejarn bereits zu einem weiteren Schlag aus, der Knochen wie Stahl zersplittern lassen konnte.
Ihm fehlte die Zeit für so etwas, dachte Simon. Er sah die Schneide der Axt in der Sonne glitzern, den wilden Ausdruck in den Augen seines Gegners…
und konzentrierte sich. Alles schien eine ganz eigene Brillanz zu haben, die Farben schienen gesättigter, die Welt im Augenblick erstarrt, während sein Verstand rasch nach den winzigen Fäden griff, die alles zusammenhielten und sie zu etwas neuem webte. Plötzlich schlug Feuer aus der Kleidung des Gejarn hervor, griff auf dessen Pelz über und verteilte sich, fast wie eine Flüssigkeit, über den gesamten Körper. Jaulend ging Simons Gegner zu Boden und versuchte, die angeheizten Flammen zu ersticken. Ein nutzloses Unterfangen. Dieses Feuer nährte sich nicht von Luft, sondern von Simons eigenem Willen und Energie. Von Magie…..
Er war einer der wenigen, in dessen Adern das Erbe des alten Volkes noch lebendig war und einer Macht Leben einhauchte, die diese Welt schon beinahe vergessen hatte. In Ihm und dem Rest des Sangius-Ordens und den verstreuten Zauberern des Kaiserreichs.
Der Ordensoberste stieß die Klinge in den Körper seines gefallenen Gegners, der daraufhin endlich zu Zucken aufhörte. Die Flammen erloschen und ließen nur einen dunklen Kadaver und den Geruch nach verbranntem Fleisch zurück. Langsam setzte Simon seinen Weg durch das Dorf fest. Er konnte sehen, wie sich die kaiserlichen Truppen zwischen den Gebäuden verteilten und
den flüchtigen Milizionären nachsetzten. Vermutlich würden die meisten versuchen, zu entkommen. Und wer doch Widerstand leistete… nun was kümmerte ihn das.
Mit einer Handbewegung beschwor er Feuer herauf, das sich um seine Hand herum sammelte, bis diese wirkte, als wäre sie in Licht gebadet. Die meisten Hexer hätten ihre Mühe gehabt, einen solchen Zauber auch nur wenige Augenblicke aufrecht zu erhalten, doch Simon ging gemächlich von Haus zu Haus, schickte die tosenden Flammen aus, in Richtung der hölzernen Fassaden und strohgedeckten Dächer... ätherische, zerbrechlich wirkende Finger aus Feuer
berührten das Stroh und die trockenen Baumstämme, entfachten durch unzählige kleine Brände, die rasch zu einem einzigen Inferno zusammenwuchsen…..
In einigen Minuten würde nur noch die Asche darauf hindeuten, dass an diesem Ort einmal eine blühende Siedlung gestanden hatte.
Simon Belfare ließ den Flammenzauber erlöschen und sah dabei zu, wie seine Männer die letzten verbliebenen Bauern aus dem Dorf und hinaus auf die umgebenden Wiesen trieben, wo sie sich rasch versprengten. Ein winziger, bedeutungsloser Sieg über einen Feind, der es nicht einmal Wert
war, das man ihn zur Kenntnis nahm. Der Ordensoberste ging langsam weiter durch die brennende Siedlung, stieg über Tote und Verwundete… die meisten waren Milizionäre oder Clan-Gejarn. Die Meisten…..
Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Aus einem der wenigen noch unbeschädigten Gebäude, einem niedrigen Fachwerkbau, der statt einem leicht entzündlichen Strohdach mit Schiefer gedeckt war, war eine Gestalt getreten, die irgendwie nicht zu dem passen wollte, was er bisher hier gesehen hatte. Es war eine Frau, die einen langen, blauen Mantel trug. Graue Haare fielen ihr lose ins Gesicht, das
trotz ihres offensichtlichen Alters bemerkenswert jung wirkte.
Oder vielleicht, überlegte Simon, war das nicht ganz das richtige Wort. Es wirkte eher… unbestimmbar. Zeitlos.
Er wusste nicht wieso, aber der Gedanke machte ihn unruhig. Die Frau sah langsam auf, als sie ihn bemerkte.
„Sagt mir, Simon Belfare, fürchtet Ihr das Schicksal?“.