Auf dem Flur waren Stimmen zu hören. Die Spurensicherung rückte an. Sie sollten das Zimmer von Bernd Herrmann untersuchen. Alles deutete darauf hin, dass dort eingebrochen wurde. Das Türschloss war beschädigt und im Zimmer herrschte eine Unordnung. Der Schreibtisch war aufgebrochen worden und der Inhalt der Schubläden lag auf dem Boden verstreut. Auch der Kleiderschrank ist offensichtlich durchwühlt worden. Um nicht im Wege zu stehen gingen der Inspektor und Susanna
hinaus. Liebreich gab ihnen noch einige Hinweise. Sein Mitarbeiter blieb neben Susanna stehen und wartete auf seinen Chef. Er warf ihr einen unsicheren Blick zu, da er nicht genau wusste, was er mit ihr anfangen sollte und in wie weit er sie in die Ermittlungen einweihen durfte. „Ich bin Polizeihauptmeister Friedrich Sörensen. Sind Sie offiziell hier?“ Er hob seine Augenbrauen und schaute Susanna missbilligend an. Sein ganzes Gesicht strahlte die Autorität aus, die er ihr zeigen wollte. Sie hatte das Gefühl, dass er mit seinen Worten größer und breiter wurde. Er baute sich förmlich wie ein Wall vor ihr auf. Er sah albern aus, wie er sich aufblähte.
Eigentlich war er eher klein und kompakt, also quadratisch. „ Nein“, sagte sie. „Ich bin nur auf Bitten des Inspektors hier, aber nun werde ich hier nicht mehr gebraucht. Bitte sagen Sie dem Inspektor, dass ich runter in die Cafeteria gehe.“ Susanna drehe sich hastig um bevor er ihr Grinsen sah und eilte davon. Nein, sie wollte ihn nicht auslachen. Nachdem die Polizei gegangen war, kehrte etwas Ruhe ein. Die Leute verließen in kleinen Gruppen die Lobby. Die Cafeteria und die anschließende Bibliothek waren überfüllt. Überall wurde getuschelt und Jene, die in dem
Vortragssaal waren, als der Mord passierte, gaben bereitwillig Auskünfte über Dinge die ihnen, obwohl es dunkel war, aufgefallen waren. Jeder hatte eine eigene Theorie über den Mordhergang und auch über das Opfer wurde geredet. Während Susanna durch die Cafeteria ging und ein bekanntes Gesicht suchte, konnte sie einiges aufschnappen. Spekulationen und Mutmaßungen hingen als Wortfetzen in der Luft. In der hintersten Ecke saß Sebastian an einem kleinen Tisch. Er bekämpfte erfolgreich ein riesiges Stück Kuchen, dass vor ihm stand. Als er Susanna sah winkte er. Sie ging zu ihm hin und setzte sich. „Immer
wenn ich aufgeregt bin muss ich was Süßes essen“, bemerkte er verlegen und schob sich ein großes Stück in den Mund. Man sah ihm seine Zufriedenheit an. “Was hältst Du von dem Ganzen hier“, wollte er wissen. „Das kann ich Dir noch nicht sagen. Ich bin erst dabei, mir eine Meinung zu bilden. Es kommt mir alles so unwirklich vor. Warum war ausgerechnet dieser Mann das Opfer? Er entspricht nicht gerade meiner Vorstellung eines Mannes, den man unbedingt töten muss, weil er gefährlich ist.“ „Vielleicht war er ein Erpresser“, erwiderte Sebastian. „Möglich, aber wen sollte er erpressen? Er hatte doch zu niemanden Kontakt hier, oder ist Dir
etwas aufgefallen?“ Sebastian schlürfte seine Kaffee und blickte sinnend ins Leere. Susanna wusste nicht, ob er sie verstanden hatte, aber das wusste man bei Sebastian nie. Plötzlich blickte er sie eindringlich an.“ Pass auf, mir fiel eben ein, dass er sich heute früh auf dem Parkplatz mit einem der jungen Therapeuten getroffen hat. Komisch, wenn ich jetzt daran denke meine ich, dass es nicht zufällig aussah, mehr wie verabredet. Sie standen neben einem schwarzen Audi aus Berlin. Der hat bestimmt nicht dem Therapeuten gehört, der Wagen war eine andere Gehaltsklasse.“ „Was glaubst Du warum sie sich getroffen hatten? Konntest Du
etwas hören?“, fragte sie. „ Nein ich war zu weit weg und als ich näher kam, entfernten sie sich. Ich hatte mir bis jetzt nichts dabei gedacht, warum sollten ein Patient und ein Therapeut sich nicht privat unterhalten? Vielleicht waren sie Auto Fans.“ Er wandte seine ganze Aufmerksamkeit wieder seinem Kuchen zu. Susanna hatte ihn durch ihre Fragerei abgehalten, weiter zu schlemmen. Sebastian ließ sich eben durch nichts aus der Ruhe bringen. Er setzte eindeutig Prioritäten. Sie ließ ihn allein zurück, denn am Eingang sah sie Betty in einer kleinen Gruppe stehen. Als Susanna hinter ihr stand, drehte sie
sich erschrocken um. „Hallo Sue, Sie können sich vielleicht anschleichen“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln. „ Oh, entschuldigen Sie Betty, ich wollte sie nicht erschrecken. Vielleicht können wir uns dahinten unterhalten. Ich habe nämlich einige Fragen an Sie“, sagte Susanna eher beiläufig zu ihr und versuchte, nicht allzu interessiert auszusehen. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass Betty sie erschreckt anschaute. „Liebe Sue, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen könnte, ich kannte ihn doch kaum. Aber wenn ich Ihre Neugier befriedigen kann, mache ich es gerne.“ Mit diesen Worten nickte sie ihren bisherigen
Gesprächspartnern zu, drehte sich um, und schritt auf einen leeren Tisch in der Cafeteria zu. Susanna musste neidlos zugeben, dass ihr Gang durch ihre Größe und schlanke Figur etwas Majestätisches hatte. Sie war überzeugt, dass Betty das auch wusste und bei jeder passenden Gelegenheit ihr Äußeres gerne einsetzte. Sie setzten sich und Susanna kam gleich zur Sache. „ Entschuldigung Betty, können Sie mir sagen, was genau der Inspektor Sie gefragt hat?“ „ Ja, er wollte wissen, wo ich zum Tatzeitpunkt war. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, warum er das wissen wollte, denn ich hatte schließlich mit dem Mann
nichts zu tun, aber ich beantwortete seine Frage.“ „ Und Betty, wo waren Sie?“ Sie sah Susanna wieder verdutzt an, antwortete aber sofort: „Ich war auf meinem Zimmer und habe gelesen, da ich auf einen wichtigen Telefonanruf warten musste. Nach dem Gespräch ging ich in die Lobby, aber da war der Mord bereits passiert. Haben Sie sonst noch Fragen?“ Dabei zog sie ihre Augenbrauen hoch und schaute Susanna spöttisch an. „ Ach Betty, wissen Sie, ich konnte einfach nicht anders. Meine angeborene Neugier ist schuld. Ich würde den Fall gerne noch vor der Polizei lösen. Sie wissen doch: „Hobby-Ms.-Marple“. Das wäre meine Chance, da
der Inspektor noch recht unerfahren zu seien scheint.“ Betty lachte, „ da könnten Sie Recht haben. Er wirkte auf mich sehr schüchtern, beinahe etwas hilflos.“ Susanna nickte. „ Betty, eine Frage habe ich noch. Was war das für eine Geschichte, die der Tote Ihnen erzählen wollte? Worum ging es dabei? Ich habe das Gefühl, dass sie mit seinem Tod zu tun hat.“ Betty schaute sie überrascht an, „glauben Sie das wirklich? Ich weiß nicht, ob sie wirklich so spektakulär war. Er machte nur Andeutungen über einen Unfall mit Fahrerflucht. Das Unfallopfer verstarb. Es war sein Freund, ebenso ein Obdachloser wie er. Ich hatte das Gefühl,
dass er sich mitverantwortlich fühlte, da sein Freund seinetwegen die Straße überquerte. Er konnte den Fahrer des Wagens nicht erkennen. Er kannte auch keine Automarken. Er sah nur ein großes schwarzes Auto mit einem Aufkleber. Dieser kam ihm bekannt vor, aber er wusste nicht woher. Seit dem hatte er nachgeforscht über die Vergangenheit seines Freundes und diesen Aufkleber. Wie weit er in seinen Nachforschungen gekommen war, wollte er mir heute erzählen. Er sagte, er hätte alles niedergeschrieben und wollte mir seine Aufzeichnungen dann später überlassen. Leider habe ich ihn nicht mehr treffen können.“, sagte sie. Susanna wusste
nicht, ob der Ausdruck in ihren Augen Trauer oder Enttäuschung war. „ Danke Betty, ich will vor dem Abendessen noch etwas am Strand spazieren gehen.“ Sie ging hinauf in ihr Zimmer, zog sich um und ging zum hinteren Ausgang des Klinikgeländes. Der Weg dorthin führte sie an dem Fenster vorbei, durch das der Mörder entflohen sein musste. Susanna schaute sich die Umgebung genau an. Der Mörder konnte nur auf dem gleichen Wege schnell das Gelände verlassen haben, denn zum Hauptausgang war es weiter und belebter. Die Ausgangstür, eine Gartentür, war, wie immer, unverschlossen. Vor der Tür stand auch, wie immer, eine Gruppe Raucher. Sie
ging auf die Leute zu. „ Schlimme Sache was da passiert ist“, sagte Susanna. „Kannte einer von Ihnen den Toten? Er war doch auch Raucher, ich habe ihn hier schon oft gesehen.“ „ Kann sein“, erwiderte einer aus der Gruppe, „ich erinnere mich, dass er öfter hier draußen war, aber wie er hieß, oder wo er herkam, keine Ahnung.“ Die Anderen nickten zustimmend. Dann traten sie ihre Zigaretten aus und gingen zurück zur Klinik. Sie tuschelten miteinander, bestimmt war Bernd Hermann öfter mit ihnen hier draußen gewesen. Susanna ging weiter zum Strand. Es war bereits dunkel. Sie konnte einige Lichter in der Mittelpromenade von Boltenhagen
sehen. Da jetzt keine Saison war, tobte dort nicht gerade das Leben. Die meisten Läden waren geschlossen. Die Besitzer öffneten erst mittags und schlossen wenn es dunkel wurde. Eigentlich ein ruhiges Leben, dachte sie. Ihr war kalt trotz der dicken Jacke. Ihre Gedanken kreisten um den Einbruch. Sie war sich sicher, dass der Mord und er zusammenhingen, aber ob die beiden Taten von ein und derselben Person ausgeführt worden waren, sie zweifelte. Sie konnte nicht sagen warum, hatte aber so ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte. Sie ging wieder zurück; Zeit zum Essen. Als Susanna am Vortragssaal vorbeikam, sah sie, dass die
Spurensicherung hier wieder zu werke war. Also waren sie mit dem Zimmer des Opfers fertig. Susanna war auf die Ergebnisse gespannt. Sie hoffte, der Inspektor würde sie ihr verraten. Beim Abendessen war es ungewöhnlich still im Saal. Es wurde nur leise getuschelt und immer wieder gingen die Blicke zu dem Tisch mit dem nun leeren Stuhl. Soviel Aufmerksamkeit hatte das Opfer zu Lebzeiten nie gehabt. Alle Gespräche drehten sich um ihn und seinen Tod. Er war zu einer Berühmtheit
geworden, zwar zu einer traurigen, aber berühmt. Susanna saß allein an ihrem Tisch. Sebastian, Marianne und Dieter waren schon fertig, wie sie an den benutzen Tellern an ihren Plätzen sehen konnte. Das Essen wollte ihr nicht schmecken. Deshalb trank sie nur einen heißen Tee und ging in ihr Zimmer. Sie wollte nur noch schlafen. Das Klingeln des Telefons riss Susanna aus dem Tiefschlaf. Christian war am Apparat. Er war heute erst spät nach Hause gekommen. Als sie ihm von den Ereignissen berichtete, war er sehr beunruhigt. „Mein Gott, vielleicht treibt ein Psychopath dort sein Unwesen“,
mutmaßte er. „ Ich komme am Wochenende. Bestell schon mal ein Hotelzimmer im Ort.“ Susanna versuchte ihn zu beruhigen und obwohl sie seine Vermutung nicht teilte, versprach sie, besonders vorsichtig zu sein und nicht mehr im Dunkeln an den Strand zu gehen. „Guten Morgen Herr Inspektor. So früh schon hier?“ Er bemerkte Susanna und schritt auf sie zu. „ Schön, dass ich Sie treffe Frau Borchard. Ich habe da noch einige Fragen an Sie.“ Susanna sah ihm an, dass er einiges erfahren hatte, das er unbedingt loswerden wollte. Nun war sie gespannt. „Frau Borchard, können wir
uns in die Bibliothek setzen?“ Er sprach sehr laut, so dass jeder in Susannas Nähe ihn hören konnte. Ihr war sofort klar, dass das Absicht war. Sie gingen in die Bibliothek. „ Warum haben Sie mir nicht erzählt, was Ihr Tischgenosse Ihnen anvertraut hatte?“ zischte er ihr zu. „Ich fand die Geschichte mit dem Audi und dem Therapeuten hoch interessant. Frau Borchard, Sie hätten doch wissen müssen, dass alles wichtig ist, jede Kleinigkeit. Vielleicht ist das eine Spur, die einige Rätsel löst. Ich bin gut im Rätsel lösen, oder trauen Sie mir das nicht zu?“ Susanna war peinlich berührt. „Keineswegs, ich wollte mich nur nicht in den Vordergrund drängen“,
sagte sie. „ Ich wusste doch, dass Sie auch mit ihm reden. Ich wollte nur versuchen Ihnen schon den Namen des Therapeuten zu nennen, damit Sie ihn befragen können.“ Er verbarg ein Lächeln. Das nahm er ihr nicht ab. Susanna beschloss nicht weiter darauf einzugehen und fragte ihn: “Was haben Sie schon herausgefunden über das Opfer? Die Spurensicherung war gestern noch lange hier. Außerdem wollten Sie mir etwas zeigen.“ Er zuckte mit den Schultern und sagte: “Leider habe ich noch nichts nennenswertes über den Toten erfahren. Unser Arzt grenzt die Tatzeit zwischen zwei und drei Uhr nachmittags ein. Herrmann hat einen
Einstich in der Halsschlagader. Der Tod muss schnell eingetreten sein, denn das Opfer konnte sich nicht wehren, oder bewegen. Genaueres konnte auch er nicht sagen, seine Möglichkeiten sind begrenzt. Er tippt jedoch auf ein schnell wirkendes Betäubungsmittel, das in hoher Dosis tödlich ist. Von der Kriminaltechnik liegen noch keine Ergebnisse vor, und dass noch niemand aus Wismar hier ist, liegt am Schneesturm. Wir sind nämlich von der Außenwelt abgeschnitten. Darin liegt meine Chance, und hoffentlich bekomme ich einige Informationen, bevor das Kriminalkommissariat Wismar sein Ermittlerteam schicken kann.“ Sein Blick
sagte viel. Er wollte unbedingt Erfolge aufweisen bevor sein Onkel mit seinen Kollegen ihm den Fall wegnahm. Aber die Kriminaltechniker mussten mit ihren Bordmitteln arbeiten, da auch sie nicht wegkamen. „Oh ich kann Sie gut verstehen, immer wenn es Lorbeeren zu ernten gibt, drängen sich die Sonderkommissariate in den Vordergrund. Das sieht man auch immer im Fernsehen“, bemerkte Susanna. „Na vielleicht sollten wir uns zusammentun und versuchen, denen zuvor zu kommen“, sagte er verschwörerisch. Seine Wut war, wie Susanna bemerkte, zum Glück verraucht, denn er kniff die Lippen nicht mehr zusammen. Das kam
ihr sehr gelegen. Susanna berichtete ihm von der Unterhaltung mit der Rauchergruppe. „Haben Sie schon Neuigkeiten von den Tischgenossen des Opfers? Ich sah Sie gestern noch mit ihnen reden“, fragte Susanna. Er musterte sie eingehend. Spürte er, dass Susanna ihn auf die Probe bezüglich ihrer noch jungfräulichen Abmachung stellte? Sie beschloss, ihm von ihren Gesprächen mit Sebastian und Betty zu erzählen. Sie wollte auch nichts auslassen. „ Und was stand auf dem Zettel, den der Tote in der Hand hielt“, fragte sie am Ende ihrer Ausführung. Liebreich war verwirrt, ging aber auf Susannas Frage nicht ein. Zunächst
bestätigte er Sebastians Aussage. Bei Betty war er erstaunt, sie hatte ihm anscheinend nicht alles erzählt, was sie Susanna berichtet hatte, und auch ihr Alibi wurde noch überprüft. „Es ist jetzt wichtig, den Therapeuten zu finden, mit dem das Opfer auf dem Parkplatz gesprochen hat. Ich verspreche mir viel davon. Ich glaube nicht an Zufälle, Sie etwa? Ihr Tischgenosse muss uns jetzt den Therapeuten zeigen.“ Mit diesen Worten ging er zur Rezeption, um dort zu erfahren, wo sich Sebastian aufhielt. Er erhielt einen Ausdruck der Therapiepläne. Er kam wieder auf Susanna zu, schwenkte das Papier in der Luft und sagte:“ Das hier ist viel besser,
ich habe eine Liste aller hier arbeitenden Therapeuten, Ärzte und Schwestern. Ich mache mich auf die Suche.“ Schnell ging er in Richtung der Therapieräume. Susanna sah ihm nach – nicht schlecht, dachte sie, doch er hat mir noch immer nicht gesagt, was auf dem Zettel stand. Susanna ging ebenfalls zur Rezeption. „ Entschuldigung“, sagte sie, „der Inspektor benötigt noch den Therapieplan von Herrn Sebastian Fischer. Er hatte in der Eile vergessen, danach zu fragen.“ Sie hatte eine Idee, wie man die Suche abkürzen konnte. Wenn Sebastian den Therapeuten gekannt
hätte, hätte er bestimmt erwähnt, welche Sitzungen er bei ihm hatte. Also beschloss sie, sich eine Liste zu besorgen, die die Namen der Therapeuten beinhaltete, bei denen Sebastian keine Therapiesitzung hatte. Außer Susanna waren noch ein paar Patienten an der Rezeption. Einige wollten Briefmarken, andere Telefonrechnungen bezahlen. Die Angestellte war sichtlich gestresst. Sie sah Susanna nachdenklich an, aber dann musste ihr eingefallen sein, dass sie mit dem Inspektor zusammen gestanden hatte. „ Moment bitte, ich mache am besten einen kompletten Ausdruck der Therapiepläne, dann hat der Inspektor
alles, was er benötigt.“ Susanna bedankte sich im Namen des Inspektors, als man ihr die Ausdrucke reichte. Die Angestellte war froh, sie los zu sein, man sah es ihr an. Susanna verließ die Lobby, suchte sich ein ruhiges Plätzchen in der Cafeteria und begann die Namen zu studieren. Auf der Liste gab es nur vier Namen, bei denen Sebastian nicht in Behandlung war. Zwei Frauen und einen Mann, er war älter, die kannte Susanna und konnte sie ausschließen. Laut Plan hatte der nun Übriggebliebene einen Außeneinsatz. Susanna schlenderte zum Haupteingang und setzte sich dort auf die Bank. Eine Gruppe Walker näherte sich langsam,
angeführt von Bruno. Dahinter kam eine andere Gruppe angelaufen. Sie überholte Brunos Gruppe und versammelte sich bereits zum gemeinsamen Puls messen, als die Walker eintrafen. Susanna sah es Bruno an, er war sauer. Er musste sich mit den älteren Patienten rumschlagen. Im Gegensatz zu seinem jungen Kollegen, dessen Patienten kaum älter als vierzig waren. Als alle in die Lobby strebten, gesellte Susanna sich zu dem jungen Mann. „Herr Matthies, haben Sie einen Moment Zeit für mich?“ Er schaute kurz auf seinen Plan, den er in der Hand hielt und nickte. „Was kann ich für Sie tun? Sind Sie bei mir in Behandlung?“
Susanna schüttelte ihren Kopf „ lassen Sie uns in die Cafeteria gehen. Sie bestellte sich einen Kaffee. „Möchten Sie auch einen“, fragte sie ihn? Er schüttelte den Kopf. Sie suchten sich einen freien Tisch weiter hinten. „Nun, was gibt es? Spannen Sie mich nicht auf die Folter.“ Er hatte ein strahlendes Lächeln, veilchenblaue Augen und ein jungenhaftes Gesicht. Er bemerkte, dass Susanna ihn eingehend betrachtete. Das war ihr peinlich. „Herr Matthies, ich habe eine kurze Frage an Sie.“ „ OK, aber bitte nennen Sie mich Tim“. „ Also Tim, bestimmt haben Sie von der schrecklichen Tat gehört.“ Er nickte. „Sie haben sich gestern früh mit dem
Ermordeten auf dem Parkplatz unterhalten. Können Sie mir sagen warum und worüber?“ Jetzt machte er ein erstauntes Gesicht. „Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Warum wollen Sie das wissen? Haben Sie ein besonderes Interesse?“ Susanna setzte eine Unschuldsmiene auf: „Nun Tim“, sagte Sie freundlich, “wie Sie vielleicht bemerkt haben, unterstütze ich den Inspektor in diesem Fall. Durch das schlechte Wetter kann er im Moment keine Unterstützung aus Wismar bekommen. Er kann aber jede Hilfe gebrauchen. Deshalb bitte ich Sie uns zu unterstützen, indem Sie mir die Auskünfte geben, die ich benötige.“ Sie
strahlte Tim an und lächelte. Sie hoffte, dass er sich Ihrer Bitte nicht entziehen konnte und erzogen wurde, älteren Menschen zu helfen. Tim nickte ihr zu, überlegte kurz und begann zu erzählen: „Warten Sie mal, ja, es war vorgestern, als wir das erste Mal ins Gespräch kamen. Er schlenderte über den Parkplatz und sah sich alle Autos an. Mir fiel auf, dass er besonders die schwarzen großen Wagen in Augenschein nahm. Ich ging zu ihm hin und fragte, ob er etwas suche. Er verneinte und sagte, dass er nur die Unterschiede der großen schwarzen Wagen erkennen wollte. Dann fragte er mich, ob hier noch weitere schwarze
Autos wären. Ich erklärte ihm, dass jeder Patient, der mit seinem eigenen Fahrzeug hier war, einen Parkplatz mieten konnte. Man bekam eine Parkplatznummer zugeteilt, aber man konnte auch Wünsche äußern. Er war sehr interessiert und führte mich zu einem leeren Parkplatz. Er fragte mich, ob ich ihm den Namen des Patienten für diesen Parkplatz besorgen könne. Er bemerkte mein Zögern. Daraufhin sagte er, dass er mit dem Besitzer reden wolle, da der ihn am Vortag nassgespritzt hätte, als er an der Bushaltestelle stand. Er konnte beobachten, dass der Wagen hier auf das Gelände fuhr. Am Abend, als er aus dem Dorf zurückgekommen war,
hätte er sich auf die Suche nach dem Fahrzeug gemacht. Und es auf genau diesem Platz gesehen. Auf meine Frage, wie er es so genau hatte erkennen können, meinte er nur: es war der gleiche Aufkleber. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, genau vor dem Platz. Das Fahrzeug war da, ein Audi A6, schwarz, mit einem Heckscheibenaufkleber. Er wollte von mir wissen, ob ich schon wüsste, wem der Wagen gehöre, und ob ich den Aufkleber kannte. Beides musste ich verneinen. Zum einen hatte ich noch nicht gefragt, wem der Parkplatz gehörte, zum anderen war mir der Aufkleber nicht wirklich bekannt,
obwohl ich ihn schon mal gesehen hatte. Jetzt muss ich aber wieder weiter, meine nächste Gruppe wartet.“ Er stand auf. Susanna sah ihn an. „Können Sie mir noch die Nummer des Parkplatzes nennen?“ „Klar, 238“, antwortete er, reichte Susanna die Hand und verließ die Cafeteria. Susanna stand ebenfalls auf und machte sich auf die Suche nach dem Inspektor. Sie standen vor dem Parkplatz. Der
schwarze Audi mit dem Aufkleber war da. Liebreich telefonierte mit dem Kraftverkehrsamt und gab das Kennzeichen des Fahrzeugs durch. Sie hatten beide den Aufkleber sofort erkannt. Es war das Logo eines Nachrichtenmagazins, das es nicht mehr gab. Während Susanna um das Fahrzeug herumlief und versuchte hinein zu schauen, führte der Inspektor noch einige Telefongespräche. Susanna blickte zu ihm hin und bemerkte seine Erregung. Er musste wertvolle Infos bekommen haben, die das Puzzle Stück für Stück zusammensetzten. Sie hatte das Gefühl, das ein Rätsel gelöst war, aber wie viele warteten noch auf sie?
Wie viele Teile hatte dieses Puzzle?
„Kommen Sie Frau Borchard, wir müssen sofort Betty Lindner finden.“ Mit diesen Worten lief er schnell zum Eingang der Klinik. Susanna konnte ihm kaum folgen. Während sie rannte, überschlugen sich ihre Gedanken im Kopf. – Betty -, Susanna konnte es nicht glauben, was hatte die Moderatorin damit zu tun? Sicher, dass es Bettys Wagen war, hatte sie geahnt, aber Bernd Hermann war eine zu wertvolle Ressource für ihre Show. Warum sollte sie ihn umbringen? Susanna hatte das Gefühl, dass viel mehr hinter der ganzen
Sache steckte, als sie vermuteten. Liebreich lief den Gang hinunter. „Sie ist im Schwimmbad“, rief er Susanna zu. Sie beeilte sich, hinterher zu kommen. Ihr ging langsam die Luft aus. Warum musste er eigentlich immer rennen, dachte sie. Aus dem Schwimmbad konnte Betty doch nicht entkommen. Es gab nur diesen Weg hinein und heraus. Doch sie wollte sich nichts entgehen lassen. – Eine Verhaftung im Schwimmbad, dachte sie. Wie wollte er Betty aus dem Wasser holen und wenn sie nicht heraus kommt, springt er dann hinein? Legt er ihr Handschellen an, damit wird das Schwimmen deutlich schwerer. Auf alle Fälle war es eine
spannende Situation. Susanna überlegt kurz, was ihre Lieblingsfernsehkommissare gemacht hätten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen ins Wasser gesprungen wäre um eine Verhaftung durchzuführen. Dafür hatten sie ihre Leute. Liebreich hatte im Moment nur mich. Oh Gott, hoffentlich verlangt er nicht von mir ins Wasser zu springen. Nein, das würde er nicht tun, beruhigte ich mich, oder doch? Alle Aufregung war jedoch umsonst. Betty war nicht im Schwimmbad. Sie hatte laut Plan zwar Wassergymnastik, war aber nicht erschienen. Auch die Trainerin hatte sie nicht
gesehen. Liebreich hastete wieder zurück zur Lobby. „Welche Zimmernummer hat Frau Lindner“ schrie er der verschreckten Empfangsmitarbeiterin zu. Sie schaute im Computer nach und rief ihm eine Nummer zu. Susanna konnte es nicht genau hören, nur die zwei am Anfang hatte sie genau verstanden. Das hieß, Bettys Zimmer war im zweiten Stock. Heute war also ihr Glückstag, es hätte auch der Vierte sein können. Keuchend erreichte sie das Stockwerk. Der Inspektor hämmerte links im Gang an eine Tür. Er hatte noch viel Luft; er war eben jünger. „Frau
Lindner, öffnen sie die Tür. Hier ist Inspektor Liebreich. Ich habe einige Fragen an Sie“, sagte er lautstark. Nichts passierte, kein Mucks war zu hören. Liebreich wollte sich schon umdrehen und gehen, als er einem Instinkt folgend die Türklinke herunterdrückte. Die Tür war unverschlossen. Er öffnete sie und betrat den Raum, dicht gefolgt von Susanna. Abrupt blieb er stehen, so dass Susanna in seinen Rücken stieß. Als der Inspektor sich niederkniete sah sie Betty. Sie lag auf dem Boden zwischen der Dusche und dem Zimmer. Um sie herum war alles voller Blut. Betty Lindner war tot. Susanna musste sich
abwenden. Die zweite Leiche innerhalb kurzer Zeit, das war etwas zu viel für sie. Sie rang nach Luft und verließ das Zimmer. Auf dem Flur waren schon einige Leute versammelt, von dem Lärm angelockt, den sie mit der Rennerei und Ruferei gemacht hatten. Der Inspektor rief in seiner Dienststelle an und verlangte nach der Spurensicherung und dem Arzt. Susanna saß in der Cafeteria und rührte in ihrem Kaffee. Ihre Gedanken kreisten um die tote Betty. Die Spurensicherung
war noch in ihrem Zimmer. Der Arzt schätzte die Todeszeit zwischen acht und neun Uhr. Das machte Sinn, denn zum Frühstück von sieben bis acht war sie im Speissaal und hatte sich mit Bruno unterhalten. Die Blicke, die sich beide zuwarfen, waren eindeutig. Um viertel nach neun Uhr hatten sie sie gefunden. Der Täter hatte demnach nur wenig Zeit gehabt, aber wie viel Zeit braucht man, um jemanden umzubringen. Für Susanna stand es fest, dass es Mord war und sie zweifelte nicht daran, dass es sich um ein und denselben Täter handelte, obwohl die Todesarten verschieden waren. Zwischen beiden Toten musste es ihrer Meinung nach eine
Verbindung geben. Aber Liebreich war nicht überzeugt. Er glaubte an Selbstmord. Seiner Meinung nach fühlte Betty sich in die Enge getrieben und sie sah keinen anderen Ausweg. Deshalb kam ihr Tod einem Schuldgeständnis gleich. Es konnte nicht anders sein. Auf die Frage nach dem Motiv, konnte er Susanna keine Antwort geben. Das bekäme er noch heraus. Bernd Herrmann hatte sie vielleicht erpresst. Die Geschichte, dass er Geld von ihr bekommen würde, weil er ihr eine Story anbot, konnte eine Ausrede gewesen sein. Allerdings hatte auch er Bauchschmerzen, wenn er an das fehlende Motiv und die Verbindung
zwischen den beiden Opfern dachte. Er musste mehr Informationen über sie bekommen, wer hatte sie als letzter lebend gesehen und wo war sie nach dem Frühstück? Frau Borchard hatte erwähnt, dass Betty Lindner mit Bruno am Morgen im Speisesaal eine sehr vertraute Unterhaltung hatte. Er musste einige Fragen lösen, bevor die Truppe aus Wismar anrückte. Er durfte diese einmalige Chance nicht vermasseln. Was würde sein Onkel jetzt tun? In seinem Büro recherchierte er in den Polizeiakten. Über Bernd Herrmann wurde er fündig. Er war Augenzeuge bei einem tödlichen Autounfall mit
Fahrerflucht in Berlin. Das Auto und der Fahrer wurden nie gefunden. Das Unfallopfer war, ebenso wie er, ein Obdachloser, Alter 67, Identität unbekannt. Er hatte keine Papiere bei sich und niemand vermisste ihn. Nur Bernd Herrmann wollte es nicht verstehen, dass die Polizei keine Hinweise fand und die Ermittlungen einstellte. Fast jeden Monat brachte er neue Hinweise. Er ließ nicht locker und zog los, um auf eigene Faust etwas heraus zu finden. Seit dem Unfall war Herrmann „trocken“ und arbeitete als Streetworker. Das Geld dafür bekam er von der Stiftung „Leben ohne Alkohol“. Die hatten auch den Aufenthalt in der
Reha für ihn bezahlt. Liebreich telefonierte mit Berlin und forderte die Akten des Unfalls an. Vielleicht ist das eine Spur oder bringt mich weiter, dachte er. Dann forschte er im Internet nach dieser Stiftung. Er wollte wissen, wer der Gründer und die Geldgeber waren. Alles konnte wichtig sein. Er hatte alle Fakten, die er bisher gesammelt hatte, auf Zettel geschrieben und für die bessere Übersicht an eine Pinnwand gehängt. Er starrte wie gebannt auf seine Notizen „ wo war die Verbindung, wo?“ Er sprach laut mit sich selbst. Plötzlich schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. Er hatte die Verbindung – Betty Lindners Auto, der
schwarze Audi, für den sich Bernd Hermann stark interessiert hatte. Dann erinnerte er sich an den Aufkleber. Das Nachrichtenmagazin, wie hieß es doch gleich, überlegte er. Er lief zu seinem Auto und fuhr zurück in die Klinik. Er musste jetzt dringend mit Susanna Borchard sprechen. Zusammen würden sie das letzte Rätsel lösen. Er war überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein. Er brauchte nur noch ein paar kleine Details und dafür musste er zurück in die Klinik. Von seinem Auto aus versuchte er Susanna telefonisch zu erreichen. Sie sollte den Therapeuten suchen, bevor er nach Hause ging. Er wollte mit ihm
sprechen. Er erreichte sie nicht, dafür klingelte sein Handy. Es war Polizeihauptmann Friedrich Sörensen. Er war aufgeregt. „Inspektor, die Spurensicherung hat einen vorläufigen Bericht hiergelassen. Darin steht, dass man einen Einstich am Hals gefunden hatte. Es wurde ein Narkotika namens Ketamin gespritzt, in einer Menge, die ein Pferd umhauen würde. Da wollte man wohl sicher gehen, dass er wirklich stirbt.“ „ Ist gut Sörensen, danke für die Info. Ich bin in zwei Stunden wieder im Büro. Vielleicht haben wir dann schon Ergebnisse.“ „ Ich drücke die Daumen, erwiderte Sörensen. „Wir wären dann schneller als – Wismar –„. Das wäre zu
schön, seufzte Hans Liebreich. Ihm würde ein Herzenswunsch in Erfüllung gehen, allerdings war es nichts Neues für ihn. Es bestätigte nur die Angaben des Chefarztes der Klinik. Als er vor dem Klinikeingang hielt, kam gerade Susanna mit dem jungen Therapeuten heraus. Er war überrascht und verwundert. „Hallo Frau Borchard, gut dass Sie hier sind. Ich hatte versucht Sie zu erreichen. Aber sagen Sie mal, können Sie Gedanken lesen? Ich wollte Sie nämlich bitten, Herrn Matthies zu suchen, weil ich noch ein paar Fragen an ihn habe. Kommen Sie, Herr Matthies, gehen wir in die Cafeteria und Sie Frau
Borchard kommen besser gleich mit. Ich habe noch ein paar interessante Informationen bekommen, die ich Ihnen mitteilen möchte.“ Mit langen Schritten ging er an beiden vorbei Richtung Cafeteria. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihm eiligst zu folgen. Tim Matthies wollte wissen, was der Inspektor von ihm wollte und Susanna aus Neugier. Liebreich saß schon, als sie ihn erreichten. Sie setzen sich zu ihm. „Herr Matthies“, der Inspektor schaute ihn eindringlich an, „haben Sie irgendjemanden von der Unterhaltung mit dem Herrn Herrmann erzählt?“ Tim Matthies blickte zu Susanna. „ Außer Frau Borchard meine ich“. Der Therapeut
nickte. „Na ja, der Besitzerin des Audis, ich dachte sie sollte es wissen. Ich wusste ja nicht, was der Mann wirklich wollte.“ „ Und wie hat sie darauf reagiert?“ „ Sie wollte, dass ich ihr den Mann zeige. Ich glaube sie war erregt, wollte es sich aber nicht anmerken lassen.“ Susanna sah, wie sich Zufriedenheit auf dem jungen Gesicht des Inspektors ausbreitete. Es tat ihr richtig leid, ihm einen Dämpfer zu geben, aber es musste sein. „ Herr Inspektor, das bedeutet nichts. Betty wusste schon vorher von der Geschichte mit dem Auto, dem Aufkleber und dem Unfall.“ Hans Liebreich winkte ab. „ Herr Matthies, haben sie sonst noch
jemanden davon erzählt?“ Hans Matthies druckste herum. „ Ja, noch zwei Leuten. Einmal dem Sebastian Fischer, ein Autofan. Er hatte sich mit mir über einige Fahrzeuge hier auf dem Parkplatz unterhalten. Da ist mir das so rausgerutscht. Ich war erstaunt, dass dieser Mann sich für Autos begeisterte. Auf mich machte er eher den Eindruck eines Radfahrers aus Leidenschaft. Und dann noch Bruno. Er ist mein Chef und hatte gesehen wie ich mit dem Opfer sprach. Er wollte wissen, was der Penner, wie er sich ausdrückte, wollte.“ „ Wie heißt Ihr Chef mit vollem Namen?“ „ Bruno Markwald. Ich bekam Ärger mit ihm, weil ich mich während
meines Dienstes auf dem Parkplatz herumtrieb, wie er es nannte. Dabei wollte ich nur zum Ostflügel und habe abgekürzt. Aber mit Bruno ist nie gut Kirschen essen.“ „Danke Herr Matthies, Sie können jetzt nach Hause gehen.“ Liebreich wandte sich Susanna zu: „Na was halten Sie davon? Betty Lindner hat gewusst, dass Bernd Herrmann sich für ihr Auto interessierte. Sie hat befürchtet, er könnte mehr heraus bekommen. Wollen Sie meine Theorie hören, Frau Borchard?“ Er wartete keine Antwort ab. „ Bernd Herrmann war vor zwei Jahren Zeuge eines Unfalls, der seinem Freund das Leben kostete. Der Fahrer floh. Er konnte nur das Fahrzeug
mit dem Aufkleber erkennen. Hier in der Rehaklinik sieht der Ermordete das vermeintliche Unfallauto. Er erkennt den Aufkleber wieder und versucht mehr zu erfahren. Gleichzeitig erfuhr Betty Lindner, dass jemand sich für ihren Audi interessierte. Unter dem Vorwand einer Story nahm sie Kontakt mit Bernd Herrmann auf. Sie versprach ihm Geld, wenn er ihr erzählte was er bereits alles erfahren hatte. Da sie als Mitbegründerin auch zum Konsortium der Stiftung „Leben ohne Alkohol“ gehörte, war es eine Leichtigkeit, alles über Bernd Herrmann zu erfahren. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Betty Lindner damals den Obdachlosen
überfahren hat und Fahrerflucht beging. Ihr wurde klar, dass bei Bekanntwerden der Geschichte, ihre Karriere vorbei war. Außerdem fürchtete sie, ins Gefängnis zu müssen. Sie sah also keinen anderen Ausweg, als Bernd Herrmann zu töten, bevor er die Geschichte ausplaudern konnte. Sie besorgte sich aus einem Schwesternzimmer eine Spritze. Das Ketamin musste sie sich anderweitig besorgt haben, oder in der Klinik gab es einen Komplizen.“ Susannas Augen wurden immer größer. „ Ja, das war es, was ich ihnen noch erzählen wollte. Der Rest ist einfach. Die Erinnerung an damals verfolgten Betty Lindner. Die
Vergangenheit hatte sie eingeholt. Es ließ ihr keine Ruhe, zumal sie glaubte, dass schon zu viele Bernd Herrmanns Geschichte kannten. Sie sah keine Chance für sich davon zu kommen. Jeden Moment erwartete sie, überführt zu werden. Also die letzte Konsequenz, die Betty Lindner blieb, war – Selbstmord.“ Hans Liebreich hatte selbstzufrieden seine Theorie beendet. Es konnte nicht anders gewesen sein, er war überzeugt von seiner Version des Tathergangs und von der Identität des Täters. Susanna schaute ihn eine Weile an, dann schüttelte sie ihren Kopf. „Nein, nein, das passt alles nicht zusammen. Der Tote hatte mit niemand,
außer mit Betty, über seine Geschichte gesprochen. Schließlich hatte sie ihm viel Geld versprochen, wenn sie den Exklusivbericht bekam. Dann habe ich sie auch nicht im Vortragssaal gesehen. Ich kam als letzte und hatte einen ziemlich guten Überblick. Und wenn sie während des Vortrags durch die Tür gekommen wäre, hätte sie jeder bemerkt, auch wenn alle, so wie ich, die Augen geschlossen hatten. Durchs Fenster ist auch niemand gekommen, das hätte die Spurensicherung festgestellt. Also ich glaube auch nicht an den Selbstmord, aber daran, dass es nur einen Täter gibt“, Susanna hob bedauernd ihre Schultern, „und nun bin
ich mit meiner Weisheit am Ende.“ Hans Liebreich sah sie lange an. „ Heißt das, wir müssen wieder von vorne anfangen“, fragte er resigniert? Susanna versuchte, ihn zu beruhigen.“ Ich denke, wir wissen schon eine ganze Menge, nur, wie die Teile zusammenpassen, haben wir noch nicht erkannt. Uns fehlen immer noch die Verbindungen.“ Liebreich stimmte ihr zu. „ Was schlagen sie vor, wie wir weiter vorgehen?“ „ Tragen Sie alle Informationen über die Opfer, ihre Freunde und Angehörigen zusammen, die Sie kriegen können. Die kompletten Berichte der Spurensicherung brauchen wir auch, ach ja und die Liste der Anrufe
und Gespräche die Betty, seitdem sie hier war, geführt hat. Ich möchte nochmal in die Zimmer von Bernd Herrmann und Betty gehen. Ich komme dann in die Polizeistation.“ Der Inspektor nickte und fuhr davon. Zum Glück sind die Straßen wieder frei, dachte er. In seinem Büro angekommen, gab ihm der diensthabende Polizist zwei Zettel. Den ersten gab er ihm wortlos. Auf diesem stand: die Mutti hat angerufen, sie bittet um Rückruf; den anderen Zettel gab er ihm mit den Worten. „ - Wismar – hat angerufen. Da Ihr Onkel in Berlin auf Dienstreise ist, hat Kriminalhauptkommissarin Ritter die Leitung. Sie bittet, dass Sie sie auf
dem Laufenden halten. Das Kommissariat wäre mit Vorbereitungen für einen Staatsbesuch beschäftigt und könnte niemand entbehren. Sie versicherte, dass Sie vollstes Vertrauen zu Ihnen hätte und Sie sie jederzeit anrufen könnten, wenn Sie ihren Rat oder Hilfe benötigen.“ Der Inspektor wusste was das eigentlich hieß: Ruft bloß nicht an, wir haben wichtigeres zu tun. Zeigt mal was ihr könnt. Schade, dachte er. Liebreich hatte gehofft, Katharina Heinrich zu treffen. Seit der letzten Begegnung musste er öfter an sie denken und hatte sich schon auf ein Wiedersehen mit der jungen Kriminalkommissarin gefreut. „Auch
gut“, erwiderte er etwas zerknirscht, „dann klären wir die Morde eben alleine auf. Onkel Hinrich wird staunen, wenn er zurückkommt. Also Sörensen, an die Arbeit. Schon Ergebnisse von der KTU? Ich bin froh, dass man uns wenigstens die zur Unterstützung geschickt hat“, sagte er. Sörensen gab Liebreich den Bericht der kriminal-technischen Untersuchung über Bernd Herrmann. „Dieser ist nun vollständig, Hermann wurde betäubt. Der Einstich ging direkt in die Halsschlagader. Ihm wurde Ketamin, in dieser Dosis sofort tödlich, gespritzt. Lähmt das Herz. Da wollte einer aber ganz sicher gehen. Ich dachte, damit betäubt man Nashörner?“
Er lachte. Der strenge Blick seines Chefs ließ in fortfahren. „Der Bericht von der Selbstmörderin liegt noch nicht vor. Da wissen sie nur, dass die Tatwaffe eine Rasierklinge gewesen ist. Wenn Sie mich fragen, eine typische Selbstmörder-Waffe.“ Liebreich überhörte den letzten Satz Sörensens. " Und weiter, ist das alles.“ „Bisher schon, aber der komplette Bericht des Gerichtmediziners liegt noch nicht vor. Es deutet jedoch nichts auf einen Kampf hin, keine Spur eines Einbruchs oder Eindringlings. Damit scheidet Raubmord aus.“ Hier endete Sörensens mündliche Ausführung; für ihn war eh alles klar. Er legte die Berichte auf Liebreichs
Schreibtisch und verließ den Raum. „Sind meine angeforderten Unterlagen aus Berlin über den Unfall angekommen, rief der Inspektor hinter ihm her. „ Ja vorhin, sie sind im Karton hinter Ihnen.“ Hans Liebreich griff hinter sich, nahm die Akten und breitete sie vor sich auf dem Schreibtisch aus. Ne‘ Menge Material dachte er, aber fangen wir erst mit dem unangenehmen an. Er griff nach dem Telefon und wählte die Nummer seiner Mutter. Sie hielt ihm die erwartete Standpauke; er hatte die Theatervorstellung vergessen. Sein Einwand, dass er einen dringenden Fall zu bearbeiten hatte und der Hinweis auf das Schneechaos, zählten nicht. Er gab
resigniert auf und versprach am nächsten Sonntag zum Essen zu kommen. Es ist immer dasselbe, dachte er, sie will einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht mehr bei ihr wohne. Er wand sich nun den Akten auf seinem Schreibtisch zu und hatte den Knatsch mit seiner Mutter bald total vergessen. Susanna stieg die zwei Treppen zu Bettys Zimmer hinauf. Vom Empfang hatte sie die Schlüssel bekommen, ebenso für Bernd Herrmanns Zimmer. Sie entfernte das Absperrband und ging hinein. Das Blut war immer noch zu
sehen. Es war aus der Dusche geflossen und vom Teppich aufgesogen worden. Susanna ging zum Kleiderschrank. Bettys Sachen waren alle noch da. Die Kleider hingen alle sauber auf dem Bügel; die Fächer waren gefüllt mit Pullover, T-Shirts, Unterwäsche und Accecoirs. Alles war ordentlich zusammengelegt. Hier sah es ganz anders aus, als im Raum selbst. Der Schreibtisch war mit Papieren überfüllt, dazwischen war Bettys Laptop. Susanna zog sich Handschuhe an und klappte ihn auf. Der Bildschirm war dunkel, aber es war nur der Ruhezustand. Susanna drückte die Leertaste und der Bildschirm erwachte. Das hatte sie gehofft. Sie
suchte im Verlauf die letzten Dateien die Betty bearbeitet hatte. Es gab eine Datei Bernd Herrmann. Susanna öffnete sie und las. Es war die ganze Geschichte, die Bernd Herrmann in der Talkshow berichten wollte. Auch, dass er vermeintlich das Unfallfahrzeug mit dem Aufkleber hier auf dem Parkplatz der Rehaklinik gefunden hatte. Er kenne nur noch nicht den Namen des Besitzers, aber das wäre nur eine Frage der Zeit, behauptete er. Susanna rief Inspektor Liebreich an. Sie erzählte, was sie gefunden hatte. Er war wütend, dass die Spurensicherung den Laptop nicht untersucht hatte; andererseits war es ein Glück, denn dadurch lief er noch. „Ich
schicke jemanden rum. Wir werden den Laptop auswerten.“, sagte er, „ vielleicht gibt es noch weitere aufschlussreiche Dateien.“ Susanna wollte die Zeit bis zum Eintreffen des Kriminaltechnikers nutzen und sich weiter umsehen. Das Zimmer machte einen unordentlichen Eindruck, das passte nicht zum Inneren des Kleiderschranks. Es kam ihr so unrealistisch vor. Betty war nicht der Typ, so ein Chaos im Zimmer anzurichten. Es sah eher aus, als ob dort etwas gesucht wurde. Es war jemand hier; sie war sich sicher. Was hier wohl gesucht wurde, fragte sie sich? Sie wurde in ihren Überlegungen
unterbrochen, der Polizist trat ein. „Der Ehemann der Toten ist hier, er will in das Zimmer. Was meinen Sie, darf er?“ Warum fragt er mich, dachte Susanna? „ Rufen Sie den Inspektor an und fragen nach“, riet sie ihm, “ich spreche solange mit dem Herrn.“ Draußen auf dem Flur stand Bettys Gatte. Er wirkte nervös, seine Hände hatte er in seinen Jackentaschen, seine Stimme war rau, als er sie ansprach. „Können Sie mir sagen, was mit meiner Frau passiert ist? Am Empfang wollte man mir nichts sagen und der Polizist hier vor der Tür hüllt sich in Schweigen.“ „ Hat man Sie angerufen“, fragte Susanna ohne auf seine Frage einzugehen? „ Nein, ich bin
gerade angekommen und wollte Betty überraschen. Was ist los, wo ist meine Frau“? Susanna war erleichtert nicht antworten zu müssen, denn der Polizist erschien. Er hatte mit dem Inspektor telefoniert. „ Herr Lindner, mein Chef, Inspektor Liebreich, bittet Sie auf die Polizeistation zu kommen. Dort werden Sie alles weitere erfahren. Ich bringe Sie hin.“ Susanna folgte den Beiden, sie wollte nichts verpassen. Besonders die Reaktion und die Aussage des Ehemanns interessierte sie brennend. Sie glaubte ihm nicht, dass er völlig ahnungslos erst heute angekommen war. Sie war sich sicher, dass Betty auf seinen Anruf gewartet hatte, als Bernd Herrmann
ermordet wurde. Die Aussage von Bettys Ehemann brachte erst mal gar nichts. Er behauptete, nichts zu wissen und blieb dabei gerade erst angekommen zu sein. Als er Betty anrief, wäre er noch im Studio gewesen. Es gab dort eine Besprechung, an der er als Bettys Manager teilnahm. Nachdem alle gegangen waren, rief er seine Frau aus ihrer Garderobe an. Die Enttäuschung war Beiden ins Gesicht geschrieben. Susanna schüttelte
ihren Kopf und bemerkte: “Wir müssen irgendetwas übersehen haben. Es ergibt alles keinen Sinn. Vielleicht sind wir auf einer ganz falschen Spur. Fangen wir am besten noch einmal von vorne an und gehen alle Notizen noch einmal durch.“ Seufzend gab der Inspektor ihr Recht. Das Zimmertelefon schreckte Susanna aus dem Schlaf. Sie sah auf ihre Uhr – 6:30. Wer wollte etwas so früh am Morgen von ihr? „ Ja bitte“, meldete sie sich. „ Guten Morgen Frau Borchard, hier ist Doktor Winter, Ihr betreuender Kurarzt. Entschuldigen Sie die frühe
Störung. Bitte kommen Sie noch vor dem Frühstück bei mir vorbei, es ist wichtig.“ Bevor Susanna antworten konnte, hatte er aufgelegt. Sie beeilte sich, sich anzuziehen und hastete hinunter in den ersten Stock. Hoffentlich haben die nichts Ernstliches bei meinen letzten Untersuchungen gefunden, dachte sie und war beunruhigt. Hans Liebreich saß die ganze Nacht über seinen Notizen. Was hatten er und Susanna bloß übersehen. Er ging in die Küche und brühte sich eine Kanne Kaffee. Er wollte unbedingt wach
bleiben. Er hatte nur herausgefunden, dass die Polizei den Namen des Freundes von Bernd Herrmann ermitteln konnte, Hans-Georg Neuhammer. Bei dem Namen Neuhammer läutete eine Glocke in seinem Kopf. Wo hatte er den Namen gelesen? Es war erst kürzlich. Die Küchenuhr zeigte Zehn nach Sieben. Er überlegte, ob Susanna schon wach wäre und griff nach dem Telefon. Gerade wollte er die Nummer der Klinik wählen, als er einen Anruf erhielt. Er kam aus der Klinik, es war aber nicht Susanna, sondern der stellvertretende Chefarzt Dr. Winter. Dieser bat ihn sofort in die Klinik zu kommen, er hätte beunruhigende
Nachrichten. Als der Inspektor bei Dr. Winter eintraf sah er zu seinem Erstaunen Susanna. Sie saß dem Arzt gegenüber und war sehr blass. Er erschrak, hatte sie schlechte Nachrichten über ihren Gesundheitszustand bekommen, dachte er? Aber dann verwarf er diesen Gedanken, denn warum sollte er dann kommen. „Bitte Herr Inspektor, nehmen Sie Platz“, Dr. Winter deutete auf einen Sessel neben Susanna. „ Ich muss mich nochmals entschuldigen für den frühen Anruf, aber ich konnte nicht warten.“ Er
setzte seine Brille auf und schob nervös einen Aktenstoß von der linken auf die rechte Seite seines Schreibtischs. „Als stellvertretender Chefarzt bin ich unter anderem für die Verwaltung der Patientenakten zuständig. Wenn Todesfälle auftreten, muss ich die Unterlagen der Toten für die Gerichtsmedizin bereit legen. Gestern Nachmittag stellte ich jedoch fest, dass die Unterlagen der kürzlich Verstorbenen fehlen. Ich wies meine Mitarbeiter an nochmals gründlich zu suchen, aber die Akten von Herrn Herrmann und Frau Lindner blieben verschwunden.“ Dr. Winter blickte den Inspektor und Susanna lange an. Beide
ahnten, dass das noch nicht alles war. „Von gestern Abend an bis heute früh habe ich dann die gesamte Registratur nach den Akten der noch anwesenden Patienten geforscht. Ich wollte sehen, ob es nur Zufall war, dass ausgerechnet diese Akten fehlten, oder nicht.“ Er machte wieder eine Pause fuhr dann aber fort:“ Es sind alle Akten bis auf Eine da“, er sah Susanna lange an und mit einem ernsten Unterton sagte er dann:“ Alle bis auf Ihre, Frau Borchard.“ „ Was soll das heißen?“ Susanna sah verdutzt zu den beiden Männern. „ Verstehe nicht, was das Fehlen meiner Akte mit Allem hier zu tun hat?“ Hilflos suchte Ihr Blick eine Antwort in den Gesichtern
der Männer zu finden. Es herrschte eine Stille in dem Raum, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören. Als Erster ergriff der Inspektor das Wort: „Dr. Winter, Sie haben die Akten doch aus Unterlagen der überweisenden Kliniken zusammen gestellt und hier sind bestimmt die Berichte der Therapeuten noch vorhanden. Können Sie mir daraus Kopien der fehlenden Akten erstellen? Ich weiß, das kostet Zeit, aber wir haben keine.“ Der Arzt nickte dem Inspektor zu. „Meine Mitarbeiter und ich werden sofort beginnen“, versprach er. Schweigend gingen Liebreich und
Susanna in die Cafeteria. Es war noch leer dort, da die meisten Patienten beim Frühstück im Speisesaal waren, oder schon Anwendungen hatten. Sie hatten sich einen Kaffee geholt und gingen ins hinterste Eck. Susanna war dem Inspektor dankbar, dass er sie bis jetzt nicht angesprochen hatte. Sein Schweigen gab ihr Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Warum war auch ihre Akte verschwunden? Das Verschwinden der Akten der Opfer ließ sich bestimmt erklären, aber ihre Akte? Was wollte der, oder die Täter mit ihren Unterlagen? „Susanna“, der Inspektor griff ihre Hand. „Wir werden das Rätsel lösen und ich passe auf sie auf. Haben
Sie keine Angst, aber bitte gehen sie vorerst an keine dunklen, oder einsame Orte bis ihr Mann ankommt. Obwohl ich nicht glaube, dass sie in direkter Gefahr sind. Wir müssen nur vorsichtig sein, und sie sollten keine schlafenden Hunde wecken. Ich gehe jetzt zurück zur Polizeistation. Herr Lindner, soll heute Vormittag noch einmal vorbeikommen um einige Sachen zu identifizieren. Das will ich nicht dem alten Sörensen überlassen. Nach der Mittagspause bin ich wieder da“. Liebreich stand auf und verließ die Cafeteria. Susanna sah ihm nachdenklich hinterher. Er hat Recht, dachte sie, ich muss einen normalen Tagesablauf hinbekommen, auch wenn
es schwer fällt. Aber aufgeben werde ich nicht. Ich weiß, dass ich bezüglich Betty Recht hatte. Susanna war sich sicher, dass sie und Liebreich bald das Puzzle zusammensetzen konnten. Es war kein Selbstmord, aber wo war das Motiv für beide Morde. Die Anwesenheit eines Serienmörders erschien ihr unwahrscheinlich, aber ausschließen wollte sie zu diesem Zeitpunkt nichts. Susanna verließ die Cafeteria, holte ihren Anwendungsplan aus ihrem Zimmer und markierte einige Namen, die sie ausfragen wollte. Ihr nächster Termin war „Nordic
Walking“ mit Bruno. Mal sehen, was ich aus ihm heraus bekomme. Schließlich gab er Betty in den Abendstunden Therapien privater Natur, wie sie sich ihr gegenüber ausgedrückt hatte. Doch Susanna wartete vergebens auf Bruno, statt seiner erschien Tim Matthies. „ Herr Markwald hat sich den Fuß verletzt“, verkündete er der wartenden Gruppe, „ ich vertrete ihn für heute. Morgen bekommen sie neue Pläne mit den geänderten Zeiten für die Anwendungen, die eigentlich Herr Markwald durchführt, da seine Verletzung länger anhalten wird“. Als sie los liefen, versuchte Susanna in die Nähe von Tim zu kommen. Sie wollte
erfahren, wie sich Bruno verletzt hatte. „ Hallo Tim, ich hoffe, Brunos Verletzung ist nicht so schlimm? Wie konnte das passieren, er war doch immer so sportlich?“ „Ich weiß auch nichts Näheres Frau Borchard, nur was uns mitgeteilt wurde in Bezug auf den Unfall. Sein Knöchel soll angebrochen sein.“ „Autsch, da muss er aber sehr ungeschickt gelaufen oder gesprungen sein.“ Susanna grinste ihn an und Tims Gesichtsausdruck sprach Bände. Bruno war eben äußerst beliebt bei seinen Kollegen. Als sie wieder zurück waren lief sie sofort auf ihr Zimmer und rief Hans
Liebreich an. Sie unterrichtete ihn über die neuesten Ereignisse. Liebreich spürte sofort, dass Susanna eine Theorie zu Brunos Unfall hatte. „Also Susanna, was denken Sie, wie es zu dem Unfall kam?“ Die Antwort sprudelte nur so aus Susanna heraus. „ Bruno war am Abend vor Bettys Tod in ihrem Zimmer für eine Privatanwendung. Ich behaupte immer noch, dass Bettys Mann schon früher da war. Vielleicht kam er an, als Bruno bei Betty war. Bruno blieb nichts anderes übrig als zu verschwinden. Bettys Zimmer ist in der ersten Etage mit Fenster zur Düne. Das war vielleicht Brunos Fluchtweg. Er kletterte hinaus, sprang und kam vielleicht auf einen Stein
im Sand auf. Das erklärt zumindest die Verletzung.“ „ Herr Lindner ist noch hier, Susanna. Ich werde ihn noch einmal eingehend befragen. Sein Alibi ist wackelig, aber bisher kann ich ihm keine Lüge nachweisen. Wir sprechen uns heute Nachmittag wieder, ich habe noch andere Neuigkeiten.“ Liebreich legte auf und ging wieder ins Besprechungszimmer, wo Bettys Mann auf ihn wartete.