Lieber Leser!
Diese Geschichte entstand im Rahmen eines Storybattles mit dem Thema:
„Deine Bestimmung“
Viel Spaß beim Lesen!
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Diese wahre Geschichte spielte sich in einer längst nicht mehr existierenden Küche im damaligen Gutsschloss ab. Alle genannten Individuen sind nicht erfunden.
Beteiligte Personen (lateinische Bezeichnung in Klammern):
Ich (Erzählus Kochus)
Herr Exner (Übus allus Meckus)
Thomas (Chefus)
Und diverse Nebenfiguren
Auszug aus einem Tagebuch des Erzählers
„Wie Herr Exner ausgesehen hat, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass seine Gestalt, seine ganze Aura, herrschsüchtig, streng, aber auch gerecht strahlte. Manchmal sogar sehr liebenswürdig, wobei man dann nicht wusste, ob es ehrlich gemeint war, oder eher geheuchelt.
Herr Exner spielte eine große Rolle im Gutsschloss, das zur damaligen Zeit als Lehrlingswohnheim der angehenden Schweine -und Rinderzüchter fungierte.
Ich arbeitete im unteren Bereich des Schlosses, in dem die Küche des Volkseigenen Gutes lag.
Wir bekochten einen Kindergarten und etwa 250 LPG’er mit Mittagessen. Abends und morgens wechselten wir uns noch ab, den anwesenden Lehrlingen ein Frühstück beziehungsweise Abendbrot zu kredenzen. Wir, das waren die Küchenfrauen, die unermüdlich alles schälten, was wir Köche, Thomas, mein Chef, und ich, der Koch, benötigten. Schließlich sollte jeder der Mittagessler für ihre paar Piepen ein anständiges, sättigendes Mittagessen bekommen. Und schmecken sollte es natürlich jedem, was eigentlich unmöglich ist. So versuchten wir einen Schnitt zu erreichen, sodass der Großteil der Teilnehmer zufrieden weiterarbeiten konnte.
Für alle Abweichungen gab es schließlich, wie allgemein üblich, Salz und Pfeffer auf den Tischen.
Herr Exner hatte die ganze Zeit über, an der er am Mittagsessen teilnahm, immer was zu meckern. Wahrscheinlich war es bei ihm schon eine Art guter Ton, meckern zu müssen, auch wenn es nichts zu meckern gab. Vielleicht machte er es, um präsent zu sein, um von sich reden zu machen. Damit wir ihn nicht vergaßen und – damit wir unser Bestes gaben, das Mittagessen zu einem Schlemmerli zu machen. Doch wir konnten kochen wie wir wollten, kaum war der Exner fertig, ging das große Meckern los.
Selbst wenn es je ein Lob von ihm gab – es ging irgendwie in seiner ganzen Meckerei unter. Und die ging uns Köchen irgendwann so auf den Senkel, dass wir beschlossen, ihm auch einen Grund für sein Gemecker zu liefern! In diesem Fall beschloss das Küchenkollektiv aus dem Leitspruch „Viele Köche verderben den Brei“ hinauszuschlüpfen und unsere eigene, verbesserte Version zu liefern. Etwas gaaaanz Besonderes, etwas Schmackhaftes mit Schmackes, an das wir uns gerne erinnern würden, der Exner aber nicht. Aber auch wieder so, dass er es nicht merkt.
Schnell war der Plan gemacht. Es sollte Schnitzel mit Mischgemüse (das scheinbare
Standardgericht ostdeutscher Bauernmahlzeiten), Soße und Salzkartoffeln geben, dazu als Kompott irgendein Pudding. Nun ging es los. Schnitzel schneiden, klopfen, würzen, braten. Um das Mischgemüse ging es nicht, auch nicht um die anderen Beilagen. Wichtig waren die Schnitzel! Besonders eines davon. Das für den Exnerknilch! Es sollte nicht irgendein Schnitzel sein. Also …
Thomas hatte DIE Idee. Die einstimmig von allen Mitwissern übernommen wurde. Es gab ja im Osten solche grauen Wischlappen aus scheinbar zusammengeklebten Flusen.
Diese Lappen eigneten sich hervorragend,
Verschüttetes auf – beziehungsweise breitzuwischen. Also sehr saugfähig. Das kam uns zugute. Thomas schnitt ein Stück eines saubergewaschenen und gut ausgewrungenen Wischlappens informe eines Schnitzels heraus und legte es für einige Zeit in die Panade für die Schnitzel, damit sich der Stoff vollsaugen konnte. Denn das Schnitzel sollte ja auch schmecken! Dann panierte ich es und briet es gar (wobei es nicht einfach schien, einzuschätzen, wann ein derart präpariertes „Schnitzel“ seinen Garpunkt erreicht hat) nachdem alle anderen Schnitzel fertig waren. Schließlich war es von nun an nicht leicht, das besondere Schnitzel von den anderen zu unterscheiden.
Dann kam die Zeit der Mittagausgabe.
Wie immer stand schon eine Schlange fressgieriger Mäuler vor dem Ausgabefenster und langte gierig nach den vollgeschaufelten Tellern, dabei immer schön aufpassend, dass ihr Schnitzel nicht kleiner ausfiel, als das des Vordermannes, der gerade seinen Teller zum Essensraum balancierte. Ich stand ganz vorne, natürlich bei den Schnitzeln. Das „echte“ Schnitzel sortierte ich in dem Moment unauffällig in die echten Schnitzel, als der Meckerexner zu sehen war. Dann stand er grummelig wie immer da. Ein Anflug von Lächeln zuckte über sein Gesicht, als er sein Schnitzel sah, eben jenes Schnitzel, welches für ihn präpariert worden war.
Schließlich sah es größer aus als das der anderen, was uns den Missmut der anderen, hinter ihm stehenden Leute einbrachte. Aber nur kurz. Denn als sie erst ihr eigenes Schnitzel auf dem Teller hatten, und dieses nach oben verführerisch duftete, verflog der Neid. Der Exner balancierte sein „Schnitzel“ samt dem Teller zum Essensraum. Setzte sich dort wohl hin und aß. Dummerweise konnten wir ihn nicht dabei sehen, aber wir kringelten uns in Vorfreude auf das kommende Schauspiel vor Lachen, erst innerlich, und dann, nach der Essensausgabe, in der Kühlzelle schallend, da die Kühlzelle ziemlich dick gewandet war und somit also schalldicht. Es sollte ja niemand fragen, warum wir so lachten. Dann gingen wir wieder in die Küche
zurück, schließlich wollten wir uns das Gemeckere des Herrn Exners diesmal NICHT entgehen lassen.
Der kam dann auch etwas später und … lobte uns … Unfassbar! Er sagte, dass das Essen diesmal sehr gut geschmeckt hätte. Auch das Schnitzel wäre deliziös. Allerdings sei es etwas zäh gewesen.
Wir spielten die Zerknirschten und gelobten Besserung. Als er außer Sichtweite war, tat uns der Bauch vor Lachen weh. Dieses Wissen, gelobten wir uns, sollte nie jemals jemand erfahren. Bis heute sollte auch niemand erfahren, was sich damals wirklich abspielte.
So ein kleines Stück Wischlappen, was das für Auswirkungen haben kann, wenn man es zweckentfremdet. Wobei niemand wirklich genau weiß, ob es wirklich seine einzige Berufung war, immer nur aufzuwischen. Wobei es andererseits genau dies getan hat, nur eben in einem anderen Sinne als gedacht.
Und ob wir Besserung gelobten!
Streich gelungen, Ziel erreicht …!“