Luise Lernt zu Leben
Luise hatte ein großes Problem. Sie war in ihrer Kindheit sehr stark vernachlässigt und auch misshandelt worden. Dies blieb nicht ohne Folgen. Luise durfte in ihrer Kindheit keinerlei Kontakt zu anderen Kindern haben. Wie also hätte sie den sozialen Umgang mit anderen lernen sollen? Dass man sich jeden Tag waschen musste, hatte sie auch nur dadurch bemerkt, dass andere ihr, wenn sie es nicht tat, noch mehr aus dem Weg gingen als unter normalen Umständen.
Luise wollte niemandem etwas Böses, doch durch das, dass sie das soziale Verhalten nie
gelernt hatte war sie einfach anders als die anderen. Und wenn jemand anders ist als die anderen, nun, das weiß jeder der ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat, oder eine andere Hautfarbe, wie die Menschen des Landes in dem er lebt, dann hatte dieser Mensch Schwierigkeiten akzeptiert zu werden.
Für Luise war das auch ein bisschen ein innerer Widerspruch. Einerseits wollte sie gerne Freunde und Freundinnen haben, andererseits wusste sie aber irgendwie auch gar nicht was ein Freund oder eine Freundin ist. Wie also sollte sie wissen ob sie einen Freund oder eine Freundin haben wollte?
Luise überlegte sich, dass sie es ja einfach
einmal vorsichtig probieren könnte. Irgendwo draußen jemanden ansprechen, nein, das konnte sie auf keinen Fall. Es musste einen anderen Weg geben.
Als sie das nächste Mal einkaufen war sah sie bei den Zeitschriften eine Zeitschrift die ganz offensichtlich nur aus Anzeigen bestand. „Hmm,“ dachte sie, „das wäre eine Möglichkeit“ Und auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt arbeitslos war opferte sie ihr letztes Geld um diese Zeitschrift zu kaufen. Als sie zuhause war schaute sie sich die Anzeigen an, doch sie fand nur Anzeigen in denen jemand etwas kaufen oder verkaufen wollte. Da war sie doch sehr enttäuscht, doch gerade als sie die Zeitschrift auf die Seite
legen wollte, sah sie eine Seite über der ganz groß „Kontakte“ stand.
Also doch, es gab eine Möglichkeit eine Anzeige aufzusetzen und vielleicht könnte sie so erst einmal unverbindlich jemanden kennenlernen. Sie sah dass bei den Kontakten immer nach dem Text nur die Telefonnummer angegeben war. „Gut“ dachte sie, „Dann mach ich das auch so, und wenn mir jemand nicht passt ruf ich den einfach nie mehr an, und wenn derjenige anruft dann nochmal anruft beschimpf ich den um ihn loszuwerden oder lege einfach auf.
Luise schaute sich an wie das denn geht mit dem Anzeigen aufgeben, und da war sie
noch einmal mehr angenehm überrascht, denn die Aufgabe einer Anzeige mit Telefonnummer kostete gar nichts.
Luise rief sofort bei der Anzeigenannahme an und gab ihre Text auf
„Kuchen sucht Krümel zum Anbeißen“
Eigentlich fand sie das selber ziemlich doof, schließlich hieß es ja DER Kuchen und nicht DIE Kuchen, aber sie dachte wenn sie dazu schreibt dass sie w, 25 ist, dann wäre das nicht so dramatisch.
Nachdem die Anzeige angenommen war fragte Luise noch wann ihre Anzeige denn erscheinen würde, und sie freute sich sehr.
Denn es sollte schon in 2 Tagen, am Freitag, soweit sein.
Am Freitag traute sich Luise nicht mehr aus dem Haus, denn Anrufbeantworter gab es zu dieser Zeit in der die Geschichte spielt noch nicht, ebenso wenig wie Handys, und so saß Luise den ganzen Tag vor ihrem Telefon und hoffte dass es klingelte. Morgens kam kein Anruf, mittags kamen nur irgendwelche komischen Anrufe, von irgendwelchen Leuten die ins Telefon lachten oder stöhnten oder gleich wieder auflegten.
Abends allerdings änderte sich das, abends riefen viele Männer und Frauen an. Sie hatte vergessen in der Anzeige dazu zu schreiben
dass sie keinen Partner oder eine Partnerin suchte, sondern einfach nur Menschen um mit ihnen zu reden und um vielleicht mal etwas gemeinsam zu unternehmen.
Mittlerweile war es schon spät am Abend geworden und eigentlich wollte sie jetzt den Stecker vom Telefon ziehen und dann ins Bett gehen. Doch gerade als sie den Stecker schon in der Hand hatte klingelte das Telefon noch einmal und irgendetwas sagte Luise dass sie an diesen Anruf unbedingt noch gehen muss. Sie wusste selbst nicht warum, aber sie tat es. Und dann geschah etwas sehr merkwürdiges. Die Stimme der Frau die sich jetzt meldete kam Luise so vertraut vor als würde sie sie schon Jahrzehnte kennen.
Sie erzählte dieser Frau alles, aber auch wirklich alles. Am Ende dieses Telefonats, das immerhin fast 9 Stunden gedauert hatte wusste die Frau am Telefon weit mehr von Luise als alle anderen Menschen in Luises Umfeld zusammen.
Nach so einem vertrauten 9-stuendigen Telefonat gab es nur eine Möglichkeit. Sie mussten sich treffen. Schon am nächsten Tag trafen sich Luise und die Frau, von der sie jetzt wusste dass sie Tina heißt. Irgendetwas hatte Tina an sich was man nicht erklären konnte. Obwohl Luise normalerweise große Angst vor Menschen hatte, weil sie einfach nicht wusste wie sie damit umgehen sollte, bei Tina war das anders.
Tina schaffte es sogar, dass Luise so stark Vertrauen zu ihr fasste dass Luise alles hätte stehen und liegen lassen nur um ein Treffen mit Tina wahrnehmen zu können.
Tina war schon irgendwie seltsam. Je mehr Luise Tina kennenlernte umso mehr Fragen hatte Luise, die sie Tina dann auch fragte, aber auf die sie nie eine Antwort bekam.
Tina war auch in der Lage Luise einen Großteil ihrer Ängste zu nehmen. Nicht alle, aber sie hatte gewissermaßen einen Samen in Luise Seele gelegt und je mehr die Pflanze aus diesem Samen wuchs umso weniger Angst hatte Luise.
Luise fragte sich allerdings warum es in der Wohnung von Tina keinerlei Spiegel gab, warum Tina ganz eindeutig ein bisschen in die Zukunft sehen konnte. Sie wusste immer wo ein Parkplatz frei war, und sei es in einer absolut fremden Stadt. Und nicht nur das.. Sie wusste auch genau die Marke und die Farbe der Autos zwischen denen sie parken würden. Irgendwie fand Luise das einerseits ein bisschen gruslig. Andererseits war Tina der erste Mensch zu dem sie Vertrauen hatte und den sie einfach toll fand.
Luise bewunderte im besonderen Tinas Fähigkeiten in die Zukunft zu sehen, und so sagte Luise eines Tages zu Tina: „Bewirb
Dich doch bei dieser Sendung in der es um Wetten geht…Du kannst doch besser in die Zukunft sehen als alle anderen“ Tina antwortete: „Das kann, darf und will ich nicht“ Jetzt war Luise noch mehr irritiert als zuvor. Was hatte hier das „darf“ zu suchen? Tina war doch ihr eigener Mensch. Sie konnte doch tun und lassen was sie wollte, oder etwa nicht? Daher sagte Tina: „Wie meinst Du das?“ Daraufhin sagte Tina: „Du wirst es verstehen, wenn es an der Zeit ist“ und wechselte dann schnell das Thema und Luise merkte sehr genau dass Tina darüber nicht sprechen wollte.
Einige Jahre hatten Luise und Tina eine Freundschaft, wie man sie sich nur wünschen
kann, doch eines Tages war Tina plötzlich verschwunden. Luise fuhr sogar in das Dorf in dem Tina gelebt hatte um sie zu suchen, doch niemand schien sie gekannt zu haben. Auf dem Friedhof fand sie kein Grab von ihr. Kurz, Tina war wie vom Erdboden verschluckt.
Luise war darüber sehr traurig und ihr liefen Tränen über die Wangen. Irgendwann blickte sie für einen Moment nach oben und da sah sie wie sich Wolken zu einem Satz formten:
„Ich bin es, Tina, ich bin ein Engel, und es war meine Bestimmung Dir einen ersten Weg zurück ins Leben zu zeigen. Ich werde Dich nie vergessen, ich hoffe Du mich auch nicht“
Irgendwie hatte es Luise ja schon geahnt,
nun wusste sie es, Tina war wirklich ein Engel gewesen, und sozusagen sogar ihr ganz persönlicher. Auch wenn Tina jetzt nicht mehr der Erde war, nach diesem Satz in den Wolken wusste sie dass Tina immer auf sie aufpassen würde und sie sich eines Tages im Himmel wieder treffen würden.
Es dauerte noch einige Zeit bis der Samen den Tina in Luises Seele gelegt hatte richtige Blüten trug,
und ganz so wie die anderen wurde sie auch nie, aber sie konnte doch ganz gut damit leben, im Besonderen weil sie wusste dass ein Engel höchstpersönlich auf sie aufpasste