Das war zu viel für sie. Auf der Stelle kehrte sie wieder um und lief nach Hause. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, schossen die Tränen aus ihren Augen. Vor einiger Zeit hatte sie beschlossen, die Beziehung zu beenden, um sich mit anderen zu treffen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie verachtete ihre Schwester, wegen ihren häufig wechselnden Männerbekanntschaften. Fast jede Nacht hatte sie einen anderen in ihrem Bett. Nun war sie, wie ihre Schwester. Nichts Anderes und nichts Besseres.
Wie konnte das nur passieren? Sie war nicht, wie sie. Oder doch? Schließlich waren sie Schwestern. Und so weit sie erfahren hatte, waren ihre Mutter und ihre Großmutter auch keine keuchen Damen. Es tat ihr weh, als sie ihn mit der Anderen gesehen hatte. Sie sahen so glücklich aus. Eigentlich wollte sie zu ihm gehen und ihm sagen, das sie die Trennung zutiefst bereute und rückgängig machen wollte. Dann sah sie sie. Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte sie ihr auch gefallen. Sie war sehr hübsch, mit einem ansteckenden Lächeln. Mit ihr konnte sie nicht mithalten. Zumindest nicht in diesem
Universum. Wie blöd war sie gewesen. Die Jahre, mit ihm, zogen wie ein Film vor ihrem geistigen Auge vorbei. Sah noch einmal, wie er fröhlich vor sich her pfiff, während er in der Küche stand und ein Mittagessen zauberte. Nicht immer gelang es ihm. Manchmal nahm er zu viel Salz. Eine alte Weisheit sagt ja auch, wenn das Essen versalzen ist, muss der Koch verliebt sein. Und das war er auch. Immer wieder hatte er es ihr bewiesen. Nicht nur mit zu viel Salz im Essen. Auch mit kleinen Geschenken. Fast immer traf er genau ins schwarze. Aber immer überraschte er sie. Und was hatte sie für ihn getan? Ein, zweimal hatte sie ihm ein Geburtstagsgeschenk
gegeben. Ansonsten hatte sie ihm jedes mal den Geburtstag versaut, in dem sie sich lieber mit anderen getroffen hatte. Vergaß, das er Geburtstag hatte. Wie viele Jahre hatte sie gebraucht, bis sich sich das Datum endlich gemerkt hatte. Er hatte zu ihr gesagt, das sie ihm nichts schenken brauchte. Hauptsache, sie war bei ihm. Aber das war sie nicht. Und da er nie feierte, verbrachte er den Tag ganz alleine. Er hatte es ihr nie vorgeworfen, oder ihr eine Szene gemacht. Aber die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wie eiskalt sie doch zu ihm gewesen war. Dabei hatte er sich stets sehr viel Mühe
gegeben. Sie erinnerte sich, wie er um sie gekämpft hatte. Ihm war es egal gewesen, das sie schon einen Neuen hatte. Er wollte sie wieder und sie zeigte ihm die kalte Schulter. Nicht nur einmal. Nun war es an der Zeit, das sie anfing um ihn zu kämpfen. Jetzt, wo sie sich sicher war, das die Trennung der größte Fehler gewesen war, den sich je gemacht hatte. Sie hatte sich genug ausgetobt. Erfahrungen, auf die sie, im Nachhinein, gern verzichtet hätte. Was empfand ihre Schwester dabei? Anfangs war es vielleicht nur prickelnd. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, es waren alles nur Männer. Gleicher anatomischer
Aufbau. Der Eine war vielleicht mehr bestückt, als der Andere. Aber im Grunde... Was hatte sie eigentlich vorzuweisen? Welche Vorzüge hatte sie? Wie konnte sie ihn wieder für sich zurück gewinnen? Was war es gewesen, weshalb er sich in sie verliebt hatte? Sie liebte ihn, weil er ein liebevoller Mann war. Ein richtiger Mensch mit Macken und allem drum und dran. Er sah seine Fehler ein. War stets bemüht, ihr es Recht zu machen. Und sie? War es nur ihr Aussehen gewesen? Das konnte es nicht sein. Sonst hätte er sich schon beim ersten Augenblick in sie verliebt und sie wären eher zusammen gekommen.
Also musste es etwas anderes sein. Aber was? Nur damit hatte sie eine Chance, wieder mit ihm zusammen zu sein.