Frühlingsspaziergang mit Willy
Die Gardine im Haus wackelt, als ich die Autotür zuschlage. Am Fenster erscheint ein schwarzes Schnäuzchen. Willy hat das Haus bewacht wie jeden Tag.
Nun fliegt er vor Freude fiepend mir entgegen, kaum, dass ich die Haustür öffne.
„Ja, mein Junge, du warst brav.“ Na, ganz so brav wohl doch nicht, die Schlafzimmertür steht offen, Katze Nala beherrscht das Türöffnen perfekt, und Willy hat den kleinen Teddy erbeutet und nach Raubtiermanier begonnen, ihn auszuweiden. Lauter weiße Fusseln schweben durch den Hausflur. Ach, was soll`s.
Ich ergreife die Hundeleine, schon stürmen wir los, in diesen späten Frühlingsnachmittag hinein. Der Nachbar ist nicht zu sehen. Willy verharrt kurz und beschnuppert die Stalltüre, hinter der die Kiste mit den Hundekeksen steht. Pech gehabt, heute fällt die Vesper für ihn aus.
Weiter stürmen wir ganz in Junghundmanier zwischen den Häusern hindurch auf die alte Betonstraße. Ein kurzes Kommando: „Sitz!“, welches Willy nur zu gern befolgt. Danach ist er frei und auf „Voraus!“ überspringt er den kleinen Wassergraben und rast über das große Rapsfeld. Die Mäusebekämpfung ist schwierig geworden dank zahlreicher Umweltauflagen und Interventionen der Grünen.
Das erfreut die Mäuslein, die sich ungehemmt vermehren können und bald zur Plage werden, es teilweise auch schon sind. Doch Willy freut das ebenfalls Er eilt hin und her. Welches ist das beste Loch zum Buddeln? Ich rufe, doch Willy hat zugeknöpfte Schlappohren.
Hinter mir versinkt langsam die Sonne in einem blutroten Bett. Morgen wird auch wieder ein schöner Tag.
Willy ist nach wie vor mit den Mäusen beschäftigt, und der Schlag ist zu groß, um ihm nachzulaufen. Ich weiß, ich bin inkonsequent und mach einen Fehler. ich gehe trotzdem weiter und genieße für mich allein die kühle klare Abendluft und das Rot der untergehenden Sonne. Diesem Genuss
scheinen sich auch die Schwäne vom nahe gelegenen Stausee hinzugeben, 28 zähle ich. Tagtäglich finden sie auf dem Rapsschlag ihr Ruheplätzchen, heute schimmert ihr weißes Gefieder rosa wie das der Flamingos.
Rechts, auf der Wiese neben der Betonstraße grüßen mich neuerdings junge Bäume. „Conference“, „Alexander Lucas“, „Gute Luise“, „Prinz Albrecht“ lese ich auf den Schildchen sieh an, hier ist nach altem Vorbild eine Streuobstwiese entstanden.
Ich schreite zügig aus, laufe in Richtung der knorrigen alten Eichen, die den Querweg säumen. Hier biegen wir normalerweise links ab, Willy und ich. Nur heute ist kein Willy zu sehen. Hinter den Eichen ducken sich, schon halb verfallen, die einstigen Kälberställe des
Landwirtschaftbetriebes. Keine 10 Meter von hier, im Haupthaus, saßen wir jeden Freitag zusammen, wir Futterökonomen, um über die Versorgung unserer Tiere zu beraten. 3000 muhende Mäuler hatte ich satt zu bekommen, die anderen Genossenschaften hielten ähnlich viel Vieh. 4000 l Milch gab jede Kuh im Jahr, das ist nun ein viertel Jahrhundert her. Heute sind zwar 10.000 l pro Kuh keine Seltenheit mehr, doch in unserem Dorf gibt es kein Muhen mehr, auch kein Grunzen. Selbst private Hühner sehe ich auf meinen Streifzügen mit Willy sehr selten.
Als die Kinder klein waren, stand hinter unserem Haus jedes Jahr eine Mutterkuhherde. Die Kinder streichelten und liebkosten die Kälbchen.
Unsere Kinder sind jetzt längst aus dem Haus, und das Rindfleisch kommt inzwischen aus Polen oder Argentinien. Und mit den Rindern gingen die Schwalben, die sonst Jahr für Jahr unter unserem Dach nisteten.
Ich habe mir einen Zweig abgebrochen, nun muss ich mich doch um den Schlingel kümmern. Der Stock als Verwarnung vorgezeigt kann nicht schaden.
Da jagt auf der Betonstraße ein schwarzer Punkt dahin, wird schnell größer und schießt freudig an mir vorbei. „Willy, hier!“ Sofort kommt er und setzt sich, argwöhnisch auf die Gerte schielend, an meine linke Seite. „Fuß“ Wir laufen noch eine Runde um das nächste Rapsfeld. Mit schnarrenden Lauten fliegt ein
Graureiherpaar über unsere Köpfe, wenig später lassen sie sich bei einer Reihergruppe auf dem Feld nieder. Auch ihr Zuhause ist der Quitzdorfer Stausee.
Schneller als erwartet bricht die Dunkelheit herein, die Eichen als stumme Wächter sind nur noch schemenhaft auszumachen. In ihren Wipfeln jammert ein Käuzchen, ein schauriger Gegensatz zum Pfeifen der Reiher vorhin.
Willy schmiegt sich an mein Bein. Ich lobe ihn: „Braver Hund.“ Gelernt ist eben gelernt, auch wenn Mäuse manchmal interessanter sind für einen jungen Vierbeiner.
Das Käuzchen schickt uns seinen Nachtgruß hinterher. Ich atme nochmals entspannt die kühle Abendluft ein. Wie schön, dass ich
täglich dem Werden, Wachsen und Vergehen hier in der Natur begegnen darf.