Saß der weiße Mini auch richtig? Knapp genug war er ja. Und die Bluse mit den langen Kragenecken?
Tina drehte sich vor dem großen Spiegel ihres Kleiderschrankes, zog die weißen Kniestrümpfe noch etwas höher und angelte nach den Sandalen mit den dicken Sohlen. Ihre langen schlanken Beine kamen darin so recht zur Geltung. Perfekt. Selbstbewusst warf sie das lange Haar nach hinten. Ein letzter bewundernder Blick in den Spiegel, schon sauste sie die Treppe hinunter, ergriff das grüne Fahrrad und spurtete Richtung Schule.
Marion und Gabi erwarteten sie schon.
Gemeinsam wollten sie die Tische dekorieren, Schulbänke, welche die Jungen zu einer Festtafel zusammengestellt hatten. Teller, Tassen, Servietten, kleine Geschenke, Selbstgebackenes. Die Mädchen arrangierten alles perfekt. Bald würden die Gäste eintreffen, 5 junge russische Soldaten vom nahe gelegenen Flugplatz mit ihrem Offizier. Freundschaftsbesuch nannte sich das. Für die jungen Männer war es eher eine willkommene Abwechselung, ihrem kargen und harten Armeealltag zu entfliehen. Tina und ihre Freundinnen kannten die Bedingungen, unter denen die Soldaten ihre Zeit in der Garnison verbrachten. Sie hatten die
zugigen Baracken besichtigt, in denen sie untergebracht waren. Sie kannten auch die Zimmer der Offiziere, in denen diese mit ihren Familien lebten.
Der Betrieb, den Tinas Vater leitete, schenkte der Garnison einen Schwarz-Weiß-Fernseher, der einzige Luxus dort, der nun im Gemeinschaftsraum stand.
Während Tina noch Kaffee kochte und Schwarzen Tee brühte, fuhr das Armeeauto vor. Brav und ohne sichtliche Regung nahmen die Soldaten Platz. Tina und ihre Freundinnen boten Kuchen und Getränke an, ein DJ legte Platten auf. Mühselig kamen kleine Gespräche in Gang. Zu den Rhythmen der Beatles und
Bee Gees forderten die Mädchen abwechselnd die jungen Männer zum Tanzen auf. Marion reservierte sich den Offizier, Tina blickte neidisch zu ihr hinüber, den dunkelhaarigen schlanken Typen an ihrer Seite immer wider musternd. Schneller als erwartet verging der Nachmittag, bis zum nächsten Treffen würden einige Monate vergehen.
Als ihr Kumpel Arno 2 Tage später Tina bat, von der Schule aus einen der Soldaten anzurufen, er hätte sich in sie verliebt und wolle unbedingt wieder mit ihr sprechen, schüttelte Tina verblüfft den Kopf. „Nö, du, ich kann mich nicht erinnern. Das kann eigentlich nicht
sein.“ Arno musste da wohl was falsch verstanden haben. „Du warst das doch aber mit dem weißen Mini?“ Tina nickte. „Na, also, hab ich doch richtig verstanden.“
Tina sträubte sich. „Soll er doch lieber bei mir zu Hause anrufen.“ Unüberlegt hatte sie diese Aussage getroffen, nicht ahnend, was daraus folgte. Tinas Eltern waren in der glücklichen Lage, Mitte der 70er einen Telefonanschluss zu besitzen.
Am nächsten Abend klingelte das Telefon. „Für dich, der Flugplatz“, sagte Tinas Mutter vorwurfsvoll. Tina lief rot an. Am anderen Ende vernahm sie eine russische Stimme.
„Gallo, Franke“ Tinas Mutter meldete sich stets mit ihrem Nachnamen. Tina wurde es gleich noch heißer. Zudem verstand sie nur jedes 3. Wort, was ihren Gesprächspartner aber keineswegs zu stören schien. Wo war nur das Wörterbuch? Stockend und stammelnd überbrückte Tina so 5 Telefonminuten mitr dem Unbekannten.
„Wer war das?“ fragte die Mutter. Ihre Augen zogen sich zu katzenhaften Schlitzen zusammen. Tina zuckte wahrheitsgemäß die Schultern. Selbstverständlich glaubte ihr die Mutter nicht.
Am nächsten Tag wiederholte sich der Anruf, zwei Tage später abermals. Dann
ließ Tina sich verleugnen oder tat, als höre sie das Rufen der Mutter nicht. Der fremde Soldat aber gab nicht auf. Immer, wenn er Telefondienst hatte, und den hatte er ziemlich oft, wählte er die Nummer von Tina. Nun, jemand anderen kannte er ja vermutlich auch nicht.
Endlich nahte der lang ersehnte Tag. Ein erneutes „Freundschaftstreffen“ wurde organisiert und Tinas verliebter Anrufer sollte wieder mitkommen.
Voller Spannung warteten Tina, Marion, Gabi und Arno auf die Ankunft des Autos. Da, das schwere Fahrzeug bog Richtung Schulhof ein. 4 kleine Soldaten stiegen aus. Plötzlich lief einer strahlend mit ausgebreiteten Armen auf die kleine
Gruppe zu, schlang seine Arme um Tina Freundin Gabi und rief glücklich: „Sdrawstwui (Guten Tag) Franke!“
Die 3 Mädchen und Arno bogen sich vor Lachen und der junge Mann stand da, als hätte ihn eben der Schlag getroffen.
Auch nach Aufklärung des Missverständnisses klingelte noch manchmal das Telefon bei Tina, und am anderen Ende vernahm sie das inzwischen vertraute: „Gallo, Franke!“