Kurzgeschichte zum Karfreitag
Er geht die Straße entlang.
Er ist allein und auch wieder nicht.
Um ihn herum stehen Menschen.
Sie reden.
Sie rufen.
Aber sie sprechen andere Worte, sie rufen andere Parolen als vor ein paar Tagen.
Und auch der Klang ihrer Worte ist nicht der gleiche.
Aber er hört nicht richtig hin, er konzentriert sich voll und ganz auf seinen Weg.
Es ist kein leichter Weg, den er hier geht.
Aber er weiß, dass es der letzte Weg ist, den er gehen wird.
Unter seinen Füßen spürt er die Steine der
Straße.
Sie sind hart.
Er muss diesen Weg gehen.
Er muss ihn hinter sich bringen.
Er wird sterben.
Das weiß er.
Er muss sterben.
Während er unterwegs ist, denkt er zurück an sein Leben.
Es war nicht immer einfach. Er gehörte nicht zu den Privilegierten.
Seine Eltern waren einfache Leute. Sie haben hart gearbeitet für ihn und seine Geschwister.
Gleich am Anfang seines Lebens mussten sie fliehen. Sein Leben war bedroht. Sie haben ihn in Sicherheit gebracht. So hat er
überlebt.
Er denkt zurück an die Zeit, als alles begann. Als er seine Freunde getroffen hat.
Sie haben viel miteinander erlebt. Sie haben viel miteinander gesprochen über Gott und die Welt.
Sie sind gemeinsam viele Wege gegangen und haben neue Leute kennengelernt.
Seine Freunde waren immer bei ihm. Sie haben gemeinsam gegessen, sie haben gemeinsam gefeiert.
Aber er wusste, dass sich die Zeiten ändern werden.
Er wusste, dass eine Zeit kommt, in der er allein zurückbleiben wird.
Verstohlen sieht er sich um.
Sind sie da? Sind sie gekommen?
Er kann niemanden seiner Freunde entdecken.
Sie haben Angst und er versteht sie.
Auch er hat Angst. Große Angst vor diesem letzten Weg, den er gehen muss.
Es ist heiß.
Er schwitzt.
Sein Körper schmerzt.
Die Last, die er trägt, ist schwer.
Zu schwer, für seinen geschundenen Körper.
Irgendwann kommt einer, der ihm die Last für eine Weile von den Schultern nimmt.
Das tut gut.
Mit dankbarem Blick sieht er den Mann an.
Ich werde immer für dich da sein, hat einer seiner Freunde zu ihm gesagt.
Und er hat es vielleicht sogar genauso
gemeint.
Doch am Ende war die Angst größer. Viel größer als das Vertrauen.
Bald erreicht er das Ziel.
Bald hat er es geschafft.
Bald ist er wieder zuhause.
Zuhause bei seinem Vater.
Er wird ihn in die Arme schließen, ihn an sich drücken und ein großes Fest feiern.
Mit allen, die in seinem Haus wohnen.
Mit allen, die kommen werden.
Er ist am Ziel angekommen.
Jemand nimmt ihm die Last von den Schultern.
Noch einmal schaut er sich die Menschen an, die gekommen sind.
Er ist ihnen nicht böse.
Er tut es für sie.
Dann legt er sich hin.
Gleich ist es soweit.
Er sieht noch einmal in den Himmel. Er nimmt das strahlende Blau in sich auf.
Er sieht in den Himmel, während Soldaten die Nägel durch seine Hände schlagen.