Leander saß auf der Bank neben dem Hauptgebäude und ließ seinen Blick über den Innenhof schweifen. Von hier aus konnte er durch das große Tor hinaus in den äußeren Ring, und somit auch zum Haupttor, blicken. Schon unzählige kampfeslustige Männer, und ein paar wenige Frauen, passierten den Haupttor. Zur Zeit herrschten wieder einmal in der Arena die berühmt berüchtigten Spiele. Leander war schon häufiger Zeuge von übermütige Kämpfer geworden, die ihr Leben in genau dieser Arena liessen. Er war schon selbst das ein oder andere Mal dabei. Aber diesmal
stand ihm nicht der Sinn nach dem blutigem Spektakel und blieb lieber für sich allein. Seine Gedanken gingen immer wieder zum Schwarzdorn zurück. Es schmerzte ihn die leblose Esmeralda in dem steinigen Sarkophag, gespickt mit unzähligen Nadel, vor dem inneren Auge zu sehen. Er konnte sich auch so oft einreden, dass es vorbei und Esmeralda in Sicherheit war, das Bild kam immer wieder zurück. Leander hatte es ja mit eigenen Augen gesehen, dass sie vor wenigen Minuten aufgewacht war. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht bei dem Gedanken, und der inneren wärme, die er dabei verspürt
hatte. Ein ungewisses Gefühl überfiel ihn, dass es noch nicht vorbei war. Die Befreiungsaktion war viel zu einfach, ging zu schnell. Als ob es dem Totenpriester egal wäre, dass er sie nicht mehr in seiner Gewalt hatte. War es vielleicht sogar sein Plan? Aber welchen Zweck sollte es dienen? Je mehr sich Leander darüber den Kopf zerbrach, desto mehr keimte das Gefühl in ihm auf, sich in der Ruhe vor dem Sturm zu befinden. »Alles in Ordnung?«, riss Neal ihn aus den Gedanken. Nachdenklich richtete Leander seinen Blick zu ihm hoch und fragte ihn mit
ruhiger Stimme: »Was ist Falsch an der Sache?« »Was meinst du?« »Esmeralda's Entführung«, erklärte Leander ruhig. »Irgend etwas stinkt hier zum Himmel. Sie wird entführt, ohne eine Forderung. Wir finden sofort ihren Aufenthaltsort heraus und dringen ohne weitere Probleme ein. Wir finden sie, und spazieren quasi heraus. Den Kampf gegen die dunklen Assassinen habe ich schwieriger vorgestellt, wenn man bedenkt, dass einer von ihnen mich bei der Entführung überrumpelt hatte. Nun sind es jetzt zwei Tage her. Wo bleibt die verdammte Reaktion des
Totenpriesters?« Neal hatte sich neben ihm Platz genommen und sah ihn mit einem Blick an, der sowohl finster als auch erleuchtet zu sein schien. »Ich dachte schon, ich sei der einzige, dem es merkwürdig vorkommt«, sagte Neal eher nachdenklich. Erleichterung und Dankbarkeit schwang in seiner Stimme mit. Leander wurde hellhörig und sah ihn fragend an: »Bist du auf eine Lösung gekommen?« »Um die Lösung zu finden, müssen wir das Problem auf den Grund gehen. Wir kennen lediglich die Symptome«, gab Neal zu
bedenken. »Was wissen wir?«, fing Leander an laut nachzudenken. »Wir wissen, dass es viel zu einfach war, Esmeralda zu finden und zu befreien. Aber warum hat Lucor sie überhaupt entführen lassen? Und was brachte es ihm.« »Keine Ahnung«, zuckte Neal die Achseln. »Wer ist Lucor?« Neal's Blick verfinstere sich merklich. »Was ist los?«, fragte Leander verunsichert, als würde er ahnen, dass was kommen würde, was ihm nicht gefiel. »Lucor war einst ein Berater meines Onkels«, entschied sich Neal ihm die
Geschichte zu erzählen. »Er war Estoban's bester Kampfmagier und bester Alchemist. Irgendwann war sein Interesse an der schwarzen Magie geweckt und wuchs stetig heran. Er sammelte Schriftrollen, Bücher und Artefakte über diese Künste. Estoban missbilligte es offenkundig, duldete aber dessen Studium. Irgendwann fing er an Dämonen zu beschwören und Tote wieder zu erwecken. Estoban verbiet es ihm und drohte ihm mit der Verbannung, wenn er weiterhin die schwarzen Künste anwandte. Dann kam das, was kommen musste. Die Dämonen und Untote lösten sich von der Macht Lucor's und liefen Amok. Mit Müh und Not konnte die
Katastrophe eingedämmt werden. Dies war der Punkt, an dem Estoban die Geduld verloren hatte und ihn Hinrichten lies. Und dann noch einmal und noch einmal. Estoban und seine Gardisten hatte alle erdenklichen Hinrichtungen bei ihm durchgezogen. Lucor hatte sie alle überlebt. Aus dem Grund waren Csardas und Callisto zu einer drastischen Massnahme gezwungen. Sie trennten seine Seele und schlossen sie in einem Kellerraum in Reddock ein.« Mit weit aufgerissenen Augen und runtergefallenem Kinn konnte er nicht glauben, was er zu hören bekam. »Warum erfahre ich das erst
jetzt?« »Das war lange vor deiner Zeit im Drachenauge. Ich habe dies auch nur am Rande mitbekommen, da ich damals um einiges jünger war als du heute.« »Wenn seine Seele in einem Keller eingesperrt wurde, habe ich zwei Fragen. Die erste lautet: Warum ist er dann im Schwarzdorn? Und zweitens: Wo sind seine körperlichen Überreste?« »Schwarzdorn gehört eigentlich einem alten Assassinen. Offenbar ist Lucor mächtig genug um ihn aus dem Jenseits zu beeinflussen und den Turm zu seinen Eigen zu nennen. Was deine andere Frage angeht, ich weiss nicht, wo seine Leiche abgeblieben
ist.« »Und das ist auch gut so«, meldete sich Csardas zu Wort, der offenbar das Gespräch der beiden belauscht hatte. »Neal, was fällt dir eigentlich ein, ihm diese Geschichte zu erzählen. Du weisst ganz genau, dass es nicht jeder zu hören bekommen darf«, fuhr der Magier Neal an und strafte ihn mit einem finsterem Blick. »Verzeiht mir«, senkte Neal ehrfürchtig seinen Kopf. »Ich vertraue ihm so sehr, als sei er mein eigener Bruder. Ich bürge mich für ihn. Weder wird er es je irgendjemandem erzählen, noch wird er irgendwas in dieser Sache unternehmen. Darauf gebe ich mein Wort als
Adelsmann und als Gardist.« Mit erhobenen Hauptes und einem nachdenklichem Blick, der an seiner Finsternis nicht nachließ, sah er den Neffen des Fürsten an und sagte schließlich: »Sollte ich je erfahren, dass es je der Fall sein wird, dann werde ich euch beide in die Hölle schicken, nachdem ich euch bei lebendigem Leibe gehäutet habe. Habt ihr mich verstanden?« »Jawohl, verehrter Merlin«, sagte beide mit gesenktem Haupt. »Nun gut«, wurde Csardas Stimme wieder sanfter, aber nicht minder drohend. »Dann wünsch ich euch noch einen schönen
Abend.« Als Csardas wieder im Alchemielabor verschwand sackten beide vor Erleichterung auf der Bank zusammen. Beide kannten den Magier gut genug, um zu wissen, wie ernst er seine Drohung meinte. »Verfluchte Scheisse«, murmelte Neal. »Ich glaub es war ein Fehler es dir zu sagen.« Leander erwiderte nichts darauf. Er hoffte nur, dass es nie soweit kommen würde. Er stellte sich die Quallen vor, die er erleiden würde, sollte er von Csardas, einer der mächtigsten Magier auf ganz Montgorda, ihn tatsächlich bei lebendigem Leibe
heuten. Aus dem Augenwinkel sah er jemanden durch den Eingang spazieren. Es schien so, als sei dieser Jemand in Eile und suchte jemanden ganz dringend. Als sich dessen Blick auf ihn richtete, setzte sich dieser Jemand in Bewegung. Als der Neuankömmling das innere Tor passierte, rief er ihm und Neal zu: »Wo ist Tyson?« »Er muss irgendwo auf dem Wehrgang sein«, antwortete Neal dem Händler Mateo rufend. »Oder mit den anderen in der Taverne.« »Okay«, sagte Mateo dankend und machte
kehrt. »Und weil die Banditen nichts bei sich hatten, konnte ich sie nicht einfach so abmurksen und ihre Leichen links liegen lassen. So habe ich sie laufen lassen. Und der Edelmann hat sich mehr oder weniger freiwillig meinem Trupp angeschlossen«, beendete Varro seine Geschichte. Die Taverne war zum brechen voll. Die meisten der Leute hier kamen von ausserhalb um sich hier in der Arena zu beweisen und unter Umständen auch einen Posten im Drachenauge zu ergattern. Es freute Tyson zwar neue Gesichter in der Festung zu sehen, aber
es hiess auch, dass er alte Bekannte nie wieder sehen würde. Wehmütig dachte er an die Übungsstunden und die Trinkgelage mit den Gardisten. Einige seiner Waffenbrüder würden ihm dabei fehlen. Und das nur, weil ein paar elende Banditen zum Angriff auf die Festung marschiert sind. Es war nicht so, dass er noch nie jemanden sterben sah oder gar selbst jemanden verloren hatte, aber es waren noch nie so viele auf einaml gewesen. Doch obwohl einem immer eingetrichtert wurde, dass das immer geschehen kann und es auch tut, blutete sein Herz um den Verlust um einige seiner Kammeraden. Dies war schon zwei
verdammte Tage her und er wusste nicht, was er machen sollte. Am liebsten wäre er wieder auf die Jagd gegangen und seine Beute erlegen. Wegen dieser verdammten Schlacht und der Befreiungsaktion konnte niemand so leicht aus der Festung kommen. Selbst er, nein, vor allem er als Reservegardist durfte nicht die Festung verlassen. Genau zwei Dinge beschäftigen ihn seit Tagen. Erstens, warum veranstaltet der Fürst seine Arenaspiele so kurz nach der Schlacht und der Entführung seiner Tochter? Theoretisch könnten sich sowohl die Banditen als auch einige der Dunklen als Teilnehmer ausgeben und am Ende die Festung von Innen heraus in
die Knie zwingen. Tyson begriff nicht, warum das noch nicht geschehen ist. Ehrlich gesagt erwartete er sogar jeden Moment zu seiner Waffe greifen zu müssen um die Festung zu verteidigen. Und die zweite Sache die ihn beschäftige war die Waldläuferin, die ihm bei Darius' Haus aufgelauert hatte und ihm mit einem Handzeichen zu verstehen gab, dass sie ihn sprechen musste. Was mochte es wohl sein? Brauchte sie vielleicht Gesellschaft? Oder war es was anderes? Unweigerlich zuckte Tyson zusammen, als er das Gewicht einer Hand auf seiner Schultet spürte. »Was sagst du dazu?«, fragte sein Bruder
und sah ihn durch seine leicht trüben Augen an. »Bitte was?« »Ich sagte, es gibt niemanden, der besser eine Prinzessin befreien können, als wir beide. Hörst du mir nicht zu?« »Entschuldige, war mit den Gedanken wo anders. Wir sind die besten«, meinte Tyson halbherzig. »Was ist los mit dir, Bruder? Hast du keine Lust mehr auf alte Bekannte?«, grinste Gandor ihn an. »Ich bin Müde«, meinte Tyson dann. »Wird langsam Zeit mich aufs Ohr zu hauen.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Gruppe und verließ die
Taverne. Draußen empfang in die frische Luft, die er tief in die Nase zog. Endlich weg von den Alkoholfahnen und denn immer gleichen Geschwätz der Betrunkenen. Als er sich dann aufmachte um endlich in seiner Stube aufs Bett zu fallen, lief er direkt in die Arme des Händlers. Überrascht sah Tyson ihn an. »Ty, wir haben ein Problem«, kam Mateo ohne Umschweife zum Punkt. »Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich im Moment keine bessere Ware auf Lager habe.« »Darum geht es nicht«, winkte der Händler ab. »Sie war bei mir und bat mich dir was
auszurichten.« »Wer war bei dir?« Mateo schaute nach links, dann nach rechts und legte dann seine Hand auf die Brust und kratzte sich mit dem Zeige-, Mittel- und Ringfinger. Es dauerte einige Momente bis es zu ihm durchdrang, aber dann verstand er die Antwort mit dem gespreizten Daumen und kleinen Finger. »Jemand ist hier, der nicht hier sein darf«, sprach Mateo weiter und war sich selbst nicht ganz sicher, wenn genau er damit meinte. »Sie wollte es dir selber sagen, aber...« Er brauchte den Satz nicht fertig bringen, damit Tyson verstand was er
meinte.
»Wo ist sie jetzt?«,
»Ardea, altes Lagerhaus.«