Erstes Fly-In
Eröffnung in Schönefeld
Ich saß in meiner Küche beim Frühstück und las auf dem ultrahochauflösenden Ionen-Airscreen zwischen Tisch und Spülroboter die Tagesnachrichten. Plötzlich stieß ich auf diese Meldung:
„ - Schönefeld am 26.05.2076-
Erstes Fly-In in Schönefeld eröffnet.
Das amerikanische interstellare Fastfoodunternehmen DcMonald eröffnet sein erstes Fly-In- Restaurant in Schönefeld.
Auf dem ehemaligen Open Air Museumsgelände, dass jahrelang unter
dem Namen BBI bekannt war und hier um 2013 Berlins modernster Flughafen entstehen sollte, eröffnet in den nie genutzten Hallen, Terminals und Start- und Landebahnen das erste Fly-In der Stadt. Hier können die Freunde des Fastfoods mit ihrem Autokopter an einem der 43 Terminals andocken und neben dem beliebten „Chicken Wing Wowereit“ weitere Spezialitäten wie dem „Mehdornburger“, dem „Big Flop“ oder das „BBI Thai Curry Chicken“ bestellen und umgehend an Bord nehmen. Das Gebäude wurde weitestgehend als Ruine erhalten, lediglich die bisher fehlende Entrauchungsanlage wurde durch zwei große Gebäudeschnitte und dem
Anschluss eines Megasaugers der Firma Vorwerk und Kirby ergänzt. Als Zuflugswege dienen die Nord- und Südlandebahn. Weitere Unternehmen siedelten sich hier ebenfalls an.“
Schau an, dachte ich, da hat sich ja wieder einmal einer etwas einfallen lassen. Ich erinnerte mich daran, wie ich damals als kleiner Junge mit meinem Opa zu diesem Open-Air Museum gefahren bin und wie mein Opa viel über die Geschichte und dieses Gelände zu erzählen hatte. Er selbst hatte dies als junger Mann erlebt, manchmal kamen ihm beim Erzählen die Tränen, ein anderes Mal lächelte er eher traurig. Was
musste dieser Mann alles erlebt haben?
Er ist in einer Zeit groß geworden die geprägt war, von Frauen an der Macht, von sogenannten Frauenquoten, von Rettungsschirmen und eben dieser Zeit des unendlichen Bauens und nie fertig werdenden Flughafens. Jeder wollte sich damals sein Denkmal setzen koste es was es wolle!
Dieser Flughafen also, so mein Opa, sollte nach relativ langer Bauzeit 2013 eröffnet werden. Doch bereits in der Bauphase zeigte sich, dass viele, viele Fehler gemacht wurden.
Die Manager kamen und gingen, es soll sich um ein Projekt der damaligen Landesregierung und dem Arbeitsamt
gehandelt haben. Mein Opa sprach von einer „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unfähige Manager“, sogenannte „Zwei-Millionen-Euro-Jobs“, die während der gesamten Laufzeit unzählige und unfähige Manager reich machte.
Mal fehlte die Rollbahn, mal eine Brandschutzanlage, mal war der Untergrund nicht fest genug und zum Schluss erfüllte der gesamte Bau keinerlei Anforderungen mehr an Material und Technik und war schlichtweg zu klein und zu alt.
Ähnlich wie beim Bau des Kölner Doms. Die, die ihn begonnen haben zu bauen, haben ihn zu Lebzeiten auch nicht fertig gesehen und auch an keiner Messe im
Inneren teilgenommen. Zumindest wurde dieser Bau aber irgendwann seiner Bestimmung übergeben und erfüllt diese heute noch.
Das Projekt Flughafen wurde überall und von jedem zerrissen. Es hatte schon etwas masochistisches, auf der einen Seite diese Unzufriedenheit aller, auf der anderen Seite aber die endlose Bereitschaft Steuergelder sinnlos zu verprassen. Auch der Rest der Welt machte sich damals lustig über dieses „Milliardengrab“ und dem „Fluchhafen“.
Mein Opa wurde insgesamt sieben Mal eingestellt, um dann nie dort zu arbeiten. So wie ihm erging es vielen.
Aber es ging nicht etwa allen schlecht.
Viele profitierten von dieser Ruine, sie musste schließlich bewacht werden. Das Licht ließ sich nicht ausschalten, so dass es in den späten Zwanzigern zu der Überlegung kam, nun doch endlich ein eigenes Blockkraftwerk zu bauen, das örtliche Berliner Netz konnte die enorme Energiemenge nicht mehr zur Verfügung stellen.
Irgendwann, nach dem sechsundzwanzigsten geplanten Eröffnungstermin, der natürlich wieder nicht stattfand, gab man das Projekt auf. Mein Opa verstarb wenig später vor Gram, er wurde nie Mitarbeiter auf diesem Flugplatz und die vierzehn Umschulungen hatte er völlig umsonst
gemacht.
Ich erinnerte mich dann noch daran, dass die neue Weltunion diese historische Stätte des Dilettantismus zu einem Museum machte. In den ersten Jahren zog es noch tausende Schulklassen und Touristen zu dieser Stätte, schließlich hatten die Schüler und auch Touristen durch ihre direkten Vorfahren noch ausreichend Interesse zu sehen, wie blöd die Menschheit, oder zumindest ein Teil davon, sein kann.
Nachfolgende Generationen haben sich mit diesen schlimmen Teil der deutschen Geschichte kaum noch beschäftigt.
Ich war nun fertig mit dem Lesen der
Nachrichten und des Sich Erinnerns, wollte nun aber noch mehr zur Geschichte und der heutigen Verwendung wissen.
Mein Ionen- Airscreen war noch offen und ich wählte das Star Light Neb und floogelte den Begriff „BBI“. Unter „Trikkiledia“ fand ich weitere Infos und Bilder zur eher unruhmreichen Geschichte des BBI.
Da sich die eigentliche Eröffnung immer wieder verzögerte und es irgendwann keinen Sinn mehr machte an dieser Baustelle weiterzuarbeiten, wurde ein neues Flughafenprojekt für den Raum Berlin/Brandenburg ausgeschrieben. Die
Ausschreibung gewann ein bis dahin unbekanntes Indianervolk aus dem Amazonasgebiet. Ein Volk, bestehend aus dem Häuptling, einem Medizinmann und einigen Dorfbewohnern, legte der Jury ein umfassendes Bauprojekt vor und setzte alle Anforderungen an einen zeitgemäßen und funktionierenden Flughafen vollständig um. Die geplante Bauzeit von drei Jahren wurde um 15 Monate unterschritten, die tatsächlichen Baukosten betrugen nur ein Zwölftel der budgetierten.
Da später die Kosten für das ehemalige Open Air Museum zu hoch waren und auch das Interesse der Bevölkerung und der Berlinbesucher immer geringer
wurde, entschied man sich nun im letzten Jahr zum Verkauf des gesamten Geländes.
Viele Interessenten melden sich auf dieses Verkaufsangebot. Zum Beispiel ein Scheich aus der Emiratenregion. Er wollte eine riesige Mauer um das gesamte Gelände ziehen, wasserdicht verschließen und anschließend fluten. So sollte eine Unterwasserwelt für Taucher geschaffen werden. Eine Machbarkeitsstudie kam zu dem Schluss, dass mit der Flutung und Ansiedlung von Fischen, Korallen und anderen Unterwasserpflanzen schon zeitnah ein neues Riff entstehen kann, was interessierten Tauchern und
U-bootfahrern in der Nähe von Berlin bald zur Verfügung stehen könnte. Es scheiterte jedoch daran, dass dieser Scheich sein Wasser hätte selber mitbringen müssen, wäre es Sand gewesen, so hätte er dies realisiert, Wasser hingegen hatte er ja selbst nicht genug.
So favorisierte die Jury lange Zeit die Idee des Eventunternehmers Jochen Schreitzer, der das Gelände komplett mit Sand zuschütten wollte und dann im Gutscheinverkauf Claims zum Graben anbieten wollte. Grabungen, als Event auf diesem historischen Gelände, ob mit der Hand, dem Bagger oder dem Photonenspaten, waren geplant. Leider
konnte sich Herr Schreitzer mit dem Scheich wegen des Sandes nicht einig werden. So wurde lediglich eine abgespeckte Variante auf dem Gebiet des alten Terminals und im Verwaltungsbereich der ehemaligen Bauleitung genehmigt. Die Schreitzer-Gutscheine finden heute reißenden Absatz, es gab schon Claimnutzer, die alte Lohnzettel von Klaus Mehdorn gefunden haben oder Koffer voller Schwarzgeld, einem bis dahin gebräuchlichen Zahlungsmittel bei den Baubeteiligten.
Gleichzeitig bietet Schreitzer Erlebnisfahrten für Kinder mit einer alten S-Bahn und mit einem historischen
ICE für Erwachsene unter dem Flughafengelände im ehemaligen Tiefbahnhof an.
Und jetzt hat dieser Fastfoodriese das Areal komplett kaufen können und eröffnet hier einen Fly-In. Toll! Der historische Charakter ist vollständig erhalten geblieben, man kann noch schön die unfertigen Bereiche sehen, die liebevoll mit den Bildern aller Versager des Flughafenbaus dekoriert sind und zum Chillen einladen. Manch einer findet dies gruselig, andere wieder schick, auch die unverkleideten Deckenbereiche, Lüftungsschächte, die oft unterbrochen
sind und die vielen Kilometer Kabel in Wand und Decke verleihen diesem Entspannungsbereich des Fly-In eine besondere, man möchte bald sagen, eine ultrahochmoderne Athmosphäre.
Der ehemalige Gepäckbereich, mit seinen kilometerlangen Bändern, steht den Kindern aller Besucher als Abenteuerspielplatz zur Verfügung. Und das Beste daran ist:
Die Anlage war damals schon so konzipiert, dass die Eltern heute in Ruhe ihr „Crashport-Menue“ verzehren können, während die Kinder in der gleichen Zeit auf dem Band sitzen und die einzelnen Spukareale des ehemaligen Flughafens durchfahren und somit ihre
Eltern beim Essen nicht nerven. Am Ende kullern sie in unmittelbarer Nähe ihrer Eltern wohlbehalten vom Band.
Was haben unsere Vorfahren da geschaffen! Selbst aus dem Weltall ist das riesige Areal gut sichtbar, dank seiner enormen Beleuchtungsanlage im und um das Gebäude und auf den ehemaligen Flugfeldern. So können die Weltraumtouristen und die Bewohnern anderer Galaxien schon Lichtjahre entfernt dieses Fly-In erspähen. Als hätte man bei der Planung und der Ausführung bereits daran gedacht.
Auch wenn damals alle auf die Planer und Bauherren geschimpft haben und sie
für viel Geld entlassen wurden, wenn Steuergelder regelrecht verbrannt wurden, so müssen wir doch heute dafür dankbar sein, dass uns so etwas Wundervolles und Praktisches von unseren Vorfahren zur Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Sie haben damals schon sehr weit gedacht und waren ihrer Zeit enorm voraus. Zu ihren Lebzeiten hat dies leider keiner zu würdigen gewusst. Erst heute wissen wir, wie genial sie damals waren, auch wenn sie es selbst nie nutzen konnten und vielleicht auch an eine andere Nutzung nicht gedacht wurde. Danke, Danke, Danke.
Obwohl ich gerade gut gefrühstückt hatte zog ich mich an, setzte mich in meinen Autokopter und düste los zum ersten Fly-In in Schönefeld. Ich freute mich auf diesen Ausflug und die vielen Spezialitäten die mich dort erwarteten.
Guten Appetit!
© Thomas Göpfert
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