Romane & Erzählungen
Aus einem prekärem Tagebuch

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"Aus einem prekärem Tagebuch"
Veröffentlicht am 16. November 2008, 10 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Ich hasse diese Selbstdarstellungsdinger. Ich weiß immer nie, was ich in Blöcke wie diesen hier eintragen soll.
Aus einem prekärem Tagebuch

Aus einem prekärem Tagebuch

Beschreibung

Fortsetzungsroman mit autobiographischen Zügen

Der Termin

Plötzlich bin ich wach. Ich habe einen unangenehmen Druck auf der Blase und muß dringend aufs Klo, um mich zu entwässern und das bis an den Rand seines Fassungsvermögens belastete Organ zu entleeren. Hat eben schon die Drecks-Weckfunktion des Handys losgeplärrt? Ich sehe auf das Leuchtdisplays und versuche die Zeit abzulesen: Es ist genau 07:08. Fein. Ich bin wieder mal genau zwei Minuten vor dem einprogrammierten Weckzeitpunkt aufgewacht.

 

Es ist erstaunlich: Mein Körper haßt es, von irgendeinem technischem Gerät aus dem Schlaf gerissen zu werden. Stelle ich mir einen Wecker, wache ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit knapp 5 Minuten vor dem Weckton auf. So als wollte etwas in mir in jedem Falle dem Mißklang des Weckers zuvor kommen, dem verhaßten Mistding ein Schnippchen schlagen, bevor es mit einem kreischenden, qäkenden oder jaulenden Alarmton den Kokon der Geborgenheit zerstört, den der Schlaf um mich gehüllt hat. Ich schalte die Weckfunktion ab, um zu verhindern, das meine empfindlichen Gehörgänge doch noch mit einem gräßlichen elektronischen Weckton gequält werden.

 

Ich wälze mich mühsam aus dem Bett wie ein schwangeres Walroß, ignoriere das kurze Schwindelgefühl und taumele benommen durch die noch dunkle Wohnung ins Badezimmer. Ich könnte das Licht anmachen, aber irgendwie fühle ich mich der grellen Deckenleuchte in dem winzigen Wohnungsflur zu dieser frühen Stunde noch nicht gewachsen. Der Flur ist eigentlich gar kein Flur, sondern ein Quadrat mit 4 Türen, in jeder Seitenwand eine.

 

Ich mache dann doch die funzelige Deckenlampe im Bad an, die Energiesparbirne braucht ohnehin immer Zeit, bis sie ihr volles Leistungsvermögen erreicht hat. Ich verschaffe mir Erleichterung, werfe einen kurzen Blick in den Spiegel, sehe ein verknittertes, schuppig und stoppelig wirkendes Etwas, ich wende mich angewidert von meinem Spiegelbild ab.

 

Mich fröstelt, draußen ist es noch stockdunkel, nur ein paar Fenster in dem mehrgeschossigen Mietshaus gegenüber sind bereits fahlgelb erleuchtet. Es ist zwar stockdunkel, aber es ist schon Lärm zu hören. Das beständige Dröhnen der Baustellenmaschinen an der Kanalbaustelle vor dem Haus dringt auch durch die geschlossenen Fenster. Hin und wieder vibriert das ganze Haus ein wenig, wenn ein Bagger oder eine Ramme besonders heftige Erschütterungen verursacht. Hoffentlich entstehen dadurch keine weiteren Risse in dem ohnehin maroden Gemäuer.

Spätestens um Acht muß ich aus dem Haus, sonst komme ich zu spät zu meinem Termin. Es ist noch viel Zeit. Ich beschließe, mich nochmal hinzulegen. Zwanzig Minuten im warmen, flauschigen Bett sind eine zu große Versuchung, um einfach darauf zu verzichten. Während ich mich zurück auf die Matraze sinken lassen, kommt mir noch verschwommen der Gedanke, daß das jetzt nicht ungefährlich ist, und ich nicht einschlafen darf.

Wenige gefühlte Augenblicke später wache ich auf. Ein jäher Schub von Panik durchzuckt mich, ich schnelle aus dem Bett: Es ist 07:49. Ogottogott! Ich muß in 10 Minuten aus dem Haus sein und bin noch nicht einmal angezogen, von gewaschen und rasiert sein ganz zu schweigen. Ich schaffe es mit erstaunlicher Geschwindigkeit, mir im Bad die Haare aus dem Gesicht zu schaben, ohne mich zu schneiden, ich putze mir hektisch die Zähne, schlüpfe in die Jeans vom Vortag, streife einen nicht mehr ganz sauberen Pullover über, greife nach meiner braunen Jacke (ein C&A-Sonderangebot) und verlasse um 08:03 das Haus, an den Füßen meine schmuddeligen und ausgetretenen Turnschuhe.

Das ist gerade nochmal gut gegangen. Diese verdammte „Wiedereinschlaffalle“. Man will nur noch ganz kurz ein bißchen liegenbleiben und schläft wieder ein. Wenn man dann aufwacht, ist es fast immer längst viel zu spät und die Katstrophe ist nicht mehr vermeidbar.

Heute habe ich es gerade noch einmal geschafft. Ich hätte gerne noch einen Becher heißen Kaffee getrunken, aber dazu hat die Zeit natürlich nicht gereicht. Wenigstens habe ich gar nicht erst welchen gekocht. Ich bin jedesmal wütend, wenn der Kaffee stehenbleiben muß, weil er einfach zu heiß zum trinken ist und die Zeit nicht mehr reicht.

Überhaupt, Kaffee – Ein Leben ohne Kaffee kann ich mir nicht vorstellen. Ich brauche keinen Alkohol, aber dauerhaft auf Kaffee zu verzichten wäre entsetzlich. Zu spät - nun muß ich nun ohne die morgendliche Coffein-Dröhnung meinen Termin wahrnehmen.

Termine sind immer etwas Scheußliches. Selbst wenn es gar kein in dem Sinne unangenehmer Termin ist – Durch Termine fühle ich mich immer eingeengt, eingezwängt, zu etwas genötigt. Ich muß zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt etwas tun, wonach mir dann womöglich überhaupt nicht zu Mute ist. Nur dauerhafte Termine wie feste Arbeitsverhältnisse sind noch widerwärtiger.

Draußen ist erstaunlich wenig Leben zu sehen. Nur an der Baustelle vor dem Haus zieht ein Bagger einen Graben durch die abgesperrte und aufgerissene Straße. Es ist naßkalt, die Luft hat etwas feucht-klebriges und in den Straßen hängt noch ein leichter, dunstiger Frühnebel. Ein feiner Sprühregen suppt unablässig aus dem gleichmäßig grauen Himmel.

Zwei junge Türkinnen kommen mir entgegen, beide mit einem fest gebundenen Kopftuch. Sie plappern angeregt. Was für anmutige Geschöpfe. Eine grau und verhutzelt wirkende Frau kommt mit ihrem Rollator aus dem Altersheim. Sonst ist niemand zu sehen.

Ich beschleunige meine Schritte. Das Rathaus kommt in Sicht. Die Turmuhr zeigt 8:12. Sehr gut, ich liege perfekt in der Zeit. Bloß nicht zu spät kommen, darauf warten Sie nur, das wäre genau der Fehler, auf den Sie warten.

Ich will auf Nummer sicher gehen und beschleunige meine Schritte. Zu meiner Erleichterung muß ich an keiner der auf dem Weg liegenden Fußgängerampeln lange warten.



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gaethke
Ich hasse diese Selbstdarstellungsdinger. Ich weiß immer nie, was ich in Blöcke wie diesen hier eintragen soll.

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Zamperle Ja die Engerie am Morgen ?

Liebe Grüße Zamperle
Vor langer Zeit - Antworten
gaethke Fein - Bin ich also nicht der Einzige der sich morgens wie etwas fühlt, was die Katze im Freßnapf zurückgelassen hat.
Vor langer Zeit - Antworten
gaethke Re: AU Fein, -
Zitat: (Original von Hagenbaeumer am 16.11.2008 - 19:15 Uhr) das macht Lust auf mehr davon !


Sobald meine knappe Zeit das zuläßt.
Vor langer Zeit - Antworten
Hagenbaeumer AU Fein, - das macht Lust auf mehr davon !
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