Ein Sonntag im Seniorenheim
Nun ist es mal wieder so weit. Jeden zweiten Sonntag im Monat arbeite ich zusammen mit einer Freundin in einem Seniorenheim als „Ehrenamtliche“ .
Nach einer halbstündigen Bahnfahrt treffen wir ein. In diesem Cafe arbeiten nur „Ehrenamtliche“. So müssen einige Maßnahmen eingehalten werden. In einem Schließfach, dessen Schlüssel jeder der hier arbeitet hat, finde ich den Cafeschlüssel, Geldtasche mit Wechselgeld und das Kassenbuch.
Drinnen im Cafe warten schon drei Torten auf das Anschneiden. Schnell werden zwei große Kannen Kaffee
gekocht und Tassen und Becher bereit gestellt, damit es bei Bedarf auch schnell geht. Cirka 30 Plätze fasst das Cafe.
Meine Freundin und ich sind ein eingespieltes Team. Wir kennen uns schon über 40 Jahre und haben früher lange in der Gastronomie zusammen gearbeitet. So arbeiten wir Hand in Hand.
Punkt 14.30 trifft der erste Gast ein, Frau Klützke. Sie ist immer Erste, fragt aber immer: „Noch keiner von uns da?“ Was ich wie immer verneine.
Ihren Rollator lasst sie im Flur stehen. Dann erscheint Frau Rotdorn. Heute hat sie sich besonders schön gemacht. Ihre weiße Bluse mit den Spitzen ist perfekt
gebügelt.
Ihr kleinen rundes Gesichtchen strahlt, als ich ihr ein Kompliment über ihr Aussehen mache. „Es ist ja auch Sonntag“ sagt sie. Ihr Blick geht zur Kuchentheke.
„Inge ,hat Du Dir schon was ausgesucht ?“ Frau Klützke verneint. Ich warte noch auf die anderen“. Die anderen sind Frau und Herr Lehmann, die kurz darauf erscheinen. Frau Klützke ist schon 93 Jahre alt, wirkt aber mit ihrer Beweglichkeit wie 80. Wie
ich sehe, hat sie wieder ihren Ordner mit gebracht.Sie sammelt Witze in jeder Form und Klasse, und ist ganz begierig diese an den Mann (Frau) zu
bringen.
Ich kann im Moment leider nicht zu hören, da ich mit Kaffee einschenken und Torte auf Teller packen beschäftigt bin. Denn inzwischen hat sich das Cafe ziemlich gefüllt. Herr Lehmann steckt mir mit einem verführerischem Lächeln einen Keks zu, den er lose aus seiner Jackentasche fummelt. „Sie wissen ja, einen großen Becher heißes Wasser, ich habe mir meinen Spezialtee selbst mitgebracht.“ Was soll man da machen? Anfangs habe ich ihm klar zu machen versucht, dass wir diesen auch haben.
Doch er schwört auf seine Marke. Irgendwann habe ich resigniert. Jetzt bekommt er sein Wasser. (und ich meinen
Keks). Aber ein Stück Torte ist drin bei ihm.
Nun tritt eine Dame ein, die ich hier noch nie gesehen habe. Sie steuert einen freien Tisch an, setzt sich und lächelt stillvergnügt vor sich hin. Einen Kaffee möchte sie nur. Vielleicht ein Neuzugang , denke ich.
Bei der Stammtischrunde Klützke, Rosenstolz und Lehmann geht es inzwischen hoch her. Frau Klützke konnte endlich ihre Witze vorlesen. Selbst der Nachbartisch, der zugehört hatte, lachte lauthals mit. Na, vielleicht kann ich ja später mal nachfragen. Ihre Witze sind wirklich nicht so ganz ohne. Herr Lehmann schlägt vor Vergnügen
sogar mit der Faust auf den Tisch. Das hat zu Folge, dass seine Süßstoffschachtel, der er sich auch immer mitbringt ,umkippt und hunderte von kleinen weißen Perlen rollen über den Tisch und auf den Fußboden. Rasch laufe ich mit Handfeger und Schaufel dorthin, um dieses Desaster zu beseitigen. Herr Lehmann aber schaut fassungslos auf mein Werkzeug. Er ist entsetzt, dass ich das wegfegen will. „Lassen sie mal, das hebe ich selber auf. Das kann man doch noch verwerten.“
Ich schlucke,und versuche ihm klar zu machen, dass auf dem Fußboden schon Dutzende von Schuhen herum getrampelt
sind. Das sind doch Keime. Das aber lässt er nicht gelten. „Wenn man sich immer so anstellen würde, sie sehen doch selber , wie alt ich geworden bin.“ Dem ich natürlich nichts entgegen zu setzen weiß.
Aber wir einigen uns dann doch darauf, dass ich diejenigen, die auf dem Fußboden liegen, auffegen darf. Sein Blick ruht bedauernd auf der Schaufel, doch ich tröste ihn damit, dass wir hier im Cafe auch Süßstoff haben.
Aus den Augenwinkel sehe ich, wie die einzelne neue Dame sich erhebt und dem Ausgang zu strebt.Schnell laufe ich zu ihr hin. „Sechzig Cent bekomme ich noch von Ihnen.“ Sie lächelt mich
unwiderstehlich an. „Ich habe aber kein Geld“ sagt sie. Was nun? Ich schaue meine Freundin Renate an. Aber auch sie zuckt mit den Achseln. Ich denke, diese Tasse Kaffee wird das Stift nicht ärmer machen und öffne ihr die Tür. „Danke schön“ sagt sie und strahlt mich an. Ich bin schon in Versuchung ,ihr noch ein Stück Torte auf meine Rechnung einzupacken. Aber die Vernunft siegt. Wenn das jeder machen würde.
Draußen ist inzwischen ein Tumult ausgebrochen. Zwei Insassen haben ihre Rollatoren verwechselt, und es entbrennt ein heftiger Streit darüber.
Ich versuche zu schlichten, indem sich
sie nach irgendwelchen Merkmalen frage.
Gott sei Dank fällt einer ein, dass sie ein rotes Bändchen unter ihrem Sitz angebracht hat. Das lässt sich schnell finden und nun ist alles wieder paletti.
Mit vielen gegenseitigen Entschuldigungen verabschieden sie sich voneinander und ich gehe aufatmend ins Cafe zurück.
Während ich einen Tisch aufräume, sehe ich , wie die Blicke des Stammtisches wie verabredet zur Tür gehen. Frau Streiter erscheint. Sie ist schon eine attraktive Erscheinung. Ich schätze sie auf 75 Jahre. Kurze blonde Haare, wie immer sehr extravagant angezogen,
hautenge Hosen im Leopardenlook, Cowboystiefel und hautenger Pullover. Ich muss neidlos zugeben, die Figur hat sie ja immer noch. Sie setzt sich an den gerade frei gewordenen Tisch. Ihr Blick geht immer wieder zur Tür, und da ist er endlich. - der gutaussehende Herr, mit dem sie sich sonntags immer hier trifft. Er begrüßt sie ganz alte Schule mit einem Handkuss. Eine feine Röte überzieht ihr Gesicht. Ja, denke ich für mich, auch das Alter kann seine Reize haben.
Der Stammtisch Rotdorn, Klützke und Lehmann lassen das Geschehen nicht aus den Augen. Und bei dem Handkuss sehe ich doch wohl etwas Neid in den
Blicken der Damen. Das Pärchen bestellt Torte und Kaffee, also vollen Programm.
Jetzt wird es ruhig hier. Die Cafezeit nähert sich nun langsam ihrem Ende zu.
Wir beginnen aufzuräumen, die Kaffeemaschinen und den Kuchentresen sauber zu machen und das Leergut bereit zu stellen
Die letzten Gäste verlassen das Cafe Punkt 17.30.
Nun noch schnell Kasse machen, alle Tische wieder ordentlich herrichten für unsere Nachfolger morgen, Geld in einen Briefumschlag in den Postkasten des Personalbüros werfen, und dann ab nach Hause. Ich spüre doch leichte Rückenschmerzen. Ja, ja , das
Alter.......
Wie ich so in der Straßenbahn sitze, denke ich noch über Frau Streiter und ihren Galan nach.
Gibt es so etwas, dass man in dem Alter noch die Liebe wieder findet?
Irgendwie lässt das doch hoffen.