Forumsbattle 39
Kurzgeschichte zum Thema:
Begegnungen der besonderen Art
~ Das blaue Feuer ~
Vorgabewörter:
Bilderrahmen, umgekehrt, Luftballon, flatterhaft, klebrig, Netz, Rand, Bucht, Wucherung, zurücklassen, Härchen, Schimmer
© fleur 2015
Das blaue Feuer
Sehr lange schon hatte Gregor gedankenverloren auf diesen tiefblauen See gestarrt, das Heilige Meer Sibiriens lag vor ihm wie in einem Bilderrahmen. Er kannte den Baikal von früheren Besuchen und wollte sich diesmal nur auf die Insel Olchon konzentrieren, umfuhr gedanklich ihre zerklüfteten Ufer mit den Felsen und Buchten. Hier hoffte er seine Geliebte Daarsuren wiederzufinden, die von Geistwesen in eine schneeweiße Wölfin verwandelt, seit Wochen verschwunden war.
Am Kap Burchan befindet sich eine uralte Kultstätte mit dem berühmten Schamanenfelsen und einer Höhle, die als
Wohnort des alten Burjatengottes Burchan gilt, und zu den neun asiatischen Heiligtümern zählt. Hier wollte er das mächtigste Geistwesen, die "Herrin der Tiere", aufsuchen und um Hilfe bitten.
Seine Augen waren vor Müdigkeit gerötet, er konnte sie kaum noch offen halten, fühlte eine zunehmende bleierne Schwere sich rotwarm auf die Lider senken.
Allmählich verdunkelte sich die Wärme und ergriff von seinem ganzen Körper Besitz. Bald trieb er in einem angenehmen Schwebezustand dahin, wie im bequemen Netz einer Hängematte, und sah seine ungewissen Ängste wie Luftballons in den hellblauen Himmel entschwinden.
Verschwommen hatte er gerade noch den Umriss des Schamanenfelsens als leuchtenden Rand vor der sinkenden Sonne wahrnehmen können, als er sich plötzlich von starken Vogelschwingen aufgenommen fühlte. Er wurde in eine dunkle Höhle getragen und auf einem weichen Luchsfell abgesetzt.
Die Höhle duftete aromatisch nach Wildkräutern und war nur spärlich durch ein Feuer mit bläulichen Flammen erleuchtet, das in einer kleinen Opferschale brannte. In seinem schwachen Schimmer sah er drei weiße Adler auf einem Felsenvorsprung sitzen, die ihn unbewegt mit ihren kreisrunden Augen anstarrten.
“Was willst du von der Herrin der Tiere?“, tönte eine blecherne Stimme, deren Echo sich an den Wänden der Höhle brach und ihn so erschreckte, dass sich schlagartig seine Nackenhärchen aufrichteten.
“Ich will sie bitten, meine Liebste nicht länger im Körper einer Wölfin gefangen zu halten“, stammelte er mühsam mit klebriger Zunge, während er fühlte, wie sich sein ganzer Körper mit kaltem Schweiß bedeckte.
„Hier auf der Insel Olchon leben keine Wölfe, so wie es auch keine Bären gibt. Sieh das als dein persönliches Glück an“, dröhnte die Stimme wieder wie aus einem scheppernden Blecheimer, „denn sonst wärst du längst wieder der Bär Grischa, der flatterhafte Weiberheld. Daarsuren ist jetzt
eine von uns dreien, du bist ihrer nicht würdig!“
In Gregor kochte ein Gemisch aus Angst, Empörung und Verzweiflung hoch. Er sah sich die Adlerweibchen genauer an. Die linke hatte eine gespaltene Zungenspitze, die rechte eine winzige Wucherung auf der Schnabelwurzel, aber die mittlere sah ihn mit Daarsurens liebevollen Augen an, dessen war er sich plötzlich sicher und nahm all seinen Mut zusammen.
„Ich bin meiner Taigablume niemals untreu gewesen und habe sie hier als Adler erkannt. Und nun bitte ich die Herrin der Tiere, sie zurückzuverwandeln, da ich sie keinesfalls hier zurücklassen will.“
„Was glaubst du denn, vor wem du stehst,
du Einfaltspinsel!“, dröhnte es von den Höhlenwänden, „marsch und umgekehrt, du hast hier nichts mehr verloren!“
"Was denn, du???"
Ein heiserer Schrei, fast mehr ein verzweifeltes Röcheln entrang sich Gregors Kehle, als eine Hand ihn kräftig am linken Arm rüttelte.
„Bitte, wachen Sie auf, Sie müssen sich anschnallen, die Rückenlehne senkrecht stellen und Ihr I-Pad ausschalten, wir befinden uns im Landeanflug auf Irkutsk!“, vernahm er eine freundliche Frauenstimme.