Ungezählte Stunden strich sie über sein Bild in ihrem Touch Handy und stets war nur ein leises Tuten zu hören.
Er musste doch irgendwann mal ans Telefon gehen. Sie hatte doch diese Nummer schon einmal angerufen … und er war ran gegangen. Er musste einfach. Es konnte auf keinen Fall sein, was dieser … dieser Kommissar oder was auch immer er war, behauptet hatte.
Wahrscheinlicher war, DIN hatte nur seine Telefon- und Internetrechnung nicht bezahlen können und daraufhin wurde seine Leitung gekappt. Ja genau. Das musste es sein.
… und doch.
Heute sitzt sie hier. Hier ... auf dem Polizeirevier, um eine Zeugenaussage zu
machen.
Nie im Leben hätte Johanna geglaubt, einmal eine Begegnung mit den Mühlen des Gesetzes zu haben.
Wo war sie da nur hineingeraten?
Ein glucksender Laut entrang sich ihrer Kehle bei der Erkenntnis.
Natürlich ins Internet...
Auf der Suche nach Abwechslung und ein wenig Anerkennung war sie auf einer Plattform „Lyrik von Dilettanten“ gelandet. Obwohl sie mit Dichtung nichts am Hut hatte, diese Seite hatte sie gefesselt. Diese Seite, diese Menschen, diese Gedichte.
… und … er.
Nach der Betrachtung seiner Fotogalerie war
sie hin und weg. Seine Gedichte sprachen zu ihr und spiegelten oftmals ihre Gemütsempfindungen wider.
Genau so hatte alles angefangen. Dann jedoch ...
Eines Tages meinte Dennis, er könne für ein paar Wochen nicht online sein, weil er einige private Dinge zu klären hätte.
Später … sehr viel später meldete er sich zurück. Er entschuldigte sich. Er erzählte.
Er hätte einen Verkehrsunfall gehabt. Hätte im Koma gelegen. Es sei für ihn nicht leicht gewesen, ins Leben zurück zu finden. Aber nun sei er wieder da und wäre überglücklich, dass all seine Freunde noch da seien und zu ihm halten würden. Es ginge ihm schlecht, er
habe Probleme jeglicher Art und wüsste nicht, wie er alles geregelt bekäme.
War das noch der gleiche DIN, den sie vor Monaten kennengelernt hatte?
Da jedoch auch im Laufe der Zeit keiner der anderen Chatfreunde irgendwelche Zweifel anmeldete, war Johanna nur all zu gern bereit, dies zu glauben.
Das war dann der Anfang vom Ende.
„Frau Förster? Die Kontonummer stimmt aber nicht mit dem Namen überein. So können wir die Einzahlung nicht entgegen nehmen.“, meinte die Kassiererin und reichte Johanna den Einzahlungsschein zurück. Johanna schaute irritiert auf die Kontonummer, auf den Namen … auf die Kassiererin.
Das konnte doch nicht sein. Sie hatte doch schon Geld auf dieses Konto überwiesen. Mit genau diesem Namen.
Dennis Ingo Noll.
Plötzlich stand ein Herr hinter ihr, wies sich als Hauptmann von der Kriminalpolizei aus und bat Johanna ins Sprechzimmer der Volksbank. Vor Schreck stellten sich Johanna die Härchen im Nacken auf. Sie hatte keinen Schimmer, was jetzt hier eben ablief. Obwohl sie lieber umgekehrt wäre, machte sie gute Miene zum bösen Spiel. Im Sprechzimmer erklärte der Herr der Polizei, dass dieses Konto für betrügerische Zwecke genutzt wurde. Man sei nun auf der Suche nach potentiellen Opfern der Abzockerbande. Einer Bande, die auf eine Mitleidsmasche auf
verschiedenen Plattformen machte und an das Mitgefühl anderer User appellierte. Man wollte nun von Johanna wissen, woher sie die Kontonummer hatte, wie sie zu diesem Namen gekommen sei und vieles mehr.
Jeder Gedanke in Johanna sperrte sich gegen diese Vorstellung, DIN …. ein Verbrecher.
Es war ihr nicht um das Geld. Das bedeutete ihr nichts. Aber zu sagen, sie habe sich in ihm geirrt … das tat schon irgendwie weh. Seither strich sie ungezählte Male über sein Bild in ihrem Touch Handy und stets war nur ein leises Tuten zu hören. Er musste doch irgendwann mal ans Telefon gehen. Sie hatte doch diese Nummer schon einmal angerufen … doch es ging keiner mehr ran.
„Entschuldigung?“
Johanna blickt auf. Ein Mann im fortgeschrittenen Alter, groß, imposant … steht vor ihr.
„Sie sind die Dame, die meinem Sohn Geld … ähm … Verzeihen Sie. Wenn ich mich vorstellen darf. Mein Name ist Noll. Ich nehme an, Sie sind die Dame, die meinem Sohn Geld überweisen wollte.“
Mit diesen Worten nimmt er unaufgefordert neben Johanna Platz.
„Sehen Sie, man soll ja über Tote nicht schlecht reden, aber er war ein Taugenichts, Herumtreiber … und ich kann nicht verstehen, wie eine Frau wie Sie, so einem Verbrecher Geld hinterher ...“
Johanna schaut den Fremden erstaunt und
fragend an und er verstummt mitten im Satz. „Wie meinen Sie das, man soll nicht über Tote schlecht reden? Wer ist hier tot? Ich verstehe nicht!“
„Hat man Ihnen denn nicht gesagt, dass Dennis bei einem Verkehrsunfall vor fast einem halben Jahr ums Leben gekommen ist? Sein verkommener Freund hat den Wagen in total bekifften Zustand gegen einen Baum gedonnert. Zwei Tote, eine Schwerverletzte und … dem Fahrer ist nichts passiert. Nur ein paar Kratzer.“
Herr Noll macht eine wegwerfende Handbewegung. Man sieht es ihm an, dass ihm der Tod seines Sohnes nichts ausmacht. „Es ist nicht schade um die Bande. Immer nur Ärger. Selbst über den Tod hinaus. ...“
Johanna hört dem Gebrumme des alten Mannes nicht mehr zu.
Nur eines beschäftigt sie noch.
Er war tot.
Sie hatte sich in all der Zeit an seine Bilder und eine fixe Idee geklammert.
Es war nur ein Traum.
Ein leichtes Lächeln schleicht sich bei dieser Erkenntnis auf Johannas Antlitz.
Für sie war er nie ein Verbrecher. Er war immer etwas Besonderes. Für sie.
Sie bereut nichts. Nichts tut ihr leid. Kein Augenblick, keine Sekunde, keine Entscheidung und kein Cent.
Für ihn hätte sie fast alles getan. Nur für ihn. Wer solche Gedichte schreiben kann, von trauriger Schönheit … Wer zu so tiefen
Gefühlen fähig ist … Wie kann ein solcher Mensch von Grund auf böse und verdorben sein?
Egal was sein Vater glaubt, über ihn sagen zu müssen, er kennt ihn nur aus längst vergangenen Zeiten.
Jeder Mensch kann sich ändern und Dennis war definitiv nicht mehr jener junge Mann, der es sich zur Aufgabe machte, über jedwedes Gesetzt hinweg zu sehen.
Für Johanna war Dennis Ingo Noll, genannt DIN, ein Strohhalm im endlosen Netz.
„Immer diese jungen flatterhaften Dinger. Fallen ständig auf diese kriminellen Typen, die sich zäh und klebrig wie Sirup zu einer bösartigen Wucherung unserer Zivilisation
entwickeln, herein.“
Der Kommissar schiebt die Akte beiseite.
Er nimmt den schlichten Bilderrahmen von seinem Schreibtisch und betrachtet verstohlen die junge Frau auf dem Foto. Mit vom Wind verwuscheltem Haar stand sie am Rand einer Bucht.
Erinnerungen werden wieder wach.
Sie hatten diese Reise an die Nordseeküste … er hatte diese Reise nutzen wollen, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sie … sie wollte ihm schonend beibringen, dass es keine gemeinsame Zukunft geben würde. Sie hatte auf einem Dating Portal im Internet einen … Er hattte ihr nicht weiter zugehört. Gekränkt hatte er seine Sachen gepackt und war abgereist. Jahre später hatte er dann
erfahren, dass er ein Säufer war und sie nach Strich und Faden ausgenutzt, verprügelt und betrogen hatte. Sie ist daran zerbrochen. „Ach Sonja. Ich hätte dich nicht so zurücklassen sollen. Nicht so. Nicht ohne dir meine ewige Freundschaft anzubieten. Später ist man immer schlauer. … Träume die im Internet entstehen ...“
Traurig stellt er das Bild wieder auf seinen Schreibtisch.
Mit einem Seufzer wendet er sich wieder dem aktuellen Fall zu. Einem Fall von Internetbetrug, bei dem eine Bande die Träume junger Mädchen und Frauen ausnutzt, um an Geld zu gelangen.
„Schauen wir mal, wessen großer Traum dieses Mal wie ein Luftballon zerplatzt ist.“,
murmelt er und starrt verblüfft auf …
Johanna Förster, eine attraktive Mittfünfzigerin, die lächelnd sein Büro betritt.
© A.B.Schuetze 03/2015