Der 18.Geburtstag
Leonie war ein nettes junges 12-jähriges Mädchen. Wie alle Mädchen in diesem Alter liebte sie Pferde, Musik, und, das war das besondere an ihr: Ihre Handpuppen.
Die Liebe zu ihren Handpuppen ging so weit dass sie niemals das Haus verließ ohne eine ihrer geliebten Puppen mitzunehmen. Selbst in die Schule nahm sie eine davon mit. Da sie allerdings nicht wollte dass ihre Mitschüler und Mitschülerinnen merkten dass sie trotz ihrer 12 Jahre noch mit Puppen spielte, schloss sie diese jeden Tag in ihrem Spind ein. In ihrer Schule hatte jeder Schüler und jede Schülerin einen eigenen Spind. Dort
mussten auch alle Handys, Tablets, Smartphones, und was es sonst noch so an Kommunikationsmöglichkeiten eingeschlossen werden.
Es hatte schon viel zu oft Betrugsversuche gegeben, bei denen die Schüler sich Antworten auf irgendwelche Fragen in ihren Arbeiten per SMS hatten zuschicken lassen. Selbst durch das einschließen und der Pflicht den Spind Schlüssel hinterher beim Lehrer abzugeben konnten die Betrugsversuche nicht komplett verhindert werden. Wie die Schüler und Schülerinnen das schafften hatten die Lehrer noch nicht herausgefunden. Denn eigentlich war das unmöglich.
Leonie freute sich jeden Tag auf die große Pause und natürlich auf den Schulschluss, denn dann konnte sei endlich wieder eine ihrer geliebten Puppen aus dem Schrank holen. Sie hatte inzwischen weit über 30 verschiedene Handpuppen. Und sie sprach mit diesen Puppen so als wären diese lebendig.
Morgens wenn sie aus dem Haus ging fragte sie immer in den Raum Wer denn nun mitkommen möchte. Natürlich schrien in Leonies Vorstellung erst einmal alle Puppen „Ich“ „Ich“ und „Ich“
Das war aber nicht möglich. Es durfte immer nur eine der Puppen mit. Nach einer
gewissen Zeit nahm sie dann eine Puppe, steckte sie in ihre Puppentransporttasche und beauftragte noch zwei zuhause gebliebene Puppen dass sie doch auf die anderen aufpassen sollten.
So ging das viele Tage, Wochen, Monate und sogar Jahre. Erst an Leonies 18.Geburtstag geschah etwas Seltsames. Sie hatte einige Gäste auf ihre Party eingeladen. Bei Raphael hatte sie es sich lange überlegt ob sie ihn wirklich einladen sollte. Raphael kannte sie schon sehr lange, aber wenn der auf einer Party war, dann konnte er sich nur selten zurückhalten was den Alkohol anging. Und wenn er dann die Alkoholvorraete der Gastgeber geplündert hatte ging es meist
nicht lange bis es zu einem riesigen Tumult kam. Oftmals gingen dabei auch wertvolle Vasen oder Möbelstücke zu Bruch. Doch Leonie wollte auch Raphael eine Chance geben. Sie hatte gehört dass dieser vor nicht allzu langer Zeit in einer Klinik war und dass er dort versucht hatte sich den Alkohol abzugewöhnen. Leider wollte das allerdings nicht so wirklich klappen.
Raphael, Leonie und die anderen Gäste tanzten zu guter 80er-Jahre Musik im freigeräumten Wohnzimmer. Die Stimmung wurde von Minute zu Minute ausgelassener. Raphael hatte schon längst den Schrank mit den alkoholischen Getränken entdeckt. Egal wann man nach ihm schaute. Er saß immer
auf einem kleinen Sessel in einer Ecke mit einer Flasche in der Hand. Der Unterschied war nur dass sich die Art des alkoholischen Getränks immer wieder änderte. Mal hatte er einen Whisky in der Hand, dann einen Schnaps, einen Likör, oder was auch immer. Schon aus einer Entfernung von mehreren Metern war seine Fahne zu riechen. Und dazu sein Gejammer dass nur unverständlich aus seinem Mund kam. Man glaubte zu verstehen dass er gerne eine Freundin hätte, doch mit der Fahne und einer derart schlechten Ausdrucksweise, da konnte er wahrscheinlich noch Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende darauf warten dass sich eine Frau für ihn interessierte.
Nach einiger Zeit stand Raphael auf und
schon beim Aufstehen schmiss er ein paar Gläser vom Tisch. Es klirrte und schepperte und die Scherben sprangen durch die Luft. Neben dem Sessel auf dem Raphael die ganze Zeit gesessen hatte saß ein Liebespaar das sich erst hier auf Leonies Party kennengelernt hatte. Mark und Gabi. Die beiden waren so ineinander vertieft und mit kuscheln und küssen beschäftigt dass sie das Geklirre und Geschepper des zerbrechenden Glases sehr erschreckte.
Raphael versuchte dann einige Schritte zu laufen, doch das einzige was dabei heraus kam war dass er Andrea umwarf. Da Andrea am Buffeetisch stand und hinter ihr noch einige weitere Personen die sich ebenfalls am Buffettisch bedienen wollten flogen diese
nacheinander um, gerade so als wären sie Dominosteine.
Bald schon entstand aus dem Getümmel und Gewühle auch noch eine Schlägerei. Leonie bekam große Angst, sehr große Angst. Sie wäre am liebsten in einem Erdloch verschwunden. Doch sie wusste auch dass das nicht möglich sein würde.
Da spürte sie in ihr ein seltsames Kribbeln. Ein Kribbeln wie sie es bisher noch nie in ihrem ganzen Leben verspürt hatte. Außerdem hatte sie das dringende Bedürfnis eine Puppe zu sich zu holen.
Diese Angewohnheit mit den Puppen hatte sie immer noch. Nur war es ihr jetzt nicht mehr
peinlich zuzugeben dass sie noch mit Puppen spielte. Jetzt war es eben so dass das eine Eigenart von ihr war.
Und entweder wurde das akzeptiert oder eben nicht. Sie war sie und es war ihr inzwischen völlig egal geworden was andere über sie dachten. Sie fragte sich allerdings was dieses Kribbeln wohl sein könnte, denn dieses Kribbeln wurde immer stärker. Sie hatte das Gefühl als würde ein, nein eigentlich zwei, Ameisenhaufen direkt unter ihrer Haut hin und her krabbeln.
Irgendwie hatte sie das Gefühl dass das Kribbeln etwas mit ihrer Puppe oder ihrer Puppenliebe zu tun haben musste. Also ging
sie zu ihren Puppen die oben in ihrem Zimmer waren. Diesen Bereich hatte sie für die Partygäste gesperrt, da sie nicht wollte dass jeder ihrer Gäste einfach so ihre Puppen anfingerte. Dafür waren sie für Leonie einfach zu wichtig.
Sie ging daher hoch in ihr Zimmer in dem die ganzen Puppen saßen, und erst dachte sie dass das Kribbeln jetzt besser würde, doch das war wohl eine Täuschung, denn je näher sie ihren Puppen kam umso stärker wurde das Kribbeln. Der Unterschied war nur: Unten in den Räumlichkeiten in denen die Geburtstagsfeier stattfand hatte sie das Kribbeln als äußerst unangenehm empfunden. Hier oben fand sie es sehr
angenehm. Sie konnte nicht genug davon kriegen. Und je näher sie den Puppen kam umso stärker kribbelte es. Und je mehr es kribbelte umso mehr wollte sie von diesem Gefühl haben.
Nachdem sie so einige Zeit vor ihren Puppen gestanden hatte, setzte sie sich zwischen Ramona-Rebecca und Desiree. Zwei ihrer Puppen. Schon wieder wurde das Kribbeln stärker, und sie wollte mehr davon, noch mehr. Es war schon fast eine Sucht geworden, und das obwohl sie noch gar nicht wusste woher dieses kribbeln kam und was es zu bedeuten hatte. Sie nahm ihre Mönchspuppe auf den Schoss, steckte ihre Hand von hinten in den Mund und da
geschah es. Von einer Sekunde auf die andere sah sie nicht mehr den Mönch vor sich. Sondern sie sah sich selbst und sie hatte das Gefühl als würde ihr jemand eine Hand in den Kopf stecken. Es dauerte eine Weile bis sie kapiert hatte was da geschehen war. Noch war sie sich nicht ganz sicher, aber eigentlich war es doch irgendwie klar, es konnte nur eine Erklärung geben:
Aus welchem Grund auch immer hatte sie sich in die Mönchspuppe die sie gerade noch auf dem Schoss hatte verwandelt, während der Körper in dem sie bis eben gesteckt hatte aussah als wäre er nur noch eine Puppe.
Was war da geschehen? Das wollte sie herausbringen. Doch wie? Wenn sie sich in
eine Puppe verwandelt hatte würde sie ja vermutlich nicht laufen können. Sie probierte es, und, Oh wunder, doch es klappte. Sie konnte laufen. Zwar nicht so gut wie mit ihrem menschlichen Körper. Diese Fortbewegung war eigentlich kein Laufen mehr, sondern eher eine Art „Herumgewackel mit Vorwärtsbewegung“ aber egal, Hauptsache sie konnte laufen. Nach unten zu den anderen die da feierten wollte sie nicht gehen. Sie ahnte schon dass sie in diesem Zustand die anderen Gäste sehr erschrecken würde. Vielleicht konnte sie irgendwie herausfinden warum sie sich in eine Puppe verwandelt hatte. Vor allem wollte sie aber auch wissen unter welchen Umständen sie sich in eine Puppe verwandelte und ob sie das in der
einen oder anderen Art beeinflussen konnte.
Sie stellte das gesamte Obergeschoss auf den Kopf. Sie suchte in sämtlichen Schränken, Schubladen, unter sämtlichen Möbeln ob sie vielleicht irgendwo einen Hinweis darauf finden konnte wie das passieren konnte, und die ganzen anderen Fragen die sie in diesem Zusammenhang so hatte.
Da fiel ihr der goldfarbene Kasten wieder ein den ihr ihre Mutter zum 18.Geburtstag geschenkt hatte.
Als ihre Mutter ihr diesen gegeben hatte, das fiel ihr erst jetzt wieder ein, hatte sie noch erwähnt dass an ihrem 18.Geburtstag
wahrscheinlich etwas sehr seltsames passieren würde. Und dass sie dieses Kästchen erst dann öffnen sollte wenn an ihrem 18.Geburtstag etwas Seltsames geschehen war. Wo hatte sie dieses Kästchen nur hingelegt? Damals als ihre Mutter ihr das Kästchen gegeben hatte hatte sie so bei sich gedacht:
„Jaja, meine Mutter und ihr seltsamer Aberglaube“ Ihre Mutter glaubte an Engel, Elfen, Hexen und was es davon noch so alles angeblich geben sollte. Sie selbst konnte damit nichts anfangen. Sie war eher das was man realistisch nannte. Von solchen Geschichten wie dass man seine Wünsche erfüllt bekommt wenn man nur fest genug
daran glaubte hielt sie gar nichts.
Sie suchte überall, nach langem, sehr langem Suchen hatte sie es dann doch gefunden. In der Schublade eines Schrankes, ganz hinten im Eck, da lag es. Und schon hatte sie das nächste Problem:
Wie sollte sie das Kästchen öffnen? Es war verschlossen, doch der Schlüssel war nicht in der Nähe des Kästchens. Sie zerbrach sich den Kopf wo sie denn nun den Schlüssel hingetan haben könnte.
Auch hier suchte sie wieder stundenlang, solange bis es ihr einfiel dass sie diesen Schlüssel in die Kleidungstasche einer Puppe gesteckt. Sie suchte, und sie fand ihn. In der
Hosentasche von Florian hatte sie den Schlüssel versteckt…
Sie öffnete die Schachtel, und erst einmal war sie enttäuscht, denn das einzige was sie sah war ein anscheinend leeres weißes Blatt Papier. Wie hing das alles nur zusammen? Stand da etwa etwas drauf auf diesem weißen Papier was man so nicht lesen konnte? Sie erinnerte sich dass ihre Mutter immer gerne mit Geheimschriften experimentiert hatte. Sie erinnerte sich dass ihre Mutter am liebsten mit Zitronensaft geschrieben hatte und sie wusste dass man diese Schrift wieder sichtbar machen konnte wenn man das Blatt Papier vorsichtig erwärmte. Und schon wieder war sie am
Suchen. Jetzt musste sie irgendetwas suchen mit dem sie das Papier warm machen konnte. Entweder ein Bügeleisen, oder eine Kerze und Streichhölzer.
Nachdem sie wie schon so oft am heutigen Tage gesucht hatte fand sie auch einige Kerzen und ein paar Streichhölzer. Sicherheitshalber suchte sie sich noch eine Unterlage damit sie nicht aus Versehen die ganze Wohnung in Brand steckte. Es war alles andere als einfach für Leonie mit ihren Puppenhänden die Streichhölzer zum Brennen zu bringen, und dann auch noch die Kerze anzuzünden. Doch irgendwann, nach großen Mühen hatte sie es geschafft und sie las auf dem vorher weißen Blatt Papier,
welches offensichtlich ein unsichtbar geschriebener Brief an Leonie war
„Liebe Leonie,
nun ist es also geschehen. Auch Du hast gemerkt dass bei Dir etwas anders ist als bei allen anderen Menschen. Du hast Dich, wie wir alle aus unserer Familie an Deinem 18.Geburtstag in irgendetwas verwandelt. Ich kann Dir nicht einmal sagen in was. Denn das ist das seltsame in unserer Familie
Wir verwandeln uns alle an unserem 18.Geburtstag in irgendetwas anderes. Wir hatten schon so ziemlich alles in unserer Familie. Dein Vater war ein Werwolf, während ich eigentlich ein Reh bin und mich an meinem 18.Geburtstag in einen Menschen
verwandelt habe. Deine Oma verwandelte sich an ihrem 18.Geburtstag in eine Katze, und Dein Opa verwandelte sich in eine Maus. Das war etwas unpraktisch und schwierig da die beiden am gleichen Tag Geburtstag haben. Aber irgendwie schafften es beide zu überleben. Und sei froh darüber. Denn, hätten sie es nicht überlebt würde es mich nicht geben, und wenn es mich nicht geben würde, würde es logischerweise auch Dich nicht geben.
Vielleicht hast Du Glück und hast Dich in etwas verwandelt womit Du gut leben kannst.
Wir wissen alle nicht, wieso das so ist, und
das ist noch nicht alles, es wird noch seltsamer
Manche aus unserer Familie verwandeln sich automatisch um Mitternacht wenn der 18.Geburtstag vorbei ist wieder in ihre ursprüngliche Form. Doch leider nicht alle. Manche von uns bleiben leider für immer in der Gestalt die wir an unserem 18.Geburtstag annehmen. Angeblich soll es einen Menschen geben, der einem in einem solchen Fall helfen kann. Doch weder Deine Mutter, noch Dein Vater, noch Deine Großeltern waren in der Lage diesen Menschen zu finden. Vielleicht gelingt es Dir. Obwohl Du ihn ja eigentlich gar nicht brauchst wenn es bei Dir so sein sollte dass Du am
Ende Deines 18.Gebuirtstages Deine normale menschliche Gestalt wieder annimmst.
Deine Mama Lucy
Als Leonie das gelesen hatte war sie doch reichlich irritiert, sie hatte schon viel, sehr viel über Gestaltwandler gelesen. Außerdem liebte sie sämtliche Arten von Sciene-Fiction, Fantasy und Mystery und da kamen sehr oft Gestaltwandler drin vor. Und dennoch war es etwas anderes, etwas darüber zu lesen, oder selbst davon betroffen zu sein.
Inzwischen hatte Leonie die Feier unten vergessen. Und ihre Gäste die unten waren
schienen auch sie vergessen zu haben, niemand schien sich mehr für sie zu interessieren. Irgendwie war dieser Tag sehr anstrengend gewesen. Und dann noch ein solch merkwürdiges Ende. Sie wollte nur noch eines: Ins Bett. Normalerweise nahm sie nur eines ihrer Kuscheltiere mit ins Bett denn bei ihren Handpuppen hatte sie zu große Angst dass diese dann unter ihrem Gewicht leiden würden wenn sie sich vielleicht einmal auf sie drauf legte.
Dazu kam dann noch dass diese Puppen dann sicher sehr viel schneller abgenutzt aussehen würden als so wenn sie nur tagsüber mit ihnen spielte. Wobei…das fiel ihr jetzt erst ein. Wie sollte sie denn mit den
Puppen spielen wenn sie selbst eine war?
Sie legte sich einen Märchenfilm in ihren Laptop und legte sich hin. Es klingt vielleicht seltsam dass ein Mädchen mit 18 noch immer Märchenfilme liebte. Doch Leonie liebte diese Märchenfilme schon seit sie ein kleines Kind war. Ohne Märchen konnte und wollte sie nicht einschlafen.
Heute legte sie sich eine Verfilmung von Hänsel und Gretel in den DVD Player ihres Laptops.
Dann nahm sie ihre Medikamente, legte sich so gut es in ihrem Zustand ging hin. Jetzt als Puppe war ihr das Bett natürlich eigentlich viel
zu groß. Aber egal, so hatte sie wenigstens Platz.
Sie hörte noch dass die Gäste unten wohl alle gegangen waren, denn irgendjemand hatte die Musik ausgeschaltet und wenn sie richtig mitgezählt hatte war die Tür genauso oft zugeworfen worden wie sie Gäste eingeladen hatte.
Bald schon war sie eingeschlafen.
Als sie am nächsten Tag aufwachte war sie wieder ein ganz normaler Mensch, und auch das Kästchen und der Brief ihrer Mutter waren nirgends mehr zu sehen. Hatte sie womöglich alles nur geträumt?
Sie dachte darüber nach, doch sie wusste es
nicht. An diesen Traum oder dieses Erlebnis was immer es war sollte sie noch bis an ihr Lebensende denken müssen.
Wenn jemand meiner Leserinnen oder Leser weiß ob Leonie das nur geträumt hat, oder ob es ein echtes Erlebnis war, dann darf er oder sie mir das gerne schreiben. Ich leite den Brief dann an Leonie weiter….vorausgesetzt es gibt sie überhaupt…denn auch da bin ich mir nicht mehr so ganz sicher.
Vielleicht ist ja das ganze Leben nur ein Traum? Wer weiß das schon? Kann man sich da sicher sein nicht das ganze Leben zu träumen?
(c) Jeanne Darc