Die Rückfahrt kam mir total kurz vor, ich war überrascht, als Stan plötzlich vor einem Hotel stoppte und sagte „Das ist besser als die kleine Bude, schätze ich mal. Das Bett ist doch arg schmal dort, nicht wahr, Katy?!” Dabei zwinkerte er mir so anzüglich zu, dass ich irritiert zurück zuckte – und auch Jens seine Augenbrauen nach oben schnellen ließ. „Spaßvogel”, zischte ich und er lachte. „Ich guck mal, ob sie was frei haben”, meinte er dann und hüpfte aus dem Jeep. Jens drehte sich um. „Was war das denn?”, fragte er dann tatsächlich und ich hätte meinen Stiefsohn in diesem Moment erwürgen können. Was sollte man darauf sagen? In so einer Situation hat man das Gefühl, jede Antwort würde wie eine Ausrede klingen, egal, wie unschuldig man
ist! „Er spielt darauf an, dass er sich zu fein dafür war, auf dem Sofa in dem kleinen Redaktionsappartment zu pennen und sich deswegen neben mich aufs Bett gequetscht hat”, grollte ich. Das kam der Wahrheit am nächsten und schützte Stans 'Geheimnis' noch eine Weile. DAS war etwas, was er, wenn überhaupt, seinem Vater selber beichten sollte. „Ach so”, machte mein Mann, „ich dachte schon, du seist raus gefallen.” „Tja”, hakte ich nervös nach, „so wie die mich vollgepumpt haben, war das auch im Bereich der Wahrscheinlichkeit … Aber jetzt bin ich wieder fit, siehst du?” Zum Beweis kletterte ich hinten aus dem Jeep und wollte auf den Boden springen – und blieb natürlich prompt mit dem Fuß hängen. Nur der Überrollbügel, an dem ich mich festklammerte,
verhinderte, dass ich mich brutal auf die Fresse legte, statt dessen schwang ich im Halbkreis und klatschte platt gegen die Beifahrertür. In diesem Moment wollte sich Jens schier kaputt lachen! Irritiert sah ich ihn an, weniger, weil er mich auslachte, sondern mehr, weil er eben lachte – und nicht sofort besorgt rumgluckte! Aber eigentlich fand ich das ganz gut so, fiel in das Lachen mit ein, sammelte meine Knochen und hüpfte auf den Boden, während auch Jens ausstieg. Eine Minute später kam Stan zurück und wirbelte einen Schlüssel um seinen Finger. „Ich hab euch ein schönes Zimmer gemietet”, flötete er überflüssigerweise und warf das Ding in unsere Richtung. Jens fing es auf. „Danke, mein Junge. Aber kennst du hier in der Nähe auch ein Restaurant?”, fragte er dann unvermittelt. „Ich
hab einen Bärenhunger!” „Wirklich?”, machte Stan und zog die Stirn übertrieben kraus. „Ich hätte eigentlich gedacht, ihr wolltet lieber gleich das Zimmer begutachten! Na gut, hier entlang ...” Das reichte mir jetzt mit den Anzüglichkeiten! „Jens, kannst du dir eigentlich vorstellen, dein lieber Sohn hat doch echt nach deinem Zettel geglaubt, du wolltest mich verlassen!”, säuselte ich mit dem liebsten Lächeln der Welt. Auf Stans entsetzten Seitenblick hin streckte ich ihm einfach die Zunge raus. Jens dagegen machte ein Geräusch. „Hrrmpf, ja, ich glaube, da stand ich selber noch ein bisschen unter Drogen. Jetzt weiß ich wenigstens, wie sich Pfanni früher oft gefühlt haben muss! Im Nachhinein sehe ich ein, dass die Botschaft ein wenig, hm, kryptisch war
...” Dann fiel ihm etwas ein. „Aber – wieso verlassen? Junge?!” Der wand sich ein bisschen und musste nun bekennen, uns zuhause schon mal belauscht zu haben. Sein Blick traf meinen erneut und er nickte mir anerkennend zu. Nun waren wir quitt! Da wir in diesem Augenblick das Lokal erreichten, war Stan eh vorerst gerettet. Beim Essen erzählte Jens ein bisschen über seinen Trip in unser ehemaliges Gefängnis. Er war getrampt, was erstaunlich gut geklappt hatte. Die einfache Bevölkerung hielt hier zusammen, es gab anscheinend auch gute Seiten an diesem Land. Ich hoffte, mich irgendwann mit ihm versöhnen zu können, aber im Moment fieberte ich dem Moment entgegen, in dem unser
Flugzeug abheben würde. Aber da war noch etwas … „Wie … wie sah es dort aus?”, fragte ich leise, nachdem der Kaffee serviert worden war. Jens verstand. „Kaum noch was zu sehen. Alles ziemlich sauber aufgeräumt.” Er schluckte und ich dachte, dass er an jenem Tag sicher auch viele unschöne Dinge gesehen hatte. „Das letzte Stück bin ich gelaufen, der Weg war überdeutlich gut zu erkennen, das habt ihr ja sicher selbst gesehen. Im Dorf selber waren jede Menge Absperrbänder, aber keine einzige Wache. Dabei hatte ich mich schon auf so schöne Diskussionen eingestellt!” Da musste ich kichern, das war so typisch Jens – und auch etwas, was ihn mit der Kunstfigur Rollen D. Rubel tatsächlich verband.
„Ich konnte also einfach ins Lagerhaus rein marschieren und meine Sachen holen, gar kein Problem. Aber ich bzw. meine Füße waren echt froh, als ich euch mit dem Auto kommen sah!” Stan schüttelte tadelnd den Kopf, seufzte dann. „Ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich von einem Verrückten abstamme. Der einfach so ins Feuergefecht läuft oder in tiefe Hafenbecken springt!” Jens guckte irritiert und ich zog entschuldigend die Schultern hoch. „Ich kam nicht umhin, ihm nach seinem Lauschangriff unsere Geschichte zu erzählen. So im wesentlichen”, setzte ich noch nach, fing seinen Blick auf und sah es darin glimmen. Wir zahlten, doch als wir wieder aufstanden, merkte ich, dass ich mir den Fuß doch stärker
gezerrt hatte, als ich dachte. Tapfer unterdrückte ich den Schmerz, zum Glück war es nicht weit zurück. Vorm Hotel trennten sich unsere Wege. Stan erklärte sich bereit, unsere über die halbe Stadt verteilten sonstigen Habseligkeiten einzusammeln. „Bist ein guter Junge”, lobte Jens ihn scherzhaft, „darfst dir auch zuhause was Schönes aussuchen!” „Nee lass mal”, meinte Stan da plötzlich ernst, bis ihm dann auf einmal wieder der Schalk durchs Gesicht fuhr, „die Exklusiv-Rechte an der Story reichen mir!” Dann war er in dem schnittigen Jeep auch schon davon gebraust, während Jens noch der Mund offen stand. Da musste ich spontan lachen und foppte ihn. „Tja, der Junge hat die Geschäftstüchtigkeit halt von seinem Vater geerbt, mach was dran!” „Tss”, machte dieser und wandte sich mir dann ganz zu. „Und jetzt, da er weg ist, darf ich dir
da helfen, du Humpelfuß?” „Mist, du hast es gemerkt”, seufzte ich. Plötzlich schaute er furchtbar schuldbewusst. „Sorry, dass ich dich vorhin ein bisschen ausgelacht habe.” „Nein, bitte, das war okay, ich fand es ja selber lustig. Und wenigstens warst du mal nicht so overprotective zu mir, als wäre ich, naja, ein kleines Kind ...” Auf einmal standen wir seltsam befangen da auf dem Bürgersteig irgendwo in Bogota. Bis Jens seufzte und die Augen verdrehte. „Naja”, machte er, „es war aber auch echt zum Schießen, als du plötzlich mit deiner Nase fast an meine geknallt bist ...” Einem plötzlichen Impuls folgend öffnete mein Schatz die Arme, ich warf mich hinein und er umschloss mich fest
darin. „Außerdem tut es mir im Nachhinein leid, dass ich dich … bei dem Angriff … dort allein gelassen habe-” „Nein, bitte! Das sollte es nicht, ich, also, ich habe dich wirklich aus vollster Überzeugung gehen lassen, weil ich wusste, du … du musstest das tun. So, wie du damals in den Hafen gesprungen bist und mich gerettet hast.” „Der Hafen, ja …”, murmelte Jens. „Aaaber”, setzte ich nach und stach mit dem Finger in Jens' Brust, „ich kann nur wiederholen, wie kann man nur so dämlich sein, sich noch einmal freiwillig in Gefahr zu gegeben? Wenn nun noch einer dort gelauert hätte …! Du Idiot!” „Autsch! Okay, ich sag ja, die Drogen ...” „Witzig”, grollte ich. Jetzt, da alles vorbei war, konnte ich ihm ja endlich genüsslich die
Meinung geigen. „Nein, ernsthaft, es tut mir auch leid, dass du deswegen noch mal an mir zweifeln muss-” Ich stöhnte auf. „Hab ich doch gar nicht! Stan war es. ICH wusste gleich, was du wolltest!” „Wirklich?” Ich sah zu ihm hoch. „Wirklich. So bist du nun mal und vielleicht liebe ich dich gerade deswegen? Außerdem hattest du es mir geschworen!” Nun sah ich den Schalk im Gesicht meines blonden Engels. Der lächelte nun und ich musste ihn einfach küssen. „Ja, das habe ich”, schmunzelte er. „Weil ich es endlich eingesehen habe. Du weißt, ich hatte die letzten Wochen reichlich Zeit zum Nachdenken. Ich hatte mich ja selber über mich im letzten Jahr gewundert. Und da ist mir klar geworden, was dahinter steckt! Nämlich dass ich ... nun ja, mit der Entwicklung, die du in den letzten
Jahren gemacht hattest, nicht ganz klar gekommen bin.” Er wurde jetzt etwas ernster. „Cat, versteh mich richtig; ich war und bin wahnsinnig stolz auf dich! Darauf, wie du dein Leben auf der Straße gemeistert hast, wie du überhaupt am Leben geblieben bist ...“ Seine Hand krallte sich plötzlich in meinen Rücken, er schien es nicht zu merken. „Wie du dich ins normale Leben zurück gekämpft hast und zu so einer unglaublich patenten, schönen und klugen Frau geworden bist ...“ Fast wurde ich rot unter seinem Lob, aber ich wusste, da kam noch was. „Catherine“, fuhr er fort und mehr denn je erschauerte ich dabei, „wirklich, zwischen der kleinen kratzbürstigen Streunerin, die damals von Anfang an meine Zuneigung und später mein
Herz erobert hat, und der kompetenten, allseits beliebten Zootierärztin liegen im Grunde Welten.“ „Mag sein“, krächzte ich, „aber ich hab das doch auch dir zu verdanken. Du hast mir die Starthilfe gegeben, die ich brauchte!“ „Ja, doch überleg mal, ich hab die Veränderung lange nicht begleiten können. Ganz am Anfang warst du ... warst du wie ein verletzter kleiner Igel, stachelig und widerborstig, aber doch hilfsbedürftig, was weder du noch der Igel eingesehen hätten.“ Wir grinsten uns einen Moment lang an und ich fühlte das altbekannte warme Gefühl in meinem Bauch. „Hm, der Vergleich ist vielleicht gar nicht so schlecht“, brummte Jens, dem es vielleicht genau so ging, „im übertragenen Sinne hab ich dich dann auch in die Freiheit entlassen.“ „Born free, free as the wind blows ...“, summte
ich leise und bekam einen Klaps. „Lass das, bei dem Lied wird mir immer ganz komisch!“ „Mir auch!“, staunte ich. „'Tschuldige, bitte erzähl weiter!“ „Und dann treffe ich eine taffe junge Frau wieder, die mit beiden Beinen im Leben steht und eigentlich prima ohne mich klar gekommen ist.“ Ich klappte den Mund auf, doch Jens legte den Finger auf meinen Mund. „Cat, dass du mir trotz allem, was bis dahin passiert war, deine Liebe geschenkt hast, war das Größte, was mir je im Leben passiert ist! Das war mir schon immer klar gewesen.“ Jetzt legte ich die Hände gegen seine Brust und legte meine Stirn dazwischen. Vielleicht, sogar ziemlich wahrscheinlich erregten wir zwei Weißbrote hier inzwischen eine gewisse Aufmerksamkeit, aber das war mir egal.
„Ach Jens, es mag so ausgesehen haben, als sei ich normal klar gekommen, aber, und das ist auch mir erst jetzt so richtig bewusst geworden, ich war die ganze Zeit über nur irgendwie ein halber Mensch. Ich hab gut funktioniert und ich hatte auf jeden Fall auch Spaß am Leben, ganz klar. Aber es hat etwas gefehlt, ein Teil meiner Seele war unvollständig ... Das ist wie mit einem Gericht, das einem gut schmeckt, doch kommt ein bestimmtes Gewürz dazu, merkt man erst, wie fad es vorher war, dass es erst jetzt perfekt ist! Ja, der Vergleich hinkt sicher, aber verstehst du, was ich meine?“ Jens wiegte den Kopf unsicher hin und her und ich konnte ihn gut verstehen. „Meine Entwicklung, verstehst du, die war damals noch gar nicht abgeschlossen! Erst,
nachdem wir endgültig zusammen gekommen sind, war ich endlich ein ganzer Mensch. Du hast mich komplettiert! Und erst dann konnte ich den Platz im Leben einnehmen, der mir vorbestimmt war.“ Mit dem Handrücken strich Jens über meine Wange. „Meine Cat“, murmelte er dabei, „das darfst du nicht sagen, du darfst dich nicht so abhängig von mir machen. Du bist viel stärker.“ Empört richtete ich mich auf. „Dass ich das bin, hab ich ja wohl in den letzten Monaten bewiesen. Aber Jens, Zusammengehörigkeitsgefühl mit seinem Seelenpartner ist doch eine Stärke, keine Schwäche!! DU bist mein Leben und selbst, wenn wir mal ab und zu entgegengesetzt ticken, gehören wir zusammen. Punkt.“ Zu meiner Erleichterung nickte er da. „Ja, das weiß ich jetzt auch. Deswegen hab ich dir schon
im Lager versprochen, nichts in der Richtung zu machen. Nein, dafür … Dafür liebe ich dich viel zu sehr. Du hast gesagt, ich sei ein Egoist, überhaupt daran zu denken, dich frei zu lassen. In Wahrheit bin ich ein noch größerer Egoist und will nicht ohne dich leben. Also, wenn du diesen alten Knacker weiter haben willst ...” Ich verdrehte die Augen, sah dann in seine, verlor mich in der Liebe, die sie ausstrahlten und hoffte, meine würden ihm das Gleiche sagen. Und vielleicht war es so, denn Jens sah in diesem Moment so glücklich aus … Als wir uns dann ganz langsam einander näherten, war das fast wie die Spannung der Jungfrau vor dem ersten Kuss. Hauchzart legten sich unsere Lippen aufeinander, bis sie sich enger aneinander saugten und unsere Zungen einen langsamen Tanz begannen.
„Vielleicht sollten wir uns jetzt mal unser Hotelzimmer ansehen”, murmelte Jens, als wir Luft holten, konnte es aber nicht lassen, weitere kleine Küsse auf meinem Gesicht zu verteilen. „Hmhm”, stimmte ich zu und Hand in Hand gingen, nein, liefen wir durch die Lobby und eilten die Treppe nach oben. Ich hatte gerade die Tür hinter mir geschlossen und mich umgedreht, da rummste ich auch schon wieder mit dem Rücken dagegen – weil Jens mich in diesem Moment so ungestüm küsste, dass es uns mit Schwung nach hinten warf! Sein Mund eroberte meinen, wie er es noch nie getan hatte, so fühlte es sich zumindest an, und
seine Hände waren überall. „Catherine, ich liebe dich”, keuchte Jens zwischen den Küssen und seine Leidenschaft überrollte mich, entfachte auch meine Begierde in nie gekanntem Ausmaß. Denn irgendwie … fühlte es sich diesmal anders an - erwachsener als sonst, ja – gleichberechtigt! Natürlich hatten wir uns schon oft geliebt, wunderbaren Sex miteinander gehabt, doch, das erkannte ich nun, erst heute, jetzt, ließ sich Jens so richtig gehen, wie es ein Mann in wilder Leidenschaft mit einer Frau tun sollte. Endlich waren wir wirklich Partner! Wir taumelten gemeinsam Richtung Bett, ließen uns darauf fallen, küssten und streichelten uns leidenschaftlich. „Und ich liebe dich”, schaffte ich es in einer Atempause endlich zu antworten. Einen Augenblick hielten wir inne, blickten uns
tief in die Augen. Dies war ein Moment fĂĽr die Ewigkeit, die heute fĂĽr uns begann!