morgenspaziergang
Ich liebe es, die erste zu sein. Ich liebe die Einsamkeit auf meinem Weg.
Und so auch heute:
Ein Blick auf den Wecker. Wunderbar!
5:23 Uhr.
Also die beste Zeit für einen morgendlichen Spaziergang. Allein! Ohne Sonnenanbeter, die sonst nicht die Füße vor die Tür bekommen.
Ein Blick aus dem Fenster:
Dämmerung. Leichter Dunst in der Luft.
Es nieselt.
Sehr gut.
Bevor ich losziehe, bereite ich die Espressomaschine vor, dann brauche ich später nur noch den magischen Knopf drücken.
Mit einem Lächeln auf den Lippen mache ich mich wetterfest.
5:30 Uhr.
Ich schließe die Tür hinter mir und nehme einen tiefen Atemzug Morgenfrische.
Das Panorama, das sich mir hier bietet, passt in keinen Bilderrahmen.
Nicht ansatzweise!
Die Bäume, noch karg vom Winter, ragen gespensterhaft in den Himmel.
Ein roter labberiger Luftballon.
Wann hat er sich dort oben verfangen?
Ich biege vom Hauptweg ab. Gehe zu den kleinen Seen hinüber.
Ein Schwanenpärchen gleitet einvernehmlich durch die Bucht.
Falls man das so nennen kann, bei diesem kleinen Tümpel.
Am Rand des Wassers watschelt eine Ente unbeeindruckt von Uhrzeit und Nieselregen.
Ich ziehe weiter.
Möchte die Tiere nicht aufschrecken.
Nach einer kleinen Biegung tauche ich in den Wald ein.
Der Regen hinterlässt einen leichten Schimmer auf den Baumrinden.
Nebelschwaden verschleiern das Unterholz.
Äste knacken unter meinen Schuhen.
Aus dem Dunst heraus beobachtet mich ein geheimnisvoller Geselle.
Meine Phantasie spinnt soeben ein wundersames Netz aus Herzklopfen und Gefährlichkeiten.
Ich überwinde mich, trete näher heran. Es handelt sich um eine Wucherung an der Rinde dieses stattlichen Baumes.
Klebrige Harznasen geben dem Pilz sein markantes Aussehen.
Ganz langsam beruhigt sich mein Puls. Ich ziehe weiter.
Muss diesen Waldgeist zurücklassen. Aus meinen Gedanken und Phantasien verbannen, bevor er heranwächst zu einem unvergesslichen Grauen.
Während meine Füße mich weitertragen und mein Geist sich mit dem Verbannen beschäftigt, knacken erneut Äste.
Sie schreien unter den Schuhen.
Nur unter meinen Schuhen?
Nein! Auch in einiger Entfernung!
Wer ist so früh auf den Beinen?
Außer mir, versteht sich!
Ich beschleunige meine Schritte.
Es fehlt nicht viel, und ich laufe.
Laufe um die nächste Biegung.
Nebelschwaden grinsen gemein.
Ich schaue auf den Boden.
Steine und Äste bilden ein gezacktes Streifenmuster.
Mein feuchtes Haar verheddert sich im Geäst.
Ein Teil von mir bleibt dort hängen, während ich weiterhetze.
Der Schmerz hallt ein wenig nach.
Das Knacken der Äste kommt immer dichter an mich heran.
Meine Nackenhärchen richten sich auf.
Ich versuche meinen Schritt nochmals zu beschleunigen, doch ich stoße bereits an meine Grenzen.
Das Atmen brennt in meiner Brust.
Ich weiß, es gibt keine andere Möglichkeit.
An Flucht ist nicht mehr zu denken.
Zu langsam meine Schritte, zu behäbig mein Körper.
Also nehme ich meinen Mut zusammen.
Bleibe abrupt stehen und drehe mich blitzartig um.
„WAS SOLL DAS WERDEN?“, schreie ich heraus.
Eine dunkle Gestalt.
Vor meinen Augen verzieht sie sich in eine Nebelschwade.
Wie meine Courage verflüchtigt sich mein Gegenüber ins Nichts.
Die Beine butterweich, sacke ich zusammen.
Rasender Atem.
Aufgeregt kämpft mein Herz.
Es will scheinbar meinen Körper verlassen.
Ich halte es mit meinen Händen fest, damit es nicht entwischen kann.
Noch einen Augenblick Stille.
Dann erhebe ich mich mühsam und trete den Rückweg an.
Erlebe den Wald in umgekehrter Richtung. Eine ganz andere Empfindung. Am Ende des Weges wartet das Licht.
Während ich den Wald hinter mir lasse, freue ich mich.
Langsam setzt sich nun doch die Sonne durch.
Ich atme erleichtert auf.
Die Angst rieselt von meinem Nacken herab und hinterlässt nur flüchtige Schatten.
Nun freue ich mich.
Meinen Morgenkaffee kann ich, dank bester Vorbereitung, mit nur einem Knopfdruck genießen.
Genau richtig.