Durch die gläserne Terrassentür konnte sie ihren Mann gut beobachten. Die Sonne schien vom Mittagshimmel direkt durch die Scheibe in ihr Gesicht und blendete sie ein wenig. Sie schirmte ihre Augen mit der linken Hand ab. Den rechten Arm konnte sie dazu nicht benutzen, denn mit ihm hielt sie ihre gemeinsame Tochter fest. Ihr Mann stand im Garten und schien über seine nächsten Schritte nachzudenken. Er hatte den Rasen gemäht, Unkraut aus den Beeten gezupft und den Lorbeer gedüngt. Der Garten des Hauses war
nicht besonders groß, sodass die Arbeit innerhalb von zwei Stunden erledigt war. Das Wetter spielte an diesem Samstag perfekt mit. Ein paar Wolken am ansonsten blauen Himmel machten die Arbeit draußen verträglich angenehm. Daniel war mit seinem einen Meter neunzig immer etwas größer als sein Umfeld. Marie betrachtete ihn so ausführlich wie schon lange nicht mehr. Seine Haut glänzte leicht vom Schweiß der vorhergehenden Arbeiten. Er trug ein weißes T-Shirt. Eine leichte Brise zupfte daran und zeichnete den schlanken Oberkörper darunter ab. Seit der Geburt von Mia hatte sie sich ihren Mann nicht mehr so genau angesehen wie
in diesem Moment. Er hatte viel trainiert in den letzten Monaten, das hatte Marie mit bekommen. Aber jetzt fiel ihr auch auf, dass das Training sich anscheinend gelohnt hatte. Sie erwischte sich, wie sie unbewusst auf ihre Unterlippe biss und verschmitzt lächelte. Ihr Bauch kribbelte ein wenig, als ihr bewusst wurde, dass das ihr Mann dort auf dem Rasen war der sie gerade etwas mehr antörnte als sie sich eingestehen wollte. Marie war 29 Jahre alt, mit einem Meter vierundsiebzig durchschnittlich groß und ihre schulterlangen Haare strahlend blond. Daniel sagte ihr immer „wenn wir nicht verheiratet wären, müsste ich dich stalken“.
Er war 3 Jahre älter als sie und sie waren ein unschlagbares Team. Das Wichtigste aber war mit Abstand das gemeinsame Lachen. Beide konnten herrlich über sich selber und im Besonderen über den jeweils anderen lachen. Das Telefon klingelte und Marie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Als sie zum Telefon trottete griff Daniel draußen zur Heckenschere und schritt entschlossen über den frisch getrimmten Rasen auf die Grundstücksgrenze zu. Der Garten wurde von einer Lorbeerhecke begrenzt. Dahinter lag ein großes Grundstück, welches sich im Besitz der Gemeinde befand. Es war potentieller Baugrund. Der wilde
Bewuchs, brusthoch gewachsene Gräser und Kräuter ließen jedoch darauf schließen, dass Bauvorhaben vorerst in weiter Ferne standen. Weniger weit weg stand jedoch eine riesige, ausladende Brombeerhecke. Stand man vor ihr reichte sie in ihrer Höhe bis Daniels Stirn. Sie wuchs exakt an der Grundstückslinie entlang. Eine Brombeerhecke störte weder Marie noch Daniel in irgendeiner Weise optisch. Im Gegenteil, eigentlich trug sie etwas Romantisches, Friedliches bei. Allerdings wuchsen ihre Zweige penetrant in die Lorbeerbüsche und durch diese hindurch. Sie bewegten sich millimeterweise durch
die Büsche in den Garten hinein. Wie die langen, grünen Finger eines Ungeheuers streckten sie sich nach dem Haus aus. Wie Jäger auf der Lauer pirschten sie sich durch das leichte Blätterwerk der Lorbeeren und die Nischen zwischen den Begrenzungssteinen. Alle paar Wochen musste Daniel die Äste mit ihren Dornen aus den Büschen ziehen und abschneiden. Damit wollte er heute Schluss machen. Ein für alle Mal. Da er kein anderes Werkzeug hatte, entschied er sich für einfache Heckenschere. Er wusste, es würde hinterhältigen Muskelkater und gemeine Blasen geben. Aber er war heute in der richtigen
Stimmung dazu. Mit der Schere in der Hand drängte er sich durch die dichten aber noch kleinen Lorbeerpflanzen. Direkt hinter den Büschen ging es einen kleinen Absatz runter auf das öffentliche Gelände auf dem der Dornenbusch wucherte. Daniel machte einen Satz und landete direkt vor der Hecke. Er verschaffte sich einen Überblick und überlegte sich, wie er nun am besten vorgehen sollte. Die Entscheidung fiel, erstmal das hohe Gras um den Busch herum zu schneiden, damit er auch keine Äste und Schlingen im hohen Gras übersehen würde. Die Halme waren schnell gestutzt und nun lag die Dornenhecke rundum frei. Wie
ein Zahn von dem sich das Zahnfleisch gelöst hat stand sie da. Verletzlich und den Schneiden der Heckenschere wehrlos ausgeliefert. In unmittelbarer Nähe zur Dornenhecke überkam Daniel ein Moment der Zweifel über sein Vorhaben. Unbehagen machte sich in seiner Magengegend breit als ein frischer Windstoß über seinen schweißnassen Rücken strich. Er hob die Heckenschere und setzte zum ersten Schnitt an.
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Daniels Schwager war keine 20 Kilometer entfernt damit beschäftigt den Kaufvertrag für sein neues Haus zu unterschreiben. Michael und seine Verlobte Karin hatten sich nach langer Suche für ein kleines aber gemütliches Haus in der Vorstadt entschieden. Sie hatten noch keine Kinder konnten sich aber vorstellen das bald zu ändern. Das Haus bot genug Möglichkeiten Kinderzimmer einzurichten. Karin träumte von einer ganzen Gruppe, kleiner, weicher fetter Kinderbacken zum Schmusen und Kuscheln. Michael sah das etwas pragmatischer. Er rechnete
mit zwei Kinderzimmern. Das Haus war schon alt. Angeblich soll es um 1800 errichtet worden sein. Von der alten Bausubstanz war nicht mehr viel übrig. In den vergangenen 200 Jahren sind Anbauten, Umbauten und aufwändige Renovierungsarbeiten vorgenommen worden. Durch das gesamte Haus zog sich Fachwerkarbeit, welche noch original erschien. Auch das Fundament schien in großen Teilen noch original zu sein. Der Keller war nicht aus Beton gegossen, wie es heute üblich ist, sondern mit Backsteinen ausgebaut. Der renovierte und damit deutlich neuere Bereich des Hauses begann im
Erdgeschoss. Wände wurden begradigt, tragende Wände erneuert und die zerlebte Holzdecke durch einen modernen Mix aus Holz und Putz ersetzt. Die Bank hatte den Kredit zum Kauf des Hauses schnell und unkompliziert genehmigt. Karin arbeitete im öffentlichen Dienst und war somit eine grundsätzliche Garantie für ein regelmäßiges und sicheres Einkommen zum Abtragen des Kredites. Im Haus selber musste noch viel gearbeitet werden bevor ein Einzug auch nur planbar gewesen wäre. Trotz der vielen Modernisierungen blieben kleine Nacharbeiten unvermeidbar. Die Treppe
aus dem Erdgeschoss in das Obergeschoss weckte nicht mehr genug Vertrauen und die Fenster musste ausgewechselt werden. Sie entsprachen nicht mehr der heute möglichen Energiespartechnik. Im gesamten Haus roch es leicht modrig, Karin vermutete Schimmel hinter der ein oder anderen Tapete. Da diese allerdings mit dunklen großen Mustern versehen waren, mussten sie entfernt werden um heraus zu finden, ob es dahinter Arbeit gab oder nicht. Das bedeutete gleichzeitig, dass im ganzen Haus neu tapeziert und gestrichen werden musste. Im Keller stapelte sich Ramsch, Müll
und allerlei Besitz des Vorbesitzers. Bei der Übergabe betonte er, es seien noch einige Schätze darunter zu finden. Es gehöre mit der Kaufurkunde alles Michael und Karin. Sie können darüber verfügen, wie sie es wollten. Er hatte sogar den Kaufpreis um den geschätzten Wert eines professionellen Entsorgungsdienstes reduziert. Der Aufwand, dies alles zu organisieren und eventuell noch seinen Besitz im Keller zu sortieren, war ihm einfach zu groß. Es schien, dass der Keller schon über 10 Jahre nicht mehr betreten wurde. Der Vorbesitzer, ein sehr alter und faltenreicher Mann Mitte neunzig, entschied sich dazu, den Rest seiner Tage
im Komfort eines Heimes zu genießen. Seine Frau, so hat er erzählt, verließ ihn bereits vor über 30 Jahren. Eine sehr lange Zeit ohne seine beste Vertraute. Auch alle seine Freunde sind in den vergangenen 20 Jahren einer nach dem anderen verstorben. Familie hatte der alte Mann keine ihm besonders nahe stehende. Bei der ersten Besichtigung fragte Michael, warum er sich ausgerechnet jetzt entschieden habe in ein Heim zu ziehen und nicht schon früher. Der alte Mann blickte Michael überraschend fest mit seinen sonst müden und unterlaufenen Augen an. Er antwortete nicht sofort, sondern schien abzuwägen, ob er überhaupt antworten
sollte. Seine Lunge rasselte leicht bei jedem Atemzug, dies und der Geruch des alten Hauses verliehen dieser Situation etwas Surreales. Die Einsamkeit forderte ihren Tribut auf unterschiedliche Weise. Wer lange Einsamkeit ausgesetzt war, kann verrückt werden. Andere klinken sich aus dem aktiven Leben aus und verbarrikadieren sich ganz tief in ihrem Unterbewusstsein, unerreichbar für alle Außenstehenden. Wieder andere erfinden sich eine Phantasiewelt um sich herum. Dort fühlen sie sich geborgen und sicher. Das Leben passiert nicht mehr vor der Tür, sondern im Kopf. Tief drinnen, wo der Betroffene noch selber
entscheiden kann, wann Tag und wann Nacht ist. Nur nach außen hin sind die Lichter auf Sparmodus geschaltet. Mit rauer und altersheiserer Stimme sagte er schließlich „Ein Versprechen muss man halten, wenn man es gegeben hat. Besonders dann, wenn schwere Zeiten sich abzeichnen und du der einzige bist, der Schutz bieten kann. Habe ich Recht?“. Michael wusste nicht recht, wie er diese Information ablegen sollte. So parkte er sie erstmal im Zwischenspeicher und quittierte das Gesagte mit einem freundlichen aber nichtssagenden Lächeln und Nicken. Die Wohnräume waren zwar
grundsaniert, aber da der Vorbesitzer im zunehmenden Alter die Nutzung des Hauses auf wenige Räume beschränkt hatte, waren das Obergeschoss und der Keller vollkommen verwahrlost. Ob der Dachboden jemals nach 1950 betreten wurde ließ sich nicht mehr rekapitulieren, hätte sich Michael festlegen müssen so hätte auf Nein gesetzt. Er überschlug mit Karin grob den Aufwand. Es war Material für mindestens 2 Sperrmüll Container im Haus verteilt. „Das wird uns zwei Wochen kosten, alles zu sichten und in die Container zu befördern. Selbst wenn uns Daniel helfen würde. „ Karin stimmte ihm zu und machte sich ein paar
Notizen in ihr kleines Büchlein. Dort hielt sie alles akribisch fest, was mit dem Haus, dem bevorstehenden Umzug und dem Vertrag zu tun hatte. Es folgte die Schlüsselübergabe. Zwei Schlüssel für die Haustür, zwei für die Garage und eine Sammlung gleich aussehender Schlüssel für die Zimmertüren im Haus. Jeder Schlüssel stand auf einer Liste, welche als Anhang dem Kaufvertrag beilag. Michael gab direkt je einen Haus- und Garagenschlüssel Karin weiter und schloss seine Mappe mit den Vertragsunterlagen. Plötzlich erstarrte der alte Mann. Seine Pupillen verengten
sich. Er stand wie versteinert im Raum. Nur das Rasseln seiner Lunge bezeugte, dass er noch lebte. In diesem Moment viel Michael auf, wie alt dieser Mann tatsächlich aussah. Seine Haut war so dünn geworden, sie lag wie Pergament über den sich abzeichnenden Knochen im Gesicht und den Händen. Es schien, als wäre sie transparent und man könne durch sie hindurch auf die darunterliegenden Gewebeschichten blicken. Bei der Begrüßung hatten sie sich die Hände geschüttelt. Es ist ihm vorher nicht wirklich aufgefallen, aber bei diesem Anblick nun erinnerte sich Michael an das Gefühl. Als er die Hand des alten Mannes umschloss, fühlte es
sich an, als wäre die Haut nicht mehr fest mit dem Körper verbunden. Sie schien wir auf einem Ölfilm über die dünnen und alten Knochen der Hand zu rutschen. Die Haut fühlte sich so dünn an, als ob sie an jeder Kante der Knochen hängen bleiben und einreißen könnte. Aber nach einem kurzen Moment in dem Karin ein kalter Schauer die Wirbelsäule hinab kroch, nicht einmal lange genug um zu reagieren, entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Er war zurück, von wo immer er auch diesen kurzen Moment gewesen sein mag. Er sammelte sich offensichtlich und griff unversehens in eine kleine Tasche auf seinem Pullover.
Sie war auf der linken vorderen Seite auf Höhe des Bauchnabels aufgenäht. Er holte etwas daraus hervor und umschloss es fest mit seiner Faust. Er atmete schwerer als zuvor, das konnte man am lauteren Rasseln erkennen. Irgendetwas forderte ihm viel Kraft ab. Karin rätselte noch, was das Ding in seiner Faust wohl sein könnte. Dann griff der alte Mann plötzlich und mit überraschender Kraft nach Michaels Hand.
Daniel war Schriftsteller. Er versuchte es zumindest. Seit drei Jahren schrieb er an dutzenden Kurzgeschichten. Der große Wurf ist ihm noch nicht gelungen. Sein Ziel war das Erarbeiten und fertigstellen eines vollständigen Romans. Doch dafür fehlte ihm die zündende Idee und er kam aus dem Trott der Kurzgeschichten nicht raus. Die Gartenarbeit heute war nur Mittel zum Zweck der Ablenkung. Er kam mit seinem aktuellen Projekt nicht weiter und so verschrieb er sich einem anderen priorisierten Projekt. Der Hecke. Als diese nun gestutzt war, lehnte sich
Daniel in seinem Gartenstuhl zurück und streckte sein verschwitztes Gesicht der warmen Sommersonne entgegen. Marie hatte ihm eine Flasche Bier als Belohnung gebracht. Vielleicht aber auch nur als Alibi, um ihren Aperol Sprizz zu rechtfertigen, den sie bereits seit einer halben Stunde in der Kühle des Wohnzimmers genoss. Nachdem Daniel sich geduscht hatte stand er wieder im Garten und betrachtete sein Werk. Die Hecke war bis auf die Wurzelenden kurz über dem Boden verschwunden. Unter der Hecke verlief ein kleiner Graben, welcher nun erst sichtbar wurde. Am Ende war das egal. Daniel war stolz auf die Leistung
und hatte seit langem mal wieder das Gefühl, etwas Greifbares geschaffen zu haben. Ausblick. Den wünschte er sich auch für seine Autorenkarriere. Zweimal wöchentlich versuchte Daniel seinen Kopf beim Joggen frei zu kriegen. Er musste jedes Mal beim Loslaufen lächeln, weil es das einfache Joggen so nicht mehr gab. Heute betrieb man Trail-running, City-running, on-trail, off-trail. Auch an diesem Tag begann er seinen Lauf mit einem Lächeln im Gesicht. Der Erfolg über die Hecke motivierte ihn zu einer zusätzlichen sportlichen Aktivität. Seine Route führte ihn nach ca 500 Metern von
der Straße abzweigend auf Feldwege. Zwischen Äckern und Weinbergen war die Luft angenehm warm und trocken. Die Sonne stand bereits tief, blendete ihn aber nicht zu sehr. Er genoss die Ruhe und die simple Reduktion des Alltages auf das Laufen. Nur er und der Weg. Keine Musik über ein mp3 Player, welche seine Sinne in Anspruch genommen hätten. Keine Kopfhörer, welche die Geräusche der Natur um ihn herum aussperrten. Er hörte, wie sich die Sohlen seiner Laufschuhe vom Asphalt lösten, um direkt danach wieder auf ihm aufzusetzen. Er hoffte beim Laufen auf eine profitable
Inspiration für seine Geschichten. Ab und zu zogen wage Szenen durch seinen Kopf. Vor seinem inneren Auge entstanden Worte und mit diesen Worten ganze Sätze. Es begann sich eine interessante Beschreibung einer atmosphärischen Situation zu ergeben. Leider ohne Einleitung oder einer umfassenden Handlung. Die wenigsten dieser Szenen fanden ihren Weg auf Papier. Während seiner mal längeren, mal kürzeren Laufrunden verschwand er gedanklich bereits ins Mittelalter, in Phantasiewelten, in Miniaturwelten, in Horrorszenarien ins Weltall und so viel mehr. Inspiration fand er in großen Steinen, die aus dem Acker
hervorschauten. Mal sah er darin einen Totenschädel, mal einen Dinosaurierknochen. Sofort sprang der Autorenmodus ein und er begann Bilder vor seinen Augen ablaufen zu lassen. Ist das der Kopf eines Menschen? Wird das eine Fantasy-Geschichte? Ist das ein Mordopfer oder ein Zeitreisender? Lebt der Dino noch oder ist er erst vor kurzem verstorben? Viele Ideen, kein roter Faden. Plötzlich vibrierte sein Oberschenkel und riss ihn aus seinen Gedankenspielen. Er trug beim Laufen grundsätzlich sein Mobiltelefon mit sich, falls er sich mal verletzten sollte oder seine Frau ihn wegen eines Notfalls mit der Kleinen erreichen musste. Er
trabte noch ein paar Schritte während er gleichzeitig das Telefon aus der engen Tasche der Laufhose fingerte. „MikMob“ wurde in großen Buchstaben auf dem Display angezeigt. Ein Mix aus Michaels Spitznamen Mikke und Mobil. MikMob. Daniel fand das urkomisch und wunderte sich, warum weder seine Frau noch Michael selber darüber herzhaft lachen konnten. Die Abendsonne stand mittlerweile tief über dem geschwungenen Horizont und legte ein wunderschönes und intensives, rotes Licht über die Weinberge. Leicht schnaufend nahm Daniel den Anruf entgegen. ‚Hi Mikke. Bin laufen. Was gibt’s? …
na dann herzliche Glückwünsche, jetzt habt ihr alles sprichwörtlich unter Dach und Fach … mhm … ok … komischer alter Kauz, hatte ihn ja bei eurer ersten Besichtigung auch kurz getroffen … ah ok … was? Willst du mich verar... ? du meinst das ernst, was? … wann? …soll ich Marie mitbringen damit wir auf die Schlüsselübergabe anstoßen können? … Ok, dann bis später.‘ Daniel drückte auf die gläserne Bedienfläche und beendet somit die Verbindung. Ungläubig über das, was er da gerade gehört hatte starrte er das Display noch einen Moment an, hob den Kopf und blickte weitere Momente in das
leuchtende Abendrot bevor er sich aufraffen konnte seine Laufrunde wieder in Angriff zu nehmen. Sein Autorengehirn begann seine Arbeit wieder aufzunehmen. Es überschlug sich förmlich vor Ideen und Daniel hatte Mühe, sich all die ganzen Details zu merken. Er musste schleunigst nach Hause und sich alles notieren. So schnell hatte er seine Runde noch nie beendet wie an diesem Tag. Michael und Karin standen in ihrer noch spartanisch ausgestatteten Küche als die Klingel donnerte. ‚Wir müssen das verdammte Ding so schnell wie möglich austauschen, das ist
ja grauenhaft. Machst du den Sekt schon mal auf? Ich mach dann die Tür auf, ok?‘ Michael nickte zur Bestätigung und Karin machte sich direkt auf den Weg zur Haustür wo sie Marie und Daniel zusammen mit Mia begrüßte. ‚Kommt rein, ihr kennt das Haus ja schon. Micha ist in der Küche und macht die Flasche auf. Darf ich Mia nehmen?‘ Sie führte die anderen in das zukünftige Wohnzimmer, wobei sie unentwegt ihre eigene Nase in die kleinen weichen Bäckchen von Mia grub, welche fröhlich quietschend reagierte. Im Wohnzimmer wo bereits ein Tapeziertisch und vier Gartenstühle standen, wartete Michael bereits mit vier Gläsern prickelnden
Champagners. Mia konnte schon krabbeln, also lies Karin sie einfach auf den Boden ab und los ging‘s. Halb kriechend, halb krabbelnd bewegte sich Mia von einer Ecke des Raumes zur nächsten. Gefahren gab es hier bis auf die Steckdosen soweit keine, wodurch sich auch Marie und Daniel etwas entspannen konnten. Michael erhob sein Glas und gab eine liebevolle, kleine Rede zum Besten und ließ es sich nicht nehmen mit allen kurz anzustoßen. Der Abend entwickelte sich sehr angenehm und kurzweilig. Die Gesprächsthemen waren so vielfältig wie dynamisch. Mia hatte es sich in ihrem Maxi-Cosi kuschelig gemütlich gemacht und
schlummerte bereits seit über zwei Stunden ruhig unter ihrer Schäfchendecke. Die Erwachsenen saßen draußen auf der Terrasse und genossen einen kurzen Absacker nach einem gelungenen Grill-Abend. ‚Ok, Zeit für uns, nach Hause zu fahren. Wir helfen Euch noch schnell hier aufzuräumen und dann müssen wir wirklich los.‘ aber Michael schaute Daniel mit geheimnistuerischer Miene an und bat die Frauen die Aufräumarbeiten zu übernehmen, er bräuchte Daniels Meinung zu etwas im Keller. Diesen kannte Daniel als einzigen Bereich im Haus noch nicht besonders gut. Ein flüchtiger Blick war
alles während der letzten Hausbegehung. Den Keller konnte man nur durch einen einzigen Zugang begehen, eine Treppe führte vom Hausflur hinunter. Diese Treppe wiederum betrat man durch eine Tür, welche unmittelbar neben der Tür zur Gästetoilette in der Wand eingelassen war. In einer leichten Kurve führten hölzerne Stufen in den düsteren und modrig riechenden Keller. Zwar gab es kleine Kellerfenster, durch die tagsüber genug Licht einfallen konnte, um auf weitere Lichtquellen verzichten zu können, in der Nacht jedoch war es stockdunkel. Der Keller war in drei große Räume aufgeteilt, welche alle drei mit Fenstern versehen waren. Ein kleiner
Flur führte zentral in alle Räume. Daniel stellte sich den Grundriss des Kellers wie einen abstrakten Blumenstrauß vor. Der Flur und die Treppe bildeten dabei den Strunk. In jedem der Räume quälte sich ein einfaches Kabel aus der Decke an dessen Ende eine billige Fassung installiert war. Darin bemühte sich eine klassische Glühbirne genug Licht aufzubringen, um alle Winkel der großen Räume zu erreichen. Durch den ganzen Ramsch im Keller legte sich augenblicklich mit dem Einschalten der Lampen ein Netz an Schatten über den Boden. Daniel hatte registriert, dass Michael beim Herabsteigen der Treppe vorher noch die Tür geschlossen hatte.
Das wunderte ihn zwar, aber er gab diesem Gedanken kein besonderes Gewicht. ‚Halte mich bitte nicht für verrückt. Das was ich dir gleich zeigen werde ist mir unheimlich. Mit Karin kann ich über sowas nicht sprechen, daher bin ich echt froh, dass das mit dem Essen heute geklappt hat.‘ ‚Ich habe mich schon gefragt, wann du mit deiner Story raus rückst. Ich sollte Marie ja nichts erzählen, das hab ich auch nicht getan. Also los jetzt, was treiben wir zwei hübschen hier im Keller, obwohl wir zu unseren Frauen ins Bett gehören‘ grinste Daniel Michael an. Der allerdings verstand im
Moment nicht wirklich viel Spaß. Daniel spürte, dass Michael sehr angespannt war und wurde auf einen Schlag wieder ernst. ‚Ok, Mikke. Warum bin ich hier?‘ ‚Deswegen‘ Mit diesen Worten öffnete Michael die Tür zum zweiten Zimmer. Auch hier bemühte sich eine einsame Glühbirne gegen die Dunkelheit und die Massen an Sperrmüll um genug Licht. Ein paar Gegenstände fielen sofort auf. Darunter war ein massiver alter Holzschrank. Er hatte ungeheure Ausmaße und wurde aus schweren, dicken Holzbrettern und Leisten gezimmert. Seine Seitenwände waren glatt aber die Flügeltüren waren mit
kunstvollen Schnitzereien verziert. Der gesamte Schrank schien sehr alt und abgenutzt. Das Holz musste irgendeine exotische Art gewesen sein. Knochenhart und beinahe schwarz. Daniel hatte das Gefühl ein leises, tiefes Summen wahrzunehmen und schob dies auf die alte Glühbirne. ‚Der Schrank ist fest verschlossen. Keine Chance ihn zu öffnen. Da muss ein mächtiges, massives Schloss installiert sein. Der Schrank ist das eine, aber das hier ist das wirklich Spannende.‘ Michael machte ein paar Schritte auf ein altes großes Tuch zu, welches über irgendwas Eckiges geworfen wurde und dieses Etwas nun
verdeckte. Er griff beherzt in das Tuch und zog es mit einem Ruck runter. In einem feinen Nebel aus Staub offenbarte sich unter dem Tuch eine Tür. Sie war aus demselben markanten Holz gezimmert, wie der Schrank. Auch die Schnitzereien fanden sich darauf wieder. Feine Linien und Figuren warfen durch die einsame Lichtquelle unkoordinierte Schatten in ihrem Umfeld und offenbarten dadurch nur ein wenig der vollständigen Szenerie. ‚So, du hast eine Tür und einen Schrank im Zimmer gefunden, die du mir zeigen wolltest. Wann genau hast du heute angefangen zu trinken?‘ ‚Lass den Blödsinn und hör zu, da ist
noch mehr.‘ Michael blickte sich nervös im Zimmer um, als sei er auf der Flucht oder habe Angst abgehört zu werden. Daniel fiel dieses merkwürdige Verhalten direkt auf und er ermahnte Michael sich endlich wieder normal zu benehmen. ‚Jetzt spuck es schon aus, welche mysteriösen Möbel hast du noch gefunden? Einen Stuhl? Vielleicht den unglaublicher Weise dazu passenden Tisch?‘ Daniel konnte nicht mehr anders, er musste bei seinem schlechten Scherz trotzdem kurz herzhaft auflachen. Allerdings fing er sich sehr schnell wieder, als er sah, dass Michael nicht eine Miene verzogen hatte.
Irgendwas stimmte mit seinem Schwager nicht, dachte sich Daniel. ‚OK, sorry. Los jetzt, was hast du noch?‘ ‚Hey Daniel, ist schon gut. Bitte entschuldige, dass muss alles ziemlich dämlich auf dich wirken. Vielleicht war das keine besonders gute Idee, dir das zu zeigen. Lass uns einfach wieder hochgehen und wir vergessen den ganzen Kram hier, ok?‘ Diese Wendung hatte Daniel nicht erwartet. Er muss seinen Schwager wohl irgendwie verletzt haben und das war nicht seine Absicht. ‚Hör mal Mikke, wenn ich dich gerade eben etwas zu persönlich veralbert habe,
dann tut es mir leid. Das war nicht meine Absicht. Du musst aber zugeben, mich unter strengster Geheimhaltung in den Keller zu lotsen, um mir einen Schrank und eine lose Tür zu zeigen ist schon etwas seltsam.‘ ‚Schon gut. Habe vorher nicht ordentlich nachgedacht. Komm, oben warten die Frauen.‘ Mit diesen Worten schob Michael Daniel aus dem Zimmer und löschte das Licht. Die Lampe hatte noch einen sehr altmodischen Zugschalter, eine Schnur welche direkt in der Fassung eingelassen ist und mit einem Ruck die Lampe einschaltet und mit einem weiteren Ruck wieder ausschaltet. Der kleine Schaltkasten war
bereits sehr alt und scheinbar ausgeleiert. Michael musste mehrfach daran ziehen, bis der Glühfaden in der Birne mit einem Klicken erlosch. Daniel nutzte diesen kurzen Moment, um sich die Tür und den Schrank noch einmal anzusehen. Er musste sich eingestehen, dass er schon ein wenig von der Machart und der Erscheinung der beiden Möbel fasziniert gewesen ist. Er wäre trotzdem nie auf die Idee gekommen, sie unter einem riesen Spektakel seinen Freunden zu präsentieren. Vor dem Treppenabsatz erinnerte sich Daniel an etwas und blieb abrupt stehen. ‚Sag mal, du hast doch etwas über den
alten Kauz erwähnt, der euch das Haus verkauft hat. Er hat dir was zugesteckt hast du gesagt. Hing das mit der Tür oder dem Schrank zusammen?‘ ‚Daniel, du musst jetzt nicht aus Mitleid Interesse zeigen.‘ ‚Das ist kein Mitleid, ich bin tatsächlich neugierig. Was hat es mit dem alten Mann auf sich?‘ Michael zögerte kurz und ließ sich dann aber doch hinreißen die Geschichte zu erzählen. ‚Es war der Tag der Übergabe. Der alte Mann hat uns alle Schlüssel übergeben und wir waren eigentlich mit dem gesamten Protokoll durch als er plötzlich meine Hand griff und mir etwas
kaltes, schweres in die Handfläche drückte. Er tat mir regelrecht weh, so fest wie er mein Handgelenk umgriffen hatte und mit welcher Kraft er das Ding in meine Hand gedrückt hatte. Es war ein alter schmiedeeiserner Schlüssel. So ein Ding der ganz alten Schule, wie man sich Schlüssel auf Burgen oder jedenfalls aus lange vergessenen Zeiten vorstellt. Er faselte etwas davon, dass ich alle Antworten im Schrank finden würde… wenn ich würdig sei. Es sei eine Prüfung und jede Menge blabla wegen Verantwortung, Ehre und lange Familienpflicht und so weiter. Ich hab nicht wirklich zugehört. Na ja, jetzt steh ich hier und erzähl dir das, weil ich jetzt
doch so ein bisschen Muffensausen bekomme. Du weißt, dass ich offen für Paranormales und Theorien über Aliens oder Paralleluniversen bin. Was ist, wenn ich jetzt hier einen Keller mit verwunschenen oder besessenen Möbeln besitze? Ich habe echt keinen Bock nachts in meinem Bett heimgesucht zu werden. Hast du den Film „Paranormal Activity“ gesehen? Brrrr, da schüttelts mich jetzt noch von und rumsdibums hab ich jetzt einen ganzen Schrank eigener Poltergeister bei mir…‘ ‚Jetzt atme mal kurz durch‘ versuchte Daniel die Situation wieder etwas zu beruhigen, aber Michael hat sich so in Fahrt geredet, dass er den ersten Anlauf
von Daniel gar nicht registrierte und einfach weitersprudelte. ‚…ich hab Karin davon noch nichts erzählt, was soll sie denn von mir denken? Dass ich Schiss vor einem Schrank und einer Tür habe, weil mir ein alter Mann mit Wahnsinn im Blick einen alten Eisenschlüssel in die Hand gedrückt hat und vor sich hin fantasierte? Ich muss es mit jemandem teilen, aber Karin ist dafür nicht die Richtige.‘ ‚Ok, jetzt hast du es mir erzählt. Das scheint dich ja wirklich ziemlich zu beschäftigen. Lass uns eines machen, du schreibst in den nächsten Tagen alles auf, woran du dich von dem alten Kerl
erinnern kannst. Dann schicken wir die Mädels zum Shoppen und machen mal einen ganzen Tag nichts anderes als ein paar Bier zu trinken und den Schrank zu öffnen, einverstanden? Wir finden raus, was in diesem Schrank drin ist und dann suchen wir den Vorbesitzer und lassen dich von dem Fluch erlösen. Das ist doch ein Plan, oder?‘ In dieser Nacht schliefen weder Daniel noch Michael auch nur eine Minute. Daniel machte sich ernsthafte Sorgen um seinen Schwager und spielte den Abend im Keller immer und immer wieder im Kopf durch. Die Gespräche, die Informationen von Michael und
zwischendurch blitzten die Intarsien der Tür und des Schrankes vor seinem inneren Auge auf. Michael versuchte gar nicht erst zu schlafen. Er küsste Karin und wünschte ihr eine gute Nacht. Dann setzte er sich in das provisorische Wohnzimmer und begann seine Erinnerungen zu notieren. Er schrieb alles was sein Gedächtnis hergab. Er schrieb die ganze Nacht durch, Seite für Seite verbrauchte er sein Notizbuch und empfand es nicht im Geringsten merkwürdig, dass er bei Sonnenaufgang noch immer Notizen machte. Erst als Karin die Treppe aus dem Obergeschoss nach unten stieg und
Kaffee aufgesetzt hatte legte er den Stift zur Seite und streckte sich gähnend. ‚Mmmh, das riecht gut. Einen starken Kaffee könnte ich jetzt wirklich gut vertragen.‘ ‚Hast du die ganze Nacht hier unten gesessen und geschrieben?‘ ‚ Kann ich mir nicht vorstellen. Ich muss zwischendrin immer wieder eingeschlafen sein. Soviel ist damals ja gar nicht passiert‘ erwiderte Michael schon leicht spöttisch und sog den duftenden Dampf des Kaffees in seiner Tasse ein bevor er einen herzhaften Schluck nahm. Er küsste Karin erneut und verabschiedete sich nach oben in die Dusche. Karin rieb sich den Schlaf
aus den Augenwinkeln und zog den Knoten ihres Bademantels nach. Dann entdeckte sie das Notizbuch auf dem Tisch und da ihr das Verhalten ihres Mannes ein wenig komisch fand, entschied sie sich dazu einen Blick in das Buch zu werfen. Es war ja schließlich kein Tagebuch. Karin setzte sich an den Tisch und schob das kleine Büchlein vor sich in Position. Sie war etwas nervös und spürte, wie ihre Fingerspitzen kalt wurden, denn es fühlte sich verboten an, was sie im Begriff war zu tun. Oben rauschte bereits die Dusche und so fühlte sich Karin sicher genug, um einen kurzen Blick in das Buch zu riskieren. Sie
schlug die erste Seite auf und erwartete die kritzelige Handschrift ihres Mannes vorzufinden. Das, was sich ihr dann jedoch tatsächlich eröffnete ließ sie scharf einatmen.
abschuetze Ups ... ich dachte schon, es passiert was, wenn er den ersten Schnitt an der Brombeerhecke macht. Das war so... spannend geshrieben. Was bitte hat der alte Mann in der Hand gehabt und vielleicht Michael gegeben? War schon etwas gruselig. Als Kurzgeschichte fehlt hier einfach ... ja eigentlich alles. Du machst Lust auf mehr und hörst dann einfach auf. So geht das aber nicht ----lach--- LG von Antje |
Gillegan Hi Antje, deshalb ich die Kategorie auch geändert. Da muss eine lange Story draus werden. Ursprünglich hatte ich es in der Rubrik Kurzgeschichte, bin aber nicht auf eine kurze Handlung gekommen. Jetzt arbeite ich an einem umfangreichen Plot. Life Game, hat jetzt meiner Meinung nach den Punkt erreicht, an dem ich in maximal derselben Länge auf das Ende zusteuern sollte. Also nochmal ca 20 Kapitel. Parallel sind dann Protektor und Rage weiter in Arbeit LG Christian |
Memory Lieber Christian, ich habe deine Kurzgeschichte gern gelesen und hoffe sehr, dass du Zeit und Muse findest, daran weiterzuschreiben. Meine Phantasie hast du geschafft in Gang zu setzen, aber ich möchte auch gern wissen, was du für Pläne verfolgst. Dass du die beiden Männer in einer Geschichte verbindest, wird ja sicher etwas zu bedeuten haben. Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut. Manchmal empfinde ich ihn etwas holprig, da du viele sehr kurze Sätze aneinanderreihst. Aber sicherlich ist das so gewollt und dein ganz eigener Stil. Liebe Grüße Sabine |
scrittura Mir gefällt es, dass du viele Details einbaust; die Umgebung sehr genau beschreibst. ich konnte mir Hecke und Haus bildlich vorstellen. Viel gibt der Anfang ja noch nicht her. Hier kann noch alles mögliche passieren. Die große Frage, die aufgeworfen wird: Welche Verbindung besteht zwischen Michaels Hauskauf und Daniel. Die Verwandtschaft alleine wird wohl kaum der ausschlaggebende Punkt sein. Dass Daniel Autor ist eröffnet natürlich tolle Möglichkeiten um Fiktionalität innerhalb der Fiktion zu thematisieren. Gibt das Haus ihm vielleicht Anlass, etwas zu schreiben? Etwas, dass viel wahrer ist, als er glaubt? Wäre jetzt so mein erster Impuls. Vielleicht hilft dir das ja :) viele Grüße, Fiona |