Wahrheit oder Traum?
"Begegnung der besonderen Art"
Randbeitrag zum Forumbattle 39
Bilderrahmen
umgekehrt
Luftballon
flatterhaft
klebrig
Netz
Rand
Bucht
Wucherung
zurücklassen
Härchen
Schimmer
Wahrheit oder Traum
Wirklichkeit und Traum vermischten sich ganz unerwartet und ich konnte nicht realistisch beurteilen, ob ich tatsächlich auf dieser weichen Unterlage lag oder doch vor den Stufen stand, die in diese andere, fremde Welt hinab führten.
Natürlich wusste ich, dass ich zu diesem Traumreisen-Wochenende gefahren war und ich sah auch den Seminarleiter vor mir.
Als Erkennungszeichen hatte er diverse Luftballons an den Zaun seines Häuschens gebunden. Vernarrt in mein Navi war ich trotzdem erst einmal vorbeigefahren und musste am Rand der
kleinen Ortschaft umkehren. Mir war auch noch bewusst, dass ich als erstes ein Foto von dem mystischen Gebäude gemacht habe. Daheim besitze ich einen riesigen Bilderrahmen, hinter dessen Glas die Fotos aller Orte verewigt werden, wo ich besondere Erlebnisse hatte. Noch wusste ich zu der Zeit nicht, was mich erwarten würde, aber das Foto war mir sicher.
All das erkannte ich ganz genau. Glasklar sah ich alles vor Augen und dennoch rückte die Wirklichkeit urplötzlich in weite Ferne, verschwamm zu einer klebrigen Ungewissheit, als ich die kühlen Steinstufen unter meinen Füssen spürte. Es waren viele Stufen, so
dass ich zu Beginn das Ende nicht erahnen konnte. Da ich keine Furcht kenne, setzte ich mich in Bewegung, fühlte mich magisch angezogen von dem warmen Schimmer dort unten und schaffte es ohne Bedenken, alles hinter mir zurückzulassen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich das Ende der Steintreppe erreicht. Die Härchen auf meiner Haut richteten sich auf, als ich sah, was vor mir lag. Ich befand mich in einer ganz eigenen, wunderschönen Welt. Es war dunkel aber nicht finster, viele Wege zweigten in ungewisse Gänge, mehrerer Feuer brannten und tauchten das Ganze in ein magisch flackerndes Licht. Unheimlich
schön, oder unheimlich und dennoch schön - mein erster Gedanke. Ehrfurchtsvoll verharrte ich in meiner Position, spürte ich doch ganz genau, dass ich ein Störenfried in dieser Welt war und man mich aus dem Verborgenen beobachtete. Nachdem geraume Zeit nichts passierte, wagte ich mich einige Schritte vorwärts. Ich schob das Netz zur Seite, welches vor dem Eingang hing und augenblicklich hörte ich sie. Es war ein eigenartiger und noch nie gehörter Singsang, ein flatterhaftes Wispern fremder Stimmen, das sich auf all meine Sinne legte. Völlig davon eingelullt setzte ich meine Füße bedächtig voreinander. Sehnsucht, Neugier und
Wohlbefinden trieben mich voran. Und dann - dann gaben sie sich zu erkennen. Ich sah sie, die Wesen dieser fremden Welt. Nur für meine Augen zeigten sie sich und ich fühlte eine tiefe Dankbarkeit in meiner Brust. Noch nie in meinem Leben habe ich derartige Wesen wahrgenommen.
Für manch einen wahrscheinlich fürchterlich, hässlich und gruselig anzusehen, fühlte ich mich wohl bei ihnen. Sie strahlten eine Sanftheit und Freundlichkeit aus, die eine tiefe Zuneigung und ein Zugehörigkeitsgefühl in mir weckten. Besonders die vielen Hexen hatten es mir angetan. Zwei ergriffen meine Hände und führten mich
zu einem lodernden Feuer, forderten mich dort zu einem Tanz auf und jubelten auf ihre Weise, als ich mich darauf einließ. Später nahmen sie mich mit in eine kleine Hütte. Auch dort schimmerte dieses wohlige Licht und weitere Hexenwesen saßen im Kreis. Als sie mich erblickten, rutschten sie zusammen und machten mir Platz, gaben mir das Gefühl, ein willkommener Gast zu sein. Eine von ihnen, mit vielen Wucherungen auf der Haut, die sie ganz besonders aussehen ließen, legte mir einen glänzenden Schlüssel in die Hand und strich mir mit ihren knochigen Fingern über das Haar. Ich stellte Fragen, konnte meine Stimme jedoch selbst nicht hören.
Wurde ich von ihnen erhört? Ich weiß es nicht.
Ganz sicher weiß ich dagegen, dass ich eine von ihnen bin.
Seitdem ich nach dem Wochenende wieder zurück in meine reale Welt gefahren bin, in die Bucht der Sicherheit wissenschaftlicher Realität, trage ich einen kleinen silbernen Schlüssel an einer Kette, um meinen Hals.
© Memory (März 2015)