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Das Findelkind 7 - Maya erfährt die ganze Wahrheit.

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"Das Findelkind 7 - Maya erfährt die ganze Wahrheit."

Über den Autor:

Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren. Im Bayerischen Wald genießen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..

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Das Findelkind 7 - Maya erfährt die ganze Wahrheit.

/// mystorys edition 2015

Das Findelkind 7 - Maya erfährt die ganze Wahrheit.

Findelkind 7

Fortsetzung von Findelkind 6

Maya erfährt die ganze Wahrheit.

Es schien, dass der Sommer sich in diesem Jahr nicht verabschieden wollte. Noch während der letzten Septembertage konnten Sofie und Maya den Garten genießen. Die Blumen blühten, als wollten sie zeigen, was sie zu bieten hatten, bevor sie sich in den Winterschlaf begaben. „Es könnte so schön sein“, seufzte Sofie und schaute zu Maya, die wie aufgebahrt auf der Liege lag und in den Himmel starrte. Mayas Miene passt so gar nicht zu der leichten heiteren Atmosphäre. Ständig

hatte sie den Blick nach innen gerichtet. Sofie wagte es kaum, sie anzusprechen. Dabei hätte sie so gerne mit einer lockeren Unterhaltung aus der Reserve gelockt. Sie versuchte es mit banalen Bemerkungen wie: „Weißt du, dass du nun schon über ein Jahr bei mir bist?“ sagte Sofie, während sie den Kaffeetisch auf der Terrasse deckte. „Unglaublich, was in der kurzen Zeit alles geschehen kann. Ein ganzes Leben wird auf den Kopf gestellt“, folgerte Maya. „Mehr als ein Jahr, in dem du unablässig nach deinen Wurzeln gesucht hast.“ Weiter gedieh das Gespräch nicht. Maya signalisierte eindeutig: Lass mich zufrieden.

Zwei Tage später verdüsterte ein schweres Gewitter den Himmel, ein Ereignis, das Maya immer wieder mit Angst erfüllte. Mit angezogenen Beinen kauerte sie auf dem Sofa und hielt sich die Ohren zu. Sie wirkte wie ein Kind, das sich am liebsten verkrochen hätte. Sofie setzte sich ganz sacht neben sie, legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Maya ließ es geschehen. Sofie hatte sogar den Eindruck, sie gab ein wenig nach, schmiegte sich dankbar an sie. „Kann ich dir helfen?“ flüsterte Sofie. Mayas Kopf rutschte noch ein wenig tiefer, sie ließ es zu, dass Sofie ihr über die Haare strich. „Jetzt ist alles noch viel schlimmer“, stieß sie heftig

hervor. Sofie wusste sehr gut, was Maya sagen wollte und tröstete: „Ich verstehe deine Unruhe, aber du musst warten, bis Breitstein zurück ist.“ Maya nickte und gab zu, dass ihr das schwer fiel.

Lange wurde sie zum Glück nicht auf die Folter gespannt. Von Julia erfuhren sie, dass sie Breitstein bei seiner Mutter gesehen habe.

„Na bitte“, Sofie strahlte, „nun kannst du handeln. Wie siehst du es? Freust du dich?“ „Freuen ist falsch, ich bin gespannt, habe aber auch ein wenig Angst. Wer weiß denn, was ich erfahren.“ „Mach, wie es für dich richtig erscheint. Aber ich wette, lange

hältst du es nicht aus.“

Sofie behielt recht .In Maya überwog die Neugier. Ohne Sofie davon zu erzählen, rief Maya schon wenige Tage später Julia an und bat sie, für sie mit Dr. Breitstein ein Gespräch zu arrangieren, wenn möglich im Hause von Sofie. Sie wollte sicher gehen, dass sie im Fall einer schrecklichen Offenbarung nicht schutzlos wäre. Sofie sollte bei dem Gespräch nicht zugegen sein, aber sich im Haus aufhalten. Breitstein nahm die Einladung an. Maya hatte zwei Tage Zeit, sich auf das Gespräch vorzubereiten. Sie schwankte zwischen Angst und Neugier. Um ihre

Aufregung zu überdecken, plante sie den Nachmittag immer wieder neu. Sorgfältig deckte sie dann den Tisch für zwei und kleidete sich betont schlicht. Dr. Breitstein erschien pünktlich auf die Minute. Es war ihm anzusehen, dass auch er angespannt war. „Erinnern Sie sich an mich?“ eröffnete er das Gespräch. „Bitte sagen Sie du“, bat sie „das klingt nicht so streng.“ „In Ordnung, ich bin Jochen“, bot Breitstein im Gegenzug an. Und Maya stellte die Frage, die ihr auf der Seele brannte. „Bist du sicher, dass wir uns schon einmal begegnet sind?“ Jochen nickte. „deine Reaktion auf den Begriff Tobardillo lieferte mir den

Beweis. „Ich weiß nämlich nicht einmal, was es bedeutet.“

„Das verstehe ich alles nicht.“ Maya musste sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen oder nach Sofie zu rufen. „Kannst du mir nicht ganz einfach erzählen, wie es zu einer Begegnung kam? Woher wir uns kennen?“ setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu.

„Gut“, Breitstein nahm einen Schluck vom Kaffee „Du musst aber ein wenig Geduld haben, denn ich erzähle die ganze Geschichte.“

„Das ist gut“, ermutigte ihn Maya, „ich möchte alles wissen, alles ohne Ausnahme.“

„Für mich war es immer wieder eine

Herausforderung, als Schiffsarzt zur See zu fahren“, begann er. „Kapitän Petersen ist ein alter Freund von mir. Er kann es einrichten, mich ab und an für Reisen anzufordern. Und Mexiko reizte mich ganz besonders. Ich hoffte, dass ich bei längerer Liegezeit Gelegenheit bekäme, über Land zu fahren. Meinen alten Jeep nehme ich immer mit an Bord. In Ciudad del Carmen sollten wir vier Tage liegen, um auf eine Gruppe Touristen zu warten. Da blieb genug Zeit für mich, in den Urwald von Chiapas zu fahren. Ich wollte unbedingt zu den Lacandonen vordringen, von denen man sagt, sie seien extrem menschenscheu. Bis in die kleine Provinzstadt Tenosique brauchte

ich vier Stunden. Von dort aus musste ich mich durchfragen und auf mein Glück hoffen. In der Stadt herrschte reges Treiben, jetzt brauchte ich einen Hinweis, mein unbekanntes Ziel zu erreichen.

Ich hielt Ausschau nach einer Tankstelle. Geduldig stellte ich mich hinter einer Schlange alter, verbeulter, verrosteter Vehikel an. Der Tankwart gab mir ein Zeichen, an die hinterste, die freie Zapfsäule zu fahren. Ich stellte drei Kanister neben den Jeep und bedeutete dem Mann, die zu füllen.

Der fragte auf Englisch, ob ich Amerikaner sei oder Deutscher? Es war ihm nicht anzusehen, was er dachte. In

jedem Fall war er an einem Gespräch interessiert und wollte wissen, ob ich in Mexiko lebe. Dabei musterte er mich abschätzend. Dass ich als Schiffsarzt unterwegs sei, schien ihm nichts zu sagen, als ich allerdings erwähnte, dass ich ein paar Tage lang hier durchs Land fahren wollte, horchte er auf und fragte recht skeptisch ob ich mich auskennen würde.

Ic gestand, dass ich viel über Mexiko gelesen habe und mich Chiapas von allem am meisten anzog, die dichten Wälder, das Unberührte und Ursprüngliche mache mich so neugierig und eines dieser versteckten Lacandonendörfern zu besuchen reize

mich besonders.

Der Tankwart schüttelte den Kopf und meinte, an die Lacandonen komme keiner ran. Seit zwanzig Jahren stehe er an der Tankstelle, habe aber nicht einmal mit einem dieser Typen gesprochen. Sie tauchen hin und wieder in den Straßen auf in ihren schmuddeligen Kitteln, dem struppigen Haar und dem Blick, der zu sagen scheint: sprich mich nur nicht an. Die glauben, sie kommen gleich nach dem lieben Gott. Nur weil sie angeblich die reinen und unvermischten Nachfahren der Maya sind, brauchten sie nicht so feindselig zu tun.

Ist es wirklich Feindseligkeit? Wollte ich

wissen. Oder ist es nur Scheu? Scheu, er lachte verächtlich. Vor ein paar Wochen war hier ein Tourist, neugierig wie Sie, auch er suchte die Lacandonen. Man fand ihn wenige Tage später in der Nähe eines der Dörfer mit einem Pfeil in der Brust. Nennen Sie so etwas Scheu?

Grinsend fragte er, ob es mich immer noch locke? Nun erst recht.

Er schüttelte nur den Kopf und gab mir dennoch die Wegbeschreibung: Die Hauptstraße geradeaus vom Ortsausgang nach etwa zwei bis drei Kilometern geht rechts ein Weg ab. Der ist nicht gut, aber mit dem Jeep befahrbar. Dieser Weg führt nach etwa 15 Kilometern zu einem Holzfällerlager. Die Männer dort

haben hin und wieder Kontakt zu den versteckt lebenden Lacandonen. Die können vielleicht weiterhelfen.

Ich bedankte mich und drückte dem Mann einen Schein in die Hand. Dafür bekam ich den guten Rat: Vorsichtig zu sein, mich vor allem vor den Frauen zu hüten, da kennen die keinen Spaß.

Ich fand mühelos die Abzweigung von der Hauptstraße. Der Weg war schmal, aber nicht so holprig, wie ich es befürchtet hatte. Rechts und links Urwald, dichtes, struppiges Unterholz, fleischige Lianen, die sich wie grasgrüne Schlangen an den hohen Baumriesen hinauf ranken. Das Laubdach ist so dicht, dass nur hier und

da ein schmaler Sonnenstreifen durchschimmerte. Die stickige Luft nahm mir fast den Atem. Für einen Augenblick überlegte ich, ob es nicht doch ein zu gewagtes Unternehmen wäre, drückte aber gleichzeitig den Gashebel ein wenig weiter durch. Es ist nicht meine Art, ein einmal begonnenes Unternehmen abzubrechen.

Keine Menschenseele begegnete mir. Ich bezweifelte schon, dass hier Menschen lebten und in diesem Dickicht überhaupt Platz für Siedlungen wäre. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Vielfalt von Tieren in diesem schützenden Dickicht beheimatet war, Tiere, die sich nicht zeigen, die man nicht hört wie Spinnen,

Schlangen, Echsen, Käfer, Skorpione.

Ich fuhr den Weg weiter und wäre gerne irgendwo vom Pfad abgewichen, um das Buschwerk zu durchdringen und einen neugierigen Blick auf das zu werfen, was dahinter lag. Ich war etwa eine knappe halbe Stunde gefahren, der Kilometerzähler zeigte neun Kilometer an, als eine gebückte Gestalt aus dem Grün schlüpfte, mitten auf den Weg sprang und sich gehetzt umschaute. Dabei stieß sie Laute aus, die wilden Schreien oder eher noch einem irren Lachen glichen. Ich war mir nicht sicher, ob das Wesen in dem grauweißen, sackartigen Gewand und der wirr vom Kopf abstehenden

Haarmähne ein Mann oder eine Frau war. Erneut brüllte es dumpf wie ein Tier. Drehte sich um die eigene Achse und verschwand auf der anderen Wegseite im Dickicht. Betroffen über die soeben beobachtete Szene saß ich einige Augenblicke bewegungslos am Steuer und versuchte zu verarbeiten, was ich gesehen hatte. War das ein Lacandone, eines dieser menschenscheuen Wesen? Lebten sie tatsächlich hier? Und der Dschungel war doch durchlässig?

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, stieg aus und untersuchte die Stelle, an der der Mensch aus dem Grün aufgetaucht war. Umgeknickte Äste

zeigten dies an. Mit Händen und Füßen drängte ich die Zweige auseinander. Es ging einfacher, als es von außen möglich erschien. Um mich her raschelte und knisterte es. Ich hatte das Gefühl, von unzähligen Augen beobachtet zu werden. Mein Blick streifte meine festen Stiefeln. Bei der Wärme waren sie mir eigentlich übertrieben vorgekommen, aber jetzt gaben sie mir ein sicheres Gefühl. Nicht einmal eine Schlange konnte mir gefährlich werden.

Ich hielt inne. Der würzig schwere Duft der Tropenpflanzen war berauschend. Tief sog ich die Luft ein. Ich glaubte, Rauch zu riechen, so als schwelte in der Nähe ein Feuer. War das bei dieser

Feuchtigkeit überhaupt möglich?

Es drängte mich voran, aber ich schaute vorsichtshalber zurück. Noch konnte ich die Spur erkennen, die ich mir gebahnt hatte und arbeitete mich weiter vor. Meine Neugier war nicht zu bremsen. Ein Zurück gab es nicht mehr. Dann stand ich vor einer Lichtung mit Blick auf drei Hütten, die großen Heuhaufen ähnelten. Erst als ich genau hinsah, entdeckte ich die Flammen, die sich mühsam am Blätterdach entlang fraßen. Da war er wieder der Mensch, den ich bereits im Busch schemenhaft gesehen hatte, jetzt erkannte ich ihn als Mann. Eine Frau kam schreiend aus der Hütte, sie schien den Mann verbal anzugreifen,

ihre Stimme überschlug sich, während er ihr mit einer gebieterischen Bewegung der Hand bedeutete, zu verschwinden. Die Frau zog sich zurück, hielt sich jedoch dicht an der Türöffnung auf. Ohne zu zögern betrat der Mann die andere Hütte, tauchte jedoch kurz darauf mit einem tierischen Brüllen erneut auf, in jeder Hand ein Kleinkind, die er wütend zu Boden schleuderte. Wie eine Wildkatze umkreiste er die Nachbarhütte. Er gewahrte die Frau am Eingang, rief ihr etwas zu und stürzte sich in wilder Wut auf sie. Kein Laut kam über ihre erstarrten Lippen. Er riss ihr das Gewand vom Leib, schüttelte sie derart, dass das Brechen der Knochen

bis zu mir zu hören war.“ Maya stieß einen Schrei aus. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. „Hör auf“, wimmerte sie. „Das kann ja man nicht einmal anhören.“

„Erkennst du etwas wieder?“ fragte Jochen ganz vorsichtig. Maya schüttelte stumm den Kopf. „Bist du sicher, dass ich schweigen soll?“ Er schaute Maya fragend an und wartete, bis sie ganz leicht den Kopf schüttelte, dann fuhr er mit sanfter Stimme fort. „Stille breitete sich aus, bis der Mann sich schreiend aufrichtete. Aufgestaute Wut schien sich zu entladen, wie von Sinnen drehte er sich um die eigene Achse, als suche er etwas.

Ich stand wie gelähmt. Der Verstand riet mir, mich unter keinen Umständen einzumischen, jedoch mein Gewissen als Arzt drängte mich, dem schrecklichen Treiben ein Ende zu setzen. Mir war klar, jedes Eingreifen meinerseits wäre Selbstmord. Der Mann war besessen, vermutlich stand er unter Drogen. Rückzug, unbemerkter Rückzug war die einzige Möglichkeit. Vorsichtig schaute ich mich nach allen Seiten um. Da bemerkte ich eine Frau, in den Händen hielt sie einen Kräuterbuschen.“ Hier machte Jochen Breitstein eine Pause und versuchte in Mayas Gesicht zu lesen. Vergebens, sie hatte den Kopf gesenkt. „Die Frau stand wie versteinert, sie

muss die grauenvolle Szene mit angesehen haben. Ehe ich begriff, was vor sich ging, war der Wilde mit zwei langen Sprüngen bei ihr, riss ihr brutal das Kleid vom Leib und fiel wie ein rasendes Tier über sie her. Mit einem markerschütternden Schrei ließ er von der Frau ab. Er schaute sich nach allen Seiten um und huschte durch die Büsche davon. Aus seinem schrillen Schrei wurde ein Lachen, das sich zu einem unmenschlichen Brüllen steigerte. Jetzt hielt mich nichts mehr. Mit langen Sprüngen war ich bei der bewusstlosen Frau, lief dann weiter zu der Hütte, vor der die andere Frau und die beiden Kleinkinder lagen. Hier kam

jede Hilfe zu spät. Weitere Personen konnte ich nicht entdecken. Ich kehrte zu der Bewusstlosen zurück, nahm sie kurz entschlossen auf die Arme und bahnte mir mühsam den Weg zurück zum Jeep. Dort versorgte ich sie so gut wie möglich war und bettete sie auf den Rücksitz. Bis zum nächsten Krankenhaus drohte ihr keine Gefahr.

Als ich den Motor startete, tauchte vor mir das Bild des Lacandonen auf, der hier meinen Weg gekreuzt hatte. Ich meinte, noch immer das irre Gelächter zu hören. Ich war mir fast sicher, dass er es war, der die grauenvollen Taten begangen hatte.

Am Ortseingang von Tenosique suchte

ich nach einem Krankenhaus. Spanisch spreche ich nicht. Auf gut Glück versuchte ich es auf Englisch: „Hospital“, rief ich einem Mann am Straßenrand zu. Der zuckte verständnislos die Achseln. Die Tankstelle fiel ihm ein.

Wie schon zuvor herrschte reger Betrieb an den Zapfsäulen. Ich musste mich eine Weile gedulden.

Ihr Ausflug zu den Lacandonen war aber kurz, scherzte der Tankwart; sein Lächeln verflog, als ich ihn nach einem Krankenhaus fragte und auf die Rückbank des Jeeps deutete.

“Was haben Sie gemacht? Haben Sie die angefahren?“ fragte er

Mit kurzen Worten schilderte ich, was ich erlebt hatte.

„Da haben Sie sich aber etwas aufgeladen“. Der Tankwart machte ein bedenkliches Gesicht und meinte, dass ich kaum eine Chance hätte, die Frau hier im Krankenhaus unterzubringen. “Normalerweise haben die keinen Platz frei.“ Es käme auf einen Versuch an und er erklärt mir den Weg ‚Zweite Straße rechts, merkte ich mir. Da war es schon! Ein zweigeschossiges, verwahrlostes Gebäude. Hinter einem kleinen Fenster saß eine ältere Indiofrau in Schwesterntracht. Sie erhob sich, als ich energisch ans Fenster klopfte. Ihr Blick verriet, dass sie solch ungestümes

Verhalten nicht schätzte. Ich ignorierte den bösen Blick, deutete auf den Jeep und machte der Alten Zeichen, mir zu öffnen. Stattdessen glotzte sie mich neugierig an. Ich wiederholte meine Geste. Die Schwester zuckte die Achseln, folgte mir aber zum Wagen. Ich gab ihr per Zeichen zu verstehen, dass ich die Patientin aus dem Auto heben und ins Haus bringen wollte. Aber die Alte packte mich am Arm und machte mir klar, dass das nicht in Frage käme.

Ich zeigte auf die ohnmächtige Frau und beschrieb eine fragende Bewegung der Schultern. Die Frau schüttelte nachdrücklich den Kopf, ließ sich aber

herab, den Puls der Kranken zu fühlen und fuhr ihr mit der Hand über die Stirn. Aus ihrer Kitteltasche kramte sie ein Zweierpäckchen Aspirin hervor, drückte es mir in die Hand und machte noch einmal deutlich, dass man die Frau nicht aufnehmen könnte. Dann verschwand sie in ihrer Kammer.

Da stand ich nun neben dem Jeep. Was sollte ich tun mit zwei Aspirin?

Auf der Suche, in einem der nächsten Ortschaften ein besseres, ein hilfsbereites Krankenhaus zu finden, setzte ich meine Fahrt fort. Ich warf noch einen Blick auf meine Patientin. Sie schien zu schlafen, sie bewegte sich nur hin und wieder unruhig und murmelte

unverständliche Worte. Lebensgefahr bestand im Augenblick nicht.“

Breitstein warf einen kurzen Blick auf Maya. Sie hatte sich offenbar beruhigt, schaute mich wieder an und folgte meinem Bericht.

„Seit gut einer Stunde war ich nun schon von Tenosique aus in Richtung Golfküste unterwegs. Die Müdigkeit lastete schwer auf mir, die Augen brannten vom Staub der Straße. Meine Arme waren so schwer, sie konnten das Steuer kaum noch halten. Ich fuhr an den Straßenrand und nickte kurz ein. Leises Stöhnen ließ mich aufschrecken. Ich schaute nach der Kranken auf der Rückbank. Ihre Stirn fühlte sich heiß an,

der Puls ging schneller als vorhin. Das bereitete mir Sorge. Die Kühlbox fiel mir ein. Im Licht der Taschenlampe prüfte ich ihren Inhalt, entnahm eine Flasche lauwarmes Wasser, darin löste ich eine der Tabletten auf und flößte der Frau das Medikament ein. Zunächst wollte sie nicht schlucken, dann aber trank sie mit gierigen Zügen. Wenn sie Malaria hätte würde das Medikament keine besondere Wirkung zeigen. Aber in jedem Fall verschafft es ihr ein wenig Erleichterung. Nichts wünschte ich mir jetzt mehr, als an Bord zu sein. Ich könnte eine Blutanalyse vornehmen und hätte bald schon Gewissheit.

Ich bettete die Kranke so bequem wie

möglich und entschied, sie mit an Bord zu nehmen und dort zu versorgen. Erst in drei Tagen würde die neue Reisegruppe erwartet. Diese Zeitspanne müsste reichen, die Fremde so weit zu versorgen, dass ich sie nach Tenosique zurückschicken könnte. Die Idee erleichterte mich, und machte die Suche nach einem Krankenhaus überflüssig Wichtig war nun, so rasch wie möglich das Schiff zu erreichen. In etwa drei Stunden müsste ich es schaffen.

In der Kühlbox fand ich noch zwei belegte Brötchen, zwei Äpfel, ein paar Bonbons und eine Flasche Coca Cola. Ich aß und trank ohne Genuss und fühlte mich ein wenig besser, zumindest

stark genug, um durchzufahren.

Ich hatte Glück. Als die Sonne aufging, erreichte ich das Schiff. Mit einem Hupton machte ich mich bei dem Wachhabenden bemerkbar. Die Ladeluke öffnete sich, die Rampe fuhr aus, der Jeep rollte an Bord. Hätte ich Muße gehabt, wäre mir das geschäftige Treiben aufgefallen. So überlegte ich nur, wie ich die Kranke möglichst ungesehen und schnell aus dem Jeep in die Krankenabteilung bringen konnte. Kurz entschlossen hüllte ich sie in eine Decke und trug sie wie ein Kind unter Deck. Niemand begegnete mir, so brauchte ich keinem Rede und Antwort zu stehen. Ich begann sofort mit den

notwendigen Untersuchungen und entnahm die Proben für die Laboruntersuchungen. Ich arbeitete gründlich und konzentriert, ohne auf die Zeit zu achten. Alle drei Krankenbetten waren leer. Ich legte die Patientin in das dem Bullauge am nächsten stehende und setzte mich an ihre Bettkante. Ich flößte ihr nochmals Wasser ein und betupfte ihr die feuchte Stirn mit einem nassen Tuch. Zum ersten Mal betrachtete ich ihr Gesicht. Ob ein Gesicht hübsch ist, ist bei geschlossenen Augen schwer festzustellen. Aber eines war sicher, ihre Züge waren ebenmäßig, die Haut braun wie Milchkaffee, die Nase schlank und der Mund war, wenn sie lächeln

könnte, gewiss weich. Die Frage nach ihrem Alter blieb offen. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig, eher auf dreißig zugehend. Sanft strich ich über ihr kräftiges Haar und überlegte, was ich sagen sollte, wenn sie die Augen aufschlug. Dass Worte überflüssig waren, kam mir im Augenblick nicht in den Sinn.

Da es nichts weiter zu tun gab, beschloss ich, den Kapitän von dem vorübergehenden Bordbesuch zu unterrichten. Als ich den Raum verließ, spürte ich ein eigenartiges Vibrieren im Schiffskörper. Hastig stieg ich an Deck.

Was hat das zu bedeuten?, rief ich einem Matrosen zu und erfuhr: wir gehen auf

Fahrt.

Verdammt, das durfte nicht wahr sein. Fluchend und zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich die Treppe hinauf zur Kommandobrücke auf: Fahren wir schon?, schrie ich den Kapitän an.

So war es. Die Pläne mussten geändert werden. Die Touristengruppe war im Landesinneren mit einem Bus verunglückt. Viele Passagiere lagen in Krankenhäusern. Die Reise wurde abgebrochen. Die gesunden Passagiere kehrten per Flugzeug nach Deutschland zurück. Daraufhin hatte die Reederei Order gegeben, so bald wie möglich zum Heimathafen zurückzukommen. Neue Ladung wartet schon. Nur der Doktor

fehlte. Das Schiff hätte gestern bereits ablegen können.

Ich setzte sich auf einen der Drehstühle und bat den Kapitän um ein Gespräch unter vier Augen. Petersen nickte, und versprach zu kommen gleich, wenn das Schiff den Hafen verlassen hatte.

Ich ging hinaus, lehnte mich über die Reling und schaute auf die entschwindende Stadt. Der warme, gleichwohl erfrischende Wind, half ein wenig, meine Gedanken zu beruhigen. Es hatte jetzt keinen Zweck, mich zu fragen, was mit der jungen Frau werden sollte. Das musste Petersen entscheiden. Meine Gedanken eilten nach Hause voraus. Ich hatte mich wie ein Kind

darüber gefreut, dass Petersen mir für diese Reise die Vertretung für den erkrankten Bordarzt angeboten hatte. Mexiko war schon lange mein Traum. Und jetzt das.

Petersen tippte mir auf den Rücken und wollte wissen. Was es gäbe, hoffentlich keine schlechte Nachricht.

Ob sie gut oder schlecht ist, musste er beurteilen. Ich überlegte, wie ich am besten beginnen sollte. Die Hände in den Taschen vergraben, den Blick auf meine staubigen Stiefel gerichtet, suchte ich nach Worten und begann recht umständlich zu schildern, was sich ereignet hatte. Petersen machte keine Anstalten, mir mit Zwischenfragen zu

helfen, sondern schaute mich schweigend an und lauschte. Er hatte kein Erbarmen, ich musste alles bis zum bitteren Ende erzählen.

„Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Frau in meinen Jeep zu laden, denn weit und breit war keine Menschenseele zu entdecken. In Tenosique versuchte ich vergebens, sie in einem Krankenhaus unterzubringen. Da ich der Meinung war, wir würden erst in drei Tagen auslaufen, habe ich sie zur Erstversorgung mit an Bord gebracht. Vermutlich hat sie Malaria. Während ich sie untersuchte, merkte ich erst, dass wir ablegten.“

Noch immer äußerte sich Petersen nicht.

Er schaute mich nur von oben an , als wollte er sagen: Na, stimmt das, was du mir da auftischst? Ich fühlte mich mehr als mies und sprach aus, was ich eigentlich von Petersen erwartet hatte: Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie mit nach Deutschland zu nehmen.

„Oder wir drehen bei und lassen sie von Bord gehen,“ war Petersens Alternative. vor

„Von Bord gehen? Das ist unmöglich“, erregte ich mich. „Die Frau fiebert. Sie hat die Augen nicht aufgeschlagen, seit ich sie gefunden habe. Sie ist unfähig, das Bett zu verlassen.“

„Ich habe nichts dagegen, dass die Kranke an Bord ist. Aber Schwester

Hannelore habe ich zu den verunglückten Passagieren geschickt. Du hast also keine Hilfe.“

„Das ist die kleinste Sorge.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, Petersen schien sich mit der unwillkommenen Patientin abzufinden, denn er wollte wissen, wie ich sie in Deutschland von Bord bringen würde? „Du weißt, wie penibel die Behörden sind. Und einen Pass wird deine Unbekannte nicht bei sich haben.“

Mir blieb nur der Weg, wie ich sie an Bord gebracht haben, in meinem Jeep versteckt. „Im Jeep liegend?“ Ein breites Grinsen verzerrte Hansens Gesicht. „Und dann, wie soll es weitergehen? Du kannst sie doch nicht

einfach behalten.“„Natürlich nicht. Was soll ich mit einer wildfremden Frau?“

„Mein Gott, was soll man mit einer zunächst wilden Fremden wollen, besonders wenn sie hübsch ist? Und das ist sie vermutlich?“ höhnte er.

Aber ich wehrte mich: „Diesmal irrst du, mein Freund. Ich habe die Frau erst richtig angeschaut, als sie schon hier im Bett lag.“

„Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“

„Beurteile du mal eine Bewusstlose.“

Ich atmete auf, unsere Blödelei war ein Zeichen: Petersen wollte nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Er klopfte mir auf die Schulter und ging davon.

‚Offensichtlich amüsierte ihn mein Ausrutscher, und er war gespannt, wie ich mich da herauswinden würde. Nun lag alles in meinen Händen. Dass Probleme auf mich zukämen, war gewiss. Aber das ganze Ausmaß ahnte ich nicht.“

Breitstein nahm einen Schluck vom Kaffee ein, bevor er fortfuhr: „Wenig später stand ich am Bett meiner Patientin und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, während ich den Puls an ihrem kräftigen Handgelenk fühlte. Das Fieber sank. Zum ersten Mal wagte ich mir auszumalen, welche Folgen das Erwachen haben könnte. Ich hielt noch ihre Hand, da spürte ich, dass sich ihre

Finger um meine schlossen, als suchten sie Halt. Ich hielt still, streichelte den Handrücken, um ihr schon vor dem Erwachen Vertrauen einzuflößen. Und ich wünschte mir, sie beim Namen nennen zu können. Es würde ihr helfen. Ich betrachtete ihr Gesicht. Eine Maya., Ich merkte nicht, dass ich den Namen leise vor mich hin gesprochen hatte. „Ja, Maya, das ist doch ein hübscher und passender Name.“ Ich probierte ihn gleich aus. „Maya, wach auf!“ Ich sprach so eindringlich, als wollte ich sie zwingen, mir zuzuhören. Die Bewegung ihrer Finger erschlaffte. Ich zog die Hand zurück und sie schlug die Augen auf. Ihre Lider flatterten leicht und

schlossen sich erneut. Ich blieb noch eine Weile neben ihrem Bett stehen. Das schlafende Gesicht zeigte mir, dass das Schlimmste überstanden war, gesundheitlich ging es mit meiner Patientin bergauf.

Die nächsten Schritte malte ich mir klar aus. Ich würde zunächst dafür sorgen, dass sie gesund wird und sie dann mit einem Schiff nach Mexiko zurückschicken. Über die Frage der Dokumente machte ich mir als Arzt wenig Sorge. Die hoffte ich, an Ort und Stelle irgendwie regeln zu können. Notfalls könnte ich meine Mutter bitten, die junge Frau vorübergehend bei sich aufzunehmen.

Während ich meinen Gedanken nachhing, öffnete die Kranke die Augen. Ihr Blick glitt über mein Gesicht und huschte dann unruhig über die Bettdecke. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und wandte sich erschöpft ab. Ich versuchte, mich in ihre Lage zu versetzen und machte mir bewusst, wo ich sie gefunden hatte: im Urwald, fern ab der modernen Zivilisation. Wie konnte ich erwarten, dass dieses Krankenzimmer ihr vertraut war. Ich wartete, bis sie erneut in meine Richtung schaute. Mit zusammengekniffenen Lidern schien sie die nächsten liegenden Gegenstände abzutasten. Lange sah sie zu den beiden

runden Bullaugen hinüber und verweilte dann bei den drei Bildern blühender Büsche, die über dem Fußende ihres Bettes hingen.

„Tobardillo“, presste sie hervor, laut und deutlich noch einmal „Tobardillo“.

„Tobardillo“, wiederholte ich und versuchte, mir den Begriff zu merken. Ich vermutete, dass es ein Schlüsselwort war. Tobardillo musste unmittelbar mit dem Unglück in Verbindung stehen.“

Hier stockte Jochen. Fragend schaute er Maya an, die absolute Konzentration ausstrahlte.

„Hier sind wir also bei Tobardillo angekommen“, sagte er und wartete auf einen Kommentar von ihr. Vergebens.

„Erinnerst du dich?“ Statt zu antworten, griff sie nach ihrem Skizzenbuch und blätterte darin. „Hier, ich habe es gezeichnet und kam nicht darauf, was es war.“ Sie deutete mit dem Finger auf die Zeichnungen und murmelte in Gedanken versunken. „Tobardillo, Mama Nunc, Tobardillo“, Tränen stiegen ihr in die Augen, sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte.

„Sollen wir Schluss machen? Du bist völlig durcheinander“, fragte Jochen besorgt, aber Maya riss sich zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. „Es geht schon, ich möchte die Geschichte ganz hören“, flüsterte sie. „Jetzt, da ich weiß, dass ich die Frau bin, die du im

Urwald gerettet hast, muss ich alles erfahren.“ In leisem Erzählton fuhr er fort: „Ich flößte dir ein starkes Beruhigungsmittel ein. Du brauchtest dringend Ruhe, denn du hattest gerade den ersten Schritt getan, die neue Welt zu ertasten. Wie schwer, wie mühsam mochte der Weg bis zur vollen Erkenntnis sein?

Nach jeder Schlafphase wirktest du ein wenig wacher. Inzwischen warst du in der Lage, die Umgebung wahrzunehmen und bereit, diese als gegeben anzunehmen. Hin und wieder standest du auf und schautest aus den runden Fenstern hinaus; Wasser so weit das

Auge reichte.

Was sagte dir Wasser wohl in diesem Ausmaß? Ab und an murmeltest du ganze Sätze, wohl in der Hoffnung, ich, der Fremde würde dich verstehen. Ich aber lächelte dich nur an, hob bedauernd die Schultern. Ich ahnte, was du von mir wissen wolltest, konnte es dir aber nicht verständlich machen. Es war eine schwierige Situation. Ich brachte dir Essen, das du nie zuvor geschmeckt hattest und gab dir Hemd und Hose von mir, in denen du dich unbehaglich fühltest. Da ich mich verbal nicht mit dir verständigen konnte, griff ich zu Papier und Bleistift. Ich malte einen Jeep auf, was sinnlos war, du

hattest nie ein derartiges Fahrzeug gesehen. Dann zeichnete ich mich selbst, wie ich dich auf den Armen trug. Ich deutete mit einem Pfeil die Richtung zum Jeep an. Eifrig wie ein kleiner Junge bemühte ich mich, ein fahrendes Auto darzustellen, in dem ein Mann sitzt, eine Frau liegt, dann das Meer, das Schiff und zuletzt das Krankenzimmer.

Dein zaghaftes Nicken deutete ich als: Ich habe verstanden. Eifrig malte ich weiter. Ich deutete Amerika an, dann Europa, eine Frau im Bett, zunächst auf dem Schiff in Richtung Europa, dann im Hospital und im dritten Bild wieder auf dem Schiff in Richtung Amerika. Fragend schaute ich dich an, du

lächeltest scheu zurück. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen.

Immer wenn ich spürte, dass du aufnahmebereit warst, redete ich dich bewusst mit dem Namen Maya an. Ich deutete auf dich und sagte: „Maya“. Du begriffst, tipptest auf deine Brust und sagtest: „Maya“. Ich zeigte auf mich und sagte: „Jochen“. Was du wiederholtest, klang wie ‚oche. Aber nach mehreren Versuchen gelang es dir, meinen Namen richtig auszusprechen. Ab sofort machte ich ein Spiel daraus, Maya Jochen. Ich zeigte auf dich, du auf mich. Es hatte den Anschein, als würden wir uns bestens verstehen. Leider waren diese Augenblicke nur von kurzer Dauer.

Es war dir anzusehen, dass dich so vieles quälte, was du nicht verstandest. Dann flohst du in den Schlaf.

Zur Essenszeit kam ich mit einem Tablett. So, als könntest du mich verstehen, erklärte ich: „Hallo, Maya, dein Abendessen, Suppe und Brot.“ Du beäugtest die fremden Gegenstände, griffst nach der Suppenschale, trankst ein Schlückchen und setztest ab. Du nicktest. Ich deutete es als: Es schmeckt. Besteck kanntest du nicht. Ich nahm den Löffel zur Hand, füllte ein wenig Hühnersuppe darauf und führte ihn dir zum Mund. Als die Schale fast geleert war, langtest du nach dem Löffel und aßest. Dabei starrtest du auf das

Tablett, als müsstest du es dir für immer einprägen. Ich holte eine Banane. Du öffnetest die Frucht wie gewohnt mit den Zähnen und verschlangst das Fruchtfleisch. Erleichterung lag auf deinen Gesichtszügen, als du in deiner Sprache einen Kommentar abgabst. Ich zuckte mit den Schultern als Zeichen, dass ich dich nicht verstanden hatte, während du die Bananenschale auf den Boden fallen ließest.“ Maya schüttelte sich vor Lachen. „Du bist ein Kasper“, tadelte sie, „hast du wirklich solch einen Quatsch mit mir, deiner armen Patientin gemacht?“

„Ja, es hat sogar Spaß gemacht“, gab Jochen zu. „Ich musste doch irgendwie

zu dir vordringen, dich aus der Reserve locken. Da ich viel Zeit erübrigen konnte, brachte ich dir nach und nach die wichtigsten Wörter bei und staunte, wie aufnahmebereit du warst. Spielerisch übte ich mit dir die Namen Maya Jochen, der immer gleiche Rhythmus: Maya Jochen.

Maya Jochen wurde zum Ritual, zum einzigen Bindeglied zwischen uns beiden.

Mühelos wiederholtest du: ‚Guten Morgen!, ‚wie geht es, Maya?, auch bitte und danke beherrschtest du. Ich spürte deutlich, dass du mir vertrautest und freute mich, wenn deine Augen glänzten. Ich zeigte aber auch

Verständnis, wenn Traurigkeit dich übermannte. So versuchte ich, dich ein wenig aufzuheitern.“ „Und, ist es dir gelungen?“ „Das kann ich nicht beurteilen. Du warst zu tief verletzt.“ „Aber komm, erzähl weiter! Ich will das Ende der Geschichte hören.“

„Es lagen noch zwei Seetage vor uns, als du so weit gesundheitlich wieder hergestellt warst. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie du die Situation wahrnahmst. Mir war klar, dass es am allerbesten wäre, dich so rasch wie möglich zurückzubringen, obwohl mir graute, wenn ich an das Schlachtfeld dachte, aus dem ich sie gerettet hatte. Wieder peinigten mich die Vorwürfe, ob

ich richtig gehandelt hatte, dich spontan und unüberlegt mitzunehmen. Vielleicht wären ja Stammesmitglieder aufgetaucht, die dich behandelt hätten. Je mehr ich darüber nachdachte, umso sicherer war ich in meinem Entschluss, dich unbedingt und so rasch wie möglich an deinen Platz zurückzubringen.

Während sich an Bord alles für das Ausschiffen bereit machte, traf ich die erforderlichen Vorkehrungen, meine Patientin von Bord zu schmuggeln. Wieder kam ich mit meinem Malblock in dein Krankenzimmer und zeichnete einen Jeep auf, in dem du versteckt von Bord gebracht wirst. Aufmerksam, aber ohne den Sinn zu begreifen, schautest du

meinen Malkünsten zu, Ich zeichnete, wie ich dich heraushole. Du nicktest, und wieder glaubte ich, du hättest mich verstanden. Vorsichtshalber gab ich dir ein leichtes Beruhigungsmittel. Wie ein Kind nahm ich dich bei der Hand und führte dich durch die Gänge zum Jeep unter Deck. An deinen Schritten merkte ich schon, dass du schläfrig wurdest, dennoch schautest du vertrauensvoll zu mir auf. Du schienst zu ahnen, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand. „Keine Angst, Maya, es wird alles gut werden“, redete ich dir beruhigend zu. Bei meinem Wagen angekommen, öffnete ich die Seitentür, klappte den Sitz nach vorne und bedeutete dir, hinten

einzusteigen. Vor den Rücksitzen hatte ich bereits zwei Kissen auf den Boden gelegt, ich zeigte mit der Hand darauf, was soviel heißen sollte: ‚bitte leg dich hin. Du tatest, wie geheißen, aber der vertrauensvolle Blick war erloschen. „Maya Jochen“ raunte ich dir noch zu, breitete eine Decke über dich und überließ dich der Enge, der Wärme und Angst. Aber du begehrtest nicht auf.

Ich machte mir keine Sorgen, dass etwas schief laufen könnte. Aber ich fühlte mich schlecht, wenn ich an deine angstvollen Auge dachte. Ich konnte nur hoffen, dass du schnell einschlafen würdest.

Es war fast 13.00 Uhr, Zeit der

Mittagspause, als ich das Zeichen bekam, mit dem Fahrzeug das Schiff zu verlassen. Im Hafen war ich, der Doc mit seinem alten Jeep, bekannt wie ein bunter Hund. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort, die Scherze kamen mir locker über die Lippen. Mit dem gewohnten ‚moin, moin reichte ich dem Dienst habenden Beamten die Dokumente. „Gute Reise gehabt, Doc?“ eine gut gemeinte Floskel. „Ja, wir sind fast leer zurückgekommen“, gab ich bereitwillig Auskunft und streckte betont lässig die Hand aus, um meine Papiere in Empfang zu nehmen. Ganz vorschriftsmäßig fahrend verließ ich das Hafengelände, unterdrückte einen

Seufzer der Erleichterung und schaute über die Schulter. Nichts rührte sich auf der Rückbank. Du schienst zu schlafen. Ich konnte es wagen, jetzt gleich bei meiner Mutter vorbeizufahren. Es war mir wichtig, dich bei ihr in guter Hut zu wissen, bis ich dich in deine Heimat zurückbringen konnte.

Als ich den Wagen vor dem Haus meiner Mutter abstellte, rührtest du dich noch immer nicht. Sanft schloss ich die Wagentür.

Meine Muter hatte mich bereits erspäht. Sie freute sich, mich nach der langen Reise wieder zu sehen, umarmte mich

und begleitete mich ins Haus. Sie überschüttete mich mit Neuigkeiten. Ich unterbrach sie etwas ungeduldig: „Mutter, ich habe es eilig und muss etwas Dringendes mit dir besprechen oder besser gesagt, dich um einen Gefallen bitten.“ „Nur zu, was gibt es?“ sagte sie gut gelaunt und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Küchentisch. „Würdest du für ein paar Tage einen Gast aufnehmen?“„Eine Freundin von dir?“ „Nein“, ich lachte laut heraus, der Gedanke amüsierte mich. „Eine Patientin, eine genesene Patientin“, fügte ich hinzu und schilderte in kurzen Sätzen, was sich zugetragen hatte und versicherte: „Ich

kümmere mich darum, Maya dann so schnell wie möglich in ihr Dorf zurückzubringen.“„Ein richtige Maya?“ Mutter war neugierig geworden. „Was heißt hier richtige Maya? Ich habe sie nur so genannt, aber wenn mich nicht alles täuscht, gehört sie dem Stamm der Lacandonen an.“

„Und spricht kein Deutsch.“

„Nein, natürlich nicht. Sie ist sicher nie aus ihrem Wald herausgekommen.“

ist. Sie hat gelernt, mit Besteck umzugehen. Sie beherrscht ein paar Worte und merkt sich alles, was man ihr beibringt. Ich bin sicher, nach ein paar Tagen, wirst du sie ins Herz geschlossen haben und nicht mehr hergeben wollen.“ Ich schaute Mutter bittend an, las die Zustimmung an ihren Augen ab und schmeichelte: „Du bist die beste Mutter der Welt. Komm, lass uns den Gast hereinholen.“

Als ich die braune Decke neben dem Jeep auf dem Gehweg liegen sah, verhieß das nichts Gutes, Der Platz vor der Rückbank war leer, von dir weit und breit keine Spur. Stille, kein Mensch, nichts, was auch nur annähernd darauf

hindeutete, wo du seien könntest.

Gertrud war mir zur Haustür gefolgt. Als sie mich wütend mit den Händen fuchteln sah, kam sie näher.

„Sie ist weg, verschwunden“, rief ich ihr entgegen und hielt ihr wie zum Beweis die Decke entgegen. „Da drunter hattest du sie versteckt? Dann wundert es mich nicht, dass sie davongelaufen ist. Das muss ja jeden normalen Menschen ängstigen. Vermutlich hatte sie keine Ahnung, was mit ihr geschehen wird.“

„Und nun?“ wütend warf ich die Decke auf den Boden.

„Ruf die Polizei!“

„Keinesfalls. Ich habe die Frau illegal

ins Land gebracht.“

„Dann such sie!“

„Aber wo? Soll ich hier von Haus zu Haus gehen?“

„Vielleicht.“

„Sie kann doch nicht weit sein.“

„Oh doch, sie braucht nur wie verloren an der Straße gestanden zu haben, da hat sie jemand mitgenommen, bestenfalls aus Mitleid.“

„Und andernfalls?“ Ich starrte meine Mutter an, als sei sie schuld an Mayas Verschwinden. Gertrud zuckte die Achseln. „Was weiß ich, nur hier in der Nachbarschaft ist sie bestimmt nicht. Komm lieber rein, der Tee wird kalt.“

‚Typisch Mutter, dachte ich wütend,

‚nichts kann sie erschüttern.

Ganz in seine Schilderung vertieft und ohne aufzuschauen hatte Jochen gesprochen. So durchlebte er noch einmal die aufregenden Stunden. Jetzt blickt er auf. Maya saß ihm gegenüber mit gesenktem Kopf und im Schoß verschränkten Händen. Weinte sie? Sie schien nicht zu bemerken, dass Jochen geendet hatte. „Und? Erinnerst du dich?“, fragte er. Maya schüttelte den Kopf. „Aber ich glaube dir. Jetzt weiß ich, was mich vertrieben hat, und wie ich hier hergekommen bin. Aber über meine Vergangenheit habe ich so gut wie nichts erfahren. Nicht einmal, ob Maya

wirklich mein Name ist“, fügte sie leiser hinzu und stieß wütend her vor: „Warum nur ist mein Erinnerungsvermögen erloschen?“

„Ich vermute, der Schock und gleichzeitig das hohe Fieber.“

„Jochen, bist du mir böse, wenn ich mich in mein Zimmer zurückziehe“, bat Maya mit zittriger Stimme. „Ich habe so viel erfahren, das muss ich erst einmal verarbeiten.“ Ohne auf seine Antwort zu warten wandte sie sich zur Tür, hielt plötzlich inne, denn ihr fiel die Figur der Akna ein. „Eine Frage noch, wie ist die kleine Götterfigur in deinen Besitz gekommen?“ „Du trugst sie an einigen Haaren am Hals. Die Fäden waren aber

so eng verknüpft, dass ich sie durchtrennte und in meiner Arzttasche verwahrte. Neulich fand ich sie wieder.“

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Titel

Schreib mir was!

Titel

Schreib mir was!

Findelkind 7

Fortsetzung von Findelkind 6

Maya erfährt die ganze Wahrheit.

Winterschlaf begaben. „Es könnte so schön sein“, seufzte Sofie und schaute zu Maya, die wie aufgebahrt auf der Liege lag und in den Himmel starrte. Mayas Miene passt so gar nicht zu der leichten heiteren Atmosphäre. Ständig hatte sie den Blick nach innen gerichtet. Sofie wagte es kaum, sie anzusprechen. Dabei hätte sie so gerne mit einer lockeren Unterhaltung aus der Reserve gelockt. Sie

versuchte es mit banalen Bemerkungen wie: „Weißt du, dass du nun schon über ein Jahr bei mir bist?“ sagte Sofie, während sie den Kaffeetisch auf der Terrasse deckte. „Unglaublich, was in der kurzen Zeit alles geschehen kann. Ein ganzes Leben wird auf den Kopf gestellt“, folgerte Maya. „Mehr als ein Jahr, in dem du unablässig nach deinen Wurzeln gesucht hast.“ Weiter gedieh das Gespräch

nicht. Maya signalisierte eindeutig: Lass mich zufrieden.

Schulter und zog sie an sich. Maya ließ es geschehen. Sofie hatte sogar den Eindruck, sie gab ein wenig nach, schmiegte sich dankbar an sie. „Kann ich dir helfen?“ flüsterte Sofie. Mayas Kopf rutschte noch ein wenig tiefer, sie ließ es zu, dass Sofie ihr über die Haare strich. „Jetzt ist alles noch viel schlimmer“, stieß sie heftig hervor. Sofie wusste sehr gut, was Maya sagen wollte und tröstete: „Ich

verstehe deine Unruhe, aber du musst warten, bis Breitstein zurück ist.“ Maya nickte und gab zu, dass ihr das schwer fiel.

Lange wurde sie zum Glück nicht auf die Folter gespannt. Von Julia erfuhren sie, dass sie Breitstein bei seiner Mutter gesehen habe.

„Na bitte“, Sofie strahlte, „nun kannst du handeln. Wie siehst du es? Freust du dich?“ „Freuen ist falsch, ich

bin gespannt, habe aber auch ein wenig Angst. Wer weiß denn, was ich erfahren.“ „Mach, wie es für dich richtig erscheint. Aber ich wette, lange hältst du es nicht aus.“

Sofie. Sie wollte sicher gehen, dass sie im Fall einer schrecklichen Offenbarung nicht schutzlos wäre. Sofie sollte bei dem Gespräch nicht zugegen sein, aber sich im Haus aufhalten. Breitstein nahm die Einladung an. Maya hatte zwei Tage Zeit, sich auf das Gespräch vorzubereiten. Sie schwankte zwischen Angst und Neugier. Um ihre Aufregung zu überdecken, plante sie den Nachmittag immer wieder neu.

Sorgfältig deckte sie dann den Tisch für zwei und kleidete sich betont schlicht. Dr. Breitstein erschien pünktlich auf die Minute. Es war ihm anzusehen, dass auch er angespannt war. „Erinnern Sie sich an mich?“ eröffnete er das Gespräch. „Bitte sagen Sie du“, bat sie „das klingt nicht so streng.“ „In Ordnung, ich bin Jochen“, bot Breitstein im Gegenzug an. Und Maya stellte die Frage, die ihr auf der Seele

brannte. „Bist du sicher, dass wir uns schon einmal begegnet sind?“ Jochen nickte. „deine Reaktion auf den Begriff Tobardillo lieferte mir den Beweis. „Ich weiß nämlich nicht einmal, was es bedeutet.“

„Das verstehe ich alles nicht.“ Maya musste sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen oder nach Sofie zu rufen. „Kannst du mir nicht ganz einfach erzählen, wie es zu einer

Begegnung kam? Woher wir uns kennen?“ setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu.

„Gut“, Breitstein nahm einen Schluck vom Kaffee „Du musst aber ein wenig Geduld haben, denn ich erzähle die ganze Geschichte.“

„Das ist gut“, ermutigte ihn Maya, „ich möchte alles wissen, alles ohne Ausnahme.“

„Für mich war es immer wieder eine Herausforderung, als Schiffsarzt zur See zu

fahren“, begann er. „Kapitän Petersen ist ein alter Freund von mir. Er kann es einrichten, mich ab und an für Reisen anzufordern. Und Mexiko reizte mich ganz besonders. Ich hoffte, dass ich bei längerer Liegezeit Gelegenheit bekäme, über Land zu fahren. Meinen alten Jeep nehme ich immer mit an Bord. In Ciudad del Carmen sollten wir vier Tage liegen, um auf eine Gruppe Touristen zu warten. Da blieb genug Zeit

für mich, in den Urwald von Chiapas zu fahren. Ich wollte unbedingt zu den Lacandonen vordringen, von denen man sagt, sie seien extrem menschenscheu. Bis in die kleine Provinzstadt Tenosique brauchte ich vier Stunden. Von dort aus musste ich mich durchfragen und auf mein Glück hoffen. In der Stadt herrschte reges Treiben, jetzt brauchte ich einen Hinweis, mein unbekanntes Ziel zu

erreichen.

Der fragte auf Englisch, ob ich Amerikaner sei oder Deutscher? Es war ihm nicht

anzusehen, was er dachte. In jedem Fall war er an einem Gespräch interessiert und wollte wissen, ob ich in Mexiko lebe. Dabei musterte er mich abschätzend. Dass ich als Schiffsarzt unterwegs sei, schien ihm nichts zu sagen, als ich allerdings erwähnte, dass ich ein paar Tage lang hier durchs Land fahren wollte, horchte er auf und fragte recht skeptisch ob ich mich auskennen würde.

Ic gestand, dass ich viel über

Mexiko gelesen habe und mich Chiapas von allem am meisten anzog, die dichten Wälder, das Unberührte und Ursprüngliche mache mich so neugierig und eines dieser versteckten Lacandonendörfern zu besuchen reize mich besonders.

Der Tankwart schüttelte den Kopf und meinte, an die Lacandonen komme keiner ran. Seit zwanzig Jahren stehe er an der Tankstelle,

habe aber nicht einmal mit einem dieser Typen gesprochen. Sie tauchen hin und wieder in den Straßen auf in ihren schmuddeligen Kitteln, dem struppigen Haar und dem Blick, der zu sagen scheint: sprich mich nur nicht an. Die glauben, sie kommen gleich nach dem lieben Gott. Nur weil sie angeblich die reinen und unvermischten Nachfahren der Maya sind, brauchten sie nicht so feindselig zu tun.

Ist es wirklich Feindseligkeit? Wollte ich wissen. Oder ist es nur Scheu? Scheu, er lachte verächtlich. Vor ein paar Wochen war hier ein Tourist, neugierig wie Sie, auch er suchte die Lacandonen. Man fand ihn wenige Tage später in der Nähe eines der Dörfer mit einem Pfeil in der Brust. Nennen Sie so etwas Scheu?

Grinsend fragte er, ob es mich immer noch locke? Nun erst recht.

Er schüttelte nur den Kopf

und gab mir dennoch die Wegbeschreibung: Die Hauptstraße geradeaus vom Ortsausgang nach etwa zwei bis drei Kilometern geht rechts ein Weg ab. Der ist nicht gut, aber mit dem Jeep befahrbar. Dieser Weg führt nach etwa 15 Kilometern zu einem Holzfällerlager. Die Männer dort haben hin und wieder Kontakt zu den versteckt lebenden Lacandonen. Die können vielleicht weiterhelfen.

Ich bedankte mich und drückte dem Mann einen Schein in die Hand. Dafür bekam ich den guten Rat: Vorsichtig zu sein, mich vor allem vor den Frauen zu hüten, da kennen die keinen Spaß.

Ich fand mühelos die Abzweigung von der Hauptstraße. Der Weg war schmal, aber nicht so holprig, wie ich es befürchtet hatte. Rechts und links Urwald, dichtes, struppiges Unterholz,

fleischige Lianen, die sich wie grasgrüne Schlangen an den hohen Baumriesen hinauf ranken. Das Laubdach ist so dicht, dass nur hier und da ein schmaler Sonnenstreifen durchschimmerte. Die stickige Luft nahm mir fast den Atem. Für einen Augenblick überlegte ich, ob es nicht doch ein zu gewagtes Unternehmen wäre, drückte aber gleichzeitig den Gashebel ein wenig weiter

durch. Es ist nicht meine Art, ein einmal begonnenes Unternehmen abzubrechen.

Schlangen, Echsen, Käfer, Skorpione.

gehetzt umschaute. Dabei stieß sie Laute aus, die wilden Schreien oder eher noch einem irren Lachen glichen. Ich war mir nicht sicher, ob das Wesen in dem grauweißen, sackartigen Gewand und der wirr vom Kopf abstehenden Haarmähne ein Mann oder eine Frau war. Erneut brüllte es dumpf wie ein Tier. Drehte sich um die eigene Achse und verschwand auf der anderen Wegseite im Dickicht.

Betroffen über die soeben beobachtete Szene saß ich einige Augenblicke bewegungslos am Steuer und versuchte zu verarbeiten, was ich gesehen hatte. War das ein Lacandone, eines dieser menschenscheuen Wesen? Lebten sie tatsächlich hier? Und der Dschungel war doch durchlässig?

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, stieg aus und untersuchte die Stelle, an

der der Mensch aus dem Grün aufgetaucht war. Umgeknickte Äste zeigten dies an. Mit Händen und Füßen drängte ich die Zweige auseinander. Es ging einfacher, als es von außen möglich erschien. Um mich her raschelte und knisterte es. Ich hatte das Gefühl, von unzähligen Augen beobachtet zu werden. Mein Blick streifte meine festen Stiefeln. Bei der Wärme waren sie mir eigentlich übertrieben

vorgekommen, aber jetzt gaben sie mir ein sicheres Gefühl. Nicht einmal eine Schlange konnte mir gefährlich werden.

Ich hielt inne. Der würzig schwere Duft der Tropenpflanzen war berauschend. Tief sog ich die Luft ein. Ich glaubte, Rauch zu riechen, so als schwelte in der Nähe ein Feuer. War das bei dieser Feuchtigkeit überhaupt möglich?

Es drängte mich voran, aber

ich schaute vorsichtshalber zurück. Noch konnte ich die Spur erkennen, die ich mir gebahnt hatte und arbeitete mich weiter vor. Meine Neugier war nicht zu bremsen. Ein Zurück gab es nicht mehr. Dann stand ich vor einer Lichtung mit Blick auf drei Hütten, die großen Heuhaufen ähnelten. Erst als ich genau hinsah, entdeckte ich die Flammen, die sich mühsam am Blätterdach entlang fraßen. Da war er

wieder der Mensch, den ich bereits im Busch schemenhaft gesehen hatte, jetzt erkannte ich ihn als Mann. Eine Frau kam schreiend aus der Hütte, sie schien den Mann verbal anzugreifen, ihre Stimme überschlug sich, während er ihr mit einer gebieterischen Bewegung der Hand bedeutete, zu verschwinden. Die Frau zog sich zurück, hielt sich jedoch dicht an der Türöffnung auf. Ohne zu

zögern betrat der Mann die andere Hütte, tauchte jedoch kurz darauf mit einem tierischen Brüllen erneut auf, in jeder Hand ein Kleinkind, die er wütend zu Boden schleuderte. Wie eine Wildkatze umkreiste er die Nachbarhütte. Er gewahrte die Frau am Eingang, rief ihr etwas zu und stürzte sich in wilder Wut auf sie. Kein Laut kam über ihre erstarrten Lippen. Er riss ihr das Gewand vom Leib, schüttelte

sie derart, dass das Brechen der Knochen bis zu mir zu hören war.“ Maya stieß einen Schrei aus. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. „Hör auf“, wimmerte sie. „Das kann ja man nicht einmal anhören.“

„Erkennst du etwas wieder?“ fragte Jochen ganz vorsichtig. Maya schüttelte stumm den Kopf. „Bist du sicher, dass ich schweigen soll?“ Er schaute Maya fragend an und wartete, bis

sie ganz leicht den Kopf schüttelte, dann fuhr er mit sanfter Stimme fort. „Stille breitete sich aus, bis der Mann sich schreiend aufrichtete. Aufgestaute Wut schien sich zu entladen, wie von Sinnen drehte er sich um die eigene Achse, als suche er etwas.

Ich stand wie gelähmt. Der Verstand riet mir, mich unter keinen Umständen einzumischen, jedoch mein Gewissen als Arzt drängte

mich, dem schrecklichen Treiben ein Ende zu setzen. Mir war klar, jedes Eingreifen meinerseits wäre Selbstmord. Der Mann war besessen, vermutlich stand er unter Drogen. Rückzug, unbemerkter Rückzug war die einzige Möglichkeit. Vorsichtig schaute ich mich nach allen Seiten um. Da bemerkte ich eine Frau, in den Händen hielt sie einen Kräuterbuschen.“ Hier machte Jochen Breitstein eine

Pause und versuchte in Mayas Gesicht zu lesen. Vergebens, sie hatte den Kopf gesenkt. „Die Frau stand wie versteinert, sie muss die grauenvolle Szene mit angesehen haben. Ehe ich begriff, was vor sich ging, war der Wilde mit zwei langen Sprüngen bei ihr, riss ihr brutal das Kleid vom Leib und fiel wie ein rasendes Tier über sie her. Mit einem markerschütternden Schrei ließ er von der Frau ab. Er

schaute sich nach allen Seiten um und huschte durch die Büsche davon. Aus seinem schrillen Schrei wurde ein Lachen, das sich zu einem unmenschlichen Brüllen steigerte. Jetzt hielt mich nichts mehr. Mit langen Sprüngen war ich bei der bewusstlosen Frau, lief dann weiter zu der Hütte, vor der die andere Frau und die beiden Kleinkinder lagen. Hier kam jede Hilfe zu spät. Weitere Personen konnte ich

nicht entdecken. Ich kehrte zu der Bewusstlosen zurück, nahm sie kurz entschlossen auf die Arme und bahnte mir mühsam den Weg zurück zum Jeep. Dort versorgte ich sie so gut wie möglich war und bettete sie auf den Rücksitz. Bis zum nächsten Krankenhaus drohte ihr keine Gefahr.

Als ich den Motor startete, tauchte vor mir das Bild des Lacandonen auf, der hier meinen Weg gekreuzt hatte.

Ich meinte, noch immer das irre Gelächter zu hören. Ich war mir fast sicher, dass er es war, der die grauenvollen Taten begangen hatte.

Am Ortseingang von Tenosique suchte ich nach einem Krankenhaus. Spanisch spreche ich nicht. Auf gut Glück versuchte ich es auf Englisch: „Hospital“, rief ich einem Mann am Straßenrand zu. Der zuckte verständnislos die Achseln. Die Tankstelle fiel ihm ein.

Wie schon zuvor herrschte reger Betrieb an den Zapfsäulen. Ich musste mich eine Weile gedulden.

Ihr Ausflug zu den Lacandonen war aber kurz, scherzte der Tankwart; sein Lächeln verflog, als ich ihn nach einem Krankenhaus fragte und auf die Rückbank des Jeeps deutete.

“Was haben Sie gemacht? Haben Sie die angefahren?“ fragte er

Mit kurzen Worten schilderte

ich, was ich erlebt hatte.

zweigeschossiges, verwahrlostes Gebäude. Hinter einem kleinen Fenster saß eine ältere Indiofrau in Schwesterntracht. Sie erhob sich, als ich energisch ans Fenster klopfte. Ihr Blick verriet, dass sie solch ungestümes Verhalten nicht schätzte. Ich ignorierte den bösen Blick, deutete auf den Jeep und machte der Alten Zeichen, mir zu öffnen. Stattdessen glotzte sie mich neugierig an. Ich wiederholte

meine Geste. Die Schwester zuckte die Achseln, folgte mir aber zum Wagen. Ich gab ihr per Zeichen zu verstehen, dass ich die Patientin aus dem Auto heben und ins Haus bringen wollte. Aber die Alte packte mich am Arm und machte mir klar, dass das nicht in Frage käme.

Ich zeigte auf die ohnmächtige Frau und beschrieb eine fragende Bewegung der Schultern. Die Frau schüttelte nachdrücklich

den Kopf, ließ sich aber herab, den Puls der Kranken zu fühlen und fuhr ihr mit der Hand über die Stirn. Aus ihrer Kitteltasche kramte sie ein Zweierpäckchen Aspirin hervor, drückte es mir in die Hand und machte noch einmal deutlich, dass man die Frau nicht aufnehmen könnte. Dann verschwand sie in ihrer Kammer.

Da stand ich nun neben dem Jeep. Was sollte ich tun mit zwei Aspirin?

Breitstein warf einen kurzen Blick auf Maya. Sie hatte sich

offenbar beruhigt, schaute mich wieder an und folgte meinem Bericht.

aufschrecken. Ich schaute nach der Kranken auf der Rückbank. Ihre Stirn fühlte sich heiß an, der Puls ging schneller als vorhin. Das bereitete mir Sorge. Die Kühlbox fiel mir ein. Im Licht der Taschenlampe prüfte ich ihren Inhalt, entnahm eine Flasche lauwarmes Wasser, darin löste ich eine der Tabletten auf und flößte der Frau das Medikament ein. Zunächst wollte sie nicht schlucken, dann aber trank

sie mit gierigen Zügen. Wenn sie Malaria hätte würde das Medikament keine besondere Wirkung zeigen. Aber in jedem Fall verschafft es ihr ein wenig Erleichterung. Nichts wünschte ich mir jetzt mehr, als an Bord zu sein. Ich könnte eine Blutanalyse vornehmen und hätte bald schon Gewissheit.

Ich bettete die Kranke so bequem wie möglich und entschied, sie mit an Bord zu nehmen und dort zu

versorgen. Erst in drei Tagen würde die neue Reisegruppe erwartet. Diese Zeitspanne müsste reichen, die Fremde so weit zu versorgen, dass ich sie nach Tenosique zurückschicken könnte. Die Idee erleichterte mich, und machte die Suche nach einem Krankenhaus überflüssig Wichtig war nun, so rasch wie möglich das Schiff zu erreichen. In etwa drei Stunden müsste ich es schaffen.

In der Kühlbox fand ich noch zwei belegte Brötchen, zwei Äpfel, ein paar Bonbons und eine Flasche Coca Cola. Ich aß und trank ohne Genuss und fühlte mich ein wenig besser, zumindest stark genug, um durchzufahren.

Ich hatte Glück. Als die Sonne aufging, erreichte ich das Schiff. Mit einem Hupton machte ich mich bei dem Wachhabenden bemerkbar. Die Ladeluke öffnete sich, die Rampe fuhr aus, der Jeep

rollte an Bord. Hätte ich Muße gehabt, wäre mir das geschäftige Treiben aufgefallen. So überlegte ich nur, wie ich die Kranke möglichst ungesehen und schnell aus dem Jeep in die Krankenabteilung bringen konnte. Kurz entschlossen hüllte ich sie in eine Decke und trug sie wie ein Kind unter Deck. Niemand begegnete mir, so brauchte ich keinem Rede und Antwort zu stehen. Ich begann sofort

mit den notwendigen Untersuchungen und entnahm die Proben für die Laboruntersuchungen. Ich arbeitete gründlich und konzentriert, ohne auf die Zeit zu achten. Alle drei Krankenbetten waren leer. Ich legte die Patientin in das dem Bullauge am nächsten stehende und setzte mich an ihre Bettkante. Ich flößte ihr nochmals Wasser ein und betupfte ihr die feuchte Stirn mit einem nassen Tuch. Zum

ersten Mal betrachtete ich ihr Gesicht. Ob ein Gesicht hübsch ist, ist bei geschlossenen Augen schwer festzustellen. Aber eines war sicher, ihre Züge waren ebenmäßig, die Haut braun wie Milchkaffee, die Nase schlank und der Mund war, wenn sie lächeln könnte, gewiss weich. Die Frage nach ihrem Alter blieb offen. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig, eher auf dreißig zugehend. Sanft strich ich

über ihr kräftiges Haar und überlegte, was ich sagen sollte, wenn sie die Augen aufschlug. Dass Worte überflüssig waren, kam mir im Augenblick nicht in den Sinn.

Da es nichts weiter zu tun gab, beschloss ich, den Kapitän von dem vorübergehenden Bordbesuch zu unterrichten. Als ich den Raum verließ, spürte ich ein eigenartiges Vibrieren im Schiffskörper.

Hastig stieg ich an Deck.

Was hat das zu bedeuten?, rief ich einem Matrosen zu und erfuhr: wir gehen auf Fahrt.

Verdammt, das durfte nicht wahr sein. Fluchend und zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich die Treppe hinauf zur Kommandobrücke auf: Fahren wir schon?, schrie ich den Kapitän an.

So war es. Die Pläne mussten geändert werden. Die Touristengruppe war im

Landesinneren mit einem Bus verunglückt. Viele Passagiere lagen in Krankenhäusern. Die Reise wurde abgebrochen. Die gesunden Passagiere kehrten per Flugzeug nach Deutschland zurück. Daraufhin hatte die Reederei Order gegeben, so bald wie möglich zum Heimathafen zurückzukommen. Neue Ladung wartet schon. Nur der Doktor fehlte. Das Schiff hätte gestern bereits ablegen können.

Ich setzte sich auf einen der Drehstühle und bat den Kapitän um ein Gespräch unter vier Augen. Petersen nickte, und versprach zu kommen gleich, wenn das Schiff den Hafen verlassen hatte.

Ich ging hinaus, lehnte mich über die Reling und schaute auf die entschwindende Stadt. Der warme, gleichwohl erfrischende Wind, half ein wenig, meine Gedanken zu beruhigen. Es hatte jetzt

keinen Zweck, mich zu fragen, was mit der jungen Frau werden sollte. Das musste Petersen entscheiden. Meine Gedanken eilten nach Hause voraus. Ich hatte mich wie ein Kind darüber gefreut, dass Petersen mir für diese Reise die Vertretung für den erkrankten Bordarzt angeboten hatte. Mexiko war schon lange mein Traum. Und jetzt das.

Petersen tippte mir auf den

Rücken und wollte wissen. Was es gäbe, hoffentlich keine schlechte Nachricht.

Zwischenfragen zu helfen, sondern schaute mich schweigend an und lauschte. Er hatte kein Erbarmen, ich musste alles bis zum bitteren Ende erzählen.

Meinung war, wir würden erst in drei Tagen auslaufen, habe ich sie zur Erstversorgung mit an Bord gebracht. Vermutlich hat sie Malaria. Während ich sie untersuchte, merkte ich erst, dass wir ablegten.“

Noch immer äußerte sich Petersen nicht. Er schaute mich nur von oben an , als wollte er sagen: Na, stimmt das, was du mir da auftischst? Ich fühlte mich mehr als mies und sprach

aus, was ich eigentlich von Petersen erwartet hatte: Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie mit nach Deutschland zu nehmen.

„Oder wir drehen bei und lassen sie von Bord gehen,“ war Petersens Alternative. vor

„Von Bord gehen? Das ist unmöglich“, erregte ich mich. „Die Frau fiebert. Sie hat die Augen nicht aufgeschlagen, seit ich sie gefunden habe. Sie ist unfähig, das Bett zu

verlassen.“

„Ich habe nichts dagegen, dass die Kranke an Bord ist. Aber Schwester Hannelore habe ich zu den verunglückten Passagieren geschickt. Du hast also keine Hilfe.“

„Das ist die kleinste Sorge.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, Petersen schien sich mit der unwillkommenen Patientin abzufinden, denn er wollte wissen, wie ich sie in Deutschland von Bord

bringen würde? „Du weißt, wie penibel die Behörden sind. Und einen Pass wird deine Unbekannte nicht bei sich haben.“

Was soll ich mit einer wildfremden Frau?“

„Mein Gott, was soll man mit einer zunächst wilden Fremden wollen, besonders wenn sie hübsch ist? Und das ist sie vermutlich?“ höhnte er.

Aber ich wehrte mich: „Diesmal irrst du, mein Freund. Ich habe die Frau erst richtig angeschaut, als sie schon hier im Bett lag.“

„Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“

„Beurteile du mal eine Bewusstlose.“

Ich atmete auf, unsere Blödelei war ein Zeichen: Petersen wollte nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Er klopfte mir auf die Schulter und ging davon. ‚Offensichtlich amüsierte ihn mein Ausrutscher, und er war gespannt, wie ich mich da herauswinden würde. Nun lag alles in meinen Händen. Dass Probleme auf mich zukämen, war gewiss. Aber

das ganze Ausmaß ahnte ich nicht.“

ihre Hand, da spürte ich, dass sich ihre Finger um meine schlossen, als suchten sie Halt. Ich hielt still, streichelte den Handrücken, um ihr schon vor dem Erwachen Vertrauen einzuflößen. Und ich wünschte mir, sie beim Namen nennen zu können. Es würde ihr helfen. Ich betrachtete ihr Gesicht. Eine Maya., Ich merkte nicht, dass ich den Namen leise vor mich hin gesprochen hatte. „Ja, Maya, das ist doch ein

hübscher und passender Name.“ Ich probierte ihn gleich aus. „Maya, wach auf!“ Ich sprach so eindringlich, als wollte ich sie zwingen, mir zuzuhören. Die Bewegung ihrer Finger erschlaffte. Ich zog die Hand zurück und sie schlug die Augen auf. Ihre Lider flatterten leicht und schlossen sich erneut. Ich blieb noch eine Weile neben ihrem Bett stehen. Das schlafende Gesicht zeigte mir, dass das Schlimmste

überstanden war, gesundheitlich ging es mit meiner Patientin bergauf.

Frau vorübergehend bei sich aufzunehmen.

modernen Zivilisation. Wie konnte ich erwarten, dass dieses Krankenzimmer ihr vertraut war. Ich wartete, bis sie erneut in meine Richtung schaute. Mit zusammengekniffenen Lidern schien sie die nächsten liegenden Gegenstände abzutasten. Lange sah sie zu den beiden runden Bullaugen hinüber und verweilte dann bei den drei Bildern blühender Büsche, die über dem Fußende ihres Bettes

hingen.

„Tobardillo“, presste sie hervor, laut und deutlich noch einmal „Tobardillo“.

„Tobardillo“, wiederholte ich und versuchte, mir den Begriff zu merken. Ich vermutete, dass es ein Schlüsselwort war. Tobardillo musste unmittelbar mit dem Unglück in Verbindung stehen.“

Hier stockte Jochen. Fragend schaute er Maya an, die absolute Konzentration ausstrahlte.

„Hier sind wir also bei Tobardillo angekommen“, sagte er und wartete auf einen Kommentar von ihr. Vergebens. „Erinnerst du dich?“ Statt zu antworten, griff sie nach ihrem Skizzenbuch und blätterte darin. „Hier, ich habe es gezeichnet und kam nicht darauf, was es war.“ Sie deutete mit dem Finger auf die Zeichnungen und murmelte in Gedanken versunken. „Tobardillo, Mama

Nunc, Tobardillo“, Tränen stiegen ihr in die Augen, sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte.

hast, muss ich alles erfahren.“ In leisem Erzählton fuhr er fort: „Ich flößte dir ein starkes Beruhigungsmittel ein. Du brauchtest dringend Ruhe, denn du hattest gerade den ersten Schritt getan, die neue Welt zu ertasten. Wie schwer, wie mühsam mochte der Weg bis zur vollen Erkenntnis sein?

Nach jeder Schlafphase wirktest du ein wenig wacher.

Inzwischen warst du in der Lage, die Umgebung wahrzunehmen und bereit, diese als gegeben anzunehmen. Hin und wieder standest du auf und schautest aus den runden Fenstern hinaus; Wasser so weit das Auge reichte.

Was sagte dir Wasser wohl in diesem Ausmaß? Ab und an murmeltest du ganze Sätze, wohl in der Hoffnung, ich, der Fremde würde dich verstehen. Ich aber lächelte

dich nur an, hob bedauernd die Schultern. Ich ahnte, was du von mir wissen wolltest, konnte es dir aber nicht verständlich machen. Es war eine schwierige Situation. Ich brachte dir Essen, das du nie zuvor geschmeckt hattest und gab dir Hemd und Hose von mir, in denen du dich unbehaglich fühltest. Da ich mich verbal nicht mit dir verständigen konnte, griff ich zu Papier und Bleistift. Ich malte einen Jeep auf, was

sinnlos war, du hattest nie ein derartiges Fahrzeug gesehen. Dann zeichnete ich mich selbst, wie ich dich auf den Armen trug. Ich deutete mit einem Pfeil die Richtung zum Jeep an. Eifrig wie ein kleiner Junge bemühte ich mich, ein fahrendes Auto darzustellen, in dem ein Mann sitzt, eine Frau liegt, dann das Meer, das Schiff und zuletzt das Krankenzimmer.

Dein zaghaftes Nicken deutete ich als: Ich habe

verstanden. Eifrig malte ich weiter. Ich deutete Amerika an, dann Europa, eine Frau im Bett, zunächst auf dem Schiff in Richtung Europa, dann im Hospital und im dritten Bild wieder auf dem Schiff in Richtung Amerika. Fragend schaute ich dich an, du lächeltest scheu zurück. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen.

Immer wenn ich spürte, dass du aufnahmebereit warst, redete ich dich bewusst mit

dem Namen Maya an. Ich deutete auf dich und sagte: „Maya“. Du begriffst, tipptest auf deine Brust und sagtest: „Maya“. Ich zeigte auf mich und sagte: „Jochen“. Was du wiederholtest, klang wie ‚oche. Aber nach mehreren Versuchen gelang es dir, meinen Namen richtig auszusprechen. Ab sofort machte ich ein Spiel daraus, Maya Jochen. Ich zeigte auf dich, du auf mich. Es hatte den Anschein, als würden wir

uns bestens verstehen. Leider waren diese Augenblicke nur von kurzer Dauer. Es war dir anzusehen, dass dich so vieles quälte, was du nicht verstandest. Dann flohst du in den Schlaf.

trankst ein Schlückchen und setztest ab. Du nicktest. Ich deutete es als: Es schmeckt. Besteck kanntest du nicht. Ich nahm den Löffel zur Hand, füllte ein wenig Hühnersuppe darauf und führte ihn dir zum Mund. Als die Schale fast geleert war, langtest du nach dem Löffel und aßest. Dabei starrtest du auf das Tablett, als müsstest du es dir für immer einprägen. Ich holte eine Banane. Du öffnetest die

Frucht wie gewohnt mit den Zähnen und verschlangst das Fruchtfleisch. Erleichterung lag auf deinen Gesichtszügen, als du in deiner Sprache einen Kommentar abgabst. Ich zuckte mit den Schultern als Zeichen, dass ich dich nicht verstanden hatte, während du die Bananenschale auf den Boden fallen ließest.“ Maya schüttelte sich vor Lachen. „Du bist ein Kasper“, tadelte sie, „hast du wirklich solch

einen Quatsch mit mir, deiner armen Patientin gemacht?“

„Ja, es hat sogar Spaß gemacht“, gab Jochen zu. „Ich musste doch irgendwie zu dir vordringen, dich aus der Reserve locken. Da ich viel Zeit erübrigen konnte, brachte ich dir nach und nach die wichtigsten Wörter bei und staunte, wie aufnahmebereit du warst. Spielerisch übte ich mit dir die Namen Maya Jochen, der immer gleiche Rhythmus: Maya

Jochen.

Maya Jochen wurde zum Ritual, zum einzigen Bindeglied zwischen uns beiden.

So versuchte ich, dich ein wenig aufzuheitern.“ „Und, ist es dir gelungen?“ „Das kann ich nicht beurteilen. Du warst zu tief verletzt.“ „Aber komm, erzähl weiter! Ich will das Ende der Geschichte hören.“

„Es lagen noch zwei Seetage vor uns, als du so weit gesundheitlich wieder hergestellt warst. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie du die Situation wahrnahmst. Mir war klar, dass es am

allerbesten wäre, dich so rasch wie möglich zurückzubringen, obwohl mir graute, wenn ich an das Schlachtfeld dachte, aus dem ich sie gerettet hatte. Wieder peinigten mich die Vorwürfe, ob ich richtig gehandelt hatte, dich spontan und unüberlegt mitzunehmen. Vielleicht wären ja Stammesmitglieder aufgetaucht, die dich behandelt hätten. Je mehr ich darüber nachdachte, umso sicherer war ich in meinem

Entschluss, dich unbedingt und so rasch wie möglich an deinen Platz zurückzubringen.

begreifen, schautest du meinen Malkünsten zu, Ich zeichnete, wie ich dich heraushole. Du nicktest, und wieder glaubte ich, du hättest mich verstanden. Vorsichtshalber gab ich dir ein leichtes Beruhigungsmittel. Wie ein Kind nahm ich dich bei der Hand und führte dich durch die Gänge zum Jeep unter Deck. An deinen Schritten merkte ich schon, dass du schläfrig wurdest, dennoch

schautest du vertrauensvoll zu mir auf. Du schienst zu ahnen, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand. „Keine Angst, Maya, es wird alles gut werden“, redete ich dir beruhigend zu. Bei meinem Wagen angekommen, öffnete ich die Seitentür, klappte den Sitz nach vorne und bedeutete dir, hinten einzusteigen. Vor den Rücksitzen hatte ich bereits zwei Kissen auf den Boden gelegt, ich zeigte mit der Hand

darauf, was soviel heißen sollte: ‚bitte leg dich hin. Du tatest, wie geheißen, aber der vertrauensvolle Blick war erloschen. „Maya Jochen“ raunte ich dir noch zu, breitete eine Decke über dich und überließ dich der Enge, der Wärme und Angst. Aber du begehrtest nicht auf.

Ich machte mir keine Sorgen, dass etwas schief laufen könnte. Aber ich fühlte mich schlecht, wenn ich an deine angstvollen Auge dachte. Ich

konnte nur hoffen, dass du schnell einschlafen würdest.

Es war fast 13.00 Uhr, Zeit der Mittagspause, als ich das Zeichen bekam, mit dem Fahrzeug das Schiff zu verlassen. Im Hafen war ich, der Doc mit seinem alten Jeep, bekannt wie ein bunter Hund. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort, die Scherze kamen mir locker über die Lippen. Mit dem gewohnten ‚moin, moin reichte ich dem Dienst

habenden Beamten die Dokumente. „Gute Reise gehabt, Doc?“ eine gut gemeinte Floskel. „Ja, wir sind fast leer zurückgekommen“, gab ich bereitwillig Auskunft und streckte betont lässig die Hand aus, um meine Papiere in Empfang zu nehmen. Ganz vorschriftsmäßig fahrend verließ ich das Hafengelände, unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung und schaute über die Schulter.

Nichts rührte sich auf der Rückbank. Du schienst zu schlafen. Ich konnte es wagen, jetzt gleich bei meiner Mutter vorbeizufahren. Es war mir wichtig, dich bei ihr in guter Hut zu wissen, bis ich dich in deine Heimat zurückbringen konnte.

Als ich den Wagen vor dem Haus meiner Mutter abstellte, rührtest du dich noch immer nicht. Sanft schloss ich die Wagentür.

Meine Muter hatte mich bereits erspäht. Sie freute sich, mich nach der langen Reise wieder zu sehen, umarmte mich und begleitete mich ins Haus. Sie überschüttete mich mit Neuigkeiten. Ich unterbrach sie etwas ungeduldig: „Mutter, ich habe es eilig und muss etwas Dringendes mit dir besprechen oder besser gesagt, dich um einen

Gefallen bitten.“ „Nur zu, was gibt es?“ sagte sie gut gelaunt und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Küchentisch. „Würdest du für ein paar Tage einen Gast aufnehmen?“„Eine Freundin von dir?“ „Nein“, ich lachte laut heraus, der Gedanke amüsierte mich. „Eine Patientin, eine genesene Patientin“, fügte ich hinzu und schilderte in kurzen Sätzen, was sich zugetragen hatte und

versicherte: „Ich kümmere mich darum, Maya dann so schnell wie möglich in ihr Dorf zurückzubringen.“„Ein richtige Maya?“ Mutter war neugierig geworden. „Was heißt hier richtige Maya? Ich habe sie nur so genannt, aber wenn mich nicht alles täuscht, gehört sie dem Stamm der Lacandonen an.“

„Und spricht kein Deutsch.“

„Nein, natürlich nicht. Sie ist sicher nie aus ihrem Wald herausgekommen.“

Gertrud verdrehte missbilligend die Augen. „Junge, Junge, du traust dich ...“ Der Rest des Satzes ging unter im Pfeifen des Teekessels. „Sie ist ausgesprochen gelehrig“, versicherte ich. „Sie weiß inzwischen, was ein WC ist. Sie hat gelernt, mit Besteck umzugehen. Sie beherrscht ein paar Worte und merkt sich alles, was man ihr beibringt. Ich bin sicher, nach ein paar Tagen, wirst du sie

ins Herz geschlossen haben und nicht mehr hergeben wollen.“ Ich schaute Mutter bittend an, las die Zustimmung an ihren Augen ab und schmeichelte: „Du bist die beste Mutter der Welt. Komm, lass uns den Gast hereinholen.“

Als ich die braune Decke neben dem Jeep auf dem Gehweg liegen sah, verhieß das nichts Gutes, Der Platz vor der Rückbank war leer, von dir weit und breit keine

Spur. Stille, kein Mensch, nichts, was auch nur annähernd darauf hindeutete, wo du seien könntest.

Gertrud war mir zur Haustür gefolgt. Als sie mich wütend mit den Händen fuchteln sah, kam sie näher.

„Sie ist weg, verschwunden“, rief ich ihr entgegen und hielt ihr wie zum Beweis die Decke entgegen. „Da drunter hattest du sie versteckt? Dann wundert es mich nicht, dass sie davongelaufen ist.

Das muss ja jeden normalen Menschen ängstigen. Vermutlich hatte sie keine Ahnung, was mit ihr geschehen wird.“

„Und nun?“ wütend warf ich die Decke auf den Boden.

„Ruf die Polizei!“

„Keinesfalls. Ich habe die Frau illegal ins Land gebracht.“

„Dann such sie!“

„Aber wo? Soll ich hier von Haus zu Haus gehen?“

„Vielleicht.“

„Sie kann doch nicht weit sein.“

„Oh doch, sie braucht nur wie verloren an der Straße gestanden zu haben, da hat sie jemand mitgenommen, bestenfalls aus Mitleid.“

rein, der Tee wird kalt.“

‚Typisch Mutter, dachte ich wütend, ‚nichts kann sie erschüttern.

schien nicht zu bemerken, dass Jochen geendet hatte. „Und? Erinnerst du dich?“, fragte er. Maya schüttelte den Kopf. „Aber ich glaube dir. Jetzt weiß ich, was mich vertrieben hat, und wie ich hier hergekommen bin. Aber über meine Vergangenheit habe ich so gut wie nichts erfahren. Nicht einmal, ob Maya wirklich mein Name ist“, fügte sie leiser hinzu und stieß wütend her vor: „Warum nur ist mein

Erinnerungsvermögen erloschen?“

„Ich vermute, der Schock und gleichzeitig das hohe Fieber.“

noch, wie ist die kleine Götterfigur in deinen Besitz gekommen?“ „Du trugst sie an einigen Haaren am Hals. Die Fäden waren aber so eng verknüpft, dass ich sie durchtrennte und in meiner Arzttasche verwahrte. Neulich fand ich sie wieder.“

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Über den Autor

Evadrossel

Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren.
Im Bayerischen Wald genießen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..