Romane & Erzählungen
das Findelkind 6 - Das Geheimnis der Akna

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"das Findelkind 6 - Das Geheimnis der Akna"
Veröffentlicht am 15. März 2015, 44 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren. Im Bayerischen Wald genießen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..
das Findelkind 6 - Das Geheimnis der Akna

das Findelkind 6 - Das Geheimnis der Akna

Findelkind 6                              Das    Geheimnis der Akna

Fortsetzung von Findelkind 5

Die Götterfigur fest mit der Hand umschlossen, sackte sie zusammen, die Augen fielen ihr zu. Den Kopf auf die Fäuste gestützt,  begann sie zu träumen, sie schwebte  zurück in die Zeit vor ihrer Geburt.  

Vater Bor steht vor seiner Frau Najbor, klein, zierlich,  Stärke und innere  Ruhe ausstrahlend, eröffnet sie ihm, dass er Vater wird.  Bor kann es  nicht fassen: er

wird Vater. Spontan lässt er sich auf die Knie fallen, streckt die Arme empor. „Ich bringe den Göttern ein Rauchopfer, damit mein Sohn groß und kräftig wird“, ruft er aus und stürmt davon.  Najbor schaut ihm nach, die Arme locker vor der Brust gekreuzt, ein Lächeln auf dem ruhigen Antlitz, keine überschäumende Heiterkeit aber  gesammelte Freude.  Sie gönnt ihm die Vorfreude auf einen Sohn,  obwohl sie weiß, dass es ein Mädchen werden wird, ein besonderes Mädchen, das einzige ihrer Kinder, in dem ihre Fähigkeiten weiter leben werden. Sie zieht sich in die Hütte zurück, zufrieden, dass  sie Bor das letzte Geschenk machen kann.

Es dunkelt bereits, als er aus der Opferhütte zurückkommt.  Mit einem Seufzer lässt er sich in die Hängematte fallen. „Was ist?“ Besorgt betrachtet Najbor ihn, versucht, in seinen Augen zu lesen. Vergebens, er schaut nicht auf. Najbor braucht kein Geständnis, sie spürt, dass etwas Schlimmes geschehen ist. „Bor“, sagt sie im Ton einer strengen Mutter. „Erzähl mir, was passiert ist!“. Um ihm den nötigen Spielraum zu geben, tritt sie zurück ins Dunkel der Hütte und wartet.  „Ich war so aufgeregt, so vor Freude aufgelöst“, beginnt Bor stockend, „ohne auf meinen Weg zu achten, lief ich zur heiligen Hütte, sie war leer, zum Glück. Ohne

Mühe fand ich das Opfergefäß der Akna, gleich neben dem des Göttervaters Hachhakyum. Vorsichtig stellte ich den  Opferkrug des Göttervaters auf den Tisch, tat ein wenig Kopal hinein, entzündete diesen und wartete, bis sich eine Rauchfahne aus dem Topf empor schlängelte. Bor macht eine Pause, Najbor fürchtet schon, er würde nicht weiter sprechen. Nach einem tiefen Atemzug fährt er fort: „Aus tiefem Herzen bat ich Hachhakyum, er möge mir einen tapferen, starken Sohn schenken, einen Sohn, auf den ich einmal stolz sein kann. Als der Kopal runter gebrannt war, schob ich den Krug des Göttervaters an seinen Platz zurück

und griff nach der Schale der Göttermutter Akna. Ich  reckte mich, um sie  vom obersten Bord zu heben. Da fiel ein Schuss. Ich zuckte zusammen, der Krug entglitt mir und zerbrach. Die in Ton geformte Nachbildung der Göttin Akna rollte über den Boden.“ Wieder verstummt Bor, „Ein zerbrochener Opferkrug bedeutete Unheil, Unheil für dich, Najbor, Unheil für meinen ungeborenen Sohn. Zitternd vor Angst hockte ich auf den Boden und griff nach den Scherben. Ich  versuchte, sie zusammenzusetzen.“ Bor stockt, als müsse er Kraft schöpfen, bevor er fortfährt. Ich habe sie in das Regal gelegt, die Nachbildung der Götterfigur

dicht daneben.  Es dämmerte, dass ich kaum noch Einzelheiten erkennen konnte.  Was sollte ich machen? Jetzt noch in den Wald gehen und nach Baumharz suchen, um die Scherben zu kleben? Oder bis morgen warten, um bei Tageslicht sorgfältiger arbeiten zu können? Als ich die Hütte verlassen wollte, fühlte ich etwas Glattes unter meinem Fuß und hob es auf. Es fühlte sich wunderbar an. Ich konnte es einfach nicht wegwerfen.

Bor hält Najbor auf der geöffneten Handfläche eine winzige  Figur aus schwarz glänzendem Obsidian entgegen. Najbor starrt darauf, ihr  stockt der Atem,  die  Augen weiten sich vor

Entsetzen.

Schweigen, drückendes Schweigen breitet sich in der Hütte aus, droht Najbor zu ersticken. Sie muss erfahren, wie Bor in den  Besitz der Figur gekommen ist. „Bitte, sag mir genau, wo du die Figur gefunden hast“, drängt sie. Bor sucht nach einer Erklärung, aber ihm fällt nur ein: „Dieser Idolo muss in dem Krug der Göttin Akna gelegen haben, neben der sonst üblichen Tonfigur. Ein Fremder wird sie in den Krug gelegt haben. Wir Lacandonen verwenden keine Obsidianfiguren.“

Najbor greiftf nach dem Stein,  umklammert ihn.  Aus ihrer Erinnerung erwachen des Vaters Worte: ‚Ich habe der

Göttin Akna eine Obsidianfigur geopfert. Akna schenkte uns dafür ein Juwel ein Geschöpf der Götter,  eine Tochter dich. Diese einfache Geschichte hatte ihr der Vater viele Male erzählt. Sollte dies die von ihm  geopferte Figur sein?

‚Die Hülle ist zerbrochen, ebenso werde ich zerbrechen. Aber das, was in der Hülle steckt, ist ein Wunder, ein edler Kern. Dieser Kern, die Frucht meiner Hülle, ist eine weibliche Frucht, ich fühle es deutlich, eine ganz besondere weibliche Frucht.

Erschrocken schaut Bor zu ihr hin. Den Idolo in der Hand, sitzt Najbor wie versteinert, in ihr Selbstgespräch

vertieft. Ihre  Gesichtszüge entspannen sich, geben ihrer Stimme einen leichten Klang, als sie bittet: „Schenk ihn mir!“

„Aber gern“, Bor ist erleichtert, dass sie so natürlich zu ihm spricht.

Sie öffnet die Hand, betrachtet den Stein und  lächelt Bor an. Ihre  Gedanken bleiben ihm verborgen, als sie fragt: „Was hast du mit den Scherben gemacht?“

„Es sind vier glatte Bruchstücke. Ich habe sie auf das Bord gelegt und werde sie gleich  morgen früh  zusammenfügen.“

Sie nickt, als sei sie mit der Idee einverstanden, ihre Seele jedoch bäumt sich auf. Die Scherben zu kitten,

bedeutet, die Götter zu betrügen. Und das hieße, noch größeres Unglück heraufbeschwören. Sie überlegt fieberhaft, wie sie es verhindern kann, dass Bor den Schaden notdürftig wieder gutmacht. Zu Yum gehen und ihm gestehen, was geschehen ist? Oder soll sie ihn bitten, Akna einen neuen Opferkrug zu weihen?

Nein, sie verwirft beide Ideen. Niemand, nicht einmal Yum darf davon erfahren. Das Unglück würde nicht nur sie treffen, der Fluch würde auf ihrem Kind lasten, zeitlebens. Selbst wenn die Hülle vernichtet wird, die Frucht bliebe verfemt. Najbors Tochter, das von den Göttern ausersehene Geschöpf  zur

Verdammten erniedrigt. Der Gedanke ist kaum zu ertragen. Angst steigt in ihr auf, aber sie zwingt sie nieder.

Mit Toloache müsste es gelingen, das Erlebnis aus Bors Gedächtnis zu tilgen, einem  Kraut, das sie in einer Kürbisschale zwischen den Ästen des Mahagonibaums gleich neben der Hütte versteckt hält.

Die Lebensgeister in ihr erwachen  „Ich koche einen Tee, nur einen Tee“, redet sie sich  ein, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Ohne Hast schiebt sie dürre Zweige in die Glut unter der Maissuppe, fächert Luft und setzt an die Stelle der Suppe den Topf mit Wasser, gibt eine Handvoll Toloache hinein  und von der

Kamille die doppelte Menge, die für einen schmackhaften Tee nötig wäre.

Da von Bor die Sorge genommen war,  liegt er entspannt in seiner Hängematte und nimmt von ihr den Tee entgegen. Dabei lächelt Najbor ihn liebevoll an und schaut zu, wie er genüsslich trinkt. „Das tut gut“, brummt er. Schon rutscht ihm der Kopf auf die Brust. Bor schläft.

Najbor wartet einige Augenblicke, greitf dann  nach einem Tuch und verlässt die Hütte. Vorsichtig späht sie in alle Richtungen und lauscht auf jedes Geräusch. Dabei achtet sie sorgfältig auf den Weg, um nicht über Wurzeln zu stolpern und keine Äste umzuknicken. In

ihrem Kopf dreht sich nur ein Gedanke: den zerbrochenen Krug verschwinden zu lassen und durch einen neuen zu ersetzen.

Ungesehen gelangt sie zur Opferhütte. Den Platz, wo Yum die noch  nicht geweihten Töpfe versteckt hält, kennt sie  genau; gleich neben der Vorratshütte im dichten Gebüsch der Jojoba. Mit beiden Händen tastet  sie über den Boden, hier steht nur ein Krug. Erschrocken zieht sie die Hände zurück. Yum würde den Diebstahl bemerken. Sie fühlt ihr Herz im Halse schlagen. Soll sie von ihrem Vorhaben ablassen? Ein Topf nur. Ist das die Vorsehung der Götter? Eine Warnung? Einen Moment

lang kämpft sie mit ihrem Gewissen, dann greift sie entschlossen nach dem Krug und trägt ihn in die heilige Hütte. Ihre Angst, entdeckt zu werden, ist verflogen. In der ihr verbleibenden Zeit des Lebens wird keine Zeit  sein für Bestrafung. Nur ihr Kind ist wichtig. Sie tastet über das Bord,  nimmt die Bruchstücke herunter, stellt den neuen Krug an seinen Platz. Die Tonfigur der Göttin Akna - fast hätte sie  vergessen, nach ihr zu suchen. Hastig laufen ihre Fingerspitzen über das Gestell, eine Figur ertasten sie nicht. Noch einmal fährt sie mit der Hand über das staubige Brett. Von der Figur keine Spur. Womöglich ist sie auf den Boden

gefallen. Erneut steigt Angst in ihr auf, breitet sich aus, verdrängt jede Ehrfurcht vor den Göttern. Kurz entschlossen schiebt sie den Opfertisch näher an das Bord heran, steigt auf den Tisch. Endlich entdeckt  sie die kleine Figur mit den F

ingern. Den so sehnsüchtig gesuchten Idolo hält sie fest umklammert. Einen Augenblick betrachtet sie die grob geformte Tonfigur. „Akna steh mir bei“, wispert sie „und erspare es mir, je an diesen Ort zurückzukehren.“ Mit diesen Worten lässt sie die Figur in den Krug fallen und rückt den Opfertisch an seinen Platz. Die vier Scherben hüllt sie  in ihr Tuch und schlüpft aus der

Opferhütte. Lauschend schaut sie sich um. Alles bleibt still. Nur ihr Herz schlägt so laut, dass sie meint, man höre es weithin.

Wohin mit den Scherben?  Im See versenken? Im Wald vergraben? In den Hohlraum eines Baumes schieben? Ihr fällt der Jasminstrauch ein, den sie vor ein paar Monaten gepflanzt hatte zwischen einer Ceiba und einem Mahagonibaum, dem für die Geburt meines Kindes bestimmten Ort. Das ist der rechte Platz für die Überreste des geweihten Kruges. So würde Akna ihrem Kind nahe sein vom ersten Augenblick seines Lebens an. Der Gedanke gibt ihr neue Kraft. Fast leichtfüßig huscht sie

über den Waldboden. Sie fühlt nicht die Äste, die sie streifen, hört nicht das Rasseln ihres Atems und gönnt sich keine Verschnaufpause. Das Bündel mit den Scherben drückt sie so fest an die Brust, dass der Schmerz sie mahnt, nicht inne zu halten.

„Ich schaffe es, ich schaffe es. Gleich bin ich am Ziel.“ Jeder Busch, jeder Baum, jede Lichtung ist ihr vertraut, noch wenige Schritte, dann erreicht  sie  die alte Ceiba, lehnt sich an ihren knorrigen Stamm und wispert: „Paradies und Hölle, ihr seid meine Zeugen.“ Die Scherben noch immer fest umklammernd, drückt sie sich mit dem Rücken gegen den Stamm, bis sie die

Entspannung spürt die ihr durch Arme und Beine, durch den Rücken bis in den Kopf spürbar ist, und  sie sich getröstet und beruhigt fühlt. Über ihr der Mond. Es ist, als beleuchte er allein den jungen Jasminsprössling, der schon kräftig gewachsen ist. Sie liebkost seine zarten Äste. „Jasmin, ja Jasmin soll mein Kind heißen.“

Najbors  Gedanken eilen in die Zukunft. Sie stellt sich vor, wie ihre Tochter einst aussehen wird.  Von zierlichem Körperbau wie sie, hoch gewachsen wie ihr Vater und mit der stolzen Haltung ihres Großvaters. Und mit den übernatürlichen Fähigkeiten ihrer Mutter. Und mir soll es nicht vergönnt

sein, dieses Kind mit Freude und Liebe zu betrachten?  Oder doch? Wer kennt sie wirklich die Wünsche der Götter?

Kaum wahrnehmbar erhellt sich der Himmel. Der neue Tag kündigt sich an. Es wird Zeit, ihre Aufgabe zu beenden. So kraftvoll wie möglich schleudert sie die Scherben auf den Boden. Der spröde Ton bricht in kleine Teile, die sie sorgfältig mit einem Stein zerreibt.

Mit den Händen gräbt sie eine Mulde unter dem Jasminstrauch,

bröselt die Tonkrumen hinein und häuft Erde darüber. Spätestens nach dem ersten Regen würden Gräser und Pflänzchen sprießen. Nie wird ein

Mensch vermuten, dass hier ein Göttertopf versteckt worden ist. Sie schaut sich noch einmal an dem heiligen Ort um. Alles ist gerichtet. Ihr letztes Gebet gilt Akna mit der Bitte, ihr die Kraft zu geben durchzuhalten.

Es ist Zeit für den  Heimweg. Als sie den Vorhang zum Eingang zur Hütte beiseite schiebt, schlägt ihr Wasserdampf entgegen. Sie hatte vergessen, die Glut ordentlich abzudecken. Nun brodelt das Wasser auf der Feuerstelle. Bor wälzt sich unruhig in seiner Hängematte. Sein Körper ist heiß vom Fieber, schweißnass sein Gesicht. Ihre Nachlässigkeit hätte böse Folgen haben können.

Najbors Kraft ist erschöpft, sie fühlt sich alt und leer. „Alt? Nein, alt nicht“, nimmt sie auf der Stelle zurück. Sie darf noch nicht alt sein. In der kurzen, ihr verbleibenden Zeit, gibt es viel zu tun. Nichts darf sie vergessen.

Sie rollt ihre Matte aus und legt sich nieder. Aber der erlösende Schlaf will nicht kommen. Ruhelos wälzt sie sich, lauscht zwischendurch Bors fiebrigen Atemzügen. Als sie endlich in einen unruhigen Schlummer fällt, quälen sie Albträume: Wie gehetzt läuft sie mit dem neuen Opferkrug durch den Wald, stolpert, der Topf entgleitet ihr, zerbricht in kleinste Teilchen.

Mit den ersten  Sonnenstrahlen, die

durch den offenen Eingang der Hütte fallen, ist der  Spuk beendet. In ihr regt sich der Wunsch nach einem erfrischenden, durch und durch reinigenden Bad.

Bor schläft ruhig, seine Stirn fühlt sich nicht mehr heiß an. Sie kann ihn unbesorgt alleine lassen.   

Die Luft ist angenehm frisch und der Wald erfüllt von den Lauten der Tiere. Bedächtig schreitet  sie dem See entgegen und achtet sorgfältig auf ihren Weg, denn es ist die Zeit, da die Schlangen aus ihren Schlupflöchern an die Sonnenplätze kriechen.  Sie lauscht dem Gesang der Vögel, freut sich an ihrem aufgeregten Frage- und

Antwortspiel, hört die Affen kreischen und die Papageien rufen. Die Geräusche der Tiere beweisen, dass das Leben pulsiert. Die würzige Waldluft weckt die Lebensgeister. Sie nimmt den Duft von Jasmin wahr. Er wirkt wie ein Lebenselixier, beruhigt und belebt zugleich. Sie kann  es kaum erwarten, das Gewand vom Körper zu streifen und die Frische des Seewassers zu spüren. Bewegungslos kauert sie sich auf den weichen Boden des Sees, das Wasser reicht ihr bis über die Schultern, kühlt die Haut, den ganzen Körper, bis sie fröstelt. Langsam watet sie aus dem Wasser, lässt sich auf einem sonnigen Uferplätzchen nieder  und streckt das

Gesicht der Sonne entgegen, bis der Körper trocken ist und sie das Gewand überstreifen kann. Sie wirft noch einen Blick auf die glitzernde, silbrige Oberfläche des Sees, dann eilt sie nach Hause zurück. Von  frischer Kraft durchströmt,  fühlt sie sich stark genug, Bor das unglückliche Erlebnis auszureden. Ihr selbst soll niemand ansehen, was vorgefallen ist..

Unweit der Hütte hört sie Schritte. Bors Vater, Yum tritt zwischen den Bäumen hervor. Mit düsterer Miene brummt er: „Guten Morgen.“ Da er keine Antwort bekommt,  raunzt er: „Ich bin doch kein Gespenst“, und wirft den Schultersack ins Gras. „Ist was passiert?“

„Nein“, Najbor schüttelt den Kopf. „Passiert ist nichts, nur Bor hat Fieber. Und ich überleg gerade, welche Kräuter ihm gut tun.“ In Wahrheit denkt sie angestrengt darüber nach, wo sie den Idolo hingelegt hat. Yum darf ihn in keinem Fall finden. Auch vor Bor muss sie ihn versteckt halten.

„Bor? Krank?“ Yum runzelt die Stirn. „Das ist seltsam, der Junge ist nie krank gewesen. Er hat die Natur eines Pumas.“

Ohne auf ihre Aufforderung zu warten, betritt Yum die Hütte. Er wirft einen Blick auf den schlafenden Sohn. Indessen greift  Najbor nach der Kürbisschale, in der Hoffnung, dass sie die Figur da hinein hat gleiten lassen.

„Es geht ihm schon besser“, sagt sie und stellt fest, dass ihre Stimme ruhig und beherrscht klingt, und spürt den  Stein zwischen den Fingern. „Morgen ist alles wieder in Ordnung.“ In dem Augenblick schlägt Bor die Augen auf. Verwundert blickt er sich um und versucht, sich aufzurichten. „Vater“, stammelt er, „ist was passiert?“ Er reibt sich die Augen, schaut fragend von seiner Frau zu Yum und wieder zu ihr.

„Schlaf, Bor“, flüstert sie, da sie unbedingt verhindern muss, dass Yum bei ihrem ersten Gespräch zugegen ist. „Schlaf!  du hattest Fieber und musst dich schonen.“

„Was ist mit dem zerbrochenen Krug?“

stößt? Bor hervor, „ich muss ihn kitten.“

„Welchen Krug?“ fragen Yum und Najbor wie aus einem Mund. Bor lehnt sich erschöpft zurück. „Ich weiß es nicht“, murmelt er und schließt die Augen.

Najbor wagt kaum zu atmen. Schon fĂĽrchtet sie, Bor hat das unheilvolle Erlebnis trotz des Fiebers nicht vergessen.

„Fieberträume“, flüstert sie und schaut Yum von der Seite an.

„Ja“, gibt der Alte zu, „wäre es nicht Bor, ich würde auf ein Narkotikum tippen. Aber Bor hat das Zeug verabscheut, nachdem ich ihm einmal eine gute Dosis verpasst habe, die ihm

verdammt schlecht bekommen ist.“

„Bor fröstelte gestern“, schwindelt Najbor, „daraus hat sich das Fieber entwickelt.“

Yum kratzet sich am Kopf, „dann wird heute nichts aus der Hilfe, um die ich ihn bitten wollte“,  ohne Argwohn verlässt er die Hütte.  Najbor fällt ein Stein vom Herzen, denn um ein Haar wäre Yum ihr auf die Schliche gekommen.

Sie fühlt sich müde und doch zu erregt, um auszuruhen. In ihre Faust gepresst hält sie die kleine Figur, von der ihr Vater einst gesprochen hatte. Jetzt ist sie ihr Talisman.  Sie muss den Stein genau betrachten, muss ihn sich fest

einprägen und einen Platz finden, wo sie ihn sicher und stets griffbereit verwahren kann. Vorsichtig öffnet sie die Faust und hält die Hand so, dass die schwarze Figur von den Strahlen der Sonne beleuchtet wird. Sie betrachtet die feinen, eingeritzten Linien und erkennt deutlich, was sie gestern beim Schein der Kerze nur erahnt hat: Beine und Arme sind mit Strichen angedeutet, schwach hebt sich der Kopf ab, und haarfein ist das Loch im Kopf. „Haarfein“, das Wort bringt sie auf die Idee. Sie rupft einige ihrer festen Haare aus, wählt die beiden längsten und dreht sie zusammen. Mit Geduld schiebt sie die Fäden durch das winzige Loch, küsst

den Talisman, wirft einen letzten Blick darauf und verknotet die Haare eng um den Hals. Den Stein dreht sie so, dass er im Nacken hängt, gut versteckt unter den Haaren. Hier ruht er sicher, bis sie ihn ihrer Tochter als Schutzstein mit auf den Lebensweg geben kann.

Lange sitzt sie reglos, genießt die wärmende Sonne und lauscht den vertrauten Lauten der Tierwelt. Widerstrebend erhebt sie sich, es ist Zeit, nach Bor zu schauen.

Sein Atem geht gleichmäßig, lange wird er nicht mehr schlafen.  Inzwischen  bleibt ihr ein wenig Zeit, neue Glut zu entfachen und einen frischen Trunk aus Tamarindoschoten zu bereiten. Aus der

Feuerstelle steigt Qualm auf, Bor beginnt zu husten, er richtet sich auf. „Najbor?“, fragt er, „was ist geschehen? Ich habe fürchterlich geträumt.“

„Bleib ruhig, du hattest Fieber. Aber jetzt ist alles vorüber. Hier, trink den Tamarindotee. Er wird dich erfrischen.“

Bor setzte die Schale an und stellt sie sofort erschrocken nieder. „Die Opferschale, ich habe die Opferschale der Akna zerbrochen“, dabei schaute er ängstlich zum Eingang, als fürchte er, belauscht zu werden. „Ich habe dir doch davon erzählt.“

Najbor stellt sich ahnungslos. „Nichts hast du mir erzählt. Als du kamst, warst du müde und schweigsam nach dem

langen Tag auf dem Feld. Wie es scheint, haben die bösen Winde dich gestreift. Die  Nacht über hast du gefiebert, dich hin und her geworfen und wirr geredet.“

Ungläubig  schaut Bor vor sich hin. Er schüttelt den Kopf und steht auf.  Wortlos wankt er hinaus und hastet zur Opferhütte. Er lässt es sich nicht ausreden, dass er die Opferschale zerbrochen hat. Der Schrecken über sein Missgeschick ist ihm zu tief ins Bewusstsein gedrungen.

Wenige Minuten später kommt er zurück. Der Zweifel ist ihm anzusehen. Verlegen wühlt er mit den Händen in den  Haaren. „In der Opferhütte ist

nichts zu sehen“, brummt er undeutlich; “Die Krüge stehen in gewohnter Reihe, auch der Topf der Göttin Akna.“ Bor schließt die Augen, öffnet sie. „Nein, es ist kein Trugbild, aber der Krug steht an seinem Platz, ganz sicher. Nach einer Weile fährt er zögernd fort: „Ist es möglich, dass das Fieber mir einen so deutlichen Traum vorgegaukelt hat?“  Fragend schaut er Najbor an:    „Hast du versucht, mir das schreckliche Unglück auszureden?“

„Was für ein Unglück?“

Es fällt Najbor schwer, die Ahnungslose zu spielen. Um sich nicht zu verraten, gibt sie  sich  beschäftigt, obwohl sie kaum in der Lage ist,  einfache

Handgriffe ordentlich auszufĂĽhren.

„Najbor“, er schreit ihren Namen wie aus einer plötzlichen Erinnerung heraus. „Najbor, wo ist die schwarze  Figur, die ich dir geschenkt habe?“

„Welche schwarze Figur?“ Sie bemüht  sich, ihre Stimme nicht verräterisch zittern zu lassen. „Wovon sprichst du nur immer wieder? Dir hat das Fieber die Sinne verwirrt“, schimpft sie halb im Ernst, halb im Scherz und fordert ihn auf: „Iss was, das wird deine rebellierenden Nerven beruhigen.“ Sie schiebt ihm die mit Affenfleisch gefüllten Tamales zu.

„Dann war alles nur ein Fiebergespinst“, murmelt er und setzt laut hinzu: „Ich

habe noch nie Fieber gehabt und weiß nicht, dass es so den Geist verwirrt. Ich habe geträumt... „ hier hält er inne, steht auf und verlässt kopfschüttelnd die Hütte.

Tage kommen, Tage gehen. Untätig hockt Njabor in der Hütte und lauscht dem Regen. Von  Kindheit an hat sie den Regen geliebt, auch wenn sich ihr die feuchte Luft schwer auf die Brust legte. Regen bringt Frische, er lässt die Natur erwachen. Regen hat sie immer beruhigt, schon als Kind. Aber nicht so jetzt. Jeder Schauer erinnert sie dran, dass dies ihre letzte Regenzeit sein wird..

Sie schaut durch die offene EingangstĂĽr

hinaus. In Schwaden zieht der Nebel vorüber. Es fällt ihr schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, selbst einfache Stickstiche gelingen recht unterschiedlich. Aber zartes Klopfen an die Bauchdecke erinnert sie daran, dass es bald so weit ist. Mit beiden Händen streichelt sie über den Leib, liebkost ihr Kind.

Maya tauchte auf aus ihrem Traum. Sie strich mit beiden Händen über das weiche Tischtuch und lächelte. So etwa hat Najbor mich gestreichelt, wisperte sie, legte den Kopf auf die Hände und gab sich dem Wunsch hin, zu ihrem Traum zurückzukehren.   

Sofie bemühte sich indessen Carola zuzuhören. Sie sprach über das Thema: ‚Rückblick auf fünf Jahre Krähennest. „Ich mache es  mir diesmal bequem“, erklärte sie. Jede von uns schildert, was euch  unser Kreis bedeutet. Was er mir bedeutet, wisst ihr, ich hatte die Idee und habe ihn gegen diversen Widerstand großgezogen. Erinnert ihr Euch wie  wir um den richtigen Namen gerungen haben. Ich glaube, wir liegen mit unserer Wahl recht gut. Wir sind Krähen.“ „Und das mit Stolz“, fügte Vera an.

„Es gibt ein Jubiläum im Jubiläum“, ergriff Sofie das Wort. „Vor genau einem Jahr fand ich meine kleine Krähe

auf den Stufen meines Hauses. Und ohne eure klugen Ratschläge hätte ich meine Aufgabe wohl kaum so klug gemeistert.“ „Und, bist du am Ziel deiner Wünsche?“ „Noch lange nicht, aber das Bild nimmt Form an. Seit Maya fließend deutsch spricht, ist vieles einfacher geworden. Wir kommen voran. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen Maya in ein tiefes Loch fällt. Bevor ihre Geschichte nicht restlos aufgeklärt ist, ist ein Ende nicht abzusehen. Da nächste Mal bringe ich sie wieder mit, dann könnt ihr selber sehen, was aus ihr geworden ist.“

Sofie fühlte sich an diesem Nachmittag nicht recht wohl in dem vertrauten Kreis. Sie hörte kaum zu, was die

anderen berichteten, da sie in Gedanken  bei Maya war. Ihr war, als brauche Maya sie, als ginge bei ihr etwas  Ungewöhnliches vor. So verabschiedete sie sich vorzeitig und gab Sorge um Maya vor. Sie beeilte sich, nach Hause zu kommen.  Die letzten Meter lief sie so gar nicht damenhaft. Von der Haustür aus rief sie schon Mayas Name und bekam keine Antwort. Die saß im Wohnzimmer mit dem Oberkörper auf der Tischplatte ruhend  und schlief. „Jasmin, Liebes“, Sofie rüttelte sie leicht an der Schulter. „Was ist? Du liegst ja so unbequem.“

Es dauerte einige Momente, bis Jasmin sich in der realen Welt zurechtfand. Sie

lächelte Sofie an. „Ich habe geträumt, von meiner Mutter und von der Götterfigur Akna.“

„Und, kannst du dich an etwas erinnern?“

Sie schüttelte den Kopf. „Es war in der Zeit vor meiner Geburt. Aber ich habe es so klar gesehen, als sei ich anwesend gewesen. Jetzt weiß  ich, dass Najbor meine Mutter war und was es mit der Götterfigur auf sich hat.“

Maya hob die Hände in einer hilflosen Geste. Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Erzählst du mir von ihr?“, bat Sofie. Statt einer Antwort flüsterte Maya in Gedanken eingesponnen: „Wieder war es wie ein Film.“ Die Stimme erstarb. „Nein, ich kann es dir jetzt nicht

erzählen. Der Traum bewegt sich noch  wie Nebel in meinem Kopf. Er muss sich erst setzten, und mir zur Verfügung stehen. Nur so viel, das hier“, sie hielt Sofie die Obsidianfigur hin, „Das ist meine Schutzgöttin, die Göttermutter Akna.“

„Also das Gegenstück zur Jungfrau Maria.“

„So kannst du es sehen.“

 „Zum Schluss war mir, als würde Najbor zu mir, ihrer Tochter sprechen. Auch du“, sagte sie ganz deutlich, „wirst wie ich ein ungewöhnliches Leben führen. Fürchte dich nicht, wie ich mich nicht gefürchtet habe. Du wirst die dir gestellte Aufgabe erfüllen.“  Sie

 öffnete ihre rechte Hand und betrachtete den Idolo, den sie die ganze Zeit fest umklammert hatte. „Mein Großvater hat ihn fertigen lassen und der Göttermutter geopfert. Als Dank wurde Najbor, eine Tochter, geboren mit übernatürlichen  Kräften. Und ich?“ fragend schaute sie zu Sofie hin „soll diese Gabe gerbt  haben? Das wusste Najbor schon vor meiner Geburt?“ Sofie nickte stumm. „Eine Bürde oder ein segensreiches Geschenk?“ „Das, was du daraus machst. Halte die Figur in Ehren.“

Nach einer Weile des Schweigens formulierte Sofie die Frage, die ihr auf der Seele brannte. „Deine Mutter hat den Namen  Jasmin für dich gewählt,

willst du ihn annehmen?“

Maya dachte einen Moment lang nach, bevor sie klar und bestimmt sagte: „Nein, die Jasmin gibt es nicht mehr. Die Zukunft gehört der Maya“, sie lächelt Sofie liebevoll an. „Du hast zu mir gestanden  wie eine Mutter, als ich Hilfe benötigte. Auf diesem Weg werde ich weiter gehen.“

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Über den Autor

Evadrossel
Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren.
Im Bayerischen Wald genieĂźen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..

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niki013 liebe Eva
ich lese dich auf Raten ,,, du weißt es denn so viele Seiten sind mir zu viel
doch meine Bewunderung hast du ,,, es zu schaffen so eine Ausdauer zu besitzen beim schreiben ,,,,,,
ein Favo verdient, bis bald
Gruss dieNiki
Vor langer Zeit - Antworten
Evadrossel herzlichen Dank für den Favo. Ich wollte weitere Folgen einstellen,stellte dann aber fest, dass mehrere meiner Findelkindfolgen, völlig leer sind, wie kommt's ?Ich habe sie prallvoll eingestellt. Freut mcih sehr, dass Findelkind dir gefällt. Lange ztu schreiben macht mir Spaß, wenn die Geschichte wie von selbst quillt, dann, wehe mn sört mich. Evadrossel
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Du hast mich richtiggehend in ein fremde Welt entführt. Bin gespannt, wie es weiter geht.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Evadrossel Liebe Bärbel, herzlichen Dank für Lob und Coins. Zur Zeit ahbe ich keine Schreibzeit, da unsere Tochter aus Sao Paulos zu Besuch ist, da geht esr recht wirbeligi bei uns zu, halt südamerikanisch, aber es ist herrlich Liebe Grbüße und viele gute Wünsche Evadrossel
Vor langer Zeit - Antworten
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