Rosemarie Prachtler war eine schöne junge Frau mit üppigem blonden Haar, das zumeist kunstvoll geflochten war. Sie war die Tochter von Sepp Prachtler, einem alteingesessenen Landwirt, der einen großen Hof besaß und der Sohn von Alois Prachtler war, einem Schafhirten, der wiederrum der Sohn von Rupert Prachtler war, über dessen berufliche Tätigkeit und Abstammung nichts überliefert wurde. Sepp war auch der Bruder von Joseph Prachtler, dem Bürgermeister, welcher seinerseits der Bruder von Sepp Prachtler war, dessen Bruder Joseph Prachter, der drei Kinder hatte, allesamt Buben, die auf die Namen Alfons, Xaver und Eustachius hörten, ein großes Ansehen in der kleinen Gemeinde genoss. Sepp Prachtler seinerseits hatte nur zwei Kinder; Rosemarie und der jüngere Schorsch, ein Bub, der schmächtig und schwächlich war. Sowohl Sepp Prachtler als auch Joseph Prachtler hatten Frauen, mit denen sie ihre Kinder gezeugt hatten; Sepp Prachtlers Frau hörte auf den Namen Barbara Prachtler,
geborene Baumgartner, wohigegen Joseph Prachtlers Frau auf den Namen Stefanie Prachtler, geborene Weidinger, hörte. Auch Alois Prachtler hatte eine Frau, Waltraud Prachtler, geborene Brunner, wie auch Alois Prachtlers Vater, Rupert Prachtler, eine Frau, Ottilie Prachtler, geborene Voigt, gehat hatte.
Rosemarie Prachtler war noch jung, fast noch ein Mädchen, unverheiratet und umschmachtet von jungen Kerlen. Einen Beruf übte sie nicht aus; sie half nur gelegentlich auf dem Hof ihres Vaters, wenn ihr kleiner Bruder nicht kräftig genug war, die Arbeit auszuführen. Sie verbrachte ihre Zeit zumeist damit, spazieren zu gehen oder mit dem Hund der Familie, Jägi, Sohn von Lutz und Alma, herumzutollen. Ihr Vater, Sepp Prachtler, dachte, es wäre langsam Zeit für seine Tochter zu heiraten; oft hatte er sie gefragt, wann es denn endlich soweit sei, woraufhin sie nur geantwortet hatte, dass sie noch nicht den Richtigen dafür gefunden hatte. Und wer konnte es ihr verdenken?
Das war schließlich keine Sache, die man allzu leichtfertig angehen sollte. Die meisten Kerle, die ihr bisher nachgestellt hatten, waren entweder noch zu unreif für sie gewesen oder sie hatten eine unangenehme Art an sich gehabt. Einmal hatte ein junger Bauernsohn, den alle nur Muck nannten, sich ihr gegenüber unziemlich verhalten; sie hatten sich an einem Tisch gegenüber gesessen, und sein Blick war zu ihrem üppigen Ausschnitt geglitten und gestürzt auf dem dünnen Eis der Manieren. Dann war sie aufgestanden, hatte den Tisch umkreist, ihm ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht geschlagen und ihn ein "perverses Schwein" genannt. Im ganzen Dorf hatte sich dieser Vorfall herumgesprochen. Da Sepp Prachtler der Bruder von Joseph Prachtler war, der wiederum der Bruder von Sepp Prachtler, Vater von Rosemarie Prachtler, war, dessen Vater, Alois Prachtler, auch der Vater von Joseph Prachtlers Bruder, Sepp Prachtler, war, der seinerseits, als Sohn von Alois Prachtler,
Rosemarie Prachtlers Großvater, natürlich auch der Bruder von Joseph Prachtler, der als Sepp Prachtlers Bruder und Alois Prachtlers Sohn auch Rosemarie Prachtlers Onkel war, war, hatte das gewalttätige und vulgäre Verhalten Sepp Prachtlers Tochter auch Joseph Prachtlers Ansehen als Bürgermeister geschadet. Zum Glück war nach einer Weile hohes Gras über die Sache gewachsen, und kaum jemand fand noch den Weg dorthin zurück, ohne sich mit einer Sense bewaffnet den Weg zu bahnen. Und heute, an diesem sonnigen warmen Tag, krähte kein vernünftiger Hahn mehr danach, was damals passiert war.
"Rosemarie", rief der Vater, der gerade vor dem Haus mit einer gestopften Pfeife in der Hand auf einer Bank saß. "Komm mal her!"
Rosemarie hatte gerade auf dem Boden sitzend im Hof mit dem Hund Jägi gespielt, wobei sie ihr schönes Kleid dreckig gemacht hatte, was ihre Mutter wieder mit einem Augenrollen und einem
Seufzer quittieren wird. "Ja, Vater", sagte sie, stand auf und klopfte sich notdürftig den Staub und den Dreck vom Kleid. Zügig ging sie zum Vater hin.
"Was ist denn los, Vater?"
"Rosemarie, ich habe mir so meine Gedanken gemacht. Du bist nun einundzwanzig Jahre alt und noch immer unverheiratet. So kann das einfach nicht weiter gehen. Die Leute tuscheln schon."
Rosemarie rieb sich nervös die Hände. "Schon wieder dieses Thema, Vater? Ich habe doch schon gesagt, ich kann nicht einfach irgendwen heiraten. Es muss der Richtige sein."
"Das sagst du nun schon seit drei Jahren." Der Vater zündete sich die Pfeife an. "So viele Kerle laufen dir nach und nie war jemand dabei, der deinen Ansprüchen genügte?"
"So ist es", sagte sie.
Der Vater paffte und runzelte die Stirn. "Mädchen, wahrscheinlich hast du völlig
unrealistische Vorstellungen. Träumst wohl von einem Traumprinzen, der in jeder Hinsicht perfekt ist und irgendwann einfach so aus dem Nichts auftauchen wird."
"Aber was soll ich denn tun? Ich muss denjenigen ja auch wirklich mögen."
"Und die ganzen Kerle hier im Dorf, die magst Du nicht?"
Rosemarie blickte auf den Boden. "Nein."
"Mhm ...", sagte der Vater. "Gibt es denn überhaupt jemanden, den du magst?"
"Ja." Rosemarie blickte wieder auf. "Ich mag Jägi."
Der Vater hustete. "Den Hund?"
"Ja."
"Aber Du kannst ja keinen Hund heiraten."
"Warum eigentlich nicht? Jägi war immer nett zu mir, nie hat mich in irgendeiner Weise belästigt. Und treu ist er."
Der Vater hustete wieder. "Mädchen", sagte er, "du bist doch verrückt. Einen Hund will sie
heiraten. Was sollen denn die Leute denken? Davon abgesehen, dass Jägi zur Familie gehört. Das wäre doch auch irgendwie Inzucht."
"Sind wir denn biologisch mit Jägi verwandt? Das glaube ich nicht."
Zwischen zwei Zügen von seiner Pfeife kratzte der Vater sich an der Stirn. "Nun", begann er, "direkt verwandt wohl nicht. Aber du weißt schon, was ich meine."
Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden. Dann sagte Rosemarie: "Vater, ich habe mich entschieden. Ich werde Jägi heiraten."
Wieder hustete der Vater. "Ach, Mädchen. Na gut, wenn Du es eben so willst. Aber weiß Jägi denn überhaupt schon davon? Du kannst das ja nicht alleine entscheiden. Er hat da ja auch ein Wörtchen mitzureden."
Rosemarie steckte sich die Finger in den Mund und pfiff. Sofort drehte Jägi, der die ganze Zeit über träge auf dem Boden gelegen hatte, sich um, richtete sich auf und rannte mit wackelnden Ohren
zu ihr hin. Direkt vor ihr blieb er stehen, setzte sich auf die Hinterpfoten, schaute zu ihr auf und bellte ein einziges Mal. So als wollte er sagen, "Zur Stelle, Frauchen! Was kann ich für Dich tun?", weswegen, falls wir davon ausgehen, dass er dies auch tatsächlich sagen wollte, anzunehmen ist, dass manche Sachverhalte in der Hundesprache auf eine deutlich kompaktere, griffigere Weise ausdrückbar waren.
"Jägi", sagte Rosemarie, "Willst du mein Mann werden?
Der Hund hechelte. Dann bellte er wieder.
Rosemarie lächelte. "Hörst Du, Vater, er hat ja gesagt!"
Der Vater seufzte und schüttelte den Kopf.