Seine Frage hing für einen Moment zwischen uns in der Luft und ich hatte sofort das Gefühl, mich verteidigen zu müssen, aber Jens knurrte schon weiter. „Anstatt mich ganz normal und schnell frei zu kaufen, nein, Mrs. Naseweis kommt ja lieber selbst hier her und bringt sich in Gefahr!” „Aber ich musste was tun!”, begehrte ich auf und erntete prompt ein Schnauben. „Na das hab ich gemerkt!”, ätzte er und trotz der beherrschten Miene war deutlich zu spüren, wie verletzt er war. „Oh Scheiße, sie haben dir nichts gesagt, oder?”, murmelte ich. War ja eigentlich kein Wunder. „Was
gesagt?” „Warum es … ähm, so lange gedauert hat!” „Nein, das haben sie nicht”, sagte er verhalten, vielleicht kostete es ihn Mühe, mir seinen Frust nicht laut ins Gesicht zu schreien, er fuhr leise fort „Ich saß hier fest und dachte mir, na gut, das ist dann quasi nur ein Transit, die wollen Geld und von dem Scheiß hab ich genug, also zahlen und nichts wie weg. Ich schickte dir Nachrichten, hab mir dabei noch Mühe gegeben, es so harmlos wie möglich klingen zu lassen, und dann würde es nicht mehr lange dauern, davon ging ich aus.” Für einen Moment schwieg Jens und sah mich kurz an, dann wieder zu Boden, fuhr fort, während ich wie ein Kaninchen vor der Schlange wie erstarrt vor ihm stand. „Stell dir mein Erstaunen vor, als sie mir das Telefon eine Zeitlang später noch mal brachten. Und dann noch mal. Und dann lange nicht mehr, bis ich
plötzlich mit einer Zeitung für ein Foto posieren musste. Den Spott konnte ich ja noch ertragen, aber …” Der Satz blieb unvollendet, aber mir war vollkommen klar, was er hatte sagen wollen. Fast schon wollte ich ihn schütteln, denn irgendwo in mir fragte eine beleidigte kleine Stimme 'Hast du tatsächlich gedacht, ich würde dich mutwillig so im Stich lassen? Nur weil wir uns ein bisschen gestritten hatten?!' Aber natürlich sprach ich es nicht aus, ich wusste ja, auf was für Gedanken man in so einer Situation kam, doch es kränkte mich schon ein wenig, das muss ich zugeben, dass er mich quasi mit meiner Mutter in einen Topf warf! „Ja, ich weiß, du musstest denken, ich hätte dich absichtlich nicht befreit”, murmelte ich und er horchte auf. „Aaaber …?!”, dehnte er die Frage,
hoffnungsvoll, wie mir schien. „Aber ich hab erst vor kurzem davon erfahren und bin sofort nach Berlin zurück. Das Auswärtige Amt … Ach egal, was das Lösegeld angeht, es ist so, du ...”, sprudelte es hektisch aus mir hervor. Ich brachte es fast nicht über mich, aber so waren nun mal die Fakten. Jens gefiel mein Zögern gar nicht. „Ja?”, sagte er fordernd und ich seufzte. „Die Nummer, die du kontaktiert hast, war nicht meine, sondern deine. Die von deinem Handy, wo der Akku schon lange leer war und so hat keiner hat deine Nachricht bekommen ...” „Oh!”, machte er. Dann nochmal, „Oh ...”, als ihm das Ausmaß des Ganzen langsam bewusst wurde. Dass er leider auch ein bisschen selber Schuld an der Wartezeit war, aber auch dass ich- „Ich, äh, ich … Scheiße, ich hab schon
wieder die Nummern verwechselt?!?” Als Antwort sah ich ihn nur stumm an und hob langsam die Achseln. „Dann … Dann wolltest du mich nicht dafür bestrafen, dass ich-” Er schlug die Hände vors Gesicht, doch ich griff rasch danach und zog sie auseinander. „Verdammt Jens, nein!”, brach es aus mir heraus, so dass mein Mann besorgt die Augen wegen der Lautstärke aufriss. „Deswegen bin ich doch hier, ich weiß, du musstest eh schon denken, wir hätten dich vergessen, weil das Handy bei Sabine war. Und dann wollten sie dich nicht frei lassen, obwohl wir gezahlt haben und keiner konnte uns helfen und ich hab solche Angst um dich gehabt und-” „Catherine!”, seufzte Jens da plötzlich und riss mich abrupt in seine Arme. Presste mich eng an sich, erdrückte mich fast
und während meine Füße in der Luft baumelten gab er mir endlich einen weiteren Kuss, küsste mich mit einer Intensität, die mir alles sagte, was ich wissen musste. Ich ertrank beinahe in diesem Kuss, umklammerte Jens' Hals und wäre am liebsten in ihn hinein gekrochen. Vorsichtig löste er seine Lippen von meinen, ließ aber seine Wange auf meiner, damit er die nächsten Worte nur flüstern brauchte. „Catherine, meine geliebte kleine Cat, eigentlich habe ich es immer gewusst. Wie konnte ich nur an dir zweifeln?!?” Er presste das Gesicht in meine Haare atmete tief ein. „Verzeih mir! Verzeih, dass ich grade so ein Arsch war! Es tut mir leid, es ist … irgendwie mit mir durchgegangen. All diese Zweifel und Ängste der letzten Zeit … und jetzt stellt sich heraus, ich war selber Schuld daran. Nicht nur ein Arsch, sondern auch ein
Idiot!” „Ach Jens, hör auf damit!”, wisperte ich und strich durch seine widerborstigen Haare. „Ich kann nicht! Cat, bitte vergib mir, dass ich an dir gezweifelt habe!” „Ist in Ordnung”, flüsterte ich heiser zurück, doch mein Mann redete weiter: „Dabei wusste ich eigentlich immer, dass du mich liebst, so wie ich dich! Nur der Gedanke an dich hat mich das alles hier überstehen lassen, glaub mir!” „Liebling!”, schluchzte ich auf, überwältigt von all den Gefühlen, überwältigt von all den Gefühlen, die seine Nähe und seine Worte in mir auslösten. Rasch verbarg ich mein Gesicht an seinem Hals, immer noch in seinen Armen in der Luft schwebend, wo er mich eine Weile stumm wiegte. Erst, als er mich sanft wieder auf den
Boden stellte, hörte ich ihn wieder etwas murmeln „Aber was machen wir nur jetzt?!” Es klang echt verzweifelt und mein Herz zog sich zusammen. Großen Kummer bereitete ich ihm gerade, natürlich, er hatte große Angst um mich. Und doch … So, wie die Dinge lagen, mit diesem Alvarez da draußen, hätte es wahrscheinlich ansonsten gar keine Chance gegeben, ihn wieder zu sehen! Lieber ging ich hier gemeinsam mit ihm zugrunde, als ohne ihn weiter zu leben! Und das sagte ich ihm auch. Da stöhnte er leise, vergrub sein Gesicht erneut in meinen Haaren. „Ich weiß. Als sie den Großen erschossen haben-” „Pedroso!?” „-da dachte ich, nun erschießen sie auch dich
...” „Tja, das dachte ich auch”, versuchte ich es scherzhaft klingen zu lassen, doch er schüttelte unwirsch den Kopf. „In diesem Moment war auch ich bereit-” Verzweifelt nahm ich sein Gesicht in beide Hände und verschloss seinen Mund mit meinen Lippen. Jens stöhnte leise in diesen Kuss hinein und presste mich an die Wand. Unsere Küsse und Berührungen wurden allmählich leidenschaftlicher, all die aufgestaute Energie der letzten Monate schien sich Bahn zu brechen. Langsam, während wir nicht die Finger voneinander lassen konnten, rutschten wir die Wand herab, bis wir auf dem Boden lagen. Jens bedeckte mein Gesicht mit Küssen, wanderte mit seinen Lippen über meinen Hals, um dort leicht zu saugen. Nach all der Zeit und
Hoffnungslosigkeit hatte ich in diesem Moment fast das Gefühl, den Verstand zu verlieren und die Sehnsucht gewann die Überhand. „Liebe mich, Jens!”, bat ich und er fragte nicht einmal das obligatorische 'Hier?', sondern eroberte mit einem zustimmenden Brummen meinen Mund. Wir küssten uns wild und es gab kein Halten mehr: Dort, auf dem plattgetretenen kahlen Lehmboden liebten wir uns spontan und leidenschaftlich, glücklich inmitten all dieser Hoffnungslosigkeit, glücklich darüber, wieder zueinander gefunden zu haben und immer darauf bedacht, allzu leidenschaftliche Laute mit gegenseitigen Küssen zu ersticken. Es war ein Akt der Liebe, aber auch der Verzweiflung, aus dem wir wie aus einem tiefen Schlaf wieder in der Realität
aufwachten. * Draußen krähte der erste Hahn und Jens seufzte. „Du solltest wieder rein. Oh Cat, ich hasse den Gedanken, dass wir beide hier zusammen verschimmeln werden. Oder wenn einer von den Wachen auf die Idee kommt …!” Er würgte bei diesen Worten regelrecht, aber ich gab ihm ein letztes Küsschen auf die Nase. „Sag das nicht”, bat ich ihn. „Noch leben wir! Und wir finden einen Weg. Oder Stan, er weiß, dass ich mit Pedroso hier bin. Noch ist nicht alles verloren!” Jens lächelte matt. „Meine Kitty, selbst im Verlies noch tapfer!” Ich grinste zurück, stand auf und huschte durch die Tür in meinen Schlafraum. Bevor ich sie schloss, meinte ich „Hab ich ja Übung drin. Und
denk immer dran: Ich liebe dich!” „Und ich liebe dich!” Er bekam noch ein Luftküsschen, dann war ich wieder bei der immer noch röhrenden Abuelita. Aber es war mir egal! * An den folgenden Tagen fand ich mich allmählich in den Tagesablauf ein, der hauptsächlich aus großer Langeweile bestand. Vielleicht war das mit das Schlimmste an dieser Gefangenschaft, diese absolute Leere und Nutzlosigkeit, der Zwang, den Tag ohne Sinn und Aufgabe überstehen zu müssen! Aber noch wurde das von dem wundervollen Gefühl überragt, meinen Mann wieder zu haben! Wie es wahrscheinlich auch unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre, hielt ich mich
von Anfang an verstärkt in der Nähe meines 'Retters' auf. Für die Anderen musste es so scheinen, als freundete ich mich langsam mit ihm an, zumal sie ja auch gemerkt hatten, dass wir aus dem gleichen Land kamen. Da hielt man wahrscheinlich tatsächlich automatisch zusammen, froh, die eigene Sprache benutzen zu können. So hatten wir gleichzeitig auch eine Art Geheimsprache. Die restlichen Männer schienen ihren Appetit auf mich seit dem ersten Tag gut zügeln zu können, es war wohl die Mischung aus Jens' imposanter Größe und den Fähigkeiten, die ich demonstriert hatte. Ansonsten verstand man sich hier ganz gut, es herrschte Solidarität unter den Gefangenen, kein Wunder, das waren ja keine Tiere, sondern teilweise sehr kluge und gebildete Leute, die nur den Fehler gemacht hatten, eine Reise durch so ein verstörtes Land zu
machen. Trotzdem, man konnte ja nie wissen, ging ich dazu über, meine Tür nachts von Innen zu blockieren, es würde dann doch auffallen, wenn Jens jede Nacht davor kampieren würde. Tagsüber redeten er und ich anfangs nur das Nötigste miteinander. Die Gefangenen lümmelten mal in diesem, mal im anderen Zimmer umeinander und man wusste nie genau, wer einem zuhörte, trotz Geheimsprache. Momente echter Zweisamkeit trauten wir uns daher nicht mehr zu, das Haus war zu hellhörig - es war schon ein Wunder, dass uns in der ersten Nacht keiner gehört hatte! - und Jens wollte auch niemanden auf dumme Gedanken bringen. Bis ich auf eine kleine, irgendwie vergessene
Kammer stieß! Der Grund für ihre Nichtbeachtung war wohl, dass hier das Dach eingefallen und gar nicht mehr existent war, es gab ja den Innenhof, wer brauchte da ein Zimmer, in das es rein regnete?! Hier verbrachten wir von nun an viel Zeit miteinander, davon hatten wir ja genug. Meistens eng aneinander gekuschelt lagen wir da und redeten. Ich erzählte von Afrika und es freute mich, dass Jens mit echtem Interesse zuhörte, sogar Fragen stellte. Im Gegenzug berichtete er vom Beginn seiner Reise – nur über den Tag der Entführung wollte er nicht reden, das war wohl noch zu frisch. Dafür schilderte er noch immer begeistert die Eindrücke der ersten Tage, welche trotz der Umstände nach wie vor positiv waren. Das Land an sich konnte ja nichts für die Irrungen der Menschen, die auf ihm lebten.
„Und immer hab ich unterwegs und beim Knipsen gedacht, wie schön es doch wäre, jetzt hier mit dir zusammen ...“ Hinter seinen Worten schwang natürlich die Frage nach dem ‚Warum?’ mit; wieso war ich abgehauen? „Weißt du, ich wollte dich damals echt nicht bestrafen oder so was“, setzte ich an. „Ehrlich gesagt weiß ich selber nicht mehr so genau, wie ich in den Zug gekommen bin, es war, als hätte eine fremde Macht mich übernommen oder als ob ich in Trance gewesen wäre! Wie ich dann am Flughafen war, setzte sich mein Pflichtbewusstsein gegenüber den alten Freunden durch“, versuchte ich zu erläutern, was nicht zu erläutern war. So zuckte ich mit den Schultern. „Genau
genommen kann ich es nicht wirklich erklären … Ich glaube, es hat mich verletzt, dass du über mich bestimmen wolltest wie über ein kleines Kind.“ Jens seufzte anzüglich und raunte in mein Ohr „Glaub mir, Cat, so sehe ich dich ganz und gar nicht … Eigentlich macht es mich wahnsinnig, als Mann so tatenlos neben dir hier liegen zu müssen!” Geschmeichelt lächelte ich ihn an, streifte wie zufällig mit meinem Busen seine Brust, was mir einen tadelnden Blick einbrachte. „Wo war ich? Also, wie gesagt, es war eine echte Kurzschlusshandlung. Kannst du mir verzeihen?” Zärtlich streichelte Jens mir über die Wange. „Kannst DU mir jemals verzeihen? Es tut mir leid, wie ich reagiert habe, als das Telegramm kam. Ich hätte wissen müssen, wie viel es dir bedeutet und dass du unsere Reise nicht einfach
so leichtfertig aufgibst! Um ehrlich zu sein, war mir schon im Flugzeug klar, dass ich ein Idiot bin ... Nur, nachdem du plötzlich weg warst, hab ich mir tierisch Sorgen gemacht und als dann raus kam, du bist schon halb in Namibia- Na ja, auch Männer können Trotzanfälle bekommen ...“ „Beruhigt mich ja, dass du auch nur ein Mensch bist“, nuschelte ich und presste mein Gesicht auf seine Brust, während er tadelnd schnaubte und mir über den Rücken strich. Versonnen murmelte er etwas später „Mann, es klingt echt komisch, aber die ganze Zeit hier hab ich mich oft geärgert, weil die teure Fotoausrüstung und das Equipment futsch sind bzw. jetzt wahrscheinlich in einer der Hütten hier vergammeln, weil keiner checkt, WIE wertvoll das Zeug eigentlich ist.“ Das stimmte, die Firma, von der ich meinem
Schatz auch einige Teile geschenkt hatte, produzierte die Gehäuse in einer sehr schlichten, fast schon armseligen Optik, was aber auf Reisen oft ein Vorteil war. „Von den bereits gemachten Bildern ganz zu schweigen, das würde ich nie wieder so hinkriegen!“ Als er das so trauerumflort sagte, musste ich schmunzeln. „Da kommt wieder der Künstler durch“, neckte ich ihn, doch er riss die Augen auf. „Nein, das ist es gar nicht!“, schüttelte er den Kopf. „Ich hatte nur gehofft, all das Schöne dann doch noch mit dir teilen zu können, dir alles zuhause zeigen zu können ...“ „Du bist süß”, seufzte ich. „Ich kann eigentlich immer noch nicht glauben, dass du uns sogar geoutet hast, du Meister der Geheimhaltung! Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, dir dafür
zu danken!!” „Ach ja”, grinste Jens, „wie ist das eigentlich aufgenommen worden?” Ich zuckte mit den Schultern. „Ähm, ehrlich gesagt, ich hab so recht keine Ahnung; ich war ja dann auch weg und als ich zurück kam, hatte ich andere Sorgen ...” „Hm.” „Außerdem, ich würd mich auch gar nicht trauen, in irgendein Forum zu gucken, das gab bestimmt einen Shitstorm damals ...” „Warum?” „Weil so bei den meisten Mädchen endgültig die Realität ihre Träume von dir hat platzen lassen, denke ich.” Jens schnaubte. „Oh Mann, ich kann das eh nicht verstehen, diese ganzen jungen Girlies, was finden die bloß an mir altem Sack?!” Da musste ich spontan kichern. „Sowas Ähnliches hat Pfanni vor kurzem in einem
Interview auch gesagt. Er und die anderen lassen übrigens herzlich grüßen und hoffen, dich bald wieder zuhause zu haben.” Das quittierte mein Mann mit einem schiefen Lächeln. Denn über allem schwebte die Frage: Wie würde es hier mit uns weiter gehen? Doch trotz dieser beständigen Sorge nagte nun eine andere an mir, etwas, das Jens gerade gesagt hatte, rief dumme Gedanken wach, auch wenn ich im ersten Moment lachen musste ... Am nächsten Tag lagerten wir wieder auf dem ungemütlichen Boden, wobei ich es besser hatte, denn ich lag geborgen in Jens' Arm, den
Kopf an seiner Schulter. Ich raffte meinen Mut zusammen und sah zu ihm hoch. „Mir ist aufgefallen, dass du schon wieder mit diesem Altersmist angefangen hast, gestern. Ich dachte, das hätten wir hinter uns!“ „Na ja“, murmelte Jens, nahm meine Hand in seine und spielte verlegen mit meinen Fingern, sagte aber erst mal nichts. Endlich schien er sich zu einer Antwort durchgerungen zu haben. „Weißt du, es ist  nun mal etwas, was mich im Laufe des letzten Jahres massiv beschäftigt hat. Das lässt sich nicht so einfach wegschieben. Und der Abend damals hat es im Nachhinein nicht besser gemacht ...“ „Armer alter Knochen“, säuselte ich und wir mussten beide kurz grinsen in Erinnerung daran, wie hitzköpfig und beleidigt wir damals beide reagiert hatten. Ernster schob ich dann nach „Aber jetzt mal ernsthaft, macht dir das immer
noch solche Sorgen?“ „Hm. Sorgen ... Nun, im Moment habe ich hier ganz andere, aber vorher hatte ich ja schon viel Zeit, nachzudenken. Und hatte das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein-“ „Jens-“ „Sht, lass mich ausreden! Ich weiß ja nun, dass es nicht so war und hab’s auch währenddessen nicht wirklich geglaubt. Das Gefühl war aber trotzdem da, verstehst du?“ Ich nickte, denn mit zu unterdrückenden Gefühlen kannte ich mich schließlich gut aus. „Und da hab ich schon überlegt, was wäre, wenn ... Wenn ich nicht mehr zu dir zurückkehren kann, was würdest du dann tun? Um mich trauern, natürlich, das ist ja wohl das Mindeste“, sagte er und wollte seine Worte anscheinend mit einem Grinsen auflockern. Doch ich schaute ihn nur böse an, so dass er
stockend fortfuhr. „Aber Trauer ist begrenzt, irgendwie ... Irgendwann wird es leichter zu ertragen und die Menschen fangen ein neues Leben an. An diesem Punkt hab ich mir ausgemalt ... wie du wieder hinausgehst, etwas mit Gleichaltrigen unternimmst – und irgendwann eine neue Liebe findest. Einen hübschen jungen Kerl, der außerdem nicht monatelang im Ausland oder auf Tour verschwindet!“ Mir wurde für einen Moment ganz komisch, vor Ärger, Wut, Unverständnis – und wegen einer leisen Vorahnung! „Du blöder Kerl“, presste ich hervor, „ich kann das bald nicht mehr hören! Als nächstes erzählst du mir wahrscheinlich, du hast mit dem Gedanken gespielt, mich tatsächlich zu verlassen!“ Noch immer beschäftigte sich seine Hand mit meinen Fingern und schließlich seufzte Jens.
„Nun, ich gebe zu ... ich hatte da so die romantische Vorstellung, selbst wenn ich hier frei käme, mich einfach weiter zu verstecken und mich für tot erklären zu lassen.“ „Jens!“, keuchte ich entsetzt. „Du bist ein elender Mistkerl, ein echt mieser Egoist!“ Das überraschte ihn nun doch und er stutzte. „Egoist?!“ Wütend funkelte ich ihn an. „Oh ja, ein Egoist! Du tust so, als würdest du dabei immer nur an mein Wohlergehen denken. Aber in Wirklichkeit willst du einfach vor Schwierigkeiten davon laufen, getarnt als diese romantische Idee, deine Liebe zu meinen Gunsten zu opfern. Wahrscheinlich bist du immer noch nicht davon geheilt, was?!“ Seine Stirn legte sich in Falten. „Also entschuldige bitte vielmals, dass ich dich auch nach all den Jahren noch immer gerne
beschützen möchte! Wenn es eine Möglichkeit gäbe, nur dich, aber dafür sicher, hier raus zu bek-“ „Nein!“, fuhr ich heftig dazwischen und es war mir egal, ob uns jemand hören konnte oder nicht. „So einfach geht das nicht! Stell dir mal vor ... Ich meine, wir haben hier ungeschützt miteinander geschlafen. Da hätten wir jetzt auch gut ein Kind zeugen können! Würdest du dich auch aus dieser Verantwortung stehlen wollen?!“ „Aber ich will mich doch- Cat, willst du mir damit irgendwas sagen?!?“, japste er, doch ich beruhigte ihn. „Nein, keine Ahnung, das war echt rein hypothetisch! Aber verstehst du, was ich sagen will?“ (Gute Frage, denn das wusste ich im Moment beinahe selber nicht.)
Jens schien auch zu rätseln und ich ließ langsam die angestaute Luft aus meinem Bauch ab. „Ach Jens, mein geliebter Schutzengel, du machst mir Angst! Schon einmal warst du bereit, alles aufzugeben, MICH aufzugeben, nur auf eine Idee hin ... Wer sagt mir denn, dass das nicht wieder passiert?!!“ Ich fühlte mich in diesem Moment klein und verzweifelt und langsam traten mir die Tränen in die Augen. Der Mann an meiner Seite schloss die Augen und sagte eine Zeitlang nichts. Dann immer noch nichts. Sein Arm lag die ganze Zeit um meine Schulter und ich spürte seine Wärme durch die zerschlissenen Klamotten, konnte aber vor Spannung kaum atmen. Plötzlich drückte sein Arm mich fester, er schüttelte unwirsch den Kopf und sah mich an. „Du hast Recht!“
„Womit genau?“ „Eigentlich mit allem. Aber vor allem damit, dass ich im Grunde ein Feigling bin! Damit ist jetzt Schluss!“ Er zog meine Hand nun zu seinem Mund und während er weitersprach, unterstrich er jeden Satzteil mit einem Kuss auf eine meiner Fingerspitzen: „Ich“  - Kuss auf den Daumen - „verspreche dir,“ – Kuss auf den Zeigefinger - „dass ich nie wieder“ – etc. „daran denken werde,“ „dich zu verlassen!“ Die gleiche Hand legte ich nun an seine Wange. „Jens, bitte, versprich es nicht nur, schwör es mir!” „Ich
schwöre!” „Schwöre bei allem, was dir heilig ist, dass du mich nicht verlässt, nur weil du meinst, das sei besser für mich!” „Also schwöre ich bei dir ...” „Nein, stell mich nicht auf ein Podest, so hat das doch angefangen! Ich bin eine normale Frau und denkst du nicht, obwohl ich etwas jünger bin, bei all dem, was ich in meinem Leben schon mitgemacht habe – dass ich da innerlich nicht steinalt bin? Älter als du?!” „Nie im Leben! Wer so kratzbürstig ist, wird ewig jung bleiben!” Ich verdrehte die Augen, seufzte dann und presste mein Gesicht an seine Brust. „Auch egal. Ich liebe dich!” „Und ich liebe dich, Cat, Kitty, Catherine, in all deinen Inkarnationen und falls …” Er räusperte sich. „WENN wir wieder zuhause
sind, wird alles anders werden!” „Ich will es gar nicht anders. Ich will es nur, wie es bisher war, okay?!” Jens gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. „Okay.” Wie konnte man nur so idiotisch glücklich sein? Eingepfercht in einen besseren Schweinestall?! Ständig in der Gefahr, für ein Exempel herausgepickt zu werden?!? Aber so war es, macht was dran, inmitten dieser Hoffnungslosigkeit fühlte ich mich seltsam schwebend, denn endlich schien alles
geklärt! * Die Tage krochen dahin und ich lernte auch die anderen Männer besser kennen. Zwei von ihnen kamen aus den USA, einer war aus Brasilien, drei aus Japan, China und Korea; aus Europa stammten unter anderem ein Italiener sowie ein junger Schwede. Bei der Vorstellung von letzterem schmunzelte mein Schatz. „Sven hat sich zuerst gefreut und mich gleich auf schwedisch angesprochen, aber außer ein paar Bocken konnte ich ihm da leider nicht weiterhelfen.” Da musste ich auch grinsen, im Ausland war ihm das schon oft passiert, für einen Skandinavier gehalten zu
werden! Abuelita hatte so etwas wie eine Sonderstellung, die Ärmste, sie war unter den eigenen Reihen in Ungnade gefallen und zur Strafe hier eingesperrt worden! Doch sie hatte ihre Bestimmung darin gefunden, sich als Mutter der Kompanie um die Männer zu kümmern und nun natürlich verstärkt um mich. Übrigens gab es eine Ausnahme in der täglichen Langeweile: Einmal täglich wurden die Gefangenen zu einer Art Appell auf den Hof gerufen und mussten sich in Zweierreihen aufstellen. Dann stolzierte Alvarez vor ihnen herum, verhöhnte die Geiseln damit, dass ja anscheinend keiner für sie zahlen wollte (eine glatte Lüge, so viel war ja klar; aber ich traute mich zugunsten meiner Tarnung nicht, die Anderen aufzuklären – wer weiß, was Alvarez mit dem Wissen über meine wahre Identität
angefangen hätte?!), und berieselte sie mit Parolen, sie sollten sich doch der Revolution anschließen etc., etc. Ich musste dabei neben Alvarez stehen und dolmetschen, seine Propaganda ins Englische und Deutsche übersetzen. Da letzteres allein Jens verstehen konnte, fing ich einmal an, eine leicht verhohnepiepelte Version seiner Rede zu übersetzen, was Jens aber in arge Bedrängnis brachte, nicht lauthals loszulachen, deswegen ließ ich es öffentlich schnell wieder sein ließ. Aber allein in unserer Kammer amüsierten wir uns dann heimlich doch noch, betitelten Alvarez dabei als GröReFaZ (größter Revolutionsführer aller Zeiten) und wollten uns über seine theatralische Ader schier kaputt lachen. Galgenhumor halt! Irgendwie, auch wenn es komisch klingt, diese
Momente der Zweisamkeit dort in der Kammer … Wenn ich zurück denke, so viel gemeinsame Zeit hatten wir seit der Zeit meiner Schwangerschaft nicht mehr miteinander verbracht und damals waren wir 'nur' Freunde gewesen! Ich meine, klar, nachdem wir uns gefunden hatten, war eigentlich alles klar gewesen, wir waren ein Paar und wir waren definitiv glücklich, doch gemeinsame, ruhige Zeiten und Momente waren seitdem rar gesät … Zuerst war ich noch in Afrika gewesen, Jens ging entweder mit seiner ersten Band auf Tour oder mit seinem Soloprojekt, dazwischen reiste und fotografierte er; ich dagegen musste mich ständig weiterbilden und oft Nachtwache bei kranken Tieren halten – als normal konnte man unsere Beziehung echt nicht bezeichnen!
Sogar der Hochzeitsantrag war etwas seltsam verlaufen. Also, irgendwie war er ein Gemeinschaftswerk gewesen ... Damals erreichte mich, ich war inzwischen nach Deutschland zurück gekehrt und hospitierte bei Hagenbeck, ein Anruf von Jens mitten aus seiner aktuellen Tournee. Man könnte meinen, wir würden jeden Tag telefonieren, aber das klappte leider nicht. Die Zeiten, zu denen wir arbeiteten bzw. unsere Aufmerksamkeit von anderen wichtigen Dingen in Anspruch genommen wurde, waren einfach zu unterschiedlich. War er nach einem Auftritt noch total aufgedreht, lag ich wahrscheinlich nach einem 12-Stunden-Tag im Zoo mit Pavian-Impfaktion
(!) schon halb im Koma! Umgekehrt schlief Jens zu meiner Aufstehzeit oft noch oder war mit den anderen im Tourbus unterwegs. Kurz, man verfehlte sich oft und wir waren um so glücklicher, wenn es dann doch mal klappte. Man verstehe mich recht, unserer Liebe tat das nun wirklich keinen Abbruch! Bis zu Jens' Midlifecrisis hatten wir eigentlich keine Probleme gehabt, nur eben oft wenig Zeit füreinander … An jenem Nachmittag war mein Schatz besonders aufgekratzt gewesen. „Ach Cat, ich vermisse dich so!” „Das hört man gern”, hatte ich zurück gegeben, wartete auf sein unvermeidliches „Und?” „Und was?”, hatte ich geschmunzelt, wusste ich doch schon, was nun kommen würde. „Und du, vermisst du mich denn gar nicht?!”,
hatte Jens prompt gedrängelt und ich hatte in mich hinein gegrinst. Gut, dass wir heute nicht skypten! „Jaaa, schon, ein bisschen ...”, hatte ich meine Antwort künstlich gedehnt, worauf er „Puh!”, machte. Ein kleines Spielchen, welches wir öfter spielten. Schließlich waren wir noch immer wie frisch verliebt und neckten uns gerne. Doch diesmal setzte mein Schatz nach. „Aber mal ernsthaft, ich werd noch verrückt vor Sehnsucht nach dir … Zum Glück ist der Spaß hier in vier Wochen vorbei und ich hab mir gedacht ...” Plötzlich hatte er sich übertrieben geräuspert. „Also, dann ist es Ende August und die Haupttourisaison ist dann noch nicht losgegangen … Ähm, also, was hältst du davon, wenn du Urlaub nimmst und wir für ein paar Tage nach Venedig
fahren?!” Verblüfft hatte ich erst mal gar nichts gesagt. So ein konventionelles Reiseziel für meinen Weltenbummler?! Dann war mir etwas eingefallen. Hatten wir nicht in den ersten Monaten ein wenig rumgesponnen und uns mit heiligem Ernst versichert, dass die einzig wahre und echte Hochzeitsreise nur nach Venedig gehen konnte?!? Kitschig, klischeehaft, ja, aber in jedem von uns steckt wohl tief verborgen ein heilloser Romantiker … „Jens, Schatz, bist du dir denn darüber im Klaren, dass wir dazu vorher erst mal heiraten müssen?!”, fragte ich scherzhaft in Erinnerung an unsere frühere Unkerei. „Öhm … Ja, Catherine, ich denke schon, dass sich das machen ließe
...” Oh Gott, war das ein Heiratsantrag? Oder hatte ich den gerade gemacht? Noch Jahre später herrschte bei uns Uneinigkeit, wer denn nun derjenige welcher gewesen sei, der oder die den Heiratsantrag nun eigentlich gemacht hatte! Wobei Jens immer behauptete, er hätte genau mit dieser Absicht Venedig überhaupt ins Spiel gebracht. Aber was wäre denn unsere Liebe, wenn wir uns nicht um irgendwas kabbeln konnten! Ich weiß gar nicht mehr, wie, aber wir schafften es tatsächlich, uns eine Woche im September frei zu schaufeln, wo wir erst im kleinen Kreis heirateten und dann im Nachtzug nach Venedig fuhren. Einfach zwei rasend verliebte Menschen auf Hochzeitsreise in einer der romantischsten Städte der Welt!
Es war wundervoll gewesen, sich abseits von Arbeit, Konzerten, Brüdern, Söhnen und Tieren einfach mal nur aufeinander als Paar konzentrieren zu können … Solche Gelegenheiten waren aber trotz noch folgender gemeinsamer Reisen insgesamt doch eher selten und kostbar, so viel Zeit füreinander wie in Gefangenschaft hatten wir kaum je am Stück zusammen verbracht. Zum Glück hielten wir das auch aus, denn manche Paare verkraften so viel Nähe gar nicht, wir aber schon. Im Gegenteil, es hatte etwas unheimlich romantisches und spannendes, dort so manche Stunde Arm in Arm miteinander zu liegen und zu schmusen … Trotz der schlimmen Situation, in der wir uns befanden, war es wie die Erneuerung unserer
Liebe, eine Zeit, die uns wieder eng zusammen schmiedete. Wie gesagt, es klingt sicher komisch, aber so kann auch aus etwas Schlechtem etwas Gutes entstehen! Ich war bereits voll im Trott der regulären Abläufe, als diese urplötzlich durchbrochen wurden.